MKL1888:Affekt
[4] Affekt,[WS 1] psychologisch wie im gewöhnlichen Sprachgebrauch eine schnell vorübergehende Veränderung im Gemütszustand. Während Stimmungen (s. d.) Tage und Wochen hindurch andauern können, halten Affekte nur kurze Zeit an, indem sie entweder als Höhepunkte einer Stimmung oder unabhängig von diesem Untergrund auftreten. In der Entwickelung eines jeden Affekts lassen sich drei Glieder trennen: 1) Bei jedem A., sei er Entzücken oder Entsetzen, Schrecken oder Wut, tritt im ersten Augenblick eine Überraschung ein. Der Gegensatz zwischen dem Erwarteten und dem thatsächlich Eintretenden äußert sich in einem rasch verfliegenden Stocken der Vorstellungsthätigkeit: die Person steht „wie erstarrt“ da, sie „kann keine Worte finden“ u. dgl. m. 2) Auf dieses Stadium folgt sehr schnell ein zweites, in welchem das Individuum von einer Beschleunigung oder von einer Verlangsamung der Gedanken- und Gefühlsarbeit heimgesucht wird. Im ersten Fall spricht man von einem erregenden A.; der Zorn beispielsweise füllt das Bewußtsein übermäßig mit einer Unzahl sich überstürzender, in derselben Richtung liegender Vorstellungen an. Im andern Fall hat man es mit einem niederschlagenden A. zu thun; während seiner Andauer findet eine Verringerung des Bewußtseinsumkreises, gewissermaßen eine Entleerung des Bewußtseins statt. Hierhin gehören Scham, Schrecken, Entsetzen. 3) Sowohl bei den erregenden wie bei den niederschlagenden Affekten stellt sich endlich eine beträchtliche Veränderung in den Ausdrucksbewegungen und im Muskel- und Gefäßsystem ein. Die erregenden Affekte pflegen von ausgeprägten und schnellen Bewegungen, starken Muskelspannungen und Beschleunigungen im Kreislauf [5] (sichtlich am Erröten, Anschwellen der Adern etc.), die niederschlagenden Affekte von den gegenteiligen organischen Äußerungen (matten Bewegungen, Erschlaffung der Muskeln, Erblassen) begleitet zu sein. Vgl. Domrich, Die psychischen Zustände (Jena 1849).