Londoner Industrieen (Die Gartenlaube 1861/41)
[656] Londoner Industrieen. Im Monat Mai des Jahres 1855 empfing ich einen – unfrankirten – Brief aus London, welcher mich nicht wenig überraschte mit der freudigen Kunde, daß ich zum „Vicepräsidenten der Allgemeinen Gesellschaft zur Aufmunterung der Künste und Gewerbe“ ernannt worden sei. Ein Graf mit französischem Namen halte das Diplom als Generalsecretair unterzeichnet; als „Titular-Präsidenten“ waren beigedruckt ein Prinz und ein „Colonel Honorable“; als „Titular-Vicepräsidenten“ ein irischer Baronet, ein belgischer Graf, ein Franzose schlichtweg und ein britischer Capitain. – „Sonderbar,“ dachte ich bei mir selber; „gleich zum Vicepräsidenten; zum bloßen Mitglied wäre noch eher erklärlich, aber sofort diese hohe Würde!“ – Während ich mich noch auf die gewähltesten Ausdrücke besann, um meinen Dank für solche Auszeichnung in einem stattlichen Antwortschreiben zu vermelden – kam schon der zweite – unfrankirte – Brief, diesmal etwas gehaltreicher und theurer, aus London. Er enthielt die Statuten der Gesellschaft und das Verzeichnis ihrer Mitglieder – nein, nicht Mitglieder, denn sie zeichnet sich vor allen ihren Schwestern dadurch aus, daß sie deren kein einziges, sondern nur Präsidenten und Vicepräsidenten besitzt. Eine feinere und erfolgreichere Speculation kann kaum erdacht werden; von der Ehre, sich „Vicepräsident“ unterzeichnen zu können, lassen sich die meisten der Erwählten blenden, und wer dann A gesagt hat, der sagt auch gewöhnlich B. Dieses B aber besteht einfach in der Erfüllung des Artikels 4 der Statuten, des wichtigsten, welcher folgendermaßen lautet: „Zur Aufbringung der allgemeinen Kosten der Gesellschaft verpflichtet sich ein jedes Mitglied, von seiner Aufnahme an, entweder eine jährliche Steuer (cotisation) von 25 Francs, oder die Summe von 250 Francs ein für allemal zu zahlen und zwar im Voraus.“ – „Zum „Protector“ der Gesellschaft wird Jedermann ernannt, welcher an dieselbe mehr als 250 Francs einzahlt.“ – Auf die Befolgung dieses Paragraphs ward ich denn auch dringend aufmerksam gemacht – leider vergebens, denn ich wußte nunmehr sehr gut, woran mich zu halten. Nachdem ich mehrmals Mahnbriefe empfangen hatte, ohne zu antworten, blieb die Sache ruhen – Vicepräsident bin ich aber, denn ich besitze mein Diplom! – Ein Jahr später zeigte mir eine zweite Gesellschaft in London, die der „Vereinigten Künste“ an, sie habe mich zu ihrem correspondirenden Mitglied ernannt, und ich möge 50 Francs Jahresbeitrag einsenden, um das Diplom zu empfangen. In meinem Antwortschreiben erbat ich mir zuerst das letztere und empfing es auch alsbald mit den Statuten und den „Annalen“ der Gesellschaft, in welcher man den Titel eines „Gründungs-Mitglieds“, Membre Fondateur, erwirbt mittelst einmaliger Zahlung von 500 Francs. Die zweite Elaste bilden die „Ehrenmitglieder“, jährlich 100 Francs Beitrag, die dritte endlich die „ausländischen correspondirenden Mitglieder“. Wie man sieht, giebt es auch in diesem Verein keine „wirklichen“ Mitglieder – aber „Ehrenmitglied“ klingt auch besser, und soll wahrscheinlich dem „Vicepräsident“ die Wage halten. An der Spitze des „Instituts der vereinigten Künste“ stehen „Membres Protecteurs“, darunter viele hochklingende Namen, acht Fürsten, ein Herzog und der General Urquiza, Präsident der argentinischen Conföderation in Südamerika. Unter den ersteren lesen wir auch den des Fürsten von Butero in Sicilien, zu welchem ein günstiges Schicksal bekanntlich den früheren Lieutenant G. Wilding aus Hannover erhoben hat. Ueberhaupt gewährt eine Durchsicht der Mitgliederverzeichnisse dieser Gesellschaften höchst interessante Beobachtungen. Vor Allem wimmeln sie von möglichst volltönenden aristokratischen Namen; wir dürfen annehmen, daß diejenigen, welche darunter wirklich bekannt sind, weiter nichts erhalten haben, als ein Diplom zugesandt, und von den übrigen Verhältnissen der Gesellschaft nichts wissen. Der gleiche Fall ist es wohl mit den meisten Gelehrten von Ruf, die in den Verzeichnissen figuriren. Sodann aber sind Epitheta, wie „Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften“ – oder „Commandeur und Ritter vieler Orden“ – das ganz Gewöhnliche. Unter den ersteren findet man manche, welche wohl auf gleicher Stufe mit dem Institute stehen, das sich ihrer als seiner Mitglieder rühmt; unter den letzteren manche bedenkliche, z. B. den „kaiserlich asiatischen Orden“. Als Muster eines Titels führen wir an denjenigen des Grafen De M., Präsident-Fondateur, Commandeur und Ritter mehrerer Orden (?), Genealogist und Historiograph des edlen Ordens von Sanct Hubertus (in Baiern? schwerlich), Mitglied der Akademieen und kaiserlichen und königlichen gelehrten Gesellschaften in Frankreich, England, Italien, Spanien, Belgien, Holland etc. Unter den „Gründungsmitgliedern“ des letztgenannten Instituts der „vereinigten Künste“ finden wir natürlich sehr wenige Deutsche aufgeführt und fast Alle, wie sich von selbst versteht, mehr oder minder verdruckt; so z. B. Baron Salorati, früherer preußischer Minister; Rimpau, W., Grand-Bailli, Membre de la Société Aratoire de Brunswick etc. etc. à Schlanstedt, Prusse – oder den Conseiller Aulique Winkler, Littérateur, schlichtweg „in Deutschland“, „Allemagne“! Es ist wirklich stark, wie und auf welche Art das Verzeichnis; zusammengebracht ist, wahrscheinlich um Neulinge zu blenden; so liest man unter den Ehrenmitgliedern: Eichhorn, Literat, „in Deutschland“; Heine, Heinrich. Literat, Poet, „in Deutschland“ etc. Jeder, der nur etwas in der Literatur bewandert ist, weiß, daß Heine in Paris wohnte, und nicht „in Deutschland“, und daß es dem seligen Hofrath Winkler in Dresden ganz gewiß nicht eingefallen ist, 500 Francs zur Gründung den „Instituts der vereinigen Künste“ herzuschießen. – In der Liste der ca. zweihundert Vicepräsidenten der ersterwähnten Gesellschaft zur Aufmunterung der Künste und Gewerbe, die zum Glück weit weniger deutsche Namen anführt, als die vorige, sind uns besonders zwei aufgefallen: Wagener, Mitglied der zweiten preußischen Kammer in Berlin – und Wentzel, preußischer Landtagsabgeordneter und Appellationsgerichtspräsident in Ratibor! In einer Biographie des letzteren, leider nun verstorbenen Ehrenmannes haben wir gelesen, daß er durch diese Auszeichnung ganz besonders erfreut worden sei – Beweis, daß er dieselbe nicht näher kannte.
„Aber welchen Zweck haben denn derlei Gesellschaften?“ höre ich doch noch fragen. Antwort: „Keinen andern, als mühelos Geld zu machen!“ Oder hat man schon davon gehört, was etwa Künste und Gewerbe ihnen danken? Gewiß kein Sterbenswörtchen; doch davon nachher. Die „Cotisation“ ist die Hauptsache, und die Speculation gar nicht schlecht dabei. Zweihundert Vicepräsidenten à 25 Francs und so und so viel, welche sich dran kriegen lassen, ein für allemal 250 zu zahlen, ungerechnet die „Protectoren“ mit höheren Summen – das bildet schon ein ganz hübschen Einkommen, mit welchem die Ausgaben in gar keinem Verhältniß stehen. So zählt z. B. die Mitgliederliste der „Vereinigten Künste“ circa 100 Membres Fondateurs, etwa 120 Ehrenmitglieder und gegen 100 Correspondenten. Angenommen, die Hälfte davon stehe nur auf dem Papier, dir andere Hälfte aber zahle wirklich, so ergiebt sich ein Gründungscapital von 25.000 Francs und eine Summe jährlicher Beiträge von 7250 Francs, für welche auch nicht das geringste Recht, der kleinste Gewinn erworben wird. Dazu kommen noch die Nebeneinnahmen; die Herren Präsidenten mit ihren Secretären – gewöhnlich bildet eine Dreizahl den eigentlichen Kern der Gesellschaften – verfehlen nicht. Diplome und Veröffentlichungen an alle gekrönten Häupter, Mäcene von Ruf, große Banquiers etc. zu senden, und diese wissen größtentheils, was damit gesagt werden soll: sie geben ihre Beisteuer, aber als ein Almosen für die Herren Grafen und Ritter vieler Orden. Dann finden die schlauen Gründer Leute genug, welche die Sache ernst nehmen, Bücher einsenden, Modelle, Zeichnungen von Erfindungen. Productenproben – alle diese Gaben werden natürlich schleunigst verwerthet und zwar oft in einer Art, daß dem Einsender der größte Schaden daraus erwächst. Wie mancher gute deutsche Erfinder hat schon zu seinem Schrecken erfahren, daß in Großbritannien derjenige das Patent erhält, welcher zuerst kommt! Aber um dergleichen schätzbare Mitglieder doch einigermaßen zu fesseln, vertheilen jene liebenswürdigen Gesellschaften mit schlauer Berechnung auch Prämien – Medaillen in Gold und in vergoldetem Silber (vermeil)! „Ah,“ höre ich rufen, „das ist doch Etwas!“ Allerdings ist es Etwas – allein sehr wenig. Diese Medaillen sind stets nur Gegengaben. Wer der Gesellschaft eine Anzahl Porcellangemälde im Werth von 100 Francs, ein Prachtwerk, das 200 Francs kostet, etc. gläubig zusendet, der erhält dafür die goldene Medaille (Couronne du Merite civil) im Werthe von 25 Francs zur Belohnung! Daher kann man auch mit der Vertheilung der Goldmedaillen viel freigebiger zu Werk gehen, wie mit derjenigen der silbernen; diese erhält, wer dem würdigen Verein die eingehende Beschreibung einer Erfindung vorlegt, die sich anderwärtig verwerthen läßt. Man sieht, die Herren kommen stets auf ihre Kosten! Das „Institut der vereinigten Künste“ giebt außerdem noch „Annalen“ heraus; das Abonnement auf ein Trimester kostet 15 Francs, auf ein Jahr 50 Francs; man erhält dafür je ein Heft von 108 Seiten (für 4 Thaler!!) ohne Schmuck, ohne Abbildungen – und darin Abhandlungen „über Leonardo da Vinci“; „wie Herr von Lamartine ein berühmter Mann wurde“: Fabeln etc. Auch dies gehört zu den Exploitationen der würdigen Gesellschaften.
Es giebt deren nicht blos zwei, nein, Dutzende; ihr Hauptsitz ist London, aber sie finden sich auch in Paris und Brüssel. Da existiren hygienische, mercantilische, künstlerische, industrielle, national-ökonomische, culturhistorische etc. Vereine, von deren Wirksamkeit Niemand etwas weiß und Niemand jemals etwas wissen wird; alle haben den gleichen Zweck; eines ihrer charakteristischen Kennzeichen ist, daß sie stets einen französischen Titel führen und an ihrer Spitze französische Namen tragen, von welchen viele etwas stark nach Legitimität schmecken. Sie speculiren sämmtlich auf eine der lächerlichsten Eitelkeiten des Menschengeschlechts – und es ist tief beklagenswerth, daß sie sich nicht verrechnen.