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Lebensgefahr im eigenen Hause

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Textdaten
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Autor: Carl Falkenhorst
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Titel: Lebensgefahr im eigenen Hause
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 32–35
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Das erwähnte Buch von Thomas Pridgin Teale heißt im Original Dangers to Health : A Pictorial Guide to Domestic Sanitary Defects (London 1878), digitalisiert im Internet Archive.
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[32]

Lebensgefahr im eigenen Hause.

Von C. Falkenhorst.

Vor einiger Zeit war ich Zeuge eines Hausstreites, der zwischen den Miethsparteien bedrohlich den lieben Hausfrieden störte. Die „Herrschaften“ im ersten und zweiten Stockwerk klagten über einen üblen Geruch, der die Wohnung verpeste und als dessen Quelle der Gußstein in der Küche erkannt wurde. Die „Leute“ im dritten Stock merkten zwar auch den Uebelstand, aber sie ertrugen ihn mit Geduld und schwiegen. Das gab nun Veranlassung, sie als die Schuldigen zu brandmarken. Der braven stillen Hausfrau des dritten Stockwerkes, in deren Wohnung Musterwirthschaft herrschte, wurde einstimmig der Vorwurf gemacht, sie lasse unreine Flüssigkeiten in den Gußstein gießen und verpeste dadurch das Haus. Es liefen Beschwerden und Abwehr Trepp’ auf Trepp’ ab, und der Hauswirth schüttelte sein Haupt, ihm war der pestilenzialische Geruch ein Räthsel; sein Haus sei gut gebaut, rein und gesund, sagte er.

Zufällig klagte mir die Hausfrau des zweiten Stockwerks über diese Kalamität, klagte über die „neue Wohnung“, in welcher sie so viel Unglück mit den Kindern habe, die fortwährend an Halsleiden etc. kränkelten, klagte auch über die Rücksichtslosigkeit der Leute im dritten Stockwerk.

Ich lächelte und bat, den verdächtigen Gußstein sehen zu dürfen. Bereitwilligst wurde mir der „Stein des Anstoßes“ gezeigt. Er roch; man brauchte nicht erst, wie dies die Hausfrau that, den hölzernen Deckel zu heben, um diese Thatsache festzustellen. Ich besah diese wichtige Hauseinrichtung, die noch aus älterer Zeit stammte, und entfernte mich mit dem Versprechen, daß ich am nächsten Tage kommen und ein Mittel zur Abhilfe angeben werde; denn die Leute im dritten Stockwerk waren unschuldig, das wußte ich.

Wohl hätte ich der Hausfrau sofort den Sachverhalt mittheilen können, aber ich dachte an den Horazischen Vers:

„Viel rascher dringt zu unserm Geiste
Die Außenwelt durchs Auge als durchs Ohr“

und ging, um ein hübsches illustrirtes Werk zu holen, welches die Prinzessin Christian von Schleswig-Holstein aus dem Englischen ins Deutsche übertragen hat, ein treffliches Werk, in dem auch der hier vorliegende Fall eines bösen Gußsteins behandelt wird. Wenn ich die Bilder zeige, dachte ich mir, werde ich leichter verstanden werden.

Am andern Morgen erschien ich mit dem Werke „Lebensgefahr im eigenen Hause“ von T. Pridgin Teale (Kiel, Lipsius [34] und Tischer) und schlug die Tafel IV auf, die im verkleinerten Maßstabe in unserer Fig. 1 wiedergegeben ist.

Fig. 1. Ein „böser“ Gußstein.

„Verehrte Freundin,“ sagte ich, „Ihr Gußstein ist ungefähr ebenso beschaffen wie dieser hier, den der Zeichner abgebildet hat. Das Abflußrohr mündet unmittelbar in die Schleuse, welche allen Unrath der Straße fortführen soll, und wie es in einer solchen Schleuse aussieht, das können Sie sich gewiß denken. Dort verwest und zersetzt sich alles, dort herrscht der übelste Geruch, dort brüten alle möglichen Bakterien und natürlich auch die bösen, welche allerlei Krankheiten erzeugen. Durch diesen Gußstein steht Ihr schönes Haus mit den unterirdischen Kloaken in Verbindung. Nur allzu oft entsteht in dem Abflußrohr ein Luftzug, wie ihn die Pfeile auf der Abbildung andeuten, die schreckliche, greuliche Kanalluft steigt in dem Rohre empor und verbreitet sich in der Küche, in dem Vorsaal, in Ihrer gesammten Wohnung. Diese Kanalluft ist nicht nur unangenehm, sondern auch schädlich, schon oft wurden durch dieselbe Krankheiten hervorgerufen, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Sie sowohl Ihren „nervösen“ Kopfschmerz wie die Krankheiten Ihrer Kinder lediglich diesem Gußstein zu verdanken haben!“

„Aber das ist geradezu abscheulich!“ rief die Hausfrau. „Was soll ich thun? Ich muß ja einen Gußstein haben und andere Leute haben ihn auch und klagen nicht über üblen Geruch.“

Fig. 2. Der „Wasserverschluß.“

„Ja, sehen Sie,“ erwiderte ich, „die anderen Leute haben das Glück, bei gebildeteren und gewissenhaften Hausbesitzern zu wohnen, die derartige Gußsteine nicht dulden und sie längst durch bessere ersetzt haben. Bitte, sehen Sie nur dieses Bild an (Fig. 2)! Bei diesem Gußstein ist das Abflußrohr bei A knieförmig gebogen und durch diesen äußerst einfachen Kunstgriff die überaus wichtige Thatsache erreicht, daß die Wohnräume nicht mehr in Verbindung mit den Schleusen und Kloaken stehen. In der knieförmigen Beugung des Rohres bleibt, wie das auf der Abbildung angedeutet ist, immer Wasser zurück, und dieser Wasserverschluß genügt vollständig, um den Kanalgasen den Zutritt in die Wohnräume zu versperren. Solche Gußsteine riechen nicht, und Sie und Ihre Hausgenossen werden das Beste thun, wenn Sie der braven armen Hausfrau im dritten Stockwerk Abbitte leisten und den Hauswirth veranlassen, einen Wasserverschluß an den Gußsteinen anzubringen.“

Ob die Abbitte geleistet wurde, weiß ich nicht. Der Hauswirth aber mußte dem vereinten und gerechten Ansturm erliegen. Es wurden richtige Abflußrohre angebracht und mit der guten Luft zog auch Frieden in das Haus ein. Thatsächlich verschwand auch der Kopfschmerz der Hausfrau und die Kinder kränkelten nicht mehr.

Bis dahin hatte ich mich wenig mit Gußsteinen befaßt. Bald darauf ging ich aufs Land, fuhr mit „Bimmelbahnen“ oder wie sie anders heißen: Sekundärbahnen in kleine Städtchen, die noch abseits vom Weltverkehr liegen, und machte hier, durch den oben erwähnten Fall angeregt, „Gußsteinstudien“. Ich war indiskret genug, in fremde Küchen einzudringen, und fand, daß der einfache Wasserverschluß beim Abflußrohr, der sonst baupolizeilich vorgeschrieben wird, keineswegs allgemein verbreitet ist. Da dachte ich mir, daß es doch zweckmäßig sein müsse, diese hygienische Angelegenheit an die große Glocke zu hängen, und faßte den Entschluß, einen Bericht über die „Lebensgefahr im eigenen Hause“ für die weitverbreitete „Gartenlaube“ zu schreiben.

*     *     *

Zu dem fehlerhaften Gußsteine haben wir nur eine Quelle entdeckt, durch die gesundheitsschädliche Stoffe in unser Wohnhaus dringen können. Dieselbe Gefahr bergen aber alle Abflußrohre des Hauses, die Abflußrohre der Badeeinrichtung und der Wasserklosetts. Pridgin Teale hat in seinem Werke eine ganze Reihe ähnlicher fehlerhafter Anlagen abgebildet, die Krankheiten verursacht haben und deren Studium den weitesten Kreisen zu empfehlen ist.

Fig. 3. Ein gefährliches Dachrohr.

Auf welchen seltsamen Umwegen die Ansteckungsstoffe in unsere Wohnung Eingang finden können, beweist die Fig. 3. Das Dachrohr, welches gerade unter dem Fenster eines Schlafzimmers mündet, steht mit einem Abzugskanal in Verbindung. Die schlechten Gase, welche in dem Dachrohr emporsteigen, dringen unmittelbar in das Schlafzimmer ein, wie die Pfeile es andeuten. Die wenigsten haben wohl bis jetzt daran gedacht, daß die Nachbarschaft eines Dachrohres ihre Gesundheit schädigen könne, und dennoch sind nicht selten Erkrankungen infolge dieser fehlerhaften Anlage festgestellt worden. Vor einigen Jahren wurde z. B. die Entstehung typhöser Fieber auf der Universität Cambridge auf eine solche Ursache zurückgeführt. – Aber nicht allein durch die Luft werden Krankheitskeime verbreitet; auch das Trinkwasser ist der Träger derselben und die Verunreinigung der Hausbrunnen verdient um so mehr unsere Aufmerksamkeit, als sie tief unter der Erde zu geschehen pflegt und sich unsern Blicken entzieht. – Die Abbildung „Wie Leute Kanalwasser trinken“ (Fig. 4) veranschaulicht uns die Verunreinigung von Brunnenwasser durch schlecht gedichtete oder zerbrochene Rohre, deren Inhalt in einen Brunnen durchsickert. Solche Fälle kommen namentlich in kleineren Städten und Dörfern, die keine öffentliche Wasserleitung besitzen, oft vor. Pridgin Teale bemerkt in seiner Erläuterung zu dieser Abbildung:

Fig. 4. Wie Leute Kanalwasser trinken.

„Ein Brunnen kann lange Zeit durch Kanalflüssigkeit verunreinigt sein, ehe Krankheiten dadurch entstehen. Man könnte die Entstehung einer Epidemie von Unterleibstyphus, welche vor etwa zehn Jahren in einer großen Schule vorkam, beinahe „klassisch“ nennen. Durch Fürsorge und mit großen Kosten hatte man die Knaben in dieser Schule lange in guter Gesundheit erhalten; doch als einst nach den Ferien alle wieder versammelt waren, erkrankte ein Knabe an Unterleibstyphus, welchen er sich zu Hause zugezogen hatte. Man brachte ihn in die Krankenstation der Schule, deren Wasserklosett in einen Kanal führte, der dicht an dem Schulbrunnen vorbeilief. In Zeit von vierzehn Tagen lagen 30 Knaben krank an demselben Fieber. Eine genaue Untersuchung ergab, daß das Abflußrohr schadhaft war und die aussickernde Flüssigkeit den Brunnen verunreinigt hatte. Sowohl der Brunnen wie das Kanalisationsrohr waren sehr gut und richtig angelegt, das Rohr befand sich jedoch zu nahe bei dem Brunnen, so daß da, wo infolge eines Rattenganges eine Senkung stattgefunden hatte und die Fugen undicht geworden waren, das entweichende Kanalwasser durch kleine Risse im Cementmörtel in den Brunnen eindringen mußte. Im vorliegenden Falle brachte das verunreinigte Wasser erst dann Fieber hervor, als durch einen Typhuskranken typhöse Darmentleerungen ins Trinkwasser gelangten.“

[35] Eine äußerst wichtige Frage berührt unsere Abbildung 5; sie veranschaulicht fehlerhafte Brunnenanlagen auf dem Lande, die man geradezu gemeingefährlich nennen muß. Diese Abbildung vereinigt eine Reihe von Beobachtungen. Nämlich erstens, daß Brunnen öfters inmitten oder ganz in der Nähe eines Meierhofes angebracht werden, so daß Flüssigkeit aus dem reichlichen Dünger durch den Erdboden in den Brunnen sickern muß. Zweitens, daß, obschon es unbegreiflich scheinen mag, es dennoch wirklich vorkommt, daß Kloakenröhren quer durch den oberen Theil eines Brunnens geleitet werden.

Fig. 5. Wie die Milch „vergiftet“ wird.

Pridgin Teale führt folgenden wirklich beobachteten Fall als Beleg an: ein Kanalisationsrohr lief durch die Seitenwand eines Brunnens; die Röhren standen so hervor, daß sie sichtbar wurden, wenn man den Deckel des Brunnens abnahm. Aus der schadhaften Verbindungsstelle der Röhren rieselte ein Strom von Kanalflüssigkeit, die hauptsächlich aus dem Abfluß eines Schweinestalles und eines Kuhstalles bestand, an der Innenwand des Brunnens hinab. Es waren mehrere Fälle von Unterleibstyphus im Hause vorgekommen. Die Bewohner verkauften Milch, welche reichlich durch „Typhuslösung“ vom Brunnen her verdünnt war.

Fehlerhafte Brunnenanlagen in Milchwirthschaften haben in der That schon vielfach Typhus-, Scharlach- und Diphtheritisepidemien hervorgerufen, was leicht erklärlich ist; denn die Milch braucht nicht erst mit einem schlechten Brunnenwasser verdünnt zu werden, um ansteckend zu wirken, schon das bloße Aufwaschen der Kannen mit diesem Wasser genügt, die Milch zu vergiften.

Bedenkt man, wie groß eine solche Gefahr ist und wie leichtfertig und unwissend oft die Leute sind, so erscheint in der That die Forderung, die schon vielfach gestellt wurde, nicht unberechtigt: „Jede Milchwirthschaft, aus der Milch verkauft wird, sollte von Rechtswegen einer beständigen sanitären Ueberwachung unterworfen sein.“ Wir glauben aber, daß auch auf dem Wege der Selbsthilfe viel in dieser Beziehung gebessert werden könnte, und möchten hier den Spruch Disraelis beherzigt sehen. „Sanitäre Belehrung ist wichtiger als sanitäre Gesetzgebung.“ Dringt diese tiefer in die Volksschichten hinein, werden die großen wissenschaftlichen Errungenschaften unserer Zeit in ihren allgemeinen leichtverständlichen Grundsätzen zum Gemeingut der Nation, dann wird auch das erreicht werden, daß unser Haus oder im engeren Sinne unsere Wohnung unsere Burg sein wird, in die wir uns aus dem Getümmel des Lebens ruhig flüchten können, eine feste Burg, die uns nicht allein vor fremder Willkür schützt, sondern zu der auch die geheimen Feinde unserer Gesundheit und unseres Lebens keinen Eingang finden.

Fig. 6. Schlimme Nachbarschaft.

Die Arbeit eines einzelnen auf diesem Gebiete ist jedoch nicht immer ausreichend. Ein Blick auf unsere Abbildung 6 überzeugt uns, daß wir uns auch vor bösen Nachbarn schützen müssen. In dem vorliegenden Falle ist der Vorrathskeller eines Hauses durch die schadhafte Leitung eines Nachbarhauses verpestet. Bei Verhältnissen dieser Art muß die Sanitätspolizei eingreifen und der strengen polizeilichen Beaufsichtigung müssen auch alle Fälle unterworfen sein, wie derjenige, den wir in Abbildung 7 wiedergeben. „Eine Villa in Cannes“, lautet die Unterschrift dieser Skizze, welche die böse Sieben unserer Beispiele voll macht. Die Geschichte dieser Villa ist die folgende. Vor einigen Jahren wurde einer Dame gerathen, ihrer Gesundheit wegen den Winter im südlichen Frankreich zuzubringen. Während ihres Aufenthaltes in Cannes erkrankte ihre Kammerfrau am Unterleibstyphus. Infolge dessen nahm die Dame sofort eine sanitäre Untersuchung des Hauses vor und fand unter dem Zimmer der Kammerfrau ein schlechtes Wasserklosett, welches sich

Fig. 7. Eine Villa in Cannes.

zum Theil in einen Kasten entleerte, der in einem unterhalb befindlichen Raume stand. Der überlaufende Behälter verpestete diesen Raum, neben welchem die Speisekammer und hieran anschließend die Küche lag. – „Die Gefahren für die Gesundheit werden nicht vermindert, indem man Badeorte aufsucht,“ bemerkt hierzu Pridgin Teale und ermahnt die Badeverwaltungen, daß sie nur durch häufige Untersuchung und scharfe Ueberwachung der Miethwohnungen ihren Ruf bewahren und ihr eigenes Interesse fördern können. Wir können mit Genugthuung feststellen, daß in Deutschland das Bewußtsein dieser Pflicht längst erwacht ist und die bereits eingeleitete Bewegung auch die „Lebensgefahr in Kurorten“ beseitigen wird.

Die deutsche Herausgabe des Werkes, welches uns die Anregung zu diesem Artikel gegeben, hat Professor Dr. Esmarch veranlaßt. Das Buch ist keineswegs für Aerzte allein bestimmt. Jedermann kann es mit Nutzen studiren, der auch auf gesundheitlichem Gebiete den stolzen Wahrspruch zur Wahrheit machen will:

„Mein Haus meine Burg.“