Literatur 1841 1

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Autor: Theodor Creizenach
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Titel: Literatur 1841 1
Untertitel: Ueber die neueste politische Poesie der Deutschen.
aus: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jg., Band 1, S. 159–161
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Erscheinungsdatum: 1841
Verlag: Herbig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Band 1: SUUB Bremen = Commons
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Literatur.
Ueber die neueste politische Poesie der Deutschen.
Eine Glosse von Th. Creizenach
„Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied.“     

„Dankt Gott jeden Morgen, daß ihr nicht braucht für's römische Reich zu sorgen!“ So spricht Göthe, und obwohl er diese Worte einem lüderlichen Gesellen in den Mund legt, so ist doch nicht zu bezweifeln, daß seine eigene Ansicht darin ausgedrückt sei. Auch später tadelte er, wie uns Eckermann berichtet, die von andern hochgepriesene politische Richtung Uhlands. So weit die Lehre vom „unmittelbaren Genie“ noch ausschließliche Geltung hat, wird man dieses Credo vielleicht noch beschwören; denn jede Beimischung einer Tendenz, sie sei noch so edel, gibt dem Gedicht einen Zweck, und man weiß, wie fatal dieses Wort in der Poesie klingt. Die neueste Zeit urtheilt anders. Viele Productionen, die vor der ästhetischen Kritik nicht bestehen können, sind durch ihre Gesinnung zu großer Anerkennung gekommen. Gervinus schließt die Vorrede zum vierten Bande seiner Literaturgeschichte mit den Worten des Percy Heißsporn: „Dichten? ich wäre ein Kätzchen lieber und schrie Miau, als einer von den Versballadenkrämern. Lieben! Ist dies ’ne Welt zum Puppenspielen und mit Lippen fechten?“ – Gervinus, von der „jungen Literatur“ eben so stark angefochten, als – geplündert, hat gewiß in dem eben genannten Buche ein Werk geliefert, das ein Geschenk für die Nation genannt werden kann. Die dunkelsten Zeiten, die verworrensten Richtungen, weiß er durch großartig gefaßte historische Prinzipien zu beleben; es sind wenig deutsche Gelehrten durch so viel Schulstaub gekrochen, und haben einen so freien, tüchtigen Geist behalten. Er ist ein Mann des Wortes und der That, wie die göttinger Studenten im Jahre 1837 ihn und Dahlmann nannten. Aber eben diese Gesinnungstüchtigkeit, die überall Prinzipien und Tendenzen sucht, macht ihn unbillig gegen die lyrische Unmittelbarkeit, gegen poetische Empfindungslaute. Wenn er mit den oben citirten Worten die Jugend von Poesie und Gefühlsleben abziehen und auf Politik verweisen will, so können wir in der ganzen Heißsporn-Tirade nur eine verpuffende Rakete erkennen. Ihm schließt sich ein ebenso trefflicher Mann, Arnold Ruge, an, wenn er bei Beurtheilung des Rheinlieds von Prutz sagt: nichts sei poetisch, als die Freiheit; – ein Lob, das die Freiheit ebenso wenig verdient, als sie darauf Anspruch macht.

Wie im Drama bis auf unsere Tage das mittelmäßige, praktische Talent die Bretter besetzt hielt, und das tiefere poetische Gemüth einsam blieb, so war es bis zur Julirevolution mit unserer Lyrik. Man betrachte die Anthologieen und Almanache aus den zwanziger Jahren; da dominiren die glücklichen, leichten und oberflächlichen Talente eines Langbein und Castelli, der romantische Anflug eines Kind, die Wehmuth des Matthison. – Rückert hatte sich in orientalische Studien begraben, Chamisso schlief, Uhland verhallte, Wilhelm Müller’s Waldhornlieder waren wenig bekannt, Platen erregte nur durch seine Komödienpolemik größeres Aufsehen, seine herrlichen Gedichte drangen nicht sehr über den engen Kreis philologischer Anerkennung hinaus. Die politische Tendenz ist es, die unsere Lyrik in das Volk eingeführt hat, sie ist es, welche die oben angeführten Aussprüche von Gervinus und Ruge einigermaßen rechtfertigt. In der sogenannten Restaurationsperiode kommen in dieser Beziehung blos Müllers Griechenlieder zu größerer Bedeutung; sonst galt sogar Theodor Körner in jener Zeit mehr durch das, was er mit der Abendzeitung, mit Fr. Kind, mit dem Freischützen gemein hatte, als durch „Leier und Schwert“. Daß einige der eben genannten oberflächlichen Talente allerdings auf die öffentliche Theilnahme Anspruch machen konnten, soll nicht geläugnet werden. So hat Langbein, unter vielem Wust, eine Anzahl guter Gedichte geliefert, worin er nie die Sprache verrenkt, nie versäumt hat, schöne und ansprechende Gedanken auszudrücken. Auch producirten diese praktischen Köpfe sehr viel; sie begegneten dem Publikum in jedem Taschenbuch, und erinnern nicht blos in dieser Hinsicht an mehrere talentvolle Wiener Polygraphen, die ebenfalls einiges Balladen- und Novellenfutter für jeden Almanach in Bereitschaft haben, wie Joh. Nep. Vogel, G. Seidel u. s. w.

Der Liederfrühling, der seit 1830 in Deutschland aufging, ist von allen Seiten schon besprochen. Die lyrischen Dichter sind vor allen andern dadurch glücklich, daß sie schon bei Lebzeiten auf ein Ruhmespostament gestellt[1]


  1. Vorlage: 'ge stellt'
werden; denn wer etwa einen geistvollen Roman geschrieben hat, genießt

bei weitem keine so zweifellose Anerkennung, wie Uhland oder Freiligrath. So war es schon vor sechszig Jahren, als man Gleim mit Anakreon, Geßner mit Theokrit, die Karschin mit Sappho verglich und nunmehr ihren Ruhm für Aeonen gesichert glaubte. Gegen diese Vergötterung trat am schärfsten Herder auf, und sprach damals die denkwürdigen Worte: „Warum will man der lebenden Welt das Urtheil verbieten, da die Nachwelt desto schärfer richten wird?“ Von den Zeitgenossen wurde er angefeindet, heutzutage erscheint er gerechtfertigt. Wir fürchten, daß in Einzelheiten unsere Nachkommen ein ähnliches Gericht halten werden; so z. B. ist in vielen Gedichten des mit Recht gerühmten Anastasius Grün ein sehr nachläßiger Versbau und eine Geschwätzigkeit der Reflexion, die demselben keine lange Dauer verspricht. Die Halleschen Jahrbücher sind in Beziehung auf Rückert allerdings zu weit gegangen; doch muß man in dieser, wie in den meisten Beziehungen ihren Muth und jene Energie rühmen, welche unserer Literatur vieles Heil bringen können. Bei der neuen Auswahl von Rückerts Gedichten hat sich gezeigt, wie das größere Publikum über ihn denkt; denn wenn auch seine Poesie sich nicht leicht auf’s hohe Meer wagt, wenn auch aus seinen Jugendgedichten, die völlig ohne Sturm und Drang sind, leicht zu ermessen steht, daß er vorzugsweise ein Sprachgenie ist, das seine Production von der Nachahmung ausgeht, so weht doch überall ein milder Hauch der Weisheit, der Versöhnung, was frommen (nicht bigotten) Gemüthern und Frauen besonders zusagt.

Es bleibt uns noch die Ueberzeugung auszusprechen, daß unsere stolze, volltönige Tendenzpoesie nicht so lange leben wird, als die einfachen, in Gehalt und Melodie innerlich vollendeten Gemüthsklange, die wir z. B. in der von Lenau, um Einen statt Vieler zu nennen, zerstreut finden.