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Lichtenstein/Dritter Teil/VII

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Kapitel VI Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Dritter Teil, Kapitel VII
Kapitel VIII
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[369]

VII.


 „So hab’ ich endlich dich gerettet
 Mir aus der Menge wilden Reih’n;
 Du bist in meinen Arm gekettet,
 Du bist nun mein, nun einzig mein.
 Es schlummert alles diese Stunde,
 Nur wir noch leben auf der Welt;
 Wie in der Wasser stillem Grunde
 Der Meergott seine Göttin hält.“
 L. Uhland.[1]


Herzog Ulerich von Württemberg liebte eine gute Tafel, und wenn in guter Gesellschaft die Becher kreisten, pflegte er nicht sobald das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Auch am Hochzeitfeste Mariens von Lichtenstein blieb er seiner Gewohnheit treu. Man war, als die heilige Handlung in der Kirche vorüber war, in den Lustgarten am Schloß gezogen; dort hatten sich in den Laubgängen und künstlich verschlungenen Wegen die Hochzeitgäste ergangen, oder an den zahmen Hirschen und Rehen im Gehege, oder an den Bären, die in einem der Gräben des Schlosses umherwandelten, sich ergötzt. Um zwölf Uhr hatten die Trompeten zur Tafel gerufen. Sie wurde in der Tyrnitz gehalten, einer weiten, hohen Halle, die viele hundert Gäste faßte. Diese Halle war die Zierde des Schlosses zu Stuttgart. Sie maß wohl hundert Schritte in der Länge; die eine Seite, die gegen den Garten des Schlosses lag, war von vielen breiten Fenstern unterbrochen, und der freundliche Tag ergoß sich durch die vielfarbigen Scheiben und erhellte überall das ungeheure Gemach, das mit seinen Wölbungen und Säulen mehr einer Kirche als einem Tummelplatz der Freude glich. Um die drei übrigen Seiten liefen Galerien mit Teppichen reich behängt, sie waren für die Geiger und Trompeter und für die Zuschauer bei einem fürstlichen Mahle bestimmt, oft aber [370] dienten sie den Damen und Kampfrichtern zu Tribünen, wenn nicht der Klang der Becher, sondern Schwerthiebe, das Krachen der Lanzen, das Sausen der Speere und das Gelächter und Geschrei der Kämpfer beim freien Waffenspiel in der Halle erscholl.

Aber heute sah man hier einen gemischten Kreis schöner Frauen und fröhlicher Männer um reichbesetzte Tafeln sitzen. Auf den Galerien schwangen die Geiger lustig ihre Fiedelbogen, die Zinkenisten bliesen ihre Backen auf, die Trommler schlugen kräftig auf die Felle, und mit Jauchzen und Hallo stimmte die Volksmenge, die man auf den übrigen Teilen der Galerien zugelassen hatte, ein, wenn die Herren unten einen Trinkspruch ausgebracht hatten. Am oberen Ende der Halle saß unter einem Thronhimmel der Herzog. Er hatte seinen Hut weit aus der Stirne gerückt, schaute fröhlich um sich und sprach dem Becher fleißig zu. Zu seiner Rechten an der Seite des Tisches saß Marie; jetzt wollte die Sitte nicht mehr, daß sie die Augen niederschlug und sechs Schritte von dem Geliebten entfernt bleibe. Ein fröhliches Leben war in ihre Augen, um ihren Mund eingezogen; sie blickte oft nach ihrem neuen Gemahl, der ihr gegenübersaß, es war ihr oft, als müsse sie sich überzeugen, daß dies alles kein Traum, daß sie wirklich eine Hausfrau sei und den Namen, den sie achtzehn Jahre getragen, gegen den Namen Sturmfeder vertauscht habe; sie lächelte, so oft sie ihn ansah, denn es kam ihr vor, als gebe er sich, seit er aus der Kirche kam, eine gewisse Würde. „Er ist mein Haupt“, sagte sie lächelnd zu sich; „mein Herr, mein Gebieter, o, der gute Herr! das liebe Haupt!“

Und es war so, wie Marie zu bemerken glaubte; Georg fühlte sich gehobener, mit einer neuen Würde umgeben; es schien ihm, als zeigen ihm die Junker mehr Ehrfurcht, als ziehen ihn die älteren Ritter mehr freundlicher zu sich heran, seit er nicht mehr allein in der Welt stand, sondern wie sie, ein Hausvater, vielleicht der Stifter eines glänzenden Geschlechtes geworden war. Denn in den guten alten Zeiten waren die Begriffe noch anders als heutzutag, und man dachte sich den Edelmann und den Bürger nicht anders, als mit Weib und Kindern und überließ das Cölibat den Mönchen.

[371] In die Nähe des Herzogs war der Ritter von Lichtenstein, Marx Stumpf von Schweinsberg und der Kanzler gezogen worden, und auch der Ratsschreiber von Ulm saß nicht ferne, weil er heute als Geselle des Bräutigams diesen Ehrenplatz sich erworben hatte. Der Wein begann schon den Männern aus den Augen zu leuchten und den Frauen die Wangen höher zu färben, als der Herzog seinem Küchenmeister ein Zeichen gab. Die Speisen wurden weggenommen und im Schloßhof unter die Armen verteilt; auf die Tafel kamen jetzt Kuchen und schöne Früchte, und die Weinkannen wurden für die Männer mit besseren Sorten gefüllt; den Frauen brachte man kleine silberne Becher mit spanischem, süßem Weine. Sie behaupteten zwar, keinen Tropfen mehr trinken zu können, doch nippten und nippten sie von dem süßen Nektar immer wieder, bis man die Nagelprobe hätte machen können. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo nach der Sitte der Zeit dem neuen Ehepaar Geschenke überbracht wurden. Man stellte Körbe neben Marien auf, und als die Geiger und Pfeifer von neuem gestimmt hatten und aufzuspielen anfingen, bewegte sich ein langer glänzender Zug in die Halle. Voran gingen die Edelknaben des fürstlichen Hofes, sie trugen goldene Deckelkrüge, Schaumünzen, Schmuck von edlen Steinen als ein Geschenk des Herzogs.

„Mögen euch diese Becher, wenn sie bei den Hochzeiten eurer Kinder, bei den Taufen eurer Enkel kreisen, mögen sie euch an einen Mann erinnern, dem ihr beide im Unglück Liebe und Treue bewiesen, an einen Fürsten, der im Glück euch immer gewogen und zugethan ist.“

Georg war überrascht von dem Reichtum der Geschenke; „Euer Durchlaucht beschämen uns“, rief er, „wollet Ihr Liebe und Treue belohnen, so wird sie nur zu bald um Lohn feil sein.“

„Ich habe sie selten rein gefunden“, erwiderte Ulerich, indem er einen unmutigen Blick über die lange Tafel hinschickte und dem jungen Mann die Hand drückte, „noch seltener, Freund Sturmfeder, hat sie mir Probe gehalten, drum ist es billig, daß Wir die reine Treue mit reinem Golde und edle Liebe mit edlen Steinen zu belohnen suchen. Doch wie, Eure schöne Frau [372] vergießt Thränen? Ich weiß die Quelle dieses klaren Taues, es ist die Erinnerung an Unser bitteres Geschick, die Wir selbst heraufbeschworen haben. Hinweg mit diesen Thränen, schöne Frau. Am Hochzeittag ist es kein gutes Zeichen. Doch mit Verlaub Eures Eheherrn will ich jetzt eine alte Schuld einziehen, Ihr wißt noch welche?“

Marie errötete und warf einen forschenden Blick nach Georg hinüber, als fürchte sie, jenes alte Übel, das sie oft kaum zu beschwören vermochte, möchte wiederkehren. Georg wußte recht wohl, was der Herzog meine, denn jene Szene, die er hinter der Thüre belauschte, war ihm noch immer im Gedächtnis; doch er fand Gefallen daran, den Herzog und Marien zu necken, und antwortete, als diese noch immer schwieg: „Herr Herzog, wir sind jetzt zusammen ein Leib und eine Seele, wenn also meine Frau in früheren Zeiten Schulden gemacht hat, so steht es mir zu, sie zu bezahlen.“

„Ihr seid zwar ein hübscher Junge“, entgegnete Ulerich mit Laune, „und manche unserer Fräuleins hier am Tische möchte vielleicht gerne einen solchen Schuldbrief an Euren schönen Mund einzufordern haben; mir aber kann dies nicht frommen, denn meine Urkunde lautet auf die roten Lippen Eurer Frau.“

Der Herzog stand bei diesen Worten auf und näherte sich Marien, die bald errötend, bald erbleichend ängstlich auf Georg herübersah; „Herr Herzog“, flüsterte sie, indem sie den schönen Nacken zurückbog, „es war nur Scherz; – ich bitte Euch.“ Doch Ulerich ließ sich nicht irre machen, sondern zog die Schuld samt Zinsen von ihren schönen Lippen ein.

Der alte Herr von Lichtenstein sah bei dieser Szene finster bald auf den Herzog, bald auf seine Tochter, vielleicht mochte ihm Ulerich von Hutten beifallen, denn seine Blicke streiften auch ängstlich auf seinen Schwiegersohn. Der Kanzler Ambrosius[WS 1] Volland aber schaute mit höhnischer Schadenfreude aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann; „Hi, hi“, rief er ihm zu; „ich leere meinen Becher auf gutes Wohlsein. Eine schöne Frau ist eine gute Bittschrift in aller Not; wünsche Glück, liebster, wertgeschätzter Herr; hi! hi! ’s ist ja auch was Unschuldiges, so lange es vor den Augen des Ehemanns geschieht.“

[373] „Allerdings, Herr Kanzler!“ erwiderte Georg mit großer Ruhe, „um so unschuldiger, als ich selbst dabei war, wie meine Frau Seiner Durchlaucht diesen Dank zusagte. Der Herr Herzog versprach beim Vater für uns zu bitten, daß er mich zu seinem Eidam annehme, und bedung sich dafür diesen Lohn an unserem Hochzeittage.“

Der Herzog sah den jungen Mann mit Staunen an, Marie errötete von neuem, denn sie mochte sich jene ganze Szene ins Gedächtnis zurückrufen, aber keines von beiden widersprach ihm, sei es, weil sie es für unschicklich hielten, ihn Lügen zu strafen, sei es, weil sie ahnten, er könne sie belauscht haben. Aber Ulerich konnte doch nicht unterlassen, ihn heimlich um die nähern Umstände zu befragen; er teilte sie ihm in wenigen Worten mit.

„Du bist ein sonderbarer Kauz!“ flüsterte der Herzog lachend, „was hättest du denn gemacht, wenn Wir damals ein Küßchen erobert hätten?“

„Ich kannte Euch noch nicht“, flüsterte Georg ebenso leise, „drum hätte ich Euch auf der Stelle niedergestochen und an die nächste Eiche aufgehängt.“

Der Herzog biß sich auf die Lippen und sah ihn verwundert an; dann aber drückte er ihm freundlich die Hand und sagte: „Da hättest du alles Recht dazu gehabt, und Wir wären in unsern Sünden abgefahren. – Doch siehe, da bringen sie wieder Spenden für die Braut.“

Es erschienen jetzt die Diener der Ritter und Edlen, die zur Hochzeit geladen waren, die trugen allerlei seltenes Hausgerät, Waffen, Stoff zu Kleidern und dergleichen; man wußte zu Stuttgart, daß es der Liebling des Herzogs sei, dem dieses Fest gelte; drum hatte sich auch eine Gesandtschaft der Bürger eingestellt, ehrsame, angesehene Männer in schwarzen Kleidern, kurze Schwerter an der Seite, mit kurzen Haaren und langen Bärten. Der eine trug eine aus Silber getriebene Weinkanne, der andre einen Humpen aus demselben Metall, mit eingesetzten Schaumünzen geschmückt. Sie nahten sich ehrerbietig zuerst dem Herzog, verbeugten sich vor ihm, und traten dann zu Georg von Sturmfeder.

[374] Sie verbeugten sich lächelnd auch vor ihm, und der mit dem Humpen hub an:

„Gegrüßet sei das Ehepaar
Und leb’ zusamt noch manches Jahr;
Um euch zu fristen langes Leben,
Will Stuttgart euch ein Tränklein geben.
Des Lebens Tränklein ist der Wein.
Komm guter Geselle, schenk’ uns ein.“

Der andre Bürger goß aus der Flasche den Humpen voll und sprach, während der erste trank:

„Von diesem Tränklein steht ein Faß
Vor eurer Wohnung auf der Gass’:
Es ist vom besten, den wir haben,
Er soll euch Leib und Seele laben;
Er geb’ euch Mut, Gesundheit, Kraft;
Das wünscht euch Stuttgarts Bürgerschaft.“

Der erstere hatte indessen ausgetrunken und füllte den Becher von neuem und sprach, indem er ihn dem jungen Mann kredenzte:

„Und wenn Ihr trinkt von diesem Wein,
Soll Euer erster Trinkspruch sein:
‚Es leb’ der Herzog und sein Haus!‘
Ihr trinkt bis auf den Boden aus;
Dann schenkt Ihr wieder frischen ein:
‚Hoch leb’ Sturmfeder und Lichtenstein!‘
Und lüstet Euch noch eins zu trinken,
Mögt Ihr an Stuttgarts Bürger denken.“

Georg von Sturmfeder reichte beiden die Hand und dankte ihnen für ihr schönes Geschenk; Marie ließ ihre Weiber und Mädchen grüßen, und auch der Herzog bezeugte sich ihnen gnädig und freundlich. Sie legten den silbernen Becher und die Kanne in den Korb zu den übrigen Geschenken und entfernten sich ehrbaren und festen Schrittes aus der Tyrnitz. Doch die Bürger waren nicht die letzten gewesen, welche Geschenke gebracht hatten; denn kaum hatten sie die Halle verlassen, so entstand ein Geräusch an der Thüre, wo die Landsknechte Wache hielten, das selbst die Aufmerksamkeit des Herzogs auf sich zog. Man hörte tiefe Männerstimmen [375] fluchen und befehlen, dazwischen ertönten hohe Weiberstimmen, von denen besonders eine, die am heftigsten haderte, der Gesellschaft am obersten Ende der Tafel sehr bekannt schien.

„Das ist wahrhaftig die Stimme der Frau Rosel!“ flüsterte Lichtenstein seinem Schwiegersohn zu, „Gott weiß, was sie wieder für Geschichten hat.“

Der Herzog schickte einen Edelknaben hin, um zu erfahren, was das Lärmen zu bedeuten habe; er erhielt zur Antwort, einige Bauernweiber wollen durchaus in die Halle, um den Neuvermählten Geschenke zu bringen; da es aber nur gemeines Volk sei, so wollen sie die Knechte nicht einlassen. Ulerich gab Befehl, sie vorzubringen, denn die Sprüchlein der Bürger hatten ihm gefallen, und auch von den Bauersleuten versprach er sich Kurzweil. Die Knechte gaben Raum, und Georg erblickte zu seinem Erstaunen die runde Frau des Pfeifers von Hardt mit ihrem schönen Töchterlein, geführt von der Frau Rosel, ihrer Base.

Schon auf dem Wege in die Kirche hatte er die holden Züge des Mädchens von Hardt, die er nicht aus seinem Gedächtnis verloren, zu bemerken geglaubt; aber wichtigere Gedanken und die Heiligkeit des Sakraments, die seine ganze Seele füllten, hatten diese flüchtige Erscheinung verdrängt. Er belehrte die Gesellschaft, wer die Nahenden seien, und mit großem Interesse blickten sie alle auf das Kind jenes Mannes, dessen wunderbares Eingreifen in das Schicksal des Herzogs ihnen oft so unbegreiflich gewesen war, dessen Treue ihnen so erhaben, dessen Hülfe in der Not so willkommen erschienen war. Das Mädchen hatte die blonden Haare, die offene Stirne, die Züge ihres Vaters; nur die List, die aus seinen Augen, die Kühnheit und Kraft, die aus seinem Wesen sprach, war bei ihr, wenn sie nicht schüchtern und blöde war, in eine neckende Freundlichkeit und in rüstiges behendes Wesen übergegangen. So hatte sie Georg erkannt, als er im Hause des Pfeifers wohnte, doch heute schien sie vor den vielen vornehmen Leuten etwas schüchtern, ja, es wollte ihm sogar scheinen, als sei ein neuer Zug in ihr Gesicht gekommen, den er früher nicht an ihr bemerkt hatte, eine gewisse Wehmut und Trauer, die sich um ihren Mund und in ihren Augen aussprach.

[376] Die Pfeifersfrau wußte was Lebensart sei, sie verbeugte sich daher von der Thüre der Tyrnitz in einem fort, bis sie zum Stuhl des Herzogs kam. Frau Rosel hatte noch die Röte des Zornes auf ihren magern Wangen, denn die Landsknechte, namentlich der Magdeburger und Kaspar Staberl, hatten sie höchlich beleidigt und sie eine dürre Stange geheißen. Ehe sie noch sich sammeln und den Herrschaften geziemend die Familie ihres Bruders vorstellen konnte, hatte die runde Frau schon einen Zipfel von des Herzogs Mantel gefaßt und ihn an die Lippen gedrückt: „Guetan Obed, Herr Herzich“, sprach sie dazu mit tiefen Knixen; „wie got Ich’s, seit er wieder in Schtuagerdt send; mei Ma loßt Ich schö grüaßa; mer komme aber et zum Herr Herzich, noi, zu dem Herra dort drübe welle mer. Mer hent a Hochzeitschenke für sei Frau. Do sietzt se jo, gang Bärbele, lang’s aus em Krättle.“

„Ach! du lieber Gott“, fiel Frau Rosel ihrer Schwägerin ins Wort; „bitt’ unterthänigst um Verzeihung, Euer Durchlaucht, daß ich die Leut’ reingebracht habe; ’s ist Frau und Kind vom Pfeifer von Hardt; ach! du Herrgott, nehmet doch nichts übel, Herr Herzog; die Frau meint’s gwiß gut.“

Der Herzog lachte mehr über diese Entschuldigung der Frau Rosel, als über die Reden ihrer Schwägerin: „Was macht denn dein Mann, der Pfeifer? Wird er uns bald besuchen? Warum kam er nicht mit euch?“

„Sell hot sein Grund, Herr!“ erwiderte die runde Frau; „wenn’s Krieg geit, bleibt er gwiß et aus; do ka mer’n brauche; aber im Frieda? Noi, do denkt er, mit grauße Herra ist’s et guet Kirscha fressa.“

Frau Rosel wollte beinahe verzweifeln über die Naivität der runden Frau, sie zog sie am Rock und am langen Zopfband, es half nichts, die Frau des Pfeifers sprach zu großer Ergötzung des Herzogs und seiner Gäste immer weiter, und das unauslöschliche Gelächter, das ihre Antworten erregten, schien ihr Freude zu machen. Bärbele hatte indessen mit dem Deckel des Körbchens gespielt, sie hatte einigemal gewagt, ihre Blicke zu erheben, um jenes Gesicht wiederzusehen, das im Fieber der Krankheit so oft an ihrem [377] Busen geruht und in ihren treuen Armen Ruhe und Schlummer gefunden hatte, jenen Mund wiederzusehen, den sie so oft heimlicherweise mit ihren Lippen berührt hatte, und jene Augen, deren klarer, freundlicher Strahl ewig in ihrem Gedächtnis fortglühte. Sie erhob ihre Blicke immer wieder von neuem, doch, wenn sie bis an seinen Mund gekommen war, schlug sie sie wieder – aus Furcht, seinem Auge zu begegnen – herab.

„Siehe, Marie“, hörte sie ihn sagen, „das ist das gute Kind, das mich pflegte, als ich krank in ihres Vaters Hütte lag, das mir den Weg nach Lichtenstein zeigte.“

Marie wandte sich um und ergriff gütig ihre Hand; das Mädchen zitterte, und ihre Wangen färbte ein dunkles Rot, sie öffnete ihr Körbchen und überreichte ein Stück schöner Leinwand und einige Bündel Flachs, so fein und zart wie Seide. Sie versuchte zu sprechen, aber umsonst, sie küßte die Hand der jungen Frau, und eine Thräne fiel herab auf ihren Ehering.

„Ei, Bärbele“, schalt Frau Rosel, „sei doch nicht so schüchtern und ängstlich; gnädige Fräulein – wollte sagen, gnädige Frau, habt Nachsicht, sie kommt selten zu vornehmen Leuten. ‚Es ist niemand so gut, er hat zweierlei Mut‘, heißt es im Sprüchwort; das Mädchen kann sonst so fröhlich sein wie eine Schwalbe im Frühling, –“

„Ich danke dir, Bärbele!“ sagte Marie, „wie schön deine Leinewand ist! Die hast du wohl selbst gesponnen?“

Das Mädchen lächelte durch Thränen; sie nickte ein Ja! – zu sprechen schien ihr in diesem Augenblick unmöglich zu sein. Der Herzog befreite sie von dieser Verlegenheit, um sie noch in eine größere zu ziehen. „Wahrhaftig, ein schönes Kind hat Hans der Spielmann“, rief er aus, und winkte ihr näherzutreten; „hochgewachsen und lieblich anzuschauen! Schaut nur, Herr Kanzler, was ihr das rote Mieder und das kurze Röckchen gut ansteht; wie? Ambrosius Volland, meinst du nicht, wir könnten durch ein allgemeines Edikt diese niedliche Tracht auch bei unseren Schönen in Stuttgart einführen?“

Der Kanzler verzog sein Gesicht zu einem gräulichen Lächeln; er beschaute das errötende Mädchen mit seinen Äuglein vom [378] Kopf bis zu den Füßen. „Man könnte zum Grund angeben“, sagte er, „daß dadurch eine Elle in der Länge erspart würde; so gut Euer Durchlaucht vor einigen Jahren das Maß und Gewicht hat kleiner machen lassen, habt Ihr nach allen Regeln der Logika auch das Recht, dem Frauenzimmer die Röcklein zu verkürzen. Wäre aber damit nichts gewonnen, denn, hi, hi, hi! schaut nur, was dort wegfiele, müßten dann die hiesigen Schönen oben wieder ansetzen. Und wer weiß, ob sie sich gerne dazu verstünden? Sie gehören zum Geschlecht der Pfauen, und Ihr wißt schon, daß diese nicht gerne auf ihre Beine sehen.“

„Hast recht! Ambrosius“, lachte der Herzog; „es geht doch nichts über einen gelehrten Herrn! Aber sag’ einmal, Kind, hast du auch schon einen Schatz? einen Liebsten?“

„Ei was, Euer Durchlaucht!“ unterbrach ihn die runde Frau, „wer wird so ebbes von so ema Kind denka! Se ist a ehrlichs Mädle, Herr Herzich!“

Der Herzog schien nicht auf diese Bemerkung zu hören; er betrachtete lächelnd die Verlegenheit, die sich auf den reinen Zügen des Mädchens abspiegelte; sie seufzte leise, sie spielte mit den bunten Bändern ihrer Zöpfe; sie sandte unwillkürlich einen Blick, aber einen Blick voll Liebe auf Georg von Sturmfeder und schlug dann errötend wieder die Augen nieder. Der Herzog, dem dies alles nicht entging, brach in lautes Lachen aus, in das die übrigen Männer einstimmten. „Junge Frau!“ sagte er zu Marien, „jetzt könnt Ihr billig die Eifersucht Eures Herrn teilen, wenn Ihr gesehen hättet, was ich sah, könntet Ihr allerlei deuteln und vermuten.“

Marie lächelte und blickte teilnehmend auf das schöne Mädchen; sie fühlte, wie wehe ihr der Spott der Männer thun müsse. Sie flüsterte der Frau Rosel zu, sie und die runde Frau zu entfernen. Auch dieses bemerkte Ulerichs scharfer Blick und seine heitere Laune schrieb es der schnell erwachten Eifersucht zu. Marie aber band ein schönes, aus Gold und roten Steinen gearbeitetes Kreuzchen ab, das sie an einer Schnur um den Hals getragen, und reichte es dem überraschten Mädchen. „Ich danke dir“, sagte sie ihr dazu; „grüße deinen Vater und besuche uns [379] recht oft hier und in Lichtenstein? Wie wäre es, wenn du mir dientest als Zofe? Du sollst es gut haben und hast ja auch deine Muhme, Frau Rosel, bei uns.“

Das Mädchen erschrak sichtbar; sie schien mit sich zu kämpfen, oft schien ein freundliches Lächeln „ja“ sagen zu wollen, aber ebenso oft drängte ein schmerzlicher Zug um den Mund diesen Entschluß zurück: „I dank’ schö, gnädige Frau!“ antwortete sie, indem sie Mariens schöne Hand küßte; „aber i mueß daheim bleibe; d’Mueter wird alt und braucht me, bhüt’ Ich Gott der Herr, älle Heilige walten über Ich und die heilige Jungfrau sei Ich gnädig. Lebet gsund und froh mit Euerem Herra, es ist a gueter, lieber Herr!“ Noch einmal beugte sich Bärbele herab auf Mariens Hand und entfernte sich dann mit ihrer Mutter und der Base.

„Hör einmal“, rief ihr der Herzog nach, „wenn deine Mutter einmal zugibt, daß du einen Liebsten bekommst, so bring’ ihn mir; ich will dich ausstatten, du hübsches Pfeiferskind!“

Unter diesen Szenen war es vier Uhr geworden, und der Herzog hob die Tafel auf. Dies war das Zeichen, daß sich jetzt das Volk von den Galerien entfernen müsse, die sogleich mit Polstern und Teppichen belegt und zum Empfang der Damen eingerichtet wurden. In dem Parterre der Tyrnitz wurden schnell die Tafeln weggeräumt, Lanzen, Schwerter, Schilde, Helme und der ganze Apparat zu Ritterspielen herbeigeschleppt, und in einem Augenblicke war diese große Halle, die noch soeben der Sitz der Tafelfreuden gewesen war, zum Waffensaal eingerichtet. Wie die Damen in unseren Tagen gerne lauschen, wenn die Männer sich in gelehrte Diskussionen und politische Streitigkeiten einlassen, wie jede wünscht, den Geliebten oder Gemahl am scharfsinnigsten urteilen, am schnellzüngigsten disputieren zu hören, so war es in den guten alten Zeiten den Frauen Freude, selbst blutige Kämpfe ihrer Männer zu beobachten, und aus manchem schönen Auge blitzte das Hochgefühl, einem Tapfern anzugehören, manche holde Wange schmückte ein höheres Rot, nicht, wenn der Geliebte in Gefahr, sondern, wenn er sich zurückzuziehen schien, oder seine Hiebe nicht so kräftig waren, wie die seines Gegners.

[380] Es wurden an diesem Abend sogar Pferde in die Halle geführt, und Marie hatte die Freude, ihrem Geliebten den zweiten Dank im Rennen überreichen zu können, denn er machte den Herrn von Hewen zweimal im Sattel wanken. Der tapferste Kämpfer war Herzog Ulerich von Württemberg, eine Zierde der Ritterschaft seiner Zeit. Meldet ja doch die Sage von ihm, daß er an seinem eigenen Hochzeittag acht der stärksten Ritter des Schwaben- und Frankenlandes in den Sand warf. Nachdem die Ritterspiele einige Stunden gedauert hatten, zog man zum Tanz in den Rittersaal, und den Siegern im Kampfe wurden die Vortänze eingeräumt. Der fröhliche Reigen ertönte bis in die Nacht; der Herzog schien alle Sorgen vor der bangen Zukunft auf den Höcker seines Kanzlers geschoben zu haben, der wie die böse Zeit in einem Fenster saß und mit bitterem Lächeln einem Vergnügen zuschaute, von welchem ihn seine eigene Mißgestalt ausschloß.

Zum letzten Tanz vor dem Abendtrunk wollte Ulerich die Krone des Festes, die junge, schöne Frau Marie aufrufen; doch im ganzen Saal suchte er und Georg sie vergebens auf, und die lächelnden Frauen gestanden, daß sechs der schönsten Fräulein sie entführt und in ihre neue Wohnung begleitet haben, um ihr dort, wie es die Sitte wolle, die mysteriösen Dienste einer Zofe zu erzeigen.

„Sic transit Gloria mundi!“ sagte der Herzog lächelnd; „und siehe, Georg, da nahen sie schon mit den Fackeln, deine Gesellen und zwölf Junker, sie wollen dir ‚heimzünden‘. Doch zuvor leere noch einen Becher mit uns – geh’ Mundschenk! bring’ vom besten.“

Marx Stumpf von Schweinsberg und Dieterich von Kraft naheten sich mit Fackeln und boten sich an, Georg nach Hause zu geleiten. An sie schlossen sich zwölf Junker, ebenfalls mit Fackeln an, um dem jungen Mann diese Ehre zu erweisen, denn so wollte es die Sitte der guten alten Zeit. Der Mundschenk goß die Becher voll und kredenzte sie seinem Herzog und Georg von Sturmfeder.

Ulerich sah ihn lange und nicht ohne Rührung an; er drückte seine Hand und sagte:

[381] „Du hast Probe gehalten. Als ich verlassen und elend unter der Erde lag, hast du dich zu mir bekannt; als jene vierzig meine Burg übergaben und kein Stückchen Württemberg mehr mein war, bist du mir aus dem Land gefolgt, hast mich oft getröstet und auch auf diesen Tag verwiesen. Bleibe mein Freund, wer weiß, was die nächsten Tage bringen. Jetzt kann ich wieder Hunderten gebieten, und sie schreien ‚hoch‘ auf das Wohl meines Hauses, und doch war mir dein Trinkspruch mehr wert, den du in der Höhle ausbrachtest und den das Echo beantwortete. Ich erwidere es jetzt und gebe es dir zurück: Sei glücklich mit deinem Weibe, möge dein Geschlecht auf ewige Zeiten grünen und blühen; möge es Württemberg nie an Männern fehlen, so mutig im Glück, so treu im Unglück wie du!“

Der Herzog trank und eine Thräne fiel in seinen Becher. Die Gäste stimmten jubelnd in seinen Ruf, die Fackelträger ordneten sich, und seine Gesellen führten Georg von Sturmfeder aus dem Schloß der Herzoge von Württemberg.



  1. Erste Strophe des Gedichtes: „Die Abgeschiedenen“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ambosiusr
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