MKL1888:Hebel

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hebel“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 253255
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Hebel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 253–255. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hebel (Version vom 20.04.2021)

[253] Hebel, jeder um einen festen Punkt oder eine feste Achse drehbare Körper, an welchem Kräfte wirken. Da ein solcher Körper keine andre Bewegung als eine Drehung um jenen Punkt oder jene Achse ausführen kann, so befindet er sich im Gleichgewicht, wenn die durch die einzelnen Kräfte hervorgerufenen Drehungsbestrebungen sich gegenseitig aufheben. Das von einer Kraft bewirkte Drehungsbestreben ist um so größer, je größer die Kraft ist, und in je größerer Entfernung die Richtung der Kraft neben dem Drehungspunkt vorbeigeht, und wird daher durch das Produkt aus der Kraft und dieser Entfernung ausgedrückt. Diese Entfernung, nämlich die vom Drehungspunkt auf die Richtung der Kraft gezogene Senkrechte, nennt man den Hebelarm der Kraft und das die Drehungsbestrebung darstellende Produkt aus Kraft und Hebelarm [254] das Drehungsmoment oder das statische Moment oder auch kurz das Moment der Kraft.

Fig. 1.
Hebel.

Die einfachste Form des Hebels ist eine gerade, unbiegsame, um einen ihrer Punkte (Stützpunkt, Hypomochlion) drehbare Stange, an deren Enden parallele, gleichgerichtete Kräfte (z. B. angehängte Gewichte) senkrecht angreifen (Fig. 1). Da bei diesem H. die beiden Teile der Stange (MA und MB) vom Drehpunkt bis zu dem Angriffspunkt der Kräfte die Hebelarme sind u. als solche unmittelbar ins Auge fallen, hat man ihn den zweiarmigen H. genannt. Er befindet sich im Gleichgewicht, wenn die beiden entgegengesetzten Drehungsbestrebungen, d. h. die Produkte aus Kraft und Hebelarm, beiderseits einander gleich sind, oder, was dasselbe ist, wenn die Kräfte im umgekehrten Verhältnis ihrer Hebelarme stehen. Vermittelst des Hebels kann daher eine große Last durch eine kleine Kraft im Gleichgewicht gehalten und, bei geringer Vermehrung der Kraft, gehoben werden, wenn man den Hebelarm der Kraft sovielmal länger nimmt als denjenigen der Last, wie diese größer ist als die Kraft. Ein einfaches Beispiel bietet das Hebeeisen: um einen schweren Steinblock von der Stelle zu rücken, schiebt der Arbeiter das eine Ende der eisernen Stange unter den Block, legt nahe diesem Ende als Stützpunkt einen Stein unter und lüpft nun, indem er mit seiner Muskelkraft den langen Arm des so geschaffenen Hebels niederdrückt, den auf dem kurzen Hebelarm lastenden Steinblock. Ein gleicharmiger H. ist im Gleichgewicht, wenn die beiden an seinen Enden wirkenden Kräfte einander gleich sind (Wage).

Fig. 2.
Hebel.

Wenn die auf eine um einen Punkt drehbare Stange wirkenden zwei Kräfte entgegengesetzte Richtung haben, so müssen sie, um entgegengesetzte Drehungsbestrebungen wachzurufen, auf der nämlichen Seite des Drehungspunktes wirken (Fig. 2); wie im vorigen Fall halten sie sich das Gleichgewicht, wenn sie sich umgekehrt verhalten wie die Entfernungen ihrer Angriffspunkte vom Drehpunkt. Obgleich also auch hier jeder Kraft ein Hebelarm (MA u. MB) entspricht, hat man doch, weil nur der längere Hebelarm (als Länge der um ihren Endpunkt drehbaren Stange) sich der Wahrnehmung selbständig aufdrängt, während der kürzere nur einen Teil desselben ausmacht, diesen H. als einarmigen bezeichnet. Eine bekannte Anwendung desselben ist z. B. der Schiebkarren; der Drehpunkt ist die Achse des Rades, die an den Griffen aufwärts ziehende Muskelkraft des Kärrners hält die auf den Karren geladene, in kleinerer Entfernung vom Drehpunkt abwärts ziehende Last in der Schwebe und vermag sie nun mit Hilfe des Rades (welches übrigens auf die Hebelwirkung keinen Einfluß übt) fortzubewegen.

H. von den verschiedensten Formen finden im täglichen Leben häufige Anwendung; die eiserne Klinke z. B., an welcher die Drähte eines Klingelzugs befestigt sind, und welche dazu dient, den lotrechten Zug der Hand in einen wagerechten Zug an der Glocke umzusetzen, ist nichts andres als ein Winkelhebel, dessen Hebelarme einen rechten Winkel miteinander bilden. Jeder Schlüssel ist ein um seine Längsachse drehbarer H.; der Bart stellt den einen, der Griff den andern Hebelarm dar. Scheren, Zangen, Nußknacker sind Verbindungen von je zwei Hebeln etc. Die Rolle, das Rad an der Welle, der Haspel etc. sind ebenfalls nichts andres als H. Wie aber auch ein H. gestaltet sein mag, es werden zwei an ihm wirkende Kräfte immer im Gleichgewicht sein, wenn sie sich umgekehrt verhalten wie ihre Hebelarme, d. h. wie ihre Entfernungen vom Drehpunkt. Befindet sich ein H. im Gleichgewicht, so hat sein Drehpunkt einen Druck auszuhalten, welcher gleich der Mittelkraft sämtlicher an dem H. wirkender Kräfte ist. Beim zweiarmigen H. ist dieser Druck gleich der Summe, beim einarmigen gleich dem Unterschied der parallelen Kräfte (s. Parallele Kräfte). Eine Reihe von Hebeln, welche mit ihren Enden aufeinander wirken, heißt ein zusammengesetzter H.; er befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Kraft am Ende des letzten Hebels zur Kraft am Anfang des ersten sich verhält wie das Produkt aller diesem Anfang zugewendeten Hebelarme zu dem Produkt aller jenem Ende zugekehrten. An einem um eine Achse drehbaren Körper kann, ohne daß an seinem Zustand etwas geändert wird, jede Kraft durch eine andre mit gleichem Drehungsbestreben ersetzt werden; man braucht die neue Kraft nur so zu wählen, daß sie zu der gegebenen sich verhält wie deren Hebelarm zu dem neuen Hebelarm.

Fig. 3.
Hebel.

Durch einen H. kann, wie durch Maschinen überhaupt, niemals Arbeit gewonnen werden; die Arbeit, welche von der bewegenden Kraft verausgabt wird, ist stets gleich der Arbeit, welche von der Last oder dem zu überwindenden Widerstand aufgezehrt wird. Ein H. (Fig. 3) ist bekanntlich im Gleichgewicht, wenn die Produkte aus Kraft und Hebelarm beiderseits gleich sind. Wird nun, indem man den H. aus der wagerechten Gleichgewichtslage AMB in die schiefe Lage A′MB′ übergehen läßt, die größere Last durch die kleinere Kraft gehoben, so ist die Arbeit, welche die Kraft leistet, gleich dem Produkt aus der Kraft P und der Strecke bB′, um welche sich ihr Angriffspunkt gesenkt hat, und ebenso die Arbeit, welche die Last Q zu ihrer Hebung beanspruchte, gleich dem Produkt aus der Last und der Strecke aA′. Da nun die Strecken aA′ und bB′ augenscheinlich in demselben Verhältnis zu einander stehen wie die zugehörigen Hebelarme MA′ und MB′, so müssen auch die eben genannten Produkte einander gleich sein, d. h. die Arbeit der Last ist gleich der Arbeit der Kraft. Schafft man eine Last, statt sie lotrecht in die Höhe zu heben, längs einer schiefen Ebene bis zur nämlichen Höhe, so hat man in beiden Fällen die nämliche Arbeit zu leisten; denn in demselben Verhältnis, in welchem im letztern Fall der Kraftaufwand geringer ist, ist der zurückzulegende Weg größer. Wird eine Last mittels eines Flaschenzugs durch eine z. B. sechsmal geringere Kraft gehoben, so steigt die Last mit sechsmal kleinerer Geschwindigkeit empor, als der Angriffspunkt der Kraft herabgeht, und die beiderseits geleisteten Arbeiten sind wiederum einander gleich. [255] Man hat diesen allgemein gültigen Satz auch in folgender Form als „goldene Regel der Mechanik“ ausgesprochen: Was an Kraft gewonnen wird, geht an Geschwindigkeit verloren.

Hebel, Johann Peter, vorzüglicher Dialektdichter und Volksschriftsteller, geb. 11. Mai 1760 zu Basel, besuchte die Schule daselbst, erhielt seine weitere Vorbildung auf dem Pädagogium zu Lörrach und dem Lyceum zu Karlsruhe und bezog 1778 die Universität zu Erlangen, um Theologie zu studieren. Nachdem er eine Zeitlang als Pfarrvikar in dem Dorf Hartingen fungiert, wurde er 1783 Lehrer am Pädagogium zu Lörrach und 1791 am Gymnasium zu Karlsruhe mit dem Prädikat eines Subdiakonus. 1798 wurde er zum außerordentlichen Professor, 1805 zum Kirchenrat, 1808 zum Direktor des nunmehrigen Lyceums, 1809 zum Mitglied der evangelischen Kirchenkommission, 1819 zum Prälaten und 1821 von der Universität Heidelberg zum Doktor der Theologie ernannt. Er starb 22. Sept. 1826 auf einer Inspektionsreise in Schwetzingen, wo er auch begraben liegt. H. wählte für seine Gedichte die naiv-schalkhafte, vokalreiche Mundart, welche in mancherlei Schattierungen in einem großen Teil Schwabens, namentlich in dem Winkel des Rheins zwischen dem Frickthal und dem ehemaligen Sundgau, herrscht. Seine in dieser Mundart abgefaßten „Alemannischen Gedichte“ (Karlsr. 1803 u. öfter; hrsg. und erläutert von Götzinger, Aarau 1873; hrsg. von Behaghel, Stuttg. 1883; illustriert von L. Richter, Leipz. 1872) enthalten treffliche Naturschilderungen, idyllenartig gehaltene Sittengemälde aus dem bäuerlichen Leben und sind durch Gemütstiefe, inniges Behagen, naive Anschaulichkeit und nicht selten durch hochpoetischen Gehalt ausgezeichnet. Hochdeutscher Bearbeitungen derselben, die aber ihren eigentümlichen Reiz verwischen, erschienen mehrere, z. B. von Reinick (6. Aufl., Leipz. 1876). Hebels Volksschriften: „Der rheinländische Hausfreund, oder Neuer Kalender mit lehrreichen Nachrichten und lustigen Erzählungen“ (Karlsr. 1808–11; 3. Aufl., Stuttg. 1827) und „Das Schatzkästlein des rheinländischen Hausfreundes“ (Tübing. 1811 u. öfter; neueste Aufl., hrsg. von Behaghel, Stuttg. 1883) übertreffen fast alle ähnlichen Versuche der neuern Zeit an klarer Auffassung des deutschen, besonders süddeutschen, Charakters, an reiner Menschlichkeit, kindlicher Naivität und gesundem Witz und sind Muster volkstümlicher Darstellung. Auch einen „Katechismus“ und „Biblische Geschichten“ (Stuttg. 1824, 2 Bde.; neue Aufl., Karlsr. 1873) lieferte H., dichtete auch einige hübsche Lieder und besonders treffliche Rätsel in hochdeutscher Sprache. Seine „Sämtlichen Werke“ erschienen zu Karlsruhe 1832–34 in 8 Bänden (Stuttg. 1871, 3 Bde.; hrsg. von Wendt, Berl. 1873, 2 Bde.). Briefe Hebels gab Behaghel heraus (Karlsr. 1883, Bd. 1). Im Hofgarten zu Karlsruhe ward dem Dichter 1835 ein Denkmal errichtet. Vgl. Schultheiß, Hebels Leben (Heidelb. 1831); Längin, Joh. Pet. H. (Karlsr. 1874); Derselbe, Aus Hebels ungedruckten Papieren (Tauberbischofsh. 1882).