MKL1888:Abwässer

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Abwässer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 7071
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Abwässer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 70–71. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Abw%C3%A4sser (Version vom 23.01.2023)

[70] Abwässer, die im Haushalt und namentlich in der Industrie abfließenden, mit verschiedenen Stoffen verunreinigten Wässer. Man rechnet in der Hauswirtschaft bei Vorhandensein einer Wasserleitung pro Kopf und Tag einen Verbrauch von etwa 50 Lit. Wasser und kann annehmen, daß dasselbe, wenn es aus einer kleinern, nicht industriereichen Stadt, ohne mit Exkrementen verunreinigt zu sein, in einen größern Fluß gelangt, eine Bedenken erregende Verunreinigung des letztern nicht hervorbringt. Dagegen werden manche kleinere Wasserläufe namentlich durch Industrieabwässer in solcher Weise verunreinigt, daß die öffentliche Wohlfahrt ernstlich gefährdet erscheint. Größere Städte mit Kanalisation können gar nicht daran denken, das Kanalwasser, welches sämtliche Exkremente und die Hauswässer, sowie die A. der Fabriken aufgenommen hat, selbst in größere Flüsse abzuleiten. In England, wo diese Verunreinigung der öffentlichen Wasserläufe einen erschreckend hohen Grad erreicht hatte, ist ein Gesetz erlassen worden, nach welchem jeder Fabrikant bestraft werden kann, welcher Wasser von bestimmter Qualität in einen Fluß leitet. Enthalten die A. nur mineralische Substanzen, wie z. B. in der Metallwarenindustrie, bei Paraffin-, Mineralöl- und Stearinfabriken, so ist es in der Regel leicht, sie unschädlich zu machen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die arsenhaltigen A., die durch Vermischen mit Eisen- und Mangansalzen und Fällen mit Kalkmilch unschädlich gemacht werden können. Seifenwässer der Tuchfabriken versetzt man mit Säuren, um aus der Seife fette Säuren abzuscheiden, welche gesammelt und in verschiedener Weise verwendet werden können, oder man mischt die A. mit Kalk, sammelt die abgeschiedene unlösliche Kalkseife und verarbeitet diese auf Leuchtgas oder scheidet daraus die fetten Säuren ab. Weitaus am bedenklichsten sind die A., welche fäulnisfähige Substanzen enthalten. In diesen Wässern entwickeln sich Algen und Pilze, welche oft ganze Wasserläufe erfüllen und zum Teil reduzierend auf Schwefelsäuresalze wirken, Schwefelwasserstoff entwickeln und dadurch die Fische töten und die Luft verunreinigen. Vor allem aber erscheinen solche Wässer als Herde für die Entwickelung von Krankheitserregern, und man hat sich daher vielfach um ihre Reinigung bemüht. Leider sind die Erfolge bis jetzt gering. Man erreicht durch Zusatz von Chemikalien (besonders schwefelsaurer Thonerde und Kalk) eine vollständige Klärung, auch eine Abscheidung mancher gelöster Stoffe, und wenn die geklärte Flüssigkeit sofort in einen großen Fluß geleitet werden kann, so sind die hauptsächlichsten Gefahren beseitigt. Dabei geht aber das in den Abwässern enthaltene Ammoniak vollständig verloren, und die erhaltenen Niederschläge, welche etwa 62 Proz. organische Substanzen enthalten, sind stark fäulnisfähig, schwer zu behandeln und haben unbedeutenden Wert für Landwirtschaft und Industrie. Auch das geklärte Wasser bleibt noch fäulnisfähig, weil es noch mehr als die Hälfte des in Form organischer Substanzen vorhanden gewesenen Stickstoffs enthält.

Besonders ausgebildet zur Reinigung von Abwässern, welche fäulnisfähige Substanzen enthalten, ist Sillars ABC-Prozeß, so genannt nach den dabei zur Verwendung kommenden Substanzen: Alum (schwefelsaure Thonerde), Blood (Blut) und Clay (Lehm). Man versetzt die A. sofort mit Blut, Holzkohle und Lehm, fügt dann schwefelsaure Thonerde, eventuell Kalk hinzu und läßt absetzen. Der Bodensatz wird gepreßt und getrocknet, das klare Wasser in den Fluß [71] geleitet. Die Süvernsche Masse besteht aus 100 Teilen Kalk, 8 Teilen Teer, 33 Teilen Chlormagnesium, mit Wasser auf 1000 Teile gebracht. Diese Masse reinigt das 100fache Gewicht Kanalwasser, der Niederschlag setzt sich bald ab, die Fäulnis des geklärten Wassers wird aber nur so lange aufgehalten, als noch Ätzkalk darin enthalten ist. Sobald dieser durch die Kohlensäure der Luft als kohlensaurer Kalk ausgeschieden ist, entwickeln sich wieder Fäulnisorganismen. Kann das geklärte Wasser sofort in einen größern Fluß abgeleitet werden, so leistet das Verfahren recht gute Dienste. Friedrich wendet eine Desinfektionsmasse aus Kalk, Thonerdehydrat, Eisenhydroxyd und Karbolsäure an und erhält eine klare Flüssigkeit, die nicht fault, solange sie alkalisch reagiert. Kalk eignet sich auch für die Reinigung der Haus- und Wirtschaftswässer und verhindert die Entwickelung des durch fette Säuren bedingten übeln Geruchs; immer aber ist Bedingung, daß das geklärte Wasser in einen großen Fluß abgeleitet wird, denn die Wirkung des Kalks hört bald auf, und dann entwickelt sich in dem Wasser auch von neuem Fäulnis. Zu hoher Kalkgehalt der A. wirkt in kleinen Wasserläufen nachteilig auf die Fische. Viel günstiger als die chemische Reinigung gestaltet sich die Filtration durch Sand, wobei die Flüssigkeit in kurzen Zwischenräumen aufgegeben wird, damit sie innerhalb des Filtriermaterials mit Luft in Berührung kommt. Unter diesen Umständen werden die organischen Stoffe zu Kohlensäure, Wasser und Salpetersäure oxydiert, und die Reinigung ist vollständig, wenn in 24 Stunden nicht mehr als 33 Lit. Flüssigkeit für 1 cbm Filtriermaterial aufgegeben wird. Zur Ausführung des Verfahrens muß man den zum Filtrieren bestimmten Boden in 2 m Tiefe gut drainieren, die Oberfläche ebnen und in vier Teile teilen, von denen einer nach dem andern die A. sechs Stunden aufnimmt. Da bei diesem Verfahren aber der ganze Dungwert verloren geht, der Boden vielleicht auch, weil er keine Vegetation zu tragen im stande ist, üble Gerüche entwickelt, so ist dasselbe höchstens für einzelne Fabriken zu empfehlen; im übrigen aber leistet die landwirtschaftliche Verwertung des Kanalwassers, die Berieselung von Kulturflächen, entschieden viel mehr.

Die größten Schwierigkeiten und Mißstände bereiten die A. der Zuckerfabriken. Eine Fabrik, welche täglich 4000 Ztr. Rüben verarbeitet, liefert in ihren Abwässern so viel organische Substanz, wie in den Abwässern einer Stadt von 50,000 Einw. enthalten ist. Diese A. gären ungemein leicht, verbreiten die widerlichsten Gerüche und verschlämmen kleinere Bäche vollständig. Von den zahlreichen zur Reinigung dieser A. angewandten Methoden verdient die von Bodenbender besondere Beachtung. Er sucht die Bildung von Buttersäure und Milchsäure im Betrieb der Fabrik möglichst zu vermeiden, scheidet durch Absetzenlassen und Filtrieren alle festen organischen Stoffe ab, setzt so viel Kalk zu, daß die Flüssigkeit noch sehr wenig Ätzkalk gelöst enthält, und pumpt sie nun auf ein Gradierwerk, auf welchem der in den Abwässern enthaltene Zucker schnell oxydiert wird, während buttersaurer und milchsaurer Kalk der Oxydation viel energischer widerstehen. Das gereinigte Wasser kann einem Bach übergeben werden, wenn derselbe auch nicht mehr als das Fünffache des Abwassers mit sich führt. Unter geeigneten Verhältnissen erweist sich auch Berieselung sehr wirksam, doch erfordert dieselbe sehr ausgedehnte Flächen. Müller sammelt die an Kohlehydraten reichen A. in Bassins, bringt sie auf 25–40° und steigert ihren Stickstoffgehalt durch Zusatz von Fleisch, Blut, Kleber, Exkrementen etc. auf 1 Proz. der organischen Substanz des Wassers. Unter diesen Verhältnissen entwickeln sich die fermentartig wirkenden Organismen sehr lebhaft, und die Zersetzung der gärungs- und fäulnisfähigen Substanzen erfolgt in sehr kurzer Zeit. Dabei sich entwickelnde lästige Dämpfe und Gase entweichen durch Drainröhren ins Feld. Das hinreichend zersetzte Wasser wird unter Zutritt von Luft durch Koksstaub, Kohle, Sand oder gewachsenen Boden filtriert und liefert ein sehr reines Drainwasser, während der auf den Filtern und in den Bassins abgelagerte Schlamm, frisch oder kompostiert, einen wertvollen Dünger darstellt. Vgl. Fischer, Die Verwertung der städtischen und Industrieabfallstoffe (Braunschw. 1875); Derselbe, Die menschlichen Abfallstoffe (das. 1881); Possart, Die Verwertung des Abfallwasser aus den Tuchfabriken, Spinnereien etc. (Berl. 1879).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 35
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[3] Abwässer (Stadtlauge). Die aus Haushaltungen stammenden A. (Hauswässer) besitzen, sobald das von Straßen und Plätzen abfließende Meteorwasser mit [4] ihnen sich mischt, in Bezug auf ihren Gehalt an schwebenden und gelösten fäulnisfähigen Stoffen eine sehr übereinstimmende Zusammensetzung, gleichviel ob ihnen die festen Exkremente aus Wasserklosetten beigemischt sind (Tabelle I) oder nicht (Tabelle II). Für landwirtschaftliche Zwecke soll sich das Wertverhältnis der A. aus Städten mit Abfuhrsystem zu demjenigen aus Städten mit Wasserklosetten etwa wie 10 : 12 stellen. Jedenfalls macht die getrennte Beseitigung der Exkremente die übrigen A. nur unwesentlich weniger fäulnisfähig, wenn auch diesem Satz nicht für alle Fälle absolute Geltung beizumessen ist. Die Zusammensetzung der A. schwankt mit den Jahreszeiten vermöge des Wechsels im Wasserverbrauch für Haushaltungszwecke sowie der Ungleichheit der atmosphärischen Niederschläge. Ebenso zeigen sich Schwankungen entsprechend den Lebensgewohnheiten an den Wochentagen und in den Tagesstunden. Für die Menge der Hauswässer ist der erfahrungsmäßige Verbrauch an Reinwasser pro Kopf und Tag maßgebend. Dieser schwankt zwischen 10 und 200 Lit. pro Tag, d. h. 3,65 u. 73 cbm pro Kopf und Jahr. Davon gehen etwa 10 Proz. infolge von Verdunstung ab, während die menschlichen Auswurfstoffe hinzukommen, so daß sich pro Kopf und Jahr etwa 3,78–74,1 cbm ergeben. Dazu kommt nun der Anteil der atmosphärischen Niederschläge, welcher von Straßen und Plätzen abfließt. Man wird denselben auf 50–75 Proz. der gesamten Niederschläge berechnen können, d. h. auf (0,5–0,75) hF1000 cbm, wenn h die Jahresniederschlagshöhe für den betreffenden Ort in Millimetern und F die Sammelfläche in Quadratmetern bezeichnet. Bei der Kostspieligkeit der Reinigung der A., und da bei heftigen Regengüssen kurze Zeit nach dem Beginn derselben der größte Teil der Unreinigkeiten von den Straßen fortgeschwemmt ist, so pflegt man den zuletzt abfließenden Teil stärkerer Niederschlage ohne weiteres in den Flußlauf zu leiten. Je besser das Pflaster der Straßen ist, je sorgfältiger es rein gehalten wird, und je stärker das Gefälle ist, um so größer darf dieser Teil sein. In Berlin bemißt man denselben zu fünf Sechstel der ganzen Regenmenge. Nach den verschiedenen Reinigungsmethoden erreicht man vor allem eine Entfernung der ungelösten Schwebestoffe, also eine Klärung, viel weniger eine Beseitigung der gelösten fäulnisfähigen Substanzen. Den größten Erfolg erreicht man durch Bodenberieselung, welcher die Filtration am nächsten steht, während die chemische Reinigung bisher nicht völlig befriedigende Resultate ergeben hat. Klares Aussehen und Abwesenheit von Bakterien bieten keinen Beweis für ausreichende Reinigung. Man erreicht ersteres sehr leicht z. B. durch überschüssigen Kalk als Fällungsmittel. Sobald aber der Kalk beseitigt wird (nach dem Einlassen des Wassers in den Fluß wird dieser Kalk durch den im Flußwasser enthaltenen doppeltkohlensauren Kalk gefällt), unterliegen die noch im Wasser vorhandenen organischen Stoffe sehr bald der Fäulnis. Diesem Übelstand wird am besten entgegenzuwirken sein, wenn man das gereinigte Wasser auf irgend eine Weise in möglichst innige Berührung mit Luftsauerstoff bringt. Zur Filtration benutzt man Sand, Kies, Steine, Koks und Torfmüll. Bei der aufsteigenden Filtration kommt der Sauerstoff der Luft sehr wenig zur Geltung, und die überdies wenig ökonomische Methode ist daher jetzt kaum noch im Gebrauch. Bei absteigender Filtration reißt das Wasser beständig kleine Luftmengen mit sich, und sobald man das Filter leer laufen läßt, findet gründliche Durchlüftung statt. Bei seitlicher Durchdringung des Filtermaterials (Torfmüll) wird das Filter zunächst überstaut, so daß beim Sinken des Wasserspiegels relativ große Flächenteile desselben für die Luft zugänglich werden und die Oxydation ziemlich energisch verläuft. Quantitative und qualitative Leistung der Filter wechseln mit dem Filtermaterial und können bei sorgfältiger Betriebsweise und hinreichender Größe der Filter erheblich gesteigert werden, immerhin erreicht man durch Rieselung ungleich bessere Resultate. Hierbei findet schnelle Ablagerung der Schwebestoffe statt, die gelösten organischen Stoffe werden zum Teil vom Boden absorbiert und vom Sauerstoff der Bodenluft und des Wassers oxydiert, während auch anorganische Stoffe absorbiert und von den Pflanzen aufgenommen werden. Voraussetzung so günstiger Wirkung sind Eignung des Bodens, ausreichende Größe der Rieselfelder und angemessene Verteilung der A. auf dem Rieselfeld der Zeit nach. Der Boden muß hauptsächlich durchlässig sein (eventuell zu drainieren), 1 Hektar kann etwa 15,000 cbm A. aufnehmen und ausreichend reinigen, wenn das Wasser in 10–12 Teile zerlegt wird, die in der Jahreszeit und der Witterung entsprechenden Zeitabschnitten zugeführt werden müssen. Für Zeiten strengen Frostes, wenn wegen der Bestellungsweise der Felder, etwa mit Wintersaat, ein Teil der A. keine Verteilung auf den Feldern finden kann, legt man Einstaubassins an, große, wenig tiefe Teiche, in denen die A. versinken und ihre Schlammteile auf der Oberfläche zurücklassen. Diese Flächen werden im Frühjahr nach der Abtrocknung in gewöhnlicher Weise bestellt. Da im übrigen die A. mit ziemlich hoher Temperatur auf den Feldern ankommen, so erfährt der Rieselbetrieb erst durch scharfen und anhaltenden Frost ein Hemmnis. Bei der [5] Anwendung chemischer Reinigungsmittel kommt innige Mischung derselben mit dem Abwasser und die Reihenfolge, in der die Zuschläge beigemengt werden, hauptsächlich in Betracht. Nach der Mischung kommen die A. in Behältern entweder zum Stillstand, oder sie werden so langsam fortbewegt, daß sich die Niederschläge ungehindert absetzen können. Vereinzelt werden die gereinigten Wässer nach dem Abziehen von den Niederschlägen auf Wiesen oder Äcker geleitet, um sie noch weiter zu reinigen. Ein wunder Punkt aller chemischen Reinigungsverfahren ist die große Menge der Niederschläge, deren Lagerung, Behandlung und Fortschaffung große Schwierigkeiten bereitet. 1 cbm A. liefert etwa 0,75–1,5 kg Schlamm, welcher zu 30 Proz. und mehr von den Zuschlägen herrührt, also auch verminderten Düngerwert besitzt. Wenn dieser Schlamm nicht rasch Abnahme findet, so können ernste Unzuträglichkeiten, mindestens große Belästigungen für die Gesundheit der benachbarten Bewohnerschaft entstehen. Die Klärbeckenanlage in Frankfurt a. M. für 18,000 cbm A. pro Tag besitzt vier gemauerte überwölbte Becken, welche die A. in sechs Stunden durchlaufen. Die Wässer gelangen aus den Zuleitungskanälen nacheinander in mehrere Kammern, in denen durch Netze die gröbern Schwebestoffe aufgefangen und die Zuschläge (schwefelsaure Thonerde und Kalk) nacheinander gegeben werden. Vor den Becken liegt eine sogen. Galerie, in welcher schwere Stoffe sich absetzen, und aus welcher die Wässer, in flacher Schicht über Wehrrücken fallend, mit Wechselbetrieb in die Klärbecken gelangen. In derselben Weise fallen die geklärten A. in eine Galerie vor dem untern Ende der Becken und fließen von hier aus in den Main ab. Der flüssigere Schlamm fließt aus den Becken in einen tief liegenden Kanal und wird aus diesem durch eine Schlammpumpe gehoben. Die festern Teile müssen ausgekarrt werden. Der Zufluß der Zuschlagflüssigkeiten wird durch Kaliberhähne geregelt. Nach dem Verfahren von Müller-Nahnsen (Ottensen, Halle, Dortmund) fallen die A., nachdem die Zuschläge (Kalk, lösliche Kieselsäure, schwefelsaure Thonerde) beigemischt sind, durch ein zentrales Rohr, welches in einer Scheibe mit durchlochter Unterseite endigt, in einen Brunnen von 5–10 m Tiefe und steigen in diesem so langsam auf (ein paar Millimeter pro Sekunde), daß die Niederschläge zu Boden sinken können. Schräg gestellte Tafeln leisten dem Aufsteigen von Schwebestoffen Widerstand und befördern mithin das Absetzen. Wenn nötig, passieren die A. noch einen zweiten Brunnen und gelangen dann in den Fluß. Durch eine Pumpe werden die Niederschläge aus dem Brunnen entfernt, ohne den Betrieb zu stören. Die Regelung der Zuschlagsmengen, entsprechend den Abwässermengen, erfolgt durch einen selbstthätig wirkenden Apparat. Prinzipiell stimmt mit diesem Verfahren dasjenige von Rückner-Rothe (Essen, Braunschweig) überein, nur werden hier die A. durch Luftverdünnung in einen Heberkessel gesaugt, der mit seinem untern Rand in den Brunnen eintaucht. In die obere Wölbung des Heberkessels mündet ein Rohr, welches zu einer Luftpumpe führt. Ein aus Latten hergestellter kegelförmiger Körper hängt im Brunnen unter dem Kessel und bedeckt sich bald mit niederfallenden Schlammteilen, so daß er aufsteigende Schwebestoffe am weitern Steigen hindert. Die Anwendung des Kessels gestattet, an Tiefe der Brunnen zu sparen, und ermöglicht eine sehr genaue Regelung der Wassergeschwindigkeit, entsprechend dem Verunreinigungszustand der A. Der Zufluß der Zuschläge (dieselben wie beim Müller-Nahnsenschen Verfahren) erfolgt auch hier durch einen selbstthätig wirkenden Apparat. Die Anlage in Wiesbaden ist eine Kombination der Frankfurter mit der Rückner-Rotheschen, insofern die A. zunächst die hintereinander liegenden Brunnen mit aufsteigender Bewegung passieren und dann zum weitern Absetzen der Schwebestoffe in größere Becken gelangen. Als Zuschlag wird nur Kalkmilch benutzt. Die Kosten der Reinigung der A. nach dem Verfahren von Müller-Nahnsen und Rückner-Rothe betragen etwa 1 Mk. pro Kopf und Jahr. Vgl. König, Die Verunreinigung der Gewässer (Berl. 1887); Gerson, Die Verunreinigung der Wasserläufe durch Abflußwässer aus Städten und Fabriken und ihre Reinigung (das. 1889); Heinzerling, Die Beseitigung der Abfallwässer (Halle 1885); Fadejeff, Die Unschädlichmachung der städtischen Kloakenauswürfe (deutsch von Menzel, Leipz. 1886).

[4]

Tabelle I In 100,000 Teilen Wasser fanden sich Teile:
Ge­lös­ter fes­ter Rück­stand Orga­nischer Ammo­niak Ni­tra­te und Ni­tri­te Ge­sam­ter Stick­stoff Chlor Schwebestoffe
Koh­len­stoff Stick­stoff mine­rali­sche orga­ni­sche ins­ge­samt
Grenzen 62,0 2,215 1,516 0,380 1,829 23,18 11,22 34,40
160,7 6,504 5,644 30,350 30,638 13,18 33,38 46,56
Durch­schnitt 82,4 4,181 1,975 5,435 6,451 11,54 17,81 21,30 39,11
Tabelle II In 100,000 Teilen Wasser fanden sich Teile:
Ge­lös­ter fes­ter Rück­stand Orga­nischer Ammo­niak Ni­tra­te und Ni­tri­te Ge­sam­ter Stick­stoff Chlor Schwebestoffe
Koh­len­stoff Stick­stoff mine­rali­sche orga­ni­sche ins­ge­samt
Grenzen 91,7 3,235 0,699 2,030 2,371 8,6 3,68 6,36 10,04
91,1 7,945 2,946 25,960 24,325 20,6 9,84 27,12 36,96
Durch­schnitt 72,2 4,696 2,205 6,703 0,003 7,728 10,66 24,18 20,51 44,69


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 34
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[3] Abwässer entstammen den Haushaltungen und der Straßenreinigung in Stadt und Land, den häuslichen Gewerben und den mechanischen Industrien, der Montanindustrie und den landwirtschaftlichen und chemischen Gewerben. Sie besitzen dieser Abstammung entsprechend ungemein verschiedenartige Zusammensetzung und Beschaffenheit, indes kommt es vor, daß A. aus verschiedenen Gruppen ganz ähnliche physiologische, physikalische und chemische Eigenschaften besitzen, so daß man bei der Beurteilung der Behandlungsweise, welcher sie zu unterwerfen sind, um eine schädliche Verunreinigung der natürlichen Wasserläufe durch dieselben zu verhüten, die A. nicht nach ihrem Ursprung, sondern nach ihren Eigenschaften in Gruppen sondern muß. Als solche Gruppen ergeben sich: 1) A. mit stickstoffhaltigen organischen Verunreinigungen, welche fäulnisfähig sind und das Vorkommen von Infektionsstoffen begünstigen; 2) A. mit Stoffen, welche den Gebrauch des Flußwassers, in welches sie abgelassen werden, zum Trinken, zum Hausgebrauch, in der Landwirtschaft oder in der Industrie beschränken oder die Fischzucht gefährden. Diese Gruppe enthält auch jene wenigen A., welche direkt giftige Stoffe enthalten, sie sind aber im allgemeinen von sehr verschiedenartiger Beschaffenheit und erfordern besondere Behandlung, je nachdem die Bestandteile ungelöst in der Schwebe erhalten werden oder in dem Wasser gelöst sind. Bei der Vielgestaltigkeit der schädlichen Wirkungen der in den Abwässern enthaltenen Substanzen auf Menschen, Tiere und Pflanzen entweder direkt oder mittelbar durch Veränderung der Oberfläche der Erde oder der Flußbetten oder durch Beschränkung der Brauchbarkeit des dadurch verunreinigten Wassers für viele Zwecke haben die Gesetzgebungen der verschiedenen Länder sich bemüht, gewisse Kategorien zu schaffen, welche sich den nach den örtlichen Verhältnissen verschiedenen Arten der schädlichen Wirkungen anpassen sollen. Die in den einzelnen Ländern aufgestellten Kategorien decken sich aber nicht, ja, wo aufeinanderfolgende Gesetzgebungen desselben Landes vorliegen, läßt sich eine Entwickelung der Anschauungen, nach welchen dieselben aufgestellt wurden, erkennen. Die von der englischen Gesetzgebung gestellten Anforderungen beziehen sich auf so kleine Flüsse, daß deren gesamtes Wasser, den Bedürfnissen der Industrie entsprechend, mehr oder weniger vollständig in A. umgewandelt wird, und sind deshalb so überaus streng, daß sie unmittelbar zur gewohnheitsmäßigen Verletzung des Gesetzes auffordern. Sollten manche Vorschriften des englischen Flußgesetzes auch nur annähernd erfüllt werden, so würden vielleicht manche Zweige der englischen Industrie zu Grunde gehen müssen. Der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands faßte daher in der Sitzung vom 24. Febr. 1889 die Resolution: Eine Feststellung von Grenzwerten des Gehalts an schädlichen Bestandteilen der A. beim Eintritt in die Flußläufe ist nicht durchführbar, weil solche Grenzwerte jeweilig den besondern Verhältnissen des einzelnen Falles anzupassen sind. Die Industrie erkennt im übrigen grundsätzlich ihre Verpflichtung an, nach Maßgabe der durch Wissenschaft und Praxis gegebenen Mittel Belästigungen durch A. nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu mindern. Gleichzeitig aber ist eine Abwägung der Interessen geboten, um bei entgegenstehenden und nicht zu versöhnenden Interessen das größere wirtschaftliche Interesse zu schützen.

Die Reinigung der A. mit stickstoffhaltigen organischen Verunreinigungen geschieht nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten: Alle A., welche als infektionsverdächtig im Sinne der Sanitätspolizei und der Veterinärgesetzgebung zu betrachten sind, müssen desinfiziert werden. Eine Verwertung nach vollzogener Desinfektion kommt gar nicht in Betracht. Alle nicht infektionsverdächtigen A. können verschiedenen Behandlungsweisen unterworfen werden, einerseits um die Verunreinigung der Gewässer zu verhüten, anderseits um dieselben für Dungzwecke zu verwerten. Bei den Abwässern der ersten Gruppe handelt es sich um Befreiung von Bakterien, und es ist nicht zu übersehen, daß hierbei neben etwa vorhandenen pathogenen Bakterien auch nitrifizierende Bakterien getötet werden, welche die Selbstreinigung der Gewässer bewirken. Die Fäulniskeime, welche eine Stadt mit ihren Auswurfsstoffen einem Flusse überliefert, bewirken zum guten Teil auch wieder die Reinigung des Flusses. Die Reinigungsmethoden dieser A. sind im allgemeinen diejenigen der Stadtlauge (s. Abwässer, Bd. 17). Die A. mit suspendierten ungelösten Bestandteilen reinigt man meist mit Hilfe von Klärteichen, auch ist die Anwendung der Elektrizität mehrfach empfohlen worden. A. mit vorwiegend mineralischen gelösten Substanzen können nur chemisch gereinigt werden, doch werden sie bisweilen auch nur bis zum Verschwinden jeder schädlichen Wirkung verdünnt. Manche der hier benutzten Reinigungsverfahren stellen sich als selbständige industrielle Prozesse dar, zu deren Ausführung die Fabrikanten nicht durch hygienische Rücksichten, sondern durch die Konkurrenz gezwungen werden. Die Prozesse liefern dann wieder A., welche aber minder schädlich sind als die ursprünglichen.

Man kann annehmen, daß die Verunreinigungen der Flüsse durch A. im allgemeinen unter sonst gleichen Verhältnissen bei großen Wassermengen weniger fühlbar sind als bei kleinern. Im einzelnen trifft dies nicht überall zu. Faulige Effluvien können im Sommer bei Hochwasser mehr schaden als im Winter bei niedrigem Wasserstand. Auch verschlammen große Wasserläufe mit sehr langsamer Strömung leichter als kleinere, schnell fließende Gewässer. Für die Größe der zulässigen Verunreinigung der Flüsse lassen sich kaum allgemeine Regeln aufstellen; sie richtet sich vielmehr wesentlich nach zeitlichen wie nach örtlichen Verhältnissen. Denn die meisten an sich schädlichen Stoffe wirken nur von einer bestimmten Konzentration an und auch dann noch verschieden bei den verschiedenen Pflanzen und Tieren und je nach der Temperatur. Wieweit die Verdünnung oder Reinigung der A. zu treiben ist, ehe sie in einen Fluß abgelassen werden, kann nur nach Erwägung aller dabei mitsprechenden örtlichen Verhältnisse festgestellt werden. Denn wenn an einem Orte die Industrie zunimmt, so kann man derselben nicht allein die Schuld an der steigenden Verunreinigung des Wassers zuschreiben, weil dann ja auch eine Vermehrung der menschlichen Haushaltungen eintritt und deren A. ebenfalls in den Fluß gelangen. Wenn eine Häufung von industriellen Anlagen an einem kleinen Flusse stattfindet, so daß das [4] Wasser desselben auf lange Strecken unbrauchbar für andre Gewerbe und die Landwirtschaft wird, wenn die Selbstreinigung des Flusses keine genügende Abhilfe schafft und sich Schlamm in dem Flußbett und am Ufer absetzt, so müssen nach Vorschlag der Chemnitzer Handels- und Gewerbekammer besondere Schlammfänge mit oder ohne künstlichen Niederschlagsmitteln eingerichtet werden. Der Hauptzweck derartiger Einrichtungen würde darin liegen, die A. im Gemisch mit dem Flußwasser und den regelmäßigen meteorischen Niederschlagen in eine Verdünnung zu bringen, welche die Selbstreinigung durch das vegetabilische und animalische Leben ermöglicht und befördert. Die Kosten für solche Einrichtungen würden zunächst vom Staate zu tragen und später je nach den voraussichtlich guten Erfolgen auf die industriellen Betriebe der ganzen Strecke zu verteilen sein.

Vergleicht man die Sterblichkeit in den einzelnen Provinzen Preußens, so ergibt sich, daß, abgesehen von Schleswig-Holstein, welches seinen ausgezeichneten Gesundheitszustand offenbar dem Seeklima und dem kräftigen Menschenschlag verdankt, gerade die industriereichsten Landesteile die günstigsten Sterblichkeitsverhältnisse aufweisen. Offenbar ist dies eine Folge des durch die Industrie verbreiteten Wohlstandes und der dadurch veranlaßten Gewöhnung an bessere Lebenshaltung. Durch eine große Reihe von Untersuchungen hat sich herausgestellt, daß, wo immer die Ursache der Entstehung von epidemischen Krankheiten oder erhöhter Sterblichkeit schlechtem Wasser zugeschrieben werden muß, dasselbe durch stickstoffhaltige organische Substanzen und die in ihnen lebenden gesundheitsschädlichen Bakterien verunreinigt ist, ferner daß eine wirkliche Schädigung der Gesundheit der Flußanwohner durch die A. von Fabriken oder gar die Entstehung von epidemischen Krankheiten durch dieselben bisher noch nicht nachgewiesen ist. Die sorgfältigen Erhebungen der englischen Flußverunreinigungskommission haben es nicht ermöglicht, darüber zu entscheiden, ob der verunreinigte Fluß auch die Ursache von Krankheiten sei. Das sächsische Landesmedizinalkollegium und die Technische Deputation des Ministeriums des Innern in Dresden faßten die Ergebnisse eingehender Untersuchungen bis 1885 dahin zusammen, daß die Entstehung bestimmter Krankheiten aus der Flußverunreinigung durch Fabrikabwässer nirgends nachzuweisen, daß aber ein nachteiliger Einfluß auf den allgemeinen Gesundheitszustand an solchen Orten, wo das Übel einen ungewöhnlich hohen Grad erreicht hat, nicht unwahrscheinlich ist. Auch die preußische Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen erklärte 1888, daß trotz des unzweifelhaften Vorhandenseins einer großen Menge faulender Stoffe in der Wupper ein direkter Einfluß auf die allgemeine Sterblichkeit und auf die Häufigkeit von Infektionskrankheiten nicht nachgewiesen ist. Vgl. Jurisch, Die Verunreinigung der Gewässer (Berl. 1890).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 2
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[2] Abwässer, s. Gesundheitspflege.