M-pungu

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Textdaten
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Autor: Julius Falkenstein
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Titel: M-pungu
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 556–558
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[556]
M-pungu.[1]
Von Dr. Falkenstein.


Wer hätte in den letzten Jahren nicht vielfach über Menschenaffen reden hören? Wer hätte nicht selbst vielfach darüber mitgesprochen? Wen hätte nicht die Nachricht, daß der König der Anthropoiden endlich lebenskräftig Europa erreicht, im höchsten Grade interessirt? Wem wäre nicht die Gewißheit erwünscht, daß bezüglich der Untersuchung der Natur dieses Affen der Boden der unbegrenzten Phantasie nunmehr verlassen und das Reich der exacten Beobachtung betreten werden muß?

Allen, auch Denjenigen, welche naturwissenschaftlichen Fragen sonst ferner stehen, dürfte es angemessen erscheinen, über Natur und Vergangenheit des zu uns übergesiedelten Fremdlings nunmehr nähere Aufschlüsse zu erhalten.

Im ehemaligen Königreiche Loanga geboren, verlebte M-pungu sein erstes Lebensjahr unter mütterlicher Obhut. Sorglos durfte er sich in den wilden Schluchten seiner bergigen Heimath unter fruchtbeladenen Riesen tummeln und die starren Ranken der Mansombe (einer wuchernden Blattpflanze) zum duftigen Lager zusammentragen, oder in erwachender Kraft spielend zerstören. Sorglos durfte er den Pfaden des Flußpferdes folgen und die Spur seiner Kinderhand neben die des fast vorweltlichen Unthiers dem lehmigen Grund des immer feuchten Urwaldes eindrücken. Ahnungslos beugte er sich nieder zu den trüben Wassern des schwellenden Bergbaches, um nach erhitzenden Spielen Erfrischung zu suchen, als das primitive Geschoß des geräuschlos schleichenden Negers die Mutter neben ihm traf und ihn so hülflos den Händen der Civilisation überlieferte. Nach Ponte Negra verkauft, empfand er hier bei unzureichender, ungewohnter Nahrung die ersten Leiden seiner bis dahin freudereichen Jugend. An die Brückenwage eines Magazins gefesselt, stellte er Vergleiche mit der schmerzlich verlorenen Freiheit an und schwand sichtlich dahin. –

Von einer erinnerungs- und erfolgreichen Reise in das Kuilu-Gebiet mit dem Herrn Dr. Pechuel-Loesche heimkehrend, fand ich M-pungu hier am 2. October 1875, von welchem Tage ab uns seine weitere Lebensgeschichte klar vorliegt, da sein damaliger Besitzer, der Portugiese Laurentino Antonio dos Santos, mit der allen Romanen angeborenen Liebenswürdigkeit ihn mir zum Geschenk bot.

M-pungu mochte damals ein und ein Viertel Jahr alt sein. In stummer Resignation den Kopf gegen mich hebend, machte er einen bedauernswerthen Eindruck. Aufleuchtend schien das kluge dunkle Auge sich bitter über die unwürdige Situation zu beklagen, dann glitt es matt und interesselos zu den umherliegenden Waldfrüchten. Mechanisch langten die kurzen schwarzen Finger danach, um sich, ohne ihr Ziel erreicht zu haben, wieder zurückzuziehen; müde legte er sich auf den harten Boden nieder, mit der linken Hand den Kopf stützend, während die rechte auf dem Herzen ruhte, und kraftlos fielen die Augen zu, doch ließen ihn sichtlich bange Träume nicht die Erholung finden, deren er so sehr bedurfte. Damals, wenige Tage nach seiner Ankunft in Chinchoxo, schrieb ich in einem kurzen Bericht, daß er theilnahmlos, faul und unliebenswürdig genannt werden müsse, daß seine Hauptbeschäftigung ein ruhiger ungestörter Schlaf sei, daß weder Musik ihn zu fesseln, noch sein Spiegelbild ihn aus dem träumerischen Zustande zu wecken vermöge, ebenso eine zur Gespielin beigegebene Meerkatze ihn mehr incommodire als erfreue.

Wer möchte in dem geistig so regen, ausgelassen tollen Burschen, der jetzt täglich immer übermüthigere Capriolen macht, den brütenden Hypochonder von damals wieder erkennen? Wer könnte glauben, daß im Februar dieses Jahres eine fünfwöchentliche schwere Krankheit uns jede Hoffnung an seinem Aufkommen nahm und uns in die tiefste Niedergeschlagenheit versetzte? Sorgenvoll umstanden wir damals sein Schmerzenslager. Wir pflegten ihn, wuschen ihn, rieben ihn mit Medicamenten ein und gaben innerlich die bei gleichen Symptomen bewährtesten Kindermittel. Ja, als er in der Nacht, die ich für seine letzte hielt, in zum Herzen sprechenden Jammertönen seinen Leiden Ausdruck gab, nahm ich ihn zu mir, um ihm wenigstens in diesen Stunden Ruhe vor den Mosquitos zu gewähren. Die unmittelbare menschliche Nähe wirkte Wunder. Als ob er mit den kühnsten Träumern der Vergangenheit und Gegenwart an eine mittheilbare magnetische Kraft glaubte, umklammerte er meinen Arm und erwachte bei dem geringsten Versuch meinerseits, eine bequemere Lage einzunehmen. Doch der anfangs leise Schlummer wurde tiefer, stärkender. Von Tag zu Tage fast konnte man den Einfluß des erquickenden Schlafes spüren. Wie groß war der Jubel, als er zum ersten Mal wieder nach Nahrung verlangte, zum ersten Mal nach Wochen banger Erwartung sichtbare Beweise einer regelrechten Verdauung gab! So rein war die innige Freude, daß selbst die bis zu uns dringenden Wolken des in Dresden aufgewirbelten Staubes sie nicht zu trüben vermochten. Schwarz und Weiß, Alt und Jung auf der Station und in entfernten Factoreien bewies lebhafte Theilnahme, als das liebenswürdige „Kind von Chinchoxo“ wieder gedieh und bei immer steigendem Appetite die geschwundenen Fettpolster unter dem faltigen Fell wieder ausfüllte.

Bald klatschte M-pungu wieder in fast menschlicher Empfindung wohligen Vergnügens in die Hände, nahm auch wohl, um dem Uebermaß Ausdruck zu geben, die Füße zur Hülfe, überkugelte sich, drehte sich um seine Längsachse, trommelte mit den Fäusten auf die Brust oder mit den flachen Händen gegen irgend welche tönende Gegenstände, spielte im Sande, baute mit drolligem Ernste und Eifer Nester von Gras, Stricken, Papier etc. um sich, haschte im Galopp nach Negerkindern, kurz, benahm sich in einer Weise, daß er manchmal in den Verdacht der Trunkenheit kam.

Er fand wieder Gefallen am Bade und suchte sich eventuell selbst zu helfen, wenn ich mit Schwamm und Seife nicht rechtzeitig zur Stelle war. Daß sich das Badewasser in wenigen Augenblicken außerhalb des Beckens befand, störte ihn nicht in seinem Eifer. Er patschte dann mit allen Vieren in der Nässe umher, wie unsere Negerjungen draußen während eines Tropengewitters. War der Kobold endlich rein und sauber abgetrocknet, so hielt er es für an der Zeit, seinem alten Gespielen, Mohr (Cercocebus fuliginosus), der leider hinter Lagos über Bord ging, nachdem ein Unbefugter seinen Käfig geöffnet, dem langschwänzigen schwarzen Gesellen, die erste Visite zu machen, wobei es allerdings wenig förmlich zuging und seine drollige Unbehülflichkeit der

[557] 

Der Gorilla des Berliner Aquariums.
Nach der Natur skizzirt von H. Leutemann.

[558] Behendigkeit jenes gegenüber ihn stets zu dem Geständniß zwang: „bald lag er oben, bald lag ich unten.“

Hatte er sich hier sattsam getummelt, so suchte er rückwärts zu entkommen, doch gelang dies selten ohne mannigfache Niederlagen, da Mohr die Absicht schon im Entstehen bemerkte. Nun machte er meinem Nachbar Pechuel-Loesche seine Aufwartung, erholte sich ein Weilchen auf einem Stuhle, sich der Länge lang unaufgefordert ausstreckend, und begann dann immer von Neuem den Inhalt der Blechkästen, die er zu öffnen verstand, zu durchmustern. Er ruhte nicht eher, bis der Boden erreicht war, und thürmte alles rund um sich auf, die Haltbarkeit der einzelnen Gegenstände mit den Zähnen prüfend. Endlich bewies mir ein durch die Loango-Wand[2] zu mir dringendes kräftiges Wörtlein, daß die kindlichen Spiele entdeckt seien, und M-pungu’s Eile, in den Garten zu kommen, zeigte seinerseits das Bewußtsein, Strafe verdient zu haben. Er glaubte sich auch nicht eher in Sicherheit, bis er das schützende Dickicht der zwölf und mehr Fuß hohen Negerhirse und des Maises erreicht hatte. Zufrieden, auf kurze Zeit der Aufsicht enthoben zu sein, ließen wir ihn in den Plantagen, wenn auch das Rauschen und Brechen und die sich zur Erde biegenden Halme keinen segensreichen Einfluß auf das Gedeihen der Pflanzen bekundeten. Hatte er dann Blätter und Blumen durchsucht, hier und da ein wenig genascht und namentlich die eben hervorsprossenden Bananenblätter gepflückt, so fiel ihm plötzlich ein, daß im Eßzimmer sich wohl Niemand befinden werde und es sich daher lohnen dürfe, nach dem Zucker- und Fruchtschrank zu sehen. Sich vor allem über unseren und unserer kleinen schwarzen Dienerschaft Aufenthalt orientirend, vorsichtig auslugend, um die Ecken der Hütten schauend, steuerte er endlich direct auf sein Ziel los und entfloh, wenn auf der That ertappt, zwar bittende Töne ausstoßend, aber gewiß nie, ohne mit sicherem Griffe die Beute in beiden Händen mit fort zu führen.

Ein durchtriebener Schalk, überlistete er jeden Versuch, ihn in besonnene Bahnen zu lenken oder ihm Begriffe des Unerlaubten beizubringen. Einschmeichelnd, um etwas zu erlangen, schmollend, wenn ihm etwas versagt wurde, aufmerksam beobachtend, was er nie gesehen, neugierig untersuchend, was ihm unverständlich, tapfer angreifend, wo keine Gefahr, behutsam retirirend, wenn Vorsicht rathsam, war er ein Unterhalter und Genosse, wie man keinen besseren wünschen konnte. Wie ein übermüthiges Kind trieb er sich frei auf dem Gehöft umher, immer bedacht, seinen Pflegern nahe zu bleiben, und wenn er sie aus den Augen verlor oder nicht am gewohnten Platze arbeitend fand, so suchte er, erst ängstlich bittend, dann in lautes Kreischen ausbrechend, eifrig an allen Orten und umklammerte den Gefundenen so fest am Bein, als wolle er ihn nimmer wieder loslassen, oder langte bittend mit den Armen empor, um geliebkost zu werden.

Bei gesunder Bewegung und völlig menschlicher Kost nahm er an Stärke, Gewicht und Lebendigkeit dauernd so zu, daß wir bei unserer Einschiffung am 5. Mai dem Capitain des Dampfers „Loanda“, Mr. Clancy, zuversichtlich vorhersagen konnten, der M-pungu würde gesund und kräftig Europa erreichen, wenn er ihm seine Nachsicht und Fürsorge angedeihen lassen würde. M-pungu hat Europa erreicht mit einer Lebenskraft und Fülle, welche die kühnsten Hoffnungen bei Weitem übertrafen. Aber in wie freundlicher Weise hat nicht Capitain Clancy seine Aufgabe erfüllt, wie selbstlos hat er sich und sein Quarterdeck geopfert! Er ließ M-pungu zum ersten Cajüten-Passagier avanciren, lauschte auf alle seine Wünsche, ganz gleich, ob sie sich auf ein starkes Tau zu Turnübungen oder auf ein Flaggentuch zum Schutz gegen eine Nordbriese richteten. Irgend bewegliche schwere Gegenstände, die durch Fall Gefahr drohten, ließ er fest binden oder schrauben; Quarter-Masters, Stewards und Küchenjungen mußten in gleicher Weise des Winkes M-pungu’s gewärtig sein. Zum Diner durfte er im Salon erscheinen, und als ob er sich des höchsten Schutzes bewußt wäre, trieb er seine Possen um so toller, je größere Freiheit ihm gestattet wurde. Aber Niemand war ihm gram deswegen; Jedermann verzog und liebkoste ihn, ja, ein kleines englisches Kind trieb seine Zärtlichkeit so weit, ihn, mit den Händen nach ihm langend, Papa zu tituliren. Die ganze Reise glich einem Triumphzuge; an allen Küstenplätzen strömten die Neger in Canoes herzu, um ihren Bruder, wie er scherzweise genannt wurde, in Augenschein zu nehmen. Die Rückkehrenden brachten die Nachricht von dem Gesehenen an’s Land, und immer neue Canoes sah man abstoßen, das Wunder zu schauen. M-pungu nahm die Huldigungen als selbstverständlich hin. Weit entfernt, sich genirt zu fühlen, gab er unaufgefordert die besten Vorstellungen, wenn die meisten Gäste versammelt waren.

Wie wohl thaten uns die Ausrufe, ungeheuchelten Erstaunens, wie angenehm berührte uns das mit der nahenden Heimath wachsende Interesse des Publicums! Aber je näher wir England kamen, um so ängstlicher hüteten wir auch den Schatz in unseren Händen; er gehörte eigentlich schon längst nicht mehr uns, sondern wir gehörten ihm. – Endlich am 29. Juni wurde Liverpool und damit der Glanzpunkt in M-pungu’s bisherigem Leben erreicht. Die ganze ungeheure Stadt war in Aufregung. Unter den Fenstern unseres Hotels wogten schwarze Massen auf und ab, während die besser Situirten, darunter die Spitzen der Stadt und die ersten Gelehrten, uns persönlich ihre Aufwartung machten und der greise Darwin brieflich seinen Glückwunsch übermittelte.

Auf die Bitte des Curators des Museums, Mr. Moore, stellten M-pungu einem seiner Vorfahren, einem alten ausgestopften Gorilla, vor, da möglicher Weise eine höchst interessante Erkennungsscene erwartet werden konnte. Er ließ aber uns und den Alten in komischer Enttäuschung stehen, mit dem Zeigefinger Ohren und Nase eines jungen Chimpanse befühlend, als wollte er sagen: „Wie kann man mich mit dir verwechseln!“

Etwas ermüdet, aber stolz auf unsern Schatz, verließen wir die Stadt und vertrauten M-pungu wenige Tage später den wohlbewährten Händen des Dr. Hermes an. Möge es ihm gelingen, M-pungu so lange am Leben zu erhalten, bis die Behauptung der Neger geprüft werden kann, welche erzählen, daß alte Gorillas ganz weiß behaart seien.[3]


  1. Nach einer Mittheilung des Verfassers dieses Artikels, der als Mitglied der afrikanischen Expedition wie als Eigenthümer und Pfleger des Gorilla bekannten Dr. Falkenstein, bedeutet M-pungu in der Sprache der Eingeborenen soviel wie Teufel.
    D. Red.
  2. Loango-Gras, Cyperus papyrus.
  3. Eine am 13. December 1875 vorgenommene Messung ergab: Ganze Länge 56 Centimeter; Gewicht 15 Pfund; Respiration 40 bis 46 in der Minute; Puls 116; Temperatur 38,6 Grad C. Am 28. Juni dagegen: Ganze Länge 69 Centimeter; Rumpflänge 47 Centimeter; Gewicht 31 Pfund; Respiration 24 bis 32 in der Minute; Puls 108; Temperatur 37,7 Grad C.