Ludwig Devrient (Die Gartenlaube 1884/52)

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Textdaten
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Autor: Max Martersteig
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Titel: Ludwig Devrient
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 863-864
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ludwig Devrient.
Zur 100jährigen Gedenkfeier seines Geburtstages, des 15. December 1784.


Fast ist es zur unumgänglichen Form geworden, das Gedenkblatt an eine dahingeschiedene Bühnengröße mit des Dichters Worten zu beginnen: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“. Man scheut bei diesem Zugeständniß den Widerspruch nicht, der doch unmittelbar folgen soll. Das geschichtschreibende neunzehnte Jahrhundert hat ja des Poeten schönes Bedauern längst entkräftigt und fllcht auch den darstellenden Künstlern die Ehrenkrone des Ruhmes aus immergrünen Zweigen. Der Duft freilich fehlt diesen Kränzen, denn ihn vermöchte nur das ewig jung bleibende Kunstwerk selbst zu geben. So ist der Ruhm des dahingeschiedenen Schauspielers entweder das Product liebevollen Angedenkens oder das Erzeugniß forschenden und vergleichenden Sammelfleißes, welch letzterer der Vater der Theatergeschichte genannt zu werden verdient.

Mit emsiger Geschäftigkeit und einer Pietät, die um so eifriger ist, als nur Zeugnisse und keine Beweise beschafft werden können, trägt man jeden kleinen Zug aus dem künstlerischen wie aus dem Privatleben des Darstellers in sein biographisches Bild, das demzufolge oft mehr einer Anekdotensammlung als einer kunstgeschichtlichen Monographie gleicht. Aber kein Schauspielerleben hat dieses Schicksal in so reichem Maße erfahren, als das Ludwig Devrient’s, um dessen Erscheinung in der Kunstwelt sich eine ganze Corona von lustigen und wehmüthigen Zügen verdichtet hat. Sein Schaffen als Künstler ist durch die Ueberlieferung seiner im höchsten Grade originellen menschlichen Eigenthümlichkeiten fast verdunkelt worden, und der Refrain über seine Künstlerschaft lautet in allen Quellen nur: genial, unübertrefflich – wozu dann noch ein paar so schöne Bezeichnungen, wie intuitive Begabung oder Durchdringen zur Objectivität des Charakters, das ihrige thun. Wer vermag sich aus diesen Andeutungen eine Vorstellung zu bilden? Es sind dies ja nur die allgemeinen Kennzeichen jeder echten Künstlerschaft, und dem Publicum, dem es vergönnt war, Meister Ludwig’s Darstellungen zu sehen und zu hören, würden sie wohl nur ein mattes Lächeln abgewinnen.

Ludwig Devrient
Nach einem alten von L. Wolf gezeichneten, von Krethlow gestochenen Portrait.

„Hätten Sie ihn gesehen,“ sagte mir ein Zeitgenosse, ein alter Berliner, „wie er als Shylock sein Messer wetzte, wie sein dämonisches, großes Auge von einem Haß erglühte, der Sie schaudern machte bis in’s innerste Herz – hätten Sie gesehen, wie er röchelnd der Wache in die Arme sank, wie jeder Nerv an diesem Körper, von dem vernichtenden Urtheil gleichsam zerschnitten, nachzitterte, wie seine Stimme tonlos heiser, während sie uns vorher in ihrem Rachedurst erschreckte, jetzt erschütterte – so etwas kommt nicht wieder.“

Ich nicke bestätigend, denke aber doch zweifelnd darüber nach und befrage die Geschichte dieser Kunst. Der ehrliche Kunstfreund hat doch nicht ganz Recht: denn daß eine solche Darstellung nie wieder komme, kann ich ihm nur bedingt zugeben – sie kam ja wieder, denn ich sehe ja jeden unserer heutigen Shylock’s dieselben Mittel zum Ausdruck bringen oder doch versuchen – das ist es also nicht, aber daß es vorher nicht da war, das machte die Größe dieses Mannes aus. Vor Ludwig Devrient war der Shylock auf der Bühne die verspottete, komische Figur, wie sie auch heute noch Shakespearemanisten aus der Architektur des Lustspiels abgeleitet als einzig berechtigt hinstellen.

Devrient als Erster erfaßte die Tiefe der Dichtung ganz, er zuerst versenkte sich congenial in die Seele Shakespeare’s und gab zuerst das ganze, volle Bild jenes furchtbaren Charakters. So schuf er den Lear neu um, so seinen vielleicht vollendetsten Charakter Falstaff, dessen Darstellung auf der heutigen Bühne neben seinem Shylock recht eigentlich das Erbtheil Ludwig Devrient’s ist. Und diese Thaten werden ihm den Ruhm eines Genies besser erhalten, als die Wiedererzählung jener berühmten und berüchtigten Devrient-Anekdoten; diesen schöpferischen Einfluß auf seine Mit- und Nachwelt zu betonen, ist die Pflicht des Geschichtschreibers dieser Kunst.

Devrient hätte, wie er befruchtend auf die darstellende Kunst wirkte, freilich in noch höherem Grade anregend auf die literarische Werkstatt seiner Zeit wirken können, wenn seine unbeherrschte Natur sich nicht so früh ausgezehrt hätte, aber das anspornende Beispiel reichte doch hin, neben der antikisirenden, stilvollen und der lyrisch-romantischen Production auch dem Charakterschauspiel wieder Boden zu verschaffen, und vor Allem war Devrient der Messias, der den größten dramatischen Dichter aller Zeiten, Shakespeare, der eben literarisch wieder zu Ehren gekommen war, namentlich seinen Humor, auf der deutschen Bühne populär machte. Zu solchem Gelingen gehört ein Genie, und das war Ludwig Devrient in des Wortes höchster Bedeutung. Seine reiche Begabung war nicht die eines mühsamen Fleißes, eines grübelnden Verstandes, er erfaßte den Gegenstand seiner Kunst mit der glühenden Seele des Schöpfers und gestaltete im dämonischen Drange einer immer gährenden Phantasie, ja, ich glaube, daß kaum ein anderer Darsteller die Unhaltbarkeit der Annahme, der größte Schauspieler sei doch nur ein reproductiv schaffender Künstler, so schlagend bewiesen hat.

Wir sehen ihn in seinen jungen Jahren, als er unter dem Namen Herzberg in Gera und Dessau die Bühne betrat, an seiner Kunst verzweifeln, weil ihm das Nachschaffen von längst Dagewesenem nicht genügte, und sehen ihn aufleben, als ihm endlich die Aufgabe gelang, eine ganz neue Rolle, den Kanzler Flessel in dem längst vergessenen Stück „Die Mündel“, so überwältigend und ganz aus eigenen Mitteln zu schaffen, daß von Stund an der Glaube an seinen Beruf in ihm erwachte.

Von glaubwürdigen Augenzeugen, wie A. Klingemann, wird uns erzählt, daß Devrient im Anfange seiner Darstellung oft matt und unbedeutend erschienen sei. Mehrere Acte waren schon vorübergegangen, und das Publicum fragte sich kopfschüttelnd: ist das der große Devrient? – Da mit einer Wendung des Stückes fängt das schöne Auge an, sich zu beleben, jeden leisesten Gedanken der Seele verratend, der Mann, der vorher mittelmäßig und matt erschienen war, wächst über seine Umgebung zur Riesengröße empor, jeden Athemzug, jede Empfindung seiner Zuschauer bannend; man vergaß den Ort, wo man sich befand, man dachte nicht mehr daran, daß es das Spiel eines Augenblickes sei, eine Fiction des Dichters, was man da vor sich sah – man fühlte nur noch die Gewalt der verkörperten Leidenschaft, der menschgewordenen Idee, und erst mit dem Fallen des Vorhanges erinnerte man sich an das Kunstwerk, das da eben gespielt worden war, und lebte wie aus einer magischen Verzauberung zur unbegrenztesten Bewunderung auf.

Ein solches Schaffen wird durch die Schablone der landläufigen Auffassung von Schauspielern und Schauspielkunst nicht gedeckt, es ist verwandt mit dem furor poëticus der Alten, oder es ist ein und dasselbe. Wer möchte wohl noch nach philiströser Sitte mit dem Censurbuch des Schullehrers in der Hand den Lebensgang dieses Mannes bemäkeln, wie es oft genug versucht worden ist? – Mit dem tiefsten Bedauern muß der Kunstfreund einräumen, daß dieser geniale Mann an seiner eignen Schrankenlosigkeit zu früh zu Grunde ging und in seiner Kunst Invalide wurde, da er auf dem Gipfel derselben hätte stehen sollen und können. Ihn litt es nicht in der Studirstube, nach der Art tüchtiger und lobenswerther Schauspieler über die Aesthetik ihrer Rollen nachzudenken, die Mutter seiner Kunst war die Begeisterung, und seine Beobachtung des menschlichen Charakters suchte und fand er im wechselnden Kreise des bunten Lebens, in dem er anfangs meist stumm und prüfend, dann aber zur regsten Mittheilsamkeit hingerissen, gern verweilte. Das trockene Denken, das ihn, wie viele groß angelegte Naturen, nur dazu führte, der Nichtigkeit der Dinge auf den Grund zu sehen, machte ihn unwirsch und verbittert, wie ihn Karl von Holtei in seinem Vagabundenroman so ergreifend schildert, und er entwand sich ihm im wörtlichsten Sinne, indem er flüssige Himmelsgluth mit dem Schaumwein einschlürfte, dem er leidenschaftlich zugethan war.

Ein kurzes, rein menschliches Glück, das er in der Liebe zu seiner ersten Frau, Margarethe Neeffe, der Tochter des Dessauer Capellmeisters und Componisten, fand, zerstörte nach Jahresfrist der Tod; seine spätere Ehe brachte ihm wenig Harmonie, so blieb ihm nur seine Kunst, zu deren Ausübung er wieder geistige und physische Anregung im Weine suchte – und diese verderbliche Wechselwirkung stets auf’s Höchste gespannter Kräfte zerrüttete ihn schon in jungen Jahren. Er hat durch diese Lebensführung viel Verwirrung unter nachstrebenden Kunstjüngern angerichtet, die es ihm in jeder, auch in der tadelnswerthen Weise nachzuthun suchten, ja, man hört nicht selten unter Berufung auf Ludwig Devrient behaupten, der geniale Schauspieler brauche ein ungebundenes, unmäßiges Leben, um an die Darstellung großer Leidenschaften heranzureichen. – Ich will darüber nicht rechten, mir hat es immer geschienen – und die Geschichte bewahrheitet es – daß mit großer Künstlerschaft auch stets ein großer Charakter verbunden war. Möchten jene, denen genial und lüderlich unzertrennliche Begriffe sind, sich wenigstens die Charakterreinheit Devrient’s bewahren!

Ihm haftete keine niedere Gesinnung an, sein weiches Herz war nicht allein jeder Vorstellung, sondern auch jeder Bitte zugänglich, und wir besitzen [864] rührende Züge seiner Wohlthätigkeit, seiner warmen, menschlichen Theilnahme.[1] Mißtrauen freilich war ihm nicht fremd, ja es wuchs mit den Jahren, da sein körperlicher Zustand die Berliner Bühnenleitung bewog, ihm größere Aufgaben, denen seine Kräfte nicht mehr gewachsen waren, vorzuenthalten, aber nie hat er sich zur Heuchelei erniedrigt, wie er auch in der Laufbahn seines Ruhmes keines jener unwürdigen Mittel angewendet hat, welche der Genialität von heutzutage so oft anhaften.

Ludwig Devrient starb am 30. December 1832, nachdem er sechzehn Jahre der Berliner Hofbühne angehört hatte. – Seinen Manen, denen in diesen Blättern schon verschiedene Male ausführlicher gehuldigt worden ist, diese kurze Rückerinnerung bei der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages darzubringen, war der Zweck dieser Zeilen.

Unter den zahlreichen[WS 1] Bildern, die Ludwig Devrient’s Züge der Nachwelt vermitteln, ist das dieses Gedenkblatt begleitende von seinen Zeitgenossen am meisten geschätzt, da es, aller schmeichelnden Zuthaten bar, die größte Ähnlichkeit besitzt. –

„Das kommt nicht wieder,“ sagte der Berliner Kunstfreund – mehr aber darf und muß es uns gelten, daß es vorher auch nicht war und dennoch lebendig fortwirkt in der Entwickelung der deutschen Schauspielkunst, die sich trotz aller pessimistischen Klagen über den Verfall des Theaters, dank jenen großen Vorbildern, wenigstens in der Harmonie des Ganzen, in der Treue gegen den Dichter als eine vorwärtsstrebende Kunst bewährt hat. Max Martersteig.     


  1. Vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1861, Nr. 27.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zahreichen