Lichtenstein/Dritter Teil/IX
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„In schwarzen Pulverdämpfen
Verbirgt sich Mann und Roß;
Ihr schlagt euch immer kecker
Bergunter alle zumal;
Jetzt sprengt ihr durch den Necker,
Jetzt fechtet ihr im Thal.“
G. Schwab.[1]
Georg erwachte am Wirbeln der Trommeln, die das kleine Heer unter die Waffen riefen. Ein schmaler Saum war am Horizont helle, der Morgen kam, die Truppen des Herzogs sah man in der Ferne daherziehen. Der junge Mann setzte den Helm auf, ließ sich den Brustharnisch wieder anlegen und stieg zu Pferd, den Herzog an der Spitze seiner Mannschaft zu empfangen. Aus Ulerichs Zügen war zwar nicht der Ernst, wohl aber alle Düsterkeit verschwunden. Sein Auge sprühte von einem kriegerischen Feuer, und aus seinen Mienen sprach Mut und Entschlossenheit. Er war ganz in Stahl gekleidet und trug über seinem schweren Eisenkleid einen grünen Mantel mit Gold verbrämt. Die Farben seines Hauses wehten in seinem großen wallenden Helmbusch. Sonst unterschied er sich in nichts von den übrigen Rittern und Edeln, die, ebenfalls in blankes Eisen „bis an die Zähne“ gekleidet, den Herzog in einem großen Kreis umgaben. Er begrüßte freundlich Hewen, Schweinsberg und Georg von Sturmfeder und ließ sich von ihnen über die Stellung des Feindes berichten.[Hauff 1]
Noch war von diesem nichts zu sehen; nur an dem Saum des Waldes, gegen Eßlingen hin, sah man hin und wieder seine Posten stehen. Der Herzog beschloß, den Hügel, den die Landsknechte besetzt gehalten hatten, zu verlassen und sich in die Ebene hinabzuziehen. Er hatte wenig Reiterei, der Bund aber, so berichteten Überläufer, zählte dreitausend Pferde. Im Thal hatte er auf einer Seite den Neckar, auf der andern einen Wald, und so war er wenigstens auf den Flanken vor einem Reiterangriff sicher.
Lichtenstein und mehrere andere widerrieten zwar diese Stellung im Thal, weil man vom Hügel zu nahe beschossen werden [393] könne; doch Ulerich folgte seinem Sinn und ließ das Heer hinabsteigen. Er stellte zunächst vor Türkheim die Schlachtordnung auf und erwartete seinen Feind. Georg von Sturmfeder wurde beordert, in seiner Nähe mit den Reitern, die er ihm anvertraut hatte, zu halten; sie sollten gleichsam seine Leibwache bilden; zu diesen berittenen Bürgern gesellten sich noch Lichtenstein und vierundzwanzig andere Ritter, um bei einem Reiterangriff den Stoß zu verstärken. In jenen Tagen war ein Treffen oft in viele kleine Zweikämpfe zerstreut, die Ritter, die einem Heere folgten, fochten selten in geschlossenen Massen, sondern suchten mit schnellem Blicke einen Gegner unter den Reihen des Feindes, den sie dann mit Schwert und Lanze bekämpften. Eine solche Schar war es, die bei Georgs Reiterhaufen stand, und den Herzog selbst gelüstete es, seine ungeheure Kraft, seine weit berühmte Fertigkeit in einem solchen Zweikampf zu erproben, und nur die inständigen Bitten der Ritter hielten ihn ab, diese romantische Idee auszuführen. Neben dem Herzog hielt eine sonderbare Figur, beinahe wie eine Schildkröte, die zu Pferd sitzt, anzusehen. Ein Helm mit großen Federn saß auf einem kleinen Körper, der auf dem Rücken mit einem gewölbten Panzer versehen war; der kleine Reiter hatte die Kniee weit heraufgezogen und hielt sich fest am Sattelknopf. Das herabgeschlagene Visier verhinderte Georg, zu erkennen, wer dieser lächerliche Kämpfer sei; er ritt daher näher an den Herzog heran und sagte:
„Wahrhaftig, Euer Durchlaucht haben sich da einen überaus mächtigen Kämpen zum Begleiter ausersehen. Sehet nur die dürren Beine, die zitternden Arme, den mächtigen Helm zwischen den kleinen Schultern – wer ist denn dieser Riese?“
„Kennst du den Höcker so schlecht?“ fragte der Herzog lachend. „Sieh nur, er hat einen ganz absonderlichen Panzer an, der wie eine große Nußschale anzusehen, um seinen teuren Rücken zu verwahren, wenn es etwa zur Flucht käme. Es ist mein getreuer Kanzler, Ambrosius Volland!“
„Bei der heiligen Jungfrau! dem habe ich bitter unrecht gethan“, entgegnete Georg; „ich dachte, er werde nie ein Schwert ziehen und ein Roß besteigen, und da sitzt er auf einem Tier so [394] hoch wie ein Elefant, und trägt ein Schwert so groß, als er selbst ist. Diesen kriegerischen Geist hätte ich ihm nimmer zugetraut.“
„Meinst du, er reite aus eigenem Entschluß zu Felde? Nein, ich habe ihn mit Gewalt dazu genötigt. Er hat mir zu manchem geraten, was mir nicht frommte, und ich fürchte, er hat mich mit böslicher Absicht aufs Eis geführt; drum mag er auch die Suppe mit verzehren, die er eingebrockt hat. Er hat geweint, wie ich ihn dazu zwang; er sprach viel vom Zipperlein und von seiner Natur, die nicht kriegerisch sei; aber ich ließ ihn in seinen Harnisch schnüren und zu Pferd heben, er reitet den feurigsten Renner aus meinem Stall!“
Während dies der Herzog sprach, schlug der Ritter vom Höcker das Visier auf und zeigte ein bleiches, kummervolles Gesicht. Das ewig stehende Lächeln war verschwunden, seine stechenden Äuglein waren groß und starr geworden und drehten sich langsam und schüchtern nach der Seite; der Angstschweiß stand ihm auf der Stirne und seine Stimme war zum zitternden Flüstern geworden: „Um Gottes Barmherzigkeit willen, wertgeschätzter Herr von Sturmfeder, viellieber Freund und Gönner, leget ein gutes Wort ein beim gestrengen Herrn, daß er mich aus diesem Fastnachtsspiel entläßt. Es ist des allerhöchsten Scherzes jetzt genug. Der Ritt in den schweren Waffen hat mich grausam angegriffen, der Helm drückt mich aufs Hirn, daß meine Gedanken im Kreise tanzen, und meine Kniee sind vom Zipperlein gekrümmt; bitte, bitte! leget ein gutes Wort ein für Euren demütigen Knecht Ambrosius Volland; will’s gewißlich vergelten.“
Der junge Mann wandte sich mit Abscheu von dem grauen, feigen Sünder. „Herr Herzog“, sagte er, indem ein edler Zorn seine Wangen rötete, „vergönnt ihm, daß er sich entferne. Die Ritter haben ihre Schwerter gelüftet und die Helme fester in die Stirne gedrückt, das Volk schüttelt die Speere und erwartet mutig das Zeichen zum Angriff, warum soll ein Feigling in den Reihen von Männern streiten?“
„Er bleibt, sag’ ich“, entgegnete der Herzog mit fester Stimme; „bei dem ersten Schritt rückwärts hau’ ich ihn selbst vom Gaul herunter. Der Teufel saß auf deinen blauen Lippen, Ambrosius [395] Volland, als du Uns geraten, Unser Volk zu verachten und das Alte umzustoßen. Heute, wenn die Kugeln sausen und die Schwerter rasseln, magst du schauen, ob dein Rat Uns frommte.“
Des Kanzlers Augen glühten vor Wut, seine Lippen zitterten und seine Mienen verzerrten sich greulich. „Ich habe Euch nur geraten, warum habt Ihr es gethan?“ sagte er. „Ihr seid Herzog, Ihr habt befohlen und Euch huldigen lassen; was kann denn ich dafür?“
Der Herzog riß sein Pferd so schnell um, daß der Kanzler bis auf die Mähnen seines Elefanten niedertauchte, als erwarte er den Todesstreich. „Bei Unserer fürstlichen Ehre“, rief er mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen blitzten, „Wir bewundern Unsere eigene Langmut. Du hast Unsern ersten Zorn benützt, du hast dich in Unser Vertrauen einzuschwatzen gewußt; hätten Wir dir nicht gefolgt, du Schlange, so stünden heute zwanzigtausend Württemberger hier und ihre Herzen wären eine feste Mauer für ihren Fürsten. O, mein Württemberg! mein Württemberg! Daß ich deinem Rat gefolgt wäre, alter Freund; ja, es heißt was, von seinem Volk geliebt zu sein!“
„Entfernet diese Gedanken vor einer Schlacht“, sagte der alte Herr von Lichtenstein, „noch ist es Zeit, das Versäumte einzuholen. Noch stehen sechstausend Württemberger um Euch, und bei Gott, sie werden mit Euch siegen, wenn Ihr mit Vertrauen sie in den Feind führet. O Herr! hier sind lauter Freunde, vergebet Euren Feinden, entlaßt den Kanzler, der nicht fechten kann!“
„Nein! her zu mir, Schildkröte! An meine Seite her, Hund von einem Schreiber! Wie er zu Rosse sitzt, als hätte ihn unser Herrgott hinaufgeschneit, den Schneemann! Du hast mein Volk verachtet in deiner Kanzlei und ihnen Gesetze gegeben mit deiner Schwanenfeder, jetzt sollst du sehen, wie sie streiten; jetzt sollst du sehen, wie Württemberg siegt oder – untergeht. Ha! seht ihr sie dort auf dem Hügel? Seht ihr die Fahnen mit dem roten Kreuz? Seht ihr das Banner von Bayern? Wie ihre Waffen blitzen im Morgenrot, wie ihre Glieder von tausend Lanzen starren, wie der Wind in ihren Helmbüschen spielt. – Guten Tag, [396] ihr Herren vom Schwabenbund! Jetzt geht mir das Herz auf; das ist ein Anblick für einen Württemberg.“
„Schaut! sie richten schon die Geschütze“, unterbrach ihn Lichtenstein; „zurück von diesem Platz, Herr! hier ist Euer Leben in augenscheinlicher Gefahr; zurück, zurück, wir halten hier, schickt uns Eure Befehle von dort zu, wo Ihr sicher seid.“
Der Herzog sah ihn groß an. „Wo hast du gehört“, sagte er, „daß ein Württemberg gewichen sei, wenn der Feind zum Angriff blasen ließ? Meine Ahnen kannten keine Furcht, und meine Enkel werden noch aushalten wie sie, furchtlos und treu! Sieh’, wie der Berg sich dunkler und dunkler füllt von ihren Scharen. Siehst du jene weißen Wolken am Berg, Schildkröte? Hörst du sie krachen? Das ist der Donner der Geschütze, der in unsere Reihen schlägt; jetzt, wenn du ein gutes Gewissen hast, wirst du leichter Atem holen, denn um dein Leben gibt dir keiner einen Pfennig.“
„Lasset uns beten“, sagte Marx von Schweinsberg, „und dann drauf in Gottes Namen.“
Der Herzog faltete andächtig die Hände, seine Begleiter folgten seinem Beispiel und beteten zum Anfang der Schlacht, wie es Sitte war in den alten Tagen. Der Donner der feindlichen Geschütze tönte schauerlich in diese tiefe Stille, in welcher man jeden Atemzug, jedes leise Flüstern der Betenden hörte. Auch der Kanzler faltete die Hände, aber seine Augen richteten sich nicht gläubig auf zum Himmel, sie irrten zagend an den Bergen umher, und das Beben seines Körpers, so oft Blitz und Rauch aus den Feldstücken des Feindes fuhr, zeigte, daß seine Seele nicht zu dem sich aufzuschwingen vermöge, der aus den Strahlen seiner Morgensonne über Freunde und Feinde herabblickte.
Ulerich von Württemberg hatte gebetet und zog sein Schwert aus der Scheide; die Ritter und Reisigen folgten ihm und in einem Augenblick blitzten tausend Schwerter um ihn her. „Die Landsknechte sind schon im Gefecht“, sagte er, indem sein Adlerauge schnell das Thal überschaute; „Georg von Hewen! Ihr rückt ihnen mit Tausend zu Fuß nach. Schweinsberg lehne sich mit achthundert an den Wald und warte bis auf weiteres. Reinhardt [397] von Gemmingen! wollet mit den Eurigen geradeaus ziehen und den mittleren Raum zwischen dem Wald und dem Neckar einnehmen. Sturmfeder, du bleibst mit deiner Abteilung Reitern, doch bist du jeden Augenblick bereit, vorzubrechen. Gott befohlen, ihr Herren; sollten wir uns hier unten nicht wieder sehen, so grüßen wir uns desto freudiger oben.“ Er grüßte sie, indem er sein großes Schwert gegen sie neigte. Die Ritter erwiderten den Gruß und zogen mit ihren Scharen dem Feinde zu und ein tausendstimmiges „Ulerich für immer!“ ertönte aus ihren Reihen.
Das bündische Heer, das auf dem Hügel, den die Herzoglichen früher besetzt gehalten hatten, angekommen war, begrüßte seinen Feind aus vielen Feldschlangen und Kartaunen; dann zogen sie sich allmählich herab ins Thal; sie schienen durch ihre ungeheure Anzahl das kleine Heer des Herzogs erdrücken zu wollen. In dem Augenblick, als die letzten Glieder den Hügel verlassen wollten, wandte sich der Herzog zu Georg von Sturmfeder. „Siehst du ihre Feldstücke auf dem Hügel?“ fragte er.
„Wohl, sie sind nur durch wenige Mannschaft bedeckt.“
„Frondsberg glaubt, weil wir nicht über ihn wegfliegen können, sei es unmöglich, sein Geschütz zu nehmen. Aber dort am Wald biegt ein Weg links ein und führt in ein Feld. Das Feld stößt an jenen Hügel. Kannst du mit deinen Reitern ungehindert bis in jenes Feld vordringen, so bist du beinahe schon im Rücken der Bündischen. Dort läßt du die Pferde verschnauben, legst dann an und im Galopp den Hügel hinauf, die Geschütze müssen unser sein!“
Georg verbeugte sich zum Abschied, aber der Herzog bot ihm die Hand. „Lebe wohl, lieber Junge!“ sagte er, „es ist hart von Uns, einen jungen Ehemann auf so gefährliche Reise zu schicken, aber Wir wußten keinen Rascheren und Besseren als dich.“
Die Wangen des jungen Mannes glühten, als er diese Worte hörte, und seine Augen blinkten mutig. „Ich danke Euch, Herr, für diesen neuen Beweis Eurer Gnade“, rief er, „Ihr belohnt mich schöner, als wenn Ihr mir die schönste Burg geschenkt hättet. – Lebet wohl, Vater, und grüßt mein Weibchen.“
[398] „So ist’s nicht gemeint!“ entgegnete lächelnd der alte Lichtenstein; „ich reite mit dir unter deiner Führung –“
„Nein, Ihr bleibet bei mir, alter Freund“, bat der Herzog, „soll mir denn der Kanzler hier im Felde raten? Da könnte ich so übel fahren, wie mit seinen anderen Ratschlüssen. Bleibet mir zur Seite, machet den Abschied kurz, Alter! Euer Sohn muß weiter.“
Der Alte drückte Georgs Hand; lächelnd und mit freudigem Mute erwiderte dieser den Abschiedsgruß, schwenkte mit seinen Reitern ab und „Ulerich für immer!“ riefen die Stuttgarter Bürger zu Pferd, welche er in dieser entscheidenden Stunde gegen den Feind führte. Georg betrachtete, als er an dem Waldsaum hinritt, sinnend die Schlacht. Die Württemberger hatten eine gute Stellung, denn der Wald und der Neckar deckte sie, und ihre Flügel und das Zentrum waren stark genug, um auch einen mächtigen Stoß von Reiterei auszuhalten. Er konnte sich aber nicht verhehlen, daß wenn sie sich aus dieser Stellung herauslocken lassen, müssen sie alle diese Vorteile verlieren, weil sie dann entweder zwischen dem Wald und dem linken Flügel einen bedeutenden Zwischenraum lassen, oder, um diesen auszufüllen, ihre Schlachtlinie so weit ausdehnen müßten, daß sie an innerer Stärke verlieren würden und leichter durchbrochen werden könnten. Ein großer Nachteil für die Württemberger war auch ihre geringe Anzahl, denn der Feind zählte zwei Dritteile mehr. Er konnte zwar in dem engen Thal seine Streitkräfte nicht entwickeln und nur wenige Mannschaft auf einmal ins Treffen führen, doch war dies immer genug, um die Herzoglichen unausgesetzt zu beschäftigen, der Feind behielt dadurch immer frische Leute, und es war zu befürchten, daß die sechstausend Württemberger, wenn sie auch noch so tapfer standhalten sollten, endlich aus Ermattung werden unterliegen müssen.
Der Wald nahm jetzt Georg und seine Schar auf; sie rückten still und vorsichtig weiter, denn Georg wußte wohl, wie schwierig es für einen Reiterzug sei, im Wald von Fußvolk angegriffen zu werden. Doch ungefährdet kamen sie bis auf das Feld heraus, das ihnen der Herzog bezeichnet hatte. Rechts über dem Wald [399] hin wütete die Schlacht. Das Geschrei der Angreifenden, das Schießen aus Donnerbüchsen und Feldstücken, das Wirbeln der Trommeln hallte schrecklich herüber.
Vor ihnen lag der Hügel, von dessen Gipfel eine gute Anzahl Kartaunen in die Reihen der Württemberger spielte; dieser Hügel erhob sich von der Seite des Wäldchens allmählich, und Georg bewunderte den schnellen Blick des Herzogs, der diese Seite sogleich erspäht hatte, denn von jeder andern Seite wäre, wenigstens für Reiter, der Angriff unmöglich gewesen. Das Geschütz wurde, soviel man von unten sehen konnte, nur durch eine schwache Mannschaft bedeckt, und als daher die Pferde ein wenig geruht hatten, ordnete Georg seine Schar und brach im Galopp an der Spitze der Reiter vor. In einem Augenblick waren sie auf dem Gipfel des Hügels angekommen, und Georg rief den bündischen Soldaten zu, sich zu ergeben.
Sie zauderten, und die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart ersparten ihnen die Mühe, denn mit gewaltigen Streichen hieben sie Helme und Köpfe durch, daß von der Bedeckung bald wenige mehr übrig waren. Georg warf einen frohlockenden Blick auf die Ebene hinab seinem Herzog zu, er hörte das Freudengeschrei der Württemberger aus vielen tausend Kehlen aufsteigen, er sah, wie sie frischer vordrangen, denn ihre Hauptfeinde, die Feldstücke auf dem Hügel, waren jetzt zum Schweigen gebracht.
Aber in diesem Augenblick der Siegesfreude gewahrte er auch, daß jetzt der zweite und schwerere Teil seiner schnellen Operation, der Rückzug, gekommen sei; denn auch die Bündischen hatten bemerkt, wie ihr Geschütz plötzlich verstummt sei, und ihre Obersten hatten alsobald eine Reiterschar gegen den Hügel aufbrechen lassen. Es war keine Zeit mehr, die schweren erbeuteten Feldstücke hinwegzuführen; darum befahl Georg, mit Erde und Steinen ihre Mündungen zu verstopfen und sie auf diese Weise unbrauchbar zu machen. Dann warf er einen Blick auf den Rückweg; zwischen ihm und den Seinigen lag der Wald auf der einen, das feindliche Heer auf der andern Seite. Wurde er nur von Reiterei angegriffen, so war der Rückweg durch den Wald möglich, [400] weil dann der Feind dieselben Schwierigkeiten zu überwinden hatte, wie er. Aber seinem scharfen Auge entging nicht, daß ein großer Haufe bündischen Fußvolkes in den Wald ziehe, um ihm den Rückzug abzuschneiden, und so sah er sich von dem Walde ausgeschlossen. Das große Heer des Bundes zu durchbrechen, sich mit hundertundsechzig Pferden durch zwanzigtausend durchzuschlagen, wäre Tollkühnheit gewesen. Es blieb nur ein Weg und auch auf diesem war der Tod gewisser als die Rettung. Zur Linken des feindlichen Heeres floß der Neckar. Am anderen Ufer war kein Mann von bündischer Seite; konnte er dieses Ufer gewinnen, so war es möglich, sich zum Herzog zu schlagen. Schon waren die Reiter des Bundes, wohl fünfhundert stark, am Fuß des Hügels angelangt, er glaubte an ihrer Spitze den Truchseß von Waldburg zu erblicken, jedem andern, selbst dem Tod wollte er sich lieber ergeben, als diesem.
Drum winkte er den tapfern Württembergern nach der steilern Seite des Hügels hin, die zum Neckar führte. Sie stutzten; es war zu erwarten, daß unter zehn immer acht stürzen würden, so jähe war diese Seite, und unten stand zwischen dem Hügel und dem Fluß ein Haufen Fußvolk, das sie zu erwarten schien. Aber ihr junger, ritterlicher Führer schlug das Visier auf und zeigte ihnen sein schönes Antlitz, aus welchem der Mut der Begeisterung sie anwehte; sie hatten ihn ja noch vor wenigen Wochen eine holde Jungfrau zur Kirche führen sehen, durften sie an Weib und Kinder denken, da er diese Gedanken weit hinter sich geworfen hatte?
„Drauf, wir wollen sie schlachten“, riefen die Fleischer; „drauf, wir wollen sie hämmern“, riefen die Schmiede; „immer drauf, wir wollen sie lederweich klopfen“, riefen ihnen die Sattler nach; „drauf, mit Gott, Ulerich für immer!“ rief der hochherzige Jüngling, drückte seinem Roß die Sporen ein und flog ihnen voran den steilen Hügel hinab. Die feindlichen Reiter trauten ihren Augen nicht, als sie den Hügel heraufkamen, die verwegene Schar gefangen zu nehmen, und sie schon unten, mitten unter dem Fußvolk erblickten. Wohl hatte mancher den kühnen Ritt mit dem Leben bezahlt, mancher war mit dem Roß gestürzt und [401] in Feindes Hand gefallen, aber die meisten sah man unten tapfer auf das Fußvolk einhauen, und der Helmbusch ihres Anführers wehte hoch und mitten im Gedräng. Jetzt waren die Reihen des Fußvolkes gebrochen, jetzt drängten sich die Reiter nach dem Neckar – jetzt – setzte ihr Führer an und war der erste im Fluß. Sein Pferd war stark und doch vermochte es nicht mit der Last seines gewappneten Reiters gegen die Gewalt des vom Regen angeschwellten Stromes anzukämpfen, es sank, und Georg von Sturmfeder rief den Männern zu, nicht auf ihn zu achten, sondern sich zum Herzog zu schlagen und ihm seinen letzten Gruß zu bringen. Aber in demselben Augenblick hatten zwei Waffenschmiede sich von ihren Rossen in den Fluß geworfen; der eine faßte den jungen Ritter am Arm, der andere ergriff die Zügel seines Pferdes und so brachten sie ihn glücklich ans Land heraus.
Die Bündischen hatten ihnen manche Kugel nachgesandt, aber keine hatte Schaden gethan, und im Angesicht beider Heere, durch den Fluß von ihnen getrennt, setzte die kühne Schar ihren Weg zum Herzog fort. Es war unweit seiner Stellung eine Furt, wo sie ohne Gefahr übersetzen konnten, und mit Jubel und Freudengeschrei wurden sie wieder von den Ihrigen empfangen.
Ein Teil des feindlichen Geschützes war zwar durch diesen ebenso schnellen als verwegenen Zug Georgs von Sturmfeder zum Schweigen gebracht worden, aber das Verhängnis Ulerichs von Württemberg wollte, daß ihn diese kühne Waffenthat zu nichts mehr nützen sollte; die Kräfte seiner Völker waren durch die immer erneuerten Angriffe des an Zahl weit überlegenen Feindes endlich völlig erschöpft worden; die Landsknechte hielten zwar mit ihrem gewöhnlichen kriegerischen Feuer aus, aber ihre Anführer hatten sich schon genötigt gesehen, sie in Kreise zu stellen, um den Andrang der feindlichen Kavallerie abzuwehren; dadurch war die Linie hin und wieder unterbrochen, und das Landvolk, das man durch eilige Bewaffnung nicht zu Kriegern hatte machen können, füllte nur schlecht diese Lücken aus. In diesem Augenblick wurde dem Herzog gemeldet, daß der Herzog von Bayern Stuttgart plötzlich überfallen und eingenommen habe, daß ein neues feindliches Heer in seinem Rücken am Fluß heraufziehe und [402] kaum noch eine Viertelstunde entfernt sei. Da merkte er, daß er an diesem Tage sein Reich zum zweitenmal verloren habe, daß ihm nichts mehr übrigbleibe als Flucht oder Tod, um nicht in die Hände seiner Feinde zu fallen. Seine Begleiter rieten ihm, sich in sein Stammschloß Württemberg zu werfen und sich dort zu halten, bis er Gelegenheit fände, heimlich zu entrinnen; er schaute hinauf nach dieser Burg, die, von dem Glanz des Tages bestrahlt, ernst auf jenes Thal herabblickte, wo der Enkel ihrer Erbauer den letzten verzweifelten Kampf um sein Herzogtum kämpfte. Aber er erbleichte und deutete sprachlos hinauf, denn auf den Türmen und Mauern dieser Burg erschienen rote, glänzende Fähnlein, die im Morgenwind spielten; die Ritter blickten schärfer hin, sie sahen, wie die Fähnlein wuchsen und größer wurden, und ein schwärzlicher Rauch, der jetzt an vielen Stellen aufstieg, zeigte ihnen, daß es die Flamme sei, welche ihre glühende Paniere siegend auf den Zinnen aufgesteckt hatte. Württemberg brannte an allen Ecken, und sein unglücklicher Herr sah mit dem greulichen Lachen der Verzweiflung diesem Schauspiel zu. Jetzt bemerkten auch die Heere die brennende Burg. Die Bündischen begrüßten diese Flammen mit einem Freudengeschrei, den Württembergern entsank der Mut, es war ihnen, als sei dies ein Zeichen, daß das Glück ihres Herzogs ein Ende habe.
Schon tönten die Trommeln des im Rücken heranziehenden Heeres vernehmlicher, schon wich an vielen Orten das Landvolk, da sprach Ulerich: „Wer es noch redlich mit Uns meint, folge nach, wir wollen uns durchschlagen durch ihre Tausende oder zu Grund gehen. Nimm mein Banner in die Hand, tapferer Sturmfeder, und reite mutig mit uns in den Feind!“ Georg ergriff das Panier von Württemberg, der Herzog stellte sich neben ihn, die Ritter und die Bürger zu Pferd umgaben sie und waren bereit, ihrem Herzog Bahn zu brechen. Der Herzog deutete auf eine Stelle, wo die Feinde dünner standen, dort müsse man durchkommen oder alles sei verloren. Noch fehlte es an einem Anführer, und Georg wollte sich an die Spitze stellen, da winkte ihm der Ritter von Lichtenstein, seinen Platz an der Seite des Herzogs nicht zu verlassen, und stellte sich vor die Reiter; noch [403] einmal wandte er die ehrwürdigen Züge dem Herzog und seinem Sohne zu, dann schloß er das Visier und rief: „Vorwärts, hie gut Württemberg alle weg!“
Dieser Reiterzug war wohl zweihundert Pferde stark und bewegte sich in Form einer Keile im Trab vorwärts. Der Kanzler Ambrosius Volland sah sie mit leichtem Herzen abziehen, denn der Herzog schien ihn ganz vergessen zu haben, und er hielt jetzt mit sich Rat, wie er ohne Gefahr von seinem hochbeinigten Tier herabkommen sollte. Doch der edle Renner des Herzogs hatte mit klugen Augen den Reitern nachgeschaut; so lange sie sich im Trab fortbewegten, stand er stille und regungslos, jetzt aber ertönten die Trompeten zum Angriff, man sah das Panier von Württemberg hoch in den Lüften wehen und die tapfere Reiterschar im Galopp auf den Feind ansprengen. Auf diesen Moment schien der Renner gewartet zu haben; mit der Schnelligkeit eines Vogels strich er jetzt über die Ebene hin, den Reitern nach; dem Kanzler vergingen die Sinne, er hielt sich krampfhaft am Sattelknopf, er wollte schreien, aber die Blitzesschnelle, womit sein Roß die Luft teilte, unterdrückte seine Stimme; in einem Augenblick hatte er den Zug eingeholt, so schnell sie ihre Rosse auslaufen ließen, er überholte sie, und so hatte es der Kanzler in kurzer Zeit bis zum Anführer der Reiter gebracht. Der Feind stutzte über die sonderbare Gestalt, die mehr einem geharnischten Affen als einem Krieger glich, noch ehe sie sich recht besinnen konnten, war der fürchterliche Mann mitten in ihren Reihen, die Württemberger brachen trotz des entscheidenden Augenblickes in ein lustiges Gelächter aus, und auch dieses mochte beitragen, die tapfern Truppen von Ulm, Gemünd, Aalen, Nürnberg und noch zehn andern Reichsstädten, welche dieser unerwartete Angriff traf, zu verwirren; sie zerstiebten vor der ungeheuren Wucht der zweihundert Pferde, und die ganze Schar war im Rücken des Feindes. Sie setzte eilig ihren Marsch fort, und ehe noch die bündische Reiterei zum Nachsetzen herbeigerufen werden konnte, hatte der Herzog mit wenigen Begleitern sich zur Seite geschlagen; er gewann einen großen Vorsprung, denn die Reiterei des Bundes erreichte die berittene Schar der Bürger erst vor den Thoren [404] von Stuttgart, und es fand sich unter ihnen weder der Herzog, noch einer seiner wichtigeren Anhänger, außer dem Kanzler Ambrosius Volland, den man halbtot vom Pferde hob. Die bündischen Kriegsleute behandelten ihn, nachdem man ihm die gewölbte Rüstung vom Leib geschält hatte, sehr übel, denn nur seiner fürchterlichen, alle Begriffe übersteigenden Tapferkeit schrieben sie es zu, daß ihnen der Herzog und mit ihm eine Belohnung von tausend Goldgulden entgangen war. So geschah es, daß dieser tapfere Kanzler nicht, wie sein Herzog, in der Schlacht, sondern nach der Schlacht geschlagen wurde.
- ↑ Dritte Strophe der 6. Romanze „Aus dem Jugendleben des Herzogs Christoph von Wirtemberg“.
Anmerkungen (Hauff)
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