Leipzigs gottesfürchtiger Dichter in seinem Lieblingshaine
In dem Atelier unsers wackern Meisters Knaur, mit dessen künstlerischem Bildungsgange die Leser der „Gartenlaube“ ein früherer Artikel (1859 Nr. 35) bekannt gemacht hat, ist eben eine überlebensgroße Marmorstatue Gellert’s vollendet, welche, für Leipzigs schönen Stadtpark, das „Rosenthal“, bestimmt, daselbst im Laufe dieses Frühlings aufgestellt werden wird, und von der schon jetzt unsern Lesern eine Zeichnung vorlegen zu können wir uns freuen.
Knaur ist viele Jahre seines Lebens hindurch und in verschiedenen Wiederholungen mit der künstlerischen Darstellung und monumentalen Verherrlichung Gellert’s beschäftigt gewesen. In dem eben angeführten Artikel dieser Zeitschrift besprachen wir neben anderen Werken des Künstlers besonders eine daselbst auch abgebildete Statuette des frommen Dichters, welche ihn wie in milder Begeisterung über einem seiner religiösen Lieder sinnend darstellt; aber schon früher, schon als Zögling Rietschel’s, hat Knaur den Entwurf zu einem vollständigen Gellertmonumente geschaffen, der freilich Entwurf geblieben ist. Man darf demnach wohl sagen, daß Knaur – ganz abgesehen von dem besondern Interesse, welches er als Leipziger an dem Gegenstande hat – so sehr wie irgend ein Künstler berufen und vorbereitet war, den Auftrag zu einem statuarischen Monumente Gellert’s auszuführen. Daß die Sache aber nun dahin gelangt ist, wo wir sie finden, und daß die gute Stadt Leipzig damit in den Besitz einer schönen monumentalen Zierde gelangt, an deren Ueberfluß sie bisher nicht grade gelitten hat, das hat seine eigene Geschichte, von der Einiges zu erfahren wohl auch für weitere Kreise nicht ohne Interesse sein wird.
Es ist eine Reihe Jahre her, daß Knaur unerwarteter Weise von einem Grafen H** (der bescheidene Mann will weder an dem Denkmal selbst, noch in der Presse öffentlich genannt sein), dessen seitdem leider verstorbene Mutter eine lebhafte Verehrerin Gellert’s war, den Auftrag zu einem für das Leipziger Rosenthal bestimmten Gellertmonumente erhielt; eine beträchtliche Geldsumme, die Hälfte aller Kosten, welche zur Herstellung des nun vollendeten Denkmals erforderlich waren, wurde angewiesen, im Uebrigen über die Form des Monuments Nichts vorgeschrieben, als daß auf demselben der Gellert’sche Vers:
„Gott soll ich über Alles lieben
Und meinen Nächsten gleich als mich“
etwa unter einer Büste oder einem Medaillon mit des Dichters Portrait anzubringen sei.
Daß nun der Künstler diesen Auftrag mit aller Lebhaftigkeit ergriff, wird nach dem oben Gesagten Niemand wundern; sehr natürlich ist es aber auch, daß er den Wunsch hegte, das Werk in wahrhaft monumentaler Weise zu gestalten, vor Allem, sich, wenn irgend möglich, bis zu statuarischer Darstellung und bis zu dem edlen Materiale weißen Marmors zu erheben. Allein da galt es, bedeutende Schwierigkeiten zu besiegen; für die Herstellung einer Marmorstatue reichten die gebotenen Mittel bei weitem nicht aus; dieselben durch die Betheiligung wohlhabender Kunstfreunde und Freunde der Vaterstadt zu vermehren, wollte nicht gelingen, obgleich der Künstler an manche Thür geklopft hat. Nicht allein abgewiesen wurde er mit seinem Anliegen und seinen Plänen, man that auch, was man konnte, ihn zu entmuthigen und von Schritten bei den Behörden der Stadt abzuhalten. Als jedoch trotz dieser Mißerfolge und fruchtlos unerquicklichen Unterhandlungen der Künstler sich nicht abschrecken ließ, da wandte sich das Blatt; ohne Zögern und Schwanken nahm sich der Bürgermeister Koch der Sache an, und dem Rathsantrag auf Bewilligung der noch nöthigen Summe traten auch die Stadtverordneten sofort einstimmig bei; der Plan war gerettet und die Stadt Leipzig hat sich in würdiger Weise an der Herstellung eines Denkmals betheiligt, zu dessen Aufrichtung eine um so nähere Veranlassung gegeben war, als das alte Gellertmonument auf dem ehemaligen sogenannten Schneckenberge dem Theaterneubau am Augustusplatze hat weichen müssen.
Zur Würdigung nun der Statue selbst und zum rechten Verständniß der Intentionen des Künstlers muß zunächst ein Wort über den Aufstellungsort gesagt werden. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß bei jedem Kunstwerke die Auffassung, der künstlerische Charakter von der Bestimmung und von dem Orte und der Art der Aufstellung abhängig zu denken ist; es sollte wenigstens so sein und ist in allen Zeiten lebendiger Kunstübung, bei den Alten nicht minder als in der Renaissance, so gewesen, und es müßte allgemein empfunden werden, daß es für die Conception eines plastischen Monumentes durchaus nicht gleichgültig ist, wohin man dasselbe stellen will, ob in einen geschlossenen Raum, ob in nächste Verbindung mit der Architektur, oder auf einen weiten, von Häusern umgebenen Platz, auf eine belebte Straße, oder in die freie Natur, in einen Garten oder, wie es hier der Fall ist, in die Umgebung von Wald und Wiese. Wenn uns demgemäß auf den ersten Blick an Knaur’s Statue die nicht allein durchaus realistische, sondern etwas genrehafte Auffassung und Behandlung befremden mag, so wird dies Befremden freudiger Zustimmung weichen, wenn wir die Bestimmung des Bildes in’s Auge fassen, wenn wir uns die Statue in die für sie gewählte Umgebung hineingestellt denken.
Das „Rosenthal“, ein parkartig behandelter Laubwald mit weiten, von prächtigen alten Bäumen und dichten Gebüschen umgebenen Wiesenflächen, ist der namentlich an Sonntagen von vielen Hunderten besuchte, unschätzbare Spaziergang Leipzigs; das war er schon zu Gellert’s Zeit, ja, der alte Herr genoß bekanntlich das damals ausschließliche Privilegium, im Rosenthale zu reiten. Hier also, in diese Umgebung, in die Mitte der sonntäglichen Spaziergänger, wird Knaur’s Statue aufgestellt an einem trefflich gewählten und künstlerisch herzurichtenden Platze, angesichts eines der belebtesten Wege, umgeben von Rasenfläche und Blumenpartien, während uralte hohe Eichen und lauschige Gebüsche, unter denen Bänke angebracht werden sollen, die Einrahmung und den Hintergrund bilden.
Und wenn wir nun sehen, daß der sinnige Meister den alten Herrn in diese Umgebung selbst als einen Spaziergänger hineinstellt, nicht sitzend, wie den Gelehrten in der Studirstube, nicht dichtend und sinnend wie in ruhiger Einsamkeit, sondern gerade so, wie er leibhaftig im Rosenthal erschienen sein mag, wenn ein Kreis selbst spazierengehender Verehrer, der in jedem Augenblick durch die Beschauer wieder dargestellt wird, sich eben um ihn gesammelt hat, werden wir da nicht sagen müssen, daß der Bildner mit seiner Auffassung genau das Richtige getroffen hat? So aber ist die Statue in der That gedacht. Der Baumstamm neben derselben schließt die Verbindung mit der Umgebung, die Rechte mit dem jetzt geschlossenen Buch, in welchem er lustwandelnd gelesen haben mag, auf diesen Stamm gestützt, den dreispitzigen Hut im Arme, im sonntäglichen Habit seiner Zeit, so steht der Dichter ruhig vor uns, nicht in einer bestimmten Handlung, nicht wie ein Gellert darstellender Schauspieler mit symbolisch tiefsinnigen Geberden, nein, in voller Ruhe, so wie der Mann selbst, der jetzt eben weder den Dichter noch den Gelehrten herauskehrt, sondern der Mensch in seiner Ganzheit und Schlichtheit ist, in ähnlicher Situation als der Mittelpunkt einer um ihn gruppirten Gesellschaft gestanden haben würde. Das ist in der That eine vortreffliche, der Bestimmung der Statue und ihrem Aufstellungsort mit feinem [172] Gefühl angepaßte Auffassung und Composition, für deren specifische Eigenthümlichkeit unser Künstler die Analogie höchst ausgezeichneter Portraitstatuen des Alterthums anführen könnte; denn wirklich ist die Situation des berühmten Sophokles im Lateran und des Neapeler Aeschines im Wesentlichen ganz diejenige dieses Gellert, und die letztere dieser beiden Statuen ist auch in der realistischen Behandlungsweise mit der unsrigen verwandt, nur daß die antiken weiten Falten auf unser Auge anders wirken, als die moderne Tracht. Und doch hat der Künstler unzweifelhaft Recht gehabt, uns seine Statue in eben dieser Tracht, ohne alle Faltenzuthaten hinzustellen; die vielkragigen Kutschermäntel, durch welche die moderne statuarische Portraitbildnerei eine Zeit lang antiken Faltenwurf ersetzen zu müssen geglaubt hat, sind längst als entbehrlich, ja als vielfach störend erkannt worden, hier aber, bei einer Statue, die man hauptsächlich im schönen Sommerwetter betrachten wird, wenn’s im Rosenthale grünt und blüht, und der man im Winter wohl, wie unseren übrigen steinernen Monumenten, ein hölzernes Schilderhäusel überdecken wird, hier wäre ein Kutschermantel doppelt und dreifach schlecht am Platze gewesen. Sehr verständiger Weise hat der Künstler dagegen seinem Gellert einen Hut in den Arm gegeben, der zugleich als ein gutes Motiv einer einfachen und natürlichen Bewegung des linken Armes wirkt; denn haben wir einmal den alten Herrn in leibhafter Persönlichkeit vor uns, so werden wir ihm auch zugestehen müssen, daß er nicht ohne Hut in’s Rosenthal gegangen ist.
Die diesen Zeilen beigegebene Zeichnung überhebt uns beinahe der Pflicht noch besonders hervorzuheben, daß Knaur trotz alles Realismus der Auffassung das Platte und spielend Genrehafte mit Glück vermieden und seiner Statue im Antlitz und in der Haltung plastische Ruhe und monumentale Abgeschlossenheit genug zu geben gewußt hat, um sie mit ihrer Aufstellungsart in Harmonie zu bringen. Von dieser nämlich haben wir noch ein kurzes Wort hinzuzufügen. Das ziemlich hohe Postament wird aus rothem Rochlitzer Porphyr ausgeführt, und soll an seiner Vorderfläche nur den Namen Gellert, ohne alle Beifügungen von Geburts- und Todesjahr tragen. Unter dem Gesimse aber wird in vergoldeten Buchstaben auf einer Erzplatte an der Vorderseite der oben schon angeführte Vers eingelassen werden, dem hinten der folgende entsprechen wird:
Seid fröhlich, ihr Gerechten,
Der Herr hilft seinen Knechten.
Zu beiden Seiten sollen dann weiter diese Verse angebracht werden, rechts:
Vertrau’ auf Gott, er wohnt bei denen,
Die sich nach seiner Hülfe sehnen.
Und links:
Der wahre Ruhm ist Ruhm bei Gott
Und nicht bei Menschenkindern.
Schließlich wollen wir noch einmal auf das Material der Statue zurückkommen; daß es weißer Marmor sei, haben wir schon gesagt, hier sei noch hinzugefügt, daß carrarischer Marmor der sogenannten zweiten Classe absichtlich gewählt wurde. Während nämlich der Marmor der sogenannten ersten Classe die Eigenschaft hat das Wasser, wenn auch nur in höchst unbedeutendem Grade, anzuziehen, steht der hier gewählte gegen Nässe vollkommen und läßt das Wasser wie glasirtes Porcellan ablaufen. Man darf demnach wohl hoffen, daß die Knaur’sche Gellertstatue, namentlich wenn sie im Winter, wie oben angedeutet, verwahrt wird, der Ungunst unseres Klimas vollkommen widerstehen wird. Erfüllt sich aber diese wohlbegründete Erwartung, so dürfte damit das vielgehegte Vorurtheil, als ob wir in unseren Breiten Marmorstatuen nicht ungestraft im Freien aufstellen dürften, auch bei uns wohl beseitigt werden, wie es z. B. in Berlin durch die Gruppen auf der Schloßbrücke beseitigt worden ist. Das aber wäre von nicht geringer Bedeutung; denn so vortrefflich sich die Bronze für gewisse monumentale Zwecke eignet, so wenig paßt sie für alle. In unserem Falle z. B. wäre sie gar wenig am Platze gewesen, und ähnliche mögen sich zu diesem gesellen. Uns Leipzigern liegt es gar nahe, dabei an das seit langer Zeit projectirte Leibnitzmonument zu denken, für welches beträchtliche Fonds gesammelt sind und das in Marmor hergestellt einem unserer schönen öffentlichen Plätze leicht zu einem erfreulicheren Schmucke gereichen dürfte, als in Erz, welches unter den Einflüssen unseres Klimas auch nicht die schöne Patina antiker Monumente gewinnt, sondern vielmehr recht schwarz und düster wird.