Lichtenstein/Dritter Teil/XI
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„O schöner Tag, wann endlich der Soldat
Ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit –
O! glücklich, wem dann auch sich eine Thür,
Sich zarte Arme sanft umschlingend öffnen.“
Schiller.[1]
Nach einem Marsch von beinahe drei Stunden näherte sich der Trupp der bündischen Knechte, den Gefangenen in ihrer Mitte, dem Lager. Sie hatten nicht gewagt, sich laut zu unterreden, aber ihre Mienen verkündeten großen Triumph, und Georgs scharfem Ohr entging es nicht, wie sie flüsternd den Gewinn berechneten, den sie aus dem Herzog im grünen Mantel ziehen werden. Ein freudiges Gefühl bewegte seine Brust, er glaubte hoffen zu dürfen, daß der unglückliche Fürst durch seine kühne Aufopferung Zeit gewonnen habe, sich zu retten. Nur der Gedanke an Marie trübte auf Augenblicke seine Freude. Wie groß mußte ihr Kummer schon gewesen sein, als sie die Nachricht von dem Ausgang der Schlacht bekam; er hatte ihr zwar durch treue Männer die Nachricht gesandt, daß er unverletzt aus dem Streit gegangen sei; aber wußte er nicht, daß die traurige Entscheidung von Württembergs Schicksal ihre Seele tief betrüben, daß ihre Blicke ängstlich dem Geliebten auf den Gefahren der Flucht folgen werden, daß ihre Sehnsucht zu jeder Stunde seinen Namen nenne und ihn zurückrufe?
Und durfte er hoffen, vom Bunde zum zweitenmal so leicht entlassen zu werden, wie damals in Ulm? Gefangen mit den Waffen in der Hand, bekannt als eifriger Freund des Herzogs – mußte er nicht fürchten, einer langen Gefangenschaft, einer grausamen Behandlung entgegenzugehen? Die Ankunft an dem äußeren Posten des Lagers unterbrach diese düsteren Gedanken. Die Knechte schickten einen aus ihrer Mitte ab, um die Bundesobersten von ihrem Fang zu benachrichtigen und Befehle einzuholen, wohin man ihn führen solle. Es war dies eine peinliche Viertelstunde für Georg; er wünschte womöglich mit Frondsberg zusammenzutreffen, [420] er glaubte hoffen zu dürfen, daß dieser edle Freund seines Vaters ihm seine gütigen Gesinnungen erhalten haben möchte, daß er ihn zum wenigsten billiger beurteilen werde als Waldburg-Truchseß und so mancher andere, der ihm früher nicht günstig war.
Der Knecht kam zurück; der Gefangene sollte so still als möglich und ohne Aufsehen in das große Zelt geführt werden, wo die Obersten gewöhnlich Kriegsrat hielten. Man schlug zu diesem Gang einen Seitenweg ein, und die Knechte baten Georg, seinen Helm zu schließen, daß man ihn nicht erkenne, ehe er vor den Rat geführt würde. Gerne befolgte er diese Bitte, denn es war ihm in einem solchen Falle nichts unerträglicher, als sich den Blicken neugieriger oder schadenfroher Menschen aussetzen zu müssen. Sie gelangten endlich an das große Zelt. Diener aller Art waren hier versammelt, und die verschiedenen Farben und Binden, mit welchen sie geschmückt waren, ließen auf eine zahlreiche Versammlung edler Herren und Ritter im Innern des Zeltes schließen.
Schon mochte die Nachricht unter sie gekommen sein, daß einige Knechte einen Mann von Bedeutung gefangen haben, denn sie drängten sich nahe herbei, als Georg sich aus dem Sattel schwang, und ihre neugierigen Blicke schienen durch die Öffnungen des Visieres dringen zu wollen, um die Züge des Gefangenen zu schauen. Ein Edelknabe suchte Raum zu machen, und er mußte seine Zuflucht zu dem „Namen der Bundesobersten“ nehmen, um diese dichte Masse zu durchbrechen und dem gefangenen Ritter einen Weg in das Innere des Zeltes zu bahnen. Drei jener Knechte, die ihn begleitet hatten, durften folgen; sie glühten vor Freude und glaubten nicht anders, als jene Goldgülden sogleich in Empfang nehmen zu können, die auf die Person des Herzogs von Württemberg gesetzt waren.
Der letzte Vorhang that sich auf, und Georg trat mutig und festen Schrittes ein und überschaute die Männer, die über sein Schicksal entscheiden sollten. Es waren wohlbekannte Gesichter, die ihn so fragend und durchdringend anschauten. Noch waren die düsteren Blicke und die feindliche Stirne des Truchseß von [421] Waldburg seinem Gedächtnis nicht entfallen, und der spöttische, beinahe höhnische Ausdruck in den Mienen dieses Mannes weissagte ihm nichts Gutes. Sickingen, Alban von Closen, Hutten – sie alle saßen wie damals vor ihm, als er dem Bund auf ewig lebewohl sagte, aber wie vieles hatte sich verändert. Und eine Thräne füllte sein Auge, als es auf jene teure Gestalt, auf jene ehrwürdigen Züge fiel, die sich tief in sein dankbares Herz gegraben hatten. Es war nicht Hohn, nicht Schadenfreude, was man in Georg von Frondsbergs Mienen las, nein, er sah den Nahenden mit jenem Ausdruck von würdigem Ernst, von Wehmut an, womit ein edler Mann den tapferen, aber besiegten Feind begrüßt.
Als Georg diesen Männern gegenüberstand, hub der Truchseß von Waldburg an: „So hat doch endlich der Schwäbische Bund einmal die Ehre, den erlauchten Herzog von Württemberg vor sich zu sehen, freilich war die Einladung zu uns nicht allzu höflich, doch –“
„Ihr irrt Euch!“ rief Georg von Sturmfeder und schlug das Visier seines Helmes auf. Als sähen sie Minervas Schild und sein Medusenhaupt, so bebten die Bundesräte vor dem Anblick der schönen Züge des jungen Ritters. „Ha! Verräter! ehrlose Buben! ihr Hunde!“ rief Truchseß den drei Knechten zu; „was bringt ihr uns diesen Laffen, dessen Anblick meine Galle aufregt, statt des Herzogs? Geschwind, wo ist er? sprecht!“
Die Knechte erbleichten. „Ist’s nicht dieser?“ fragten sie ängstlich. „Er hat doch den grünen Mantel an.“
Der Truchseß zitterte vor Wut und seine Augen sprühten Verderben; er wollte auf die Knechte hinstürzen, er sprach davon, sie zu erwürgen, aber die Ritter hielten ihn zurück, und Hutten, zornbleich, aber gefaßter als jener, fragte: „Wo ist der Doktor Calmus, laßt ihn hereinkommen, er soll Rechenschaft ablegen, er hat den Zug übernommen.“
„Ach, Herr“, sagte einer der Knechte, „der legt Euch keine Rechenschaft mehr ab; er liegt erschlagen auf der Brücke bei Köngen!“
„Erschlagen?“ rief Sickingen, „und der Herzog ist entkommen? Erzählet, ihr Schurken.“
[422] „Wir legten uns, wie uns der Doktor befahl, bei der Brücke in Hinterhalt. Es war beinahe noch dunkel, als wir den Hufschlag von vier Rossen hörten, die sich der Brücke näherten, zugleich vernahmen wir das Zeichen, das uns die Reiter über dem Fluß geben sollten, wenn die Herzoglichen aus dem Wald kämen. ‚Jetzt ist’s Zeit‘, sagte der Kahlmäuser. Wir standen schnell auf und besetzten den Ausgang der Brücke. Es waren, soviel wir im Halbdunkel unterscheiden konnten, vier Reiter und ein Bauersmann; die zwei Hintersten wandten sich um und fochten mit unseren Reitern, die zwei Vorderen und der Bauer machten sich an uns. Doch wir streckten ihnen die Lanzen entgegen, und der Doktor rief ihnen zu, sich zu ergeben. Da drangen sie wütend auf uns ein; der Doktor sagte uns, der im grünen Mantel sei der Rechte; und wir hätten ihn bald gehabt, aber der Bauer, wenn es nicht der Teufel selbst war, schlug den Doktor und noch zwei von uns nieder. Jetzt stach ihm einer die Hellebarde in den Leib, daß er fiel, und dann ging es auf die Reiter. Wir packten allesamt den im grünen Mantel, wie uns der Kahlmäuser geheißen, der andere aber stürzte sich mit seinem Roß über die Brücke hinab in den Neckar und schwamm davon. Wir aber ließen ihn ziehen, weil wir den Grünen hatten, und brachten diesen hieher.“
„Das war Ulerich und kein anderer“, rief Alban von Closen; „ha! über die Brücke hinab in den Neckar! das thut ihm keiner nach.“
„Man muß ihm nachjagen“, fuhr der Truchseß auf; „die ganze Reiterei muß aufsitzen und hinab am Neckar streifen, ich selbst will hinaus –“
„O Herr“, entgegnete einer der Knechte. „da kommt Ihr zu spät; es ist drei Stunden jetzt, daß wir von der Brücke abzogen, der hat einen guten Vorsprung und kennt das Land wohl besser als alle Reiter!“
„Kerl! willst du mich noch höhnen? Ihr habt ihn entkommen lassen, an euch halte ich mich, man rufe die Wache; ich laß euch aufhängen.“
[423] „Mäßigt Euch“, sagte Frondsberg, „die armen Bursche trifft der Fehler nicht; sie hätten sich gerne das Gold verdient, das auf den Herzog gesetzt war. Der Doktor hat gefehlt, und Ihr hört, daß er es mit dem Leben zahlte.“
„Also Ihr habt heute den Herzog vorgestellt?“ wandte sich Waldburg zu Georg, der stille dieser Szene zugesehen hatte; „müßt Ihr mir überall in den Weg laufen, mit Eurem Milchgesicht? Überall hat Euch der Teufel, wo man Euch nicht braucht. Es ist nicht das erste Mal, daß Ihr meine Plane durchkreuzet –“
„Wenn Ihr es gewesen seid, Herr Truchseß“, antwortete Georg, „der bei Neuffen den Herzog meuchlings überfallen lassen wollte, so bin ich Euch leider in den Weg gekommen, denn Eure Knechte haben mich niedergeworfen.“
Die Ritter erstaunten über diese Rede und sahen den Truchseß fragend an. Er errötete, man wußte nicht aus Zorn oder Beschämung, und entgegnete: „Was schwatzt Ihr da von Neuffen; ich weiß von nichts; doch wenn man Euch dort niedergeworfen hat, so wünsche ich, Ihr wäret nimmer aufgestanden, um mir heute vor Augen zu kommen. Doch es ist auch so gut; Ihr habt Euch als einen erbitterten Feind des Bundes bewiesen, habt heimlich und offen für den geächteten Herzog gehandelt, teilet also seine Schuld gegen den Bund und das ganze Reich, seid überdies heute mit den Waffen in der Hand gefangen worden – Euch trifft die Strafe des Hochverrats an dem allerdurchlauchtigsten Bund des Schwaben- und Frankenlandes.“
„Dies dünkt mir eine lächerliche Beschuldigung“, erwiderte Georg mit mutigem Ton; „Ihr wisset wohl, wann und wo ich mich von dem Bunde losgesagt habe; Ihr habt mich auf vierzehn Tage Urfehde schwören lassen; so wahr Gott über mir ist, ich habe sie gehalten. Was ich nachher gethan, davon habt Ihr nicht Rechenschaft zu fordern, weil ich Euch nicht mehr verpflichtet war, und was meine Gefangennehmung mit den Waffen in der Hand betrifft, so frage ich euch, edle Herren, welcher Ritter wird, wenn er von sechs oder acht angegriffen wird, sich nicht seines Lebens wehren? Ich verlange von euch ritterliche Haft und erbiete [424] mich Urfehde zu schwören auf sechs Wochen; mehr könnet ihr nicht von mir verlangen.“
„Wollt Ihr uns Gesetze vorschreiben? Ihr habt gut gelernt bei dem übermütigen Herzog; ich höre ihn aus Euch sprechen; doch keinen Schritt sollt Ihr zu Eurer Sippschaft thun, bis Ihr gesteht, wo der alte Fuchs, Euer Schwiegervater, sich aufhält, und welchen Weg der Herzog genommen hat.“
„Der Ritter von Lichtenstein wurde von Euren Reitern gefangen genommen, welchen Weg der Herzog nahm, weiß ich nicht, und kann es mit meinem Wort bekräftigen.“
„Ritterliche Haft?“ rief der Truchseß bitter lachend. „Da irrt Ihr Euch gewaltig; zeiget vorher, wo Ihr die goldenen Sporen verdient habt! Nein, solches Gelichter wird bei uns ins tiefste Verlies geworfen, und mit Euch will ich den Anfang machen.“
„Ich denke dies ist unnötig“, fiel ihm Frondsberg ins Wort; „ich weiß, daß Georg von Sturmfeder zum Ritter geschlagen wurde; überdies hat er einem bündischen Edlen das Leben gerettet, Ihr werdet Euch wohl an die Aussage des Dieterich von Kraft erinnern. Auf Verwenden dieses Ritters wurde er von einem schmählichen Tod befreit und sogar in Freiheit gesetzt. Er kann dieselbe Behandlung von uns verlangen.“
„Ich weiß, daß Ihr ihm immer das Wort geredet; daß er Euer Schoßkind war, aber diesmal hilft es ihm nicht, er muß nach Eßlingen in den Turm, und jetzt den Augenblick –“
„Ich leiste Bürgschaft für ihn“, rief Frondsberg, „und habe hier so gut mitzusprechen wie Ihr. Wir wollen abstimmen über den Gefangenen, man führe ihn einstweilen in mein Zelt.“
Einen Blick des Dankes warf Georg auf die ehrwürdigen Züge des Mannes, der ihn auch jetzt wieder aus der drohenden Gefahr rettete. Der Truchseß aber winkte mürrisch den Knechten, dem Befehl des Oberfeldhauptmanns zu folgen; und Georg folgte ihnen durch die Straßen des Lagers nach Frondsbergs Zelt.
Nicht lange nachher stand der Mann vor ihm, dem er so unendlich viel zu danken hatte. Er wollte ihm danken, er wußte nicht, wie er ihm seine Ehrfurcht bezeugen sollte; doch Frondsberg sah ihn lächelnd an und zog ihn in seine Arme. „Keinen [425] Dank, keine Entschuldigung!“ sprach er, „sah ich doch alles dies voraus, als ich in Ulm von dir Abschied nahm, doch du wolltest es nicht glauben, wolltest dich vergraben in die Burg deiner Väter. Ich kann dich nicht schelten; glaube mir, das Feldlager und die Stürme so vieler Kriege haben mein Herz nicht so verhärtet, daß ich vergessen könnte, wie mächtig die Liebe zieht!“
„Mein Freund, mein Vater!“ rief Georg, indem er freudig errötete.
„Ja, das bin ich; der Freund deines Vaters, dein Vater; drum war ich oft stolz auf dich, wenn du auch in den feindlichen Reihen standest; dein Name wurde, so jung du bist, mit Ehrfurcht genannt, denn Treue und Mut ehrt ein Mann auch an dem Feinde. Und glaube mir, es kam den meisten von uns erwünscht, daß der Herzog entkam; was konnten wir mit ihm beginnen; der Truchseß hätte vielleicht einen übereilten Streich gemacht, den wir alle zu büßen gehabt hätten.“
„Und was wird mein Schicksal sein?“ fragte Georg. „Werde ich lange in Haft gehalten werden? Wo ist der Ritter von Lichtenstein? O, mein Weib! darf sie mich nicht besuchen?“
Frondsberg lächelte geheimnisvoll. „Das wird schwer halten“, sagte er, „du wirst unter sicherer Bedeckung auf eine Feste geführt und einem Wächter übergeben werden, der dich streng bewachen und nicht so bald entlassen wird! Doch sei nicht ängstlich, der Ritter von Lichtenstein wird mit dir dorthin abgeführt werden, und ihr beide müsset auf ein Jahr Urfehde schwören.“
Frondsberg wurde hier durch drei Männer unterbrochen, die in das Zelt stürmten; es war der Feldhauptmann von Breitenstein und Dieterich von Kraft, die den Ritter von Lichtenstein in ihrer Mitte führten.
„Hab’ ich dich wieder, wackerer Junge“, rief Breitenstein, indem er Georgs Hand drückte. „Du machst mir schöne Streiche; dein alter Oheim hat dich mir auf die Seele gebunden, ich solle einen tüchtigen Kämpen aus dir ziehen, der dem Bunde Ehre mache, und nun laufst du zu dem Feind und haust und stichst auf uns und hättest gestern beinahe die Schlacht gewonnen durch dein tollkühnes Stückchen auf unsere Geschütze.“
[426] „Jeder nach seiner Art“, entgegnete Frondsberg, „er hat uns aber auch in Feindes Reihen Ehre gemacht.“
Der Ritter von Lichtenstein umarmte seinen Sohn. „Er ist in Sicherheit“, flüsterte er ihm zu, und beider Augen glänzten von Freude, zu der Rettung des unglücklichen Fürsten beigetragen zu haben. Da fielen die Blicke des alten Ritters auf den grünen Mantel, der noch immer um Georgs Schultern hing; er erstaunte, er sah ihn näher an. „Ha! jetzt erst verstehe ich ganz, wie alles so kommen konnte“, sprach er bewegt, und eine Thräne der Freude hing in seinen grauen Wimpern; „sie nahmen dich für ihn; was wäre aus ihm geworden, wenn dich der Mut nur einen Augenblick verlassen hätte? Du hast mehr gethan als wir alle, du hast gesiegt, wenn wir jetzt auch Besiegte heißen; komm an mein Herz, du würdiger Sohn.“
„Und Marx Stumpf von Schweinsberg?“ fragte Georg; „auch er gefangen?“
„Er hat sich durchgehauen, wer vermöchte auch seinen Hieben zu widerstehen; meine alten Knochen sind mürbe, an mir liegt nichts mehr, aber er ist dem Herzog nachgezogen und wird ihm eine bessere Hülfe sein als fünfzig Reiter. Doch den Pfeifer sah ich nicht; sage, wie ist er entkommen aus dem Streit?“
„Als ein Held“, erwiderte der junge Mann, von der Wehmut der Erinnerung bewegt; „er liegt erstochen an der Brücke.“
„Tot?“ rief Lichtenstein, und seine Stimme zitterte; „die treue Seele! Doch wohl ihm, er hat gethan wie ein Edler und ist gestorben, treu, wie es Männern ziemt!“
Frondsberg näherte sich ihnen und unterbrach ihre Reden. „Ihr scheint mir so niedergeschlagen“, sagte er; „seid mutig und getrost, alter Herr! das Kriegsglück ist wandelbar, und Euer Herzog wird wohl auch wieder zu seinem Lande kommen, wer weiß, ob es nicht besser ist, daß wir ihn noch auf einige Zeit in die Fremde schickten. Leget Helm und Panzer ab; das Gefecht zum Frühstück wird Euch die Lust zum Mittagessen nicht verdorben haben. Setzet Euch zu uns. Ich erwarte gegen Mittag den Wächter, unter dessen Obhut Ihr auf eine Burg gebracht werden sollet. Bis dahin lasset uns noch zusammen fröhlich sein!“
[427] „Das ist ein Vorschlag, der sich hören läßt“, rief Breitenstein. „Zu Tisch, ihr Herren; wahrlich, Georg, mit dir habe ich nicht mehr gespeist seit dem Imbiß im Ulmer Rathaussaal. Komm, wir wollen redlich nachholen, was wir versäumten.“
Hans von Breitenstein zog Georg zu sich nieder, die anderen folgten seinem Beispiel; die Knechte trugen auf, und der edle Wein machte den Ritter von Lichtenstein und seinen Sohn vergessen, daß sie in mißlichen Verhältnissen, im feindlichen Lager seien, daß sie vielleicht einem ungewissen Geschick und, wenn sie die Reden Frondsbergs recht deuteten, einer langen Gefangenschaft entgegengehen. Gegen das Ende der Tafel wurde Frondsberg hinausgerufen; bald kam er zurück und sprach mit ernster Miene: „So gerne ich noch länger eure Gesellschaft genossen hätte, liebe Freunde, so thut es jetzt not, aufzubrechen. Der Wächter ist da, dem ich euch übergeben muß, und ihr müßt euch sputen, wollet ihr heute noch die Feste erreichen.“
„Ist er ein Ritter, dieser Wächter?“ fragte Lichtenstein, indem sich seine Stirne in finstere Falten zog; „ich hoffe, man wird auf unseren Stand Rücksicht genommen haben und uns ein anständiges Geleite geben?“
„Ein Ritter ist er nicht“, antwortete Frondsberg lächelnd, „doch ist er ein anständiges Geleite; Ihr werdet Euch selbst davon überzeugen.“ Er lüftete bei diesen Worten den Vorhang des Zeltes, und es erschienen die holden Züge Mariens; mit dem Weinen der Freude stürzte sie an die Brust ihres Gatten, und der alte Vater stand stumm von Überraschung und Rührung, küßte sein Kind auf die schöne Stirne und drückte die Hand des biedern Frondsberg.
„Das ist euer Wächter“, sprach dieser, „und der Lichtenstein die Feste, wo sie euch gefangen halten soll. Ich sehe es ihren Augen an, sie wird den jungen Herrn nicht zu strenge halten, und der Alte wird sich nicht über sie beklagen können; doch rate ich Euch, Töchterchen, habet ein wachsames Auge auf die Gefangenen, lasset sie nicht wieder von der Burg, gestattet nicht, daß sie wieder Verbindungen mit gewissen Leuten anknüpfen, Ihr haftet mit Eurem Kopf dafür!“
[428] „Aber, lieber Herr“, entgegnete Marie, indem sie den Geliebten inniger an sich drückte und lächelnd zu dem strengen Herrn aufblickte; „bedenket, er ist ja mein Haupt, wie kann ich ihm etwas befehlen?“
„Eben deswegen hütet Euch, daß Ihr dieses Haupt nicht wieder verlieret; bindet ihn mit einem Liebesknoten recht fest, daß er Euch nicht entlaufe, er ändert nur gar zu leicht die Farbe; wir haben Beispiele!“
„Ich trug nur eine Farbe, mein väterlicher Freund!“ entgegnete der junge Mann, indem er in die Augen seiner schönen Frau und auf die Feldbinde niedersah, die seine Brust umzog; „nur eine, und dieser blieb ich treu –“
„Wohlan! so halte ferner nur zu ihr“, sagte Frondsberg und reichte ihm die Hand zum Abschied. „Lebe wohl! die Pferde harren vor dem Zelt; bringet Eure Gefangenen sicher auf die Feste, schöne Frau, und gedenket huldreich des alten Frondsberg.“
Marie schied von diesem Edeln mit Thränen in den Augen, auch die Männer nahmen bewegt seine Hand, denn sie wußten wohl, daß ohne seine Hülfe ihr Geschick sich nicht so freundlich gewendet hätte. Noch lange sah ihnen Georg von Frondsberg nach, bis sie an der äußersten Zeltgasse um die Ecke bogen. „Er ist in guten Händen“, sagte er dann, indem er sich zu Breitenstein wandte, „wahrlich, der Segen seines Vaters ruht auf ihm. Ein gutes, schönes Weib und ein Erbe, wie wenige sind im Schwabenland.“
„Ja, ja!“ erwiderte Hans von Breitenstein, „seiner Klugheit und Vorsicht hat er es nicht zu danken; doch wer das Glück hat, führt die Braut heim; ich bin fünfzig alt geworden und gehe noch auf Freiersfüßen; Ihr auch, Herr Dieterich von Kraft, nicht wahr?“
„Mitnichten und im Gegenteil“, sagte dieser wie aus einem Traum erwachend; „wenn man ein solches Paar sieht, weiß man, was man zu thun hat. In dieser Stunde noch setze ich mich in meine Sänfte, reise nach Ulm und führe meine Base heim; lebt wohl, ihr Herren!“
[429] Als der Schwäbische Bund Württemberg wiedererobert hatte, richtete er seine Regierung wieder ein und beherrschte das Land wieder wie im Sommer 1519. Die Anhänger des vertriebenen Herzogs mußten Urfehde schwören und wurden auf ihre Burgen verwiesen. Georg von Sturmfeder und seine Lieben, die dieses Schicksal mitbetraf, lebten zurückgezogen auf Lichtenstein, und Marien und ihrem Gatten ging in ihrem stillen häuslichen Glück ein neues Leben auf.
Noch oft, wenn sie am Fenster des Schlosses standen und hinabschauten auf Württembergs schöne Fluren, gedachten sie des unglücklichen Fürsten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte; und dann dachten sie nach über die Verkettung seiner Schicksale und wie durch eine sonderbare Fügung auch ihr eigenes Geschick mit dem seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, daß ihr Glück vielleicht nicht so frühe, nicht so schön aufgeblüht wäre ohne diese Verknüpfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken getrübt, daß der Stifter ihres Glückes noch immer ferne von seinem Lande, im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang es dem Herzog, Württemberg wiederzuerobern. Doch, als er geläutert durch Unglück als ein weiser Fürst zurückkehrte, als er die alten Rechte ehrte und die Herzen seiner Bürger für sich gewann, als er jene heiligen Lehren, die er in fernem Lande gehört, die so oft sein Trost in einem langen Unglück geworden waren, seinem Volke predigen ließ und einen geläuterteren Glauben mit den Grundgesetzen seines Reiches verband, da erkannten Georg und Marie den Finger einer gütigen Gottheit in den Schicksalen Ulerichs von Württemberg, und sie segneten den, der dem Auge des Sterblichen die Zukunft verhüllt und auch hier wie immer durch Nacht zum Lichte führte.
Der Name der Lichtenstein im Württemberger Land ging mit dem alten Ritter zu Grabe; doch erlebte er noch in hohem Alter die Freude, seine blühenden Enkel waffenfähig zu sehen. So geht Geschlecht um Geschlecht über die Erde hin; das Neue verdrängt das Alte, und nach dem kurzen Zeitraum von fünfzig oder hundert Jahren sind biedere Männer, treue Herzen vergessen; [430] ihr Gedächtnis übertönt der rauschende Strom der Zeiten und nur wenige glänzende Namen tauchen auf aus diesen Fluten des Lethe und spielen in ihrem ungewissen Schimmer auf den Wellen. Doch wohl dem, dessen Thaten jene stille Größe in sich tragen, die den Lohn in sich selbst findet und ohne Dank bei der Mitwelt, ohne Ansprüche auf die Nachwelt entsteht, ins Leben tritt, – verschwindet. So ist auch der Name des Spielmanns von Hardt verklungen, und nur leise Nachklänge von seinem Wirken wehen uns an, wenn die Hirten der Gegend die Ulerichshöhle zeigen und von dem Mann sprechen, der seinen unglücklichen Herzog hier verbarg; so sind selbst jene romantischen Züge aus Ulerichs Leben zur Fabel geworden, der Geschichtschreiber verschmäht sie als unwesentliche Außendinge, und sie erscheinen uns nur, wenn man auf den Höhen von Lichtenstein von dem Herzog erzählt, der allnächtlich vor das Schloß kam, und wenn man uns auf der Brücke von Köngen die Stelle zeigt, wo jener „Unerschrockene“ den Sprung auf Leben und Tod in die Tiefe wagte.
Und sie erscheinen uns da, diese Sagen, wie ungewisse Schatten, die eine große Gestalt vom Berge in die Nebel des Thales wirft, und der kältere Beobachter lächelt, wenn man ihnen wirkliches Leben und jene Farben verleihen will, die ihr unsicheres Grau zu einem Bild des Lebens umwandeln. Auch Lichtensteins alte Feste ist längst zerfallen, und auf den Grundmauern der Burg erhebt sich ein freundliches Jägerhaus, fast so luftig und leicht wie jene spanischen Schlösser, die man in unseren Tagen auf die Grundpfeiler des Altertums erbaut[2]. Noch immer breiten sich Württembergs Gefilde so reich und blühend wie damals vor dem entzückten Auge aus, als Marie an des Geliebten Seite hinabsah und der unglücklichste seiner Herzoge den letzten Scheideblick von Lichtensteins Fenstern auf sein Land warf. Noch prangen jene unterirdischen Gemächer, die den Geächteten aufnahmen, in ihrer alten Pracht und Herrlichkeit, und die murmelnden Wasser, [431] die sich in eine geheimnisvolle Tiefe stürzen, scheinen längst verklungene Sagen noch einmal wiedererzählen zu wollen.
Es ist eine schöne Sitte, daß die Bewohner dieses Landes auch aus entfernteren Gegenden um die Zeit des Pfingstfestes sich aufmachen, um Lichtenstein und die Höhle zu besuchen. Viele hundert schöne Schwabenkinder und holde Frauen, begleitet von Jünglingen und Männern, ziehen herauf in diese Berge; sie steigen nieder in den Schoß der Erde, der an seinen kristallenen Wänden den Schein der Lichter tausendfach wiedergibt, sie füllen die Höhle mit Gesang und lauschen auf ihr Echo, welches die murmelnden Bäche der Tiefe melodisch begleiten, sie bewundern die Werke der Natur, die sich auch ohne das milde Licht der Sonne, ohne das fröhliche Grün der Felder so herrlich zeigt. Dann steigen sie herauf zum Lichte, und die Erde will ihnen noch schöner bedünken als zuvor; ihr Weg führt immer aufwärts zu den Höhen von Lichtenstein, und wenn dort die Männer im Kreise schöner Frauen, die Becher in der Hand, auf die weiten Fluren hinabschauen, wie sie bestrahlt von einer milden Sonne im lieblichsten Schmelz der Farben sich ausbreiten, dann preisen sie diese lichten Höhen, dann preisen sie ihr gesegnetes Vaterland.
Dann kehrt, wie in den alten Tagen, Gesang und Jubel und der fröhliche Klang der Pokale auf den Lichtenstein zurück und weckt das Echo seiner Felsen und weckt mit ihm die Geister dieser Burg, daß sie die fröhlichen Gäste umschweben und mit ihnen hinabschauen auf das alte Württemberg. Ob auch das holde Fräulein vom Lichtenstein, ob Georg und der alte Ritter mit ihnen heraufschwebt, ob jener treue Spielmann in den Tagen des Frühlings seinem Grab entsteigt und, wie er im Leben zu thun pflegte, hinaufzieht nach der Burg, das Fest mit Gesang und Spiel zu schmücken –? Wir wissen es nicht; doch wenn wir im Abendscheine, auf den Felsen gelagert, die Landschaft überschauten, wenn wir von den alten guten Zeiten und ihren Sagen sprachen, wenn sich die Sonne allmählich senkte und nur das Schlößchen noch selig und freundlich in seiner Einsamkeit, von den letzten Strahlen mit einem rötlichen Schein umgossen, auf seinem Felsen ruhte – da glaubten wir im Wehen der Nachtluft, im Rauschen [432] der Bäume, im Säuseln der Blätter bekannte Stimmen zu vernehmen, es war uns, als flüstern sie uns ihre Grüße zu, als erzählen sie uns alte Sagen von ihrem Leben und Treiben. Manches haben wir an solchen Abenden erfahren, manches Bild stieg in uns auf und schien sich vor unseren Blicken zu verwirklichen, und die es uns woben und malten, die uns ihre romantischen Sagen zuflüsterten, wir glauben es waren – die „Geister von Lichtenstein“.
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