MKL1888:Äschy̆los
[905] Äschy̆los, der älteste der drei großen griech. Tragiker, geb. 525 v. Chr. zu Eleusis in Attika als Sohn des Euphorion aus einem Eupatridengeschlecht, Mitkämpfer der Schlachten von Marathon, Salamis und Platää, trat als Dichter zuerst 500 auf, gewann aber den ersten Sieg erst 488. Um 476 hielt er sich in Sizilien bei König Hieron von Syrakus auf, wo er zur Einweihung der von seinem Gönner an Stelle des alten Catana gegründeten Stadt Ätna die „Ätnäerinnen“ dichtete. Nach Athen zurückgekehrt, erlag er 468 dem jüngern Sophokles gleich bei dessen erstem Auftreten, siegte aber bereits wieder im folgenden Jahr. Nach der Aufführung seiner „Orestie“ (459) begab er sich wieder nach Sizilien, vielleicht aus Mißvergnügen über das zunehmende Übergewicht der Demokratie, [906] und starb 456 in Gela, dessen Bewohner ihm ein prächtiges Grabmal errichteten. Die Athener aber ehrten später sein Andenken durch Aufstellung einer Bildsäule im Theater und durch den Volksbeschluß, daß ihm bei jeder Aufführung seiner Stücke wie einem Lebenden der Siegeskranz geweiht werden solle. Ä. ist der eigentliche Begründer der attischen Tragödie, die dann durch Sophokles ihre Vollendung erhielt, indem er durch Einführung eines zweiten Schauspielers den eigentlichen dramatischen Dialog schuf und diesen durch allmähliche Beschränkung der lyrischen Chorpartien zum Hauptteil der Dichtung machte. Auch den szenischen Apparat schuf er teils neu, teils vervollkommte er ihn; teils sorgte er für die Ausstattung der Bühne durch Dekorationsmalerei und Maschinerie, teils führte er für die Schauspieler die Charaktermasken ein und gab ihnen durch reiche Kostümierung, den hohen Kothurn, Haaraufsätze und andre Mittel ein über das Gewöhnliche hinausgehendes Ansehen. Wie es scheint, dichtete er seine Trilogien so, daß sie entweder einen vollständigen Mythenkreis umfaßten, oder verschiedene Sagen durch teils ethische, teils mythische Beziehung verbanden; auch die sich anschließenden Satyrdramen standen mit den Tragödien in innerm Zusammenhang. Sein Hauptcharakter liegt im Pathos und in der Erhabenheit, die sich nicht selten bis zum Furchtbaren und Schrecklichen steigert. Der Kampf, in welchem der Mensch seine Freiheit gegen die Übermacht des unerbittlich waltenden Schicksals geltend macht, ist kaum irgendwo so ergreifend und großartig geschildert wie in seinen Dichtungen. Der Plan derselben ist durchweg äußerst einfach; von einer Schürzung und Lösung des tragischen Knotens ist kaum die Rede. Die Charaktere sind mit wenigen kühnen und starken Zügen entworfen: lauter riesengroße Gestalten. Diesem Maß der Handlung und Personen entsprechend, dehnt der Dichter auch die Sprache ins Gigantische aus; sie erscheint groß und streng, voll majestätischen Wortpompes; oft enthält sie schroffe Zusammensetzungen, im Lyrischen seltsame Verschlungenheit der Wortfügungen, wodurch das Verständnis erschwert wird. Seine Bilder sind nicht selten von äußerster Seltsamkeit, ermangeln aber nicht jener „furchtbaren Grazie“, welche die Alten überhaupt an Ä. rühmten.
Die Zahl der von Ä. gedichteten Stücke wird auf 90 angegeben, von denen uns 82 dem Titel nach bekannt und die folgenden 7 erhalten sind: 1) der „Gefesselte Prometheus“, zu einer Trilogie gehörig, deren erstes Stück wahrscheinlich der „feuerbringende“, das letzte der „gelöste Prometheus“ war, eine der tiefsinnigsten und großartigsten Dichtungen des Altertums (hrsg. von Blomfield, Leipz. 1822; Schömann, mit Übersetzung, Greifsw. 1844; Wecklein, 2. Aufl., Leipz. 1872); 2) die „Sieben gegen Theben“, 467 aufgeführt, bildeten mit „Laios“ und „Ödipus“ eine Trilogie, an die sich das Satyrdrama „Sphinx“ schloß (hrsg. von Blomfield, Leipz. 1823; Ritschl, 2. Ausg., das. 1875); 3) die „Perser“, von 473, ein historisches Stück; welches die Niederlage des Xerxes bei Salamis behandelt (hrsg. von Blomfield, Leipz. 1823; Merkel, das. 1869; Schiller, Berl. 1869; Teuffel, 2. Aufl., Leipz. 1875); 4–6) die „Oresteia“, die einzige aus dem Altertum erhaltene Trilogie, 458 aufgeführt (hrsg. mit Übersetzung von Franz, Leipz. 1846; übersetzt mit „Prometheus“ von Oldenberg, Hildburgh. 1869), sicherlich eine der erhabensten Dichtungen, zu denen sich je die menschliche Phantasie emporgeschwungen hat; sie besteht aus dem „Agamemnon“ (hrsg. von Blomfield, Leipz. 1823; Klausen, 2. Ausg. von Enger, das. 1863; Schneidewin, Berl. 1856; Nägelsbach, Erlang. 1863; Keck, mit Übersetzung, Leipz. 1865; Enger, 2. Aufl. von Gilbert, das. 1874; übersetzt von W. v. Humboldt, das. 1816), den „Choephoren“ (hrsg. von Blomfield, das. 1824; Klausen, das. 1835; Bamberger, Götting. 1840; de Jongh, Utr. 1856) und den „Eumeniden“ (hrsg. von O. Müller, mit Übersetzung, Götting. 1833; Merkel, Gotha 1857; übersetzt von Schömann, Greifsw. 1845) und behandelt den Tod des Agamemnon, die Rache und die Sühnung des Orestes; 7) die „Schutzflehenden“, die Aufnahme des Danaos und seiner Töchter in Argos (hrsg. von Schwerdt, Berl. 1858; Oberdick, das. 1869). Gesamtausgaben außer der „Editio princeps“ (Vened. 1518) von Porson (Lond. 1806), Schütz (3. Ausg., Halle 1809–22, 5 Bde.), Wellauer (Leipz. 1825), W. Dindorf (vielfach, zuletzt das. 1865 u. 1869), G. Hermann (2. Aufl., Berl. 1859), Weil (Gieß. 1858–67, Leipz. 1884), Merkel (Oxf. 1871), Kirchhoff (Berl. 1880), Wecklein (das. 1884). Übersetzungen von Voß (Heidelb. 1827), Droysen (4. Aufl., Berl. 1884), Donner (Stuttg. 1869), Bruch (Bresl. 1881), Marbach (Leipz. 1882). Ein „Lexicon Aeschyleum“ veröffentlichten Wellauer (Leipz. 1830–31, 2 Bde.) und Dindorf (das. 1876). Vgl. Welcker, Die Äschylische Trilogie (Darmst. 1824; Nachtrag, Frankf. a. M. 1826).