MKL1888:Afghanistan

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Afghanistan“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 142148
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Afghanistan. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 142–148. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Afghanistan (Version vom 05.03.2023)

[142] Afghanistan (das Drangiana und Ariana der Alten, hierzu Karte „Afghanistan“), der 721,700 qkm (13,106 QM.) große und von ungefähr 4 Mill. Menschen bewohnte nordöstliche Teil des vorderasiatischen Plateaus von Iran. Es liegt mit Einschluß der 1872 bis 1873 ihm zugewiesenen Länder südlich des Oxus zwischen 291/2–381/4° nördl. Br. und 61–74° östl. L. v. Gr. und wird im N. von den jenseit des Flusses liegenden Chanaten Karategin, Kolab, Hissar und Bochara und dem Transkaspischen Gebiet Rußlands, im O. von dem indobritischen Reich, im S. vom englischen Distrikt Quetta mit Pischin und Sibi, dann Belutschistan, im W. von Persien begrenzt. A. ist ein nach W. zu sich abdachendes Hochland, im N. von dem Hindukusch umschlossen, dessen höchste Gipfel 8000 m und darüber erreichen; im W. tritt das Randgebirge der Persischen Wüste heran; von Indien wird A. abgeschlossen durch die 3443 m hohe Suleimankette, weiterhin durch den Safedkoh, 4760 m hoch, mit den Chaiberbergen. An den Hindukusch schließen sich westlich, in derselben Richtung streichend, die unter dem Namen des Paropamisus begriffenen Höhenzüge an, die sonst für unwegsam galten, aber 1882 durch den Russen Lessar bereist wurden und ein sogar mit einer Eisenbahn leicht zu übersteigendes Sandsteingebirge von etwa 400 m Höhe sein sollen. Hindukusch und Safedkoh entsenden zahlreiche Ketten nach S. und machen den

[Ξ]

AFGHANISTAN.
Maßstab 1 : 5 400 000

[143] östlichen Teil von A. zu einem unwegsamen, leicht zu verteidigenden Gebirgsland. Von diesen Ausläufern ist am wichtigsten die Kwadscha Amran-Kette, der Gebirgswall Afghanistans gegen Belutschistan, an dessen Fuß nach W. die Lora abfließt; östlich setzt sie sich durch Verzweigungen in Verbindung mit dem Suleimangebirge. Seit 1884 ist englischerseits vom Quettadistrikt aus die Anlage einer schmalspurigen Gebirgsbahn über diese Kette geplant. Ungeachtet der Schwierigkeiten, welche dieses nur von wenigen Pässen durchschnittene Gebirgsland dem Vordringen bereitete, bot A. doch bis zur Entdeckung des Seewegs den einzigen Weg nach Indien; Heere wandernder Völker zogen durch A. nach Indien, Missionen heraus, Karawanen hin und her. Die Hauptpässe sind gegen N.: der Chawak, 328 v. Chr. von Alexander d. Gr., im 14. Jahrh. von Timur durchzogen; Bamian, durch welchen Dschengischan 1219, Nadir Schah 1731, Leutnant Sturt 1840 zur Probe mit Artillerie, die russische Gesandtschaft 1878 mit ihrer zahlreichen Eskorte zogen, und der Kutschân (Ghurband), über den Alexander d. Gr. 327 v. Chr. seinen Weg von Baktrien zurück nahm. Gegen O. gewähren der Kabul, Kurum und Gomalstrom allein einen Ausweg nach Indien; der Chaiberpaß (984,8 m hoch) längs des Kabul ist der kürzeste und am meisten benutzte; nach S. gelangt man durch den Bolanpaß. Die vier Hauptstädte des Landes, Kabul, Ghasni, Kandahar und Herat, verdanken ihre Größe, einstigen Glanz und gegenwärtige Bedeutung den von Indien nach Persien und Turkistan führenden großen Handelsstraßen. – Die Flüsse sind nur für die Bewässerung des Landes wichtig. Der bedeutendste ist der Hilmend, welcher wie der Farud und Harud in den großen Hamunsumpf im S. sich ergießt. Der Kabul fließt in südöstlicher Richtung zum Indus. Alle diese Flüsse entspringen am Südabhang des Hindukusch und seiner westlichen Fortsetzungen. Erst westwärts, dann nordwärts ziehen der Heri Rud, der in seinem Unterlauf die Grenze gegen Persien bildet, und der Murghab; beide verlieren sich im Turkmenengebiet. Der Amu Darja bildet einen Teil der Nordgrenze. – Das Klima ist vorherrschend trocken mit wenig Regen; die durchschnittliche Wärme ist im Gebirge infolge der höhern Lage niedriger als im benachbarten Indien; strenger Winter mit Schneestürmen herrscht in den nördlichen Gebirgen, die Tiefländer zeigen dagegen wieder Extreme der Hitze. Die Bodenschätze sind noch nicht ausgebeutet. In der Pflanzenwelt sind die verschiedensten Gewächse vertreten. A. eigen und dem Nachbarland Indien fremd sind Trauben, Aprikosen, Äpfel, Birnen, Walnüsse. In der Tierwelt begegnet man Tigern, Wölfen, Hyänen, Schakalen; im südlichen A. dem Kiang (Equus Onager), einer besondern Art wilder Esel, im NO. Affen; unter den Haustieren sind berühmt die Pferde, das fettschwänzige Schaf und die Kamele.

Die Bevölkerung von A. ist gemischt aus Afghanen, Pathan, Ghilzai, Tadschik und Hazara; an den Grenzen wohnen im NW. Aimak und Uzbeken, im NO. Kafir. Zur Nation zusammengewachsen sind diese Völker durch die Religion (Islam) und die politischen Erfolge im vorigen Jahrhundert unter Führung des noch heute dort herrschenden Duranistamms der Afghanen. Die Afghanen bilden mit rund 1 Mill. Köpfen die Mehrzahl. Nach ihrer Überlieferung sind sie Einwanderer aus Syrien, wohnten zuerst im W., zogen im 7. Jahrh. n. Chr. ostwärts und haben heute Kandahar und die hier einmündenden Thäler zu Hauptsitzen. Im Äußern nähern sie sich den Radschputen des westlichen Indien, dessen frühere Einwanderer in A. sie verdrängten. Unter den zahllosen afghanischen Stämmen spielen politisch die bedeutendste Rolle die Durani, deren Stamm auch den Landesherrn gibt. Einflußreich und in den Thälern südlich der Hauptstadt Kabul tonangebend sind sodann die Ghilzai, ein volkreicher Stamm mit reichen Überlieferungen. Pathan ist der einheimische Name für die von Ethnographen „indische Abteilung der Afghanen“ genannte Bevölkerung der nach Indien sich abdachenden Thäler. Jusufzai ist Gesamtname für die afghanischen Stämme am rechten Kabulufer; Afridi sind die Hauptvertreter der längs der indischen Grenze wohnenden Afghanen, die sich sowohl von A. als Britisch-Indien ihre Unabhängigkeit noch wahrten, seit 1880 aber durch reiche Subsidien für englische Interessen gewonnen werden. Khattak und Kakar sind rohe Stämme zwischen der Stadt Kandahar und dem Indusstrom, die 1879–80 zum erstenmal mit Europäern in Berührung kamen und 1884 wegen Raubeinfalls im britischen Distrikt eine Züchtigung durch eine angloindische Militärabteilung erfuhren; bei näherer Erforschung ihrer reichen Sagen und eigentümlichen Sitten versprechen dieselben wichtige Aufschlüsse über die ethnographischen Verhältnisse des Landes zu liefern. Reste der persischen, vorafghanischen Bevölkerung sind die zahlreichen Tadschik, der ruhigste und friedliebendste Teil der Bewohner (s. unten). Dem zentralasiatischen Stock gehören die Hazara an, nordöstlich von Herat; Reste einer uralten arischen Einwanderung sind die Kafir an den Seiten des Kabulflusses von N. her. Im Äußern ist die zur Nation der Afghanen zusammengewachsene Bevölkerung von stattlichem Körperbau und schlankem Wuchs; das Auge ist voll Leben, das schwarze, starke Haar hängt in Locken an der Seite herunter; ein dunkler Vollbart umrahmt das Gesicht. Ihr Aussehen hat aber doch meist etwas Abstoßendes: der Hals ist nicht lang und sitzt tief in den Schultern, die Haut hat einen matten Glanz und ein schwärzliches Ansehen. Der Afghane ist ausdauernd und unerschrocken; kriegerische Beschäftigung gilt ihm als das Höchste. Die Kleidung ist nur darin von der indischen verschieden, daß die Männer weite Hosen tragen; den Oberkörper deckt ein langer Überwurf, der bis an das Knie reicht; die Füße stecken in Schuhen oder Halbstiefeln, den Kopf schirmt ein Turban oder eine Mütze. Die Stoffe sind Tuch oder Seide und nach dem Vermögen der Besitzer verziert. Die Wohnungen sind Häuser, meist aus Backstein und einstöckig mit plattem Dach und im Innern ohne Tische und Stühle; Zelte, deren Boden mit dickem Filz oder wollenen Decken belegt ist, führen die nomadisierenden Stämme. Die Speisen sind nicht mehr vorwiegend vegetabilisch wie in Indien; Schaffleisch in verschiedener Form gilt als Bedürfnis, Obst als angenehmer Nachtisch. Seinem Charakter nach ist der Afghane leicht erregt und heftig; Unbarmherzigkeit wie Streitsucht sind Folge hiervon. Vielweiberei ist durch den Koran sanktioniert; die Frau ist aber hier, wie in Indien, als Lebensgefährtin und Erwerberin in der Hauswirtschaft mehr geachtet als in den westlichen Gegenden mohammedanischen Glaubens. Die Tadschik („Kronenträger“, so genannt von der Kopfbedeckung der Parsen, dann überhaupt s. v. w. Persischredende) bilden rund ein Zehntel der Gesamtbevölkerung; sie sind gewöhnlich groß, haben schwarze Augen und Haare und einen länglichen Kopf. Durch die jahrhundertelange Bedrückung haben diese Afghanen viele schlechte Eigenschaften angenommen, und in ihrer gegenwärtigen Vermischung sind sie [144] wohl zum verworfensten Volk der indogermanischen Sprachengruppe herabgesunken. Ihr niedriger Sinn äußert sich hauptsächlich in Treubruch, in Betrügereien und Diebstählen. In Sachen der Religion affektieren die Tadschik die größte Verehrung vor den Geboten des Korans, doch nur, solange sie sich in Gegenwart Strenggläubiger befinden. Kriechend im Umgang, vergessen sie doch nie, für sich zu sorgen. Sie leben hauptsächlich in den Städten oder in ihrer Nähe und sind gewandte Kaufleute mit Verbindungen bis weit nach Innerasien hinein.

Sitz der Reichsregierung, des Emirs (aus Amir verderbt), ist Kabul im NO. des Landes. Zum Zweck der Verwaltung ist das Reich in Provinzen, diese in Kreise abgeteilt. Ein Ziviloberbeamter sorgt für die Steuereinhebung, für öffentliche Ruhe und ist Vorsitzender der Appellhöfe; Befehlshaber des Heers ist ein General, dem zugleich die Ausführung der Befehle des Ziviloberbeamten obliegt; oft sind beide Ämter vereinigt. Neben dem allgemeinen mohammedanischen Gesetz des Korans gilt ein altes rohes Gewohnheitsrecht (Puschtunwalle); Selbsthilfe ist zwar verboten, aber der Hang hierzu noch nicht ausgerottet. Die Strafrechtspflege ist willkürlich, wie in allen mohammedanischen Staaten; doch ist unter den Afghanenstämmen das althergebrachte Recht auf Mitwirkung des Volks in der Rechtsprechung noch nicht erloschen, sondern wird bis zur Stunde geübt. Das Heer besteht schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts aus einem besoldeten Stamm als Kern, an den sich im Krieg das Aufgebot der waffenfähigen Mannschaft anschließt. Organisation wie Bewaffnung wurden unter dem jetzigen Emir europäisch; die englischen Bezeichnungen Colonel (Oberst), Major und Adjutant sind als Kernel, Medgir und Adjodan Titel der entsprechenden Chargen. Alle Regimenter führen Musketen, nur wenige Tausende sind darunter Vorderlader oder gar Luntenflinten. Die Armee zählt rund etwa 50,000 Mann mit 123 Feldgeschützen. Doch fehlte es im Krieg von 1878 bis 1880 noch an gebildeten Offizieren.

Hauptbeschäftigung der Einwohner bilden Ackerbau und Viehzucht. Die Ackerbauer stehen in verschiedenem Verhältnis zu dem von ihnen bebauten Boden. Manche sind Grundeigentümer; vielfach ist das Besitztum klein, da nach mohammedanischem Gesetz beim Absterben des Vaters das Grundvermögen unter alle Söhne geteilt wird. Das erbliche Recht am Boden hat seinen Grund teils in der ursprünglichen Verteilung innerhalb der Familienverbände bei der Besitzergreifung, teils in Urbarmachung, teils in Ankauf oder in Schenkungen von seiten der Fürsten. Bei größerm Grundbesitz geschieht das Austhun entweder gegen Geld oder gegen einen Teil des Ertrags; auch kommt ein Meierverhältnis vor, wobei der Eigentümer Saatkorn, Vieh und Ackergeräte gegen einen ausbedungenen Teil des Ertrags stellt. Die Gewerbe liefern Waffen, deren Güte und Mannigfaltigkeit sich durch Errichtung einer Artilleriewerkstätte in Kabul steigerten, grobe Tücher aus Schafwolle und Kamelhaaren und dauerhafte Baumwollstoffe. Seidenstoffe und alle bessern Gegenstände im Haushalt wie für den Anzug bringt der Handel ins Land, der sich fast ganz in den Händen der Tadschik und der Fremden (Hindu und Armenier) befindet. Es treten hierin Rußland von Turkistan aus und England von Indien aus in Mitbewerbung. Man trifft auf den Märkten viele russische Waren, aber Zahlen fehlen noch über die Höhe des Umsatzes mit Turkistan; mit Indien wertete dagegen der Handel 1877 vor Ausbruch des englisch-afghanischen Kriegs 32 Mill. Mk., ging zwar unter den Kriegswirren auf die Hälfte herunter, hob sich aber dann wieder und ward lebhafter als früher, da der Emir für die Sicherheit der Karawanen sorgt und eine Postverbindung mit Indien eingerichtet hat. Die Hauptabgabe an den Emir besteht in einer Grundsteuer; dazu kommen Stadt- und andre Zölle, besonders Durchgangszölle, der Ertrag der Krongüter, Überschuß der Münze, Geldstrafen und Tribute. Leider greifen Fürst wie Beamte auch zu Erpressungen zur Füllung ihrer Kassen.

Die afghanische Sprache, welche sich selbst als Paschtu oder Puschtu bezeichnet, ist nach Trumpp und Spiegel eine selbständige Sprache, welche an den Flexionsgesetzen und dem Wortschatz der indischen wie iranischen Sprachengruppe teilnimmt, jedoch vorwiegend indisches Gepräge zeigt und am nächsten an die neuindischen Sprachen angeschlossen wird. Vgl. Dorn in den „Mémoires de l’Académie de St.-Pétersbourg 1850“; dann die umfassendern grammatischen wie lexikalischen Arbeiten Ravertys („Grammar of the Pushto“, 3. Aufl., Lond. 1867; „Dictionary“, 2. Aufl., das. 1867, und „Pushto manual“, das. 1880); Bellews Grammatik und Lexikon (beides das. 1867) und vor allem des Deutschen Trumpp „Grammar of the Pashtu, or language of the Afghans“ (das. 1873). Die Sprache zerfällt in verschiedene, in manchen lautlichen Dingen sehr abweichende Dialekte. Die Litteratur ist weder sehr umfangreich noch selbständig, sondern in ihrem Geiste durch den Islam, in ihren Formen durchweg durch persische Vorbilder bestimmt. Ein Bild derselben geben die Sammelwerke von Dorn („Chrestomathy of the Pushtu“, Petersb. 1847), von Raverty („The Gulshan-i-Roh, being selections prose and poetical“, 2. Aufl., Lond. 1867; „Selections“, das. 1867) und Trumpp in der „Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“ (Bd. 21 u. 23).

Früher bildete jeder Stamm innerhalb des von ihm bewohnten Gebiets ein Gemeinwesen für sich, das seine Angelegenheiten in republikanischen Formen durch Älteste und Ausschüsse verwaltete. Es gab dem Namen nach ein gemeinsames Oberhaupt mit der Residenz in Kabul; aber wenn nicht die Aussicht auf einen glücklichen Raubzug in das benachbarte Indien winkte, konnte der Herrscher auf Gehorsam und Heeresfolge nicht zählen. Dies änderte sich mit dem Übergang der indischen Grenzprovinz Pandschab von den Sikhs in die starke Hand Englands (1845). Die Zeit der Einfälle großen Stils nach Indien ist von nun an vorüber, die alte volkstümliche Verwaltung gefallen. A. ist ein despotisch regierter Staat und zerfällt in folgende Provinzen. Südlich des Hindukusch liegen: a) Kabul, das Quellgebiet des Flusses gleichen Namens, die Ausläufer des Hindukusch, umfassend; b) Ghasni, wozu die Hochthäler südlich von Kabul, westlich bis Indien gehören; c) Kandahar, der Südosten, d) Seïstan, der Südwesten des Landes; e) Herat oder das Thal des Heri Rud. Nördlich des Hindukusch liegen (von W. nach O.) Maimana (erobert 1883), Turkistan, Badachschan und Wakhan. Jeder Provinz steht ein Zivilgouverneur vor mit einem Stab von Beamten und Generalen.

Geschichte. A., im Altertum nur Durchzugsland der verschiedensten Völker auf ihren Wanderungen und Kriegsunternehmungen gegen Indien, war von arischen Stämmen bevölkert. Zur Zeit der Blüte des Ormuzd-Glaubens Zoroasters (Zarathustras), der altpersischen Religion, waren die Hauptsitze dieser [145] Religion der Westen und im Norden das heutige Balch. Die Stadt Kophene (d. h. Kabul) wurde von den unter König Salmanassar (695–667) bis an den Indus vordringenden Assyrern gegründet. Kabulistan oder Nordafghanistan leistete diesen, dann den Medern, dann Kyros (548) Tribut. Im 4. Jahrh. waren die von Ariern bewohnten Länder östlich von Kandahar in zehn Staaten gespalten; im 1. Jahrh. vor bis 100 n. Chr. hatten hier die griechisch-indischen Könige wie die Indoskythen ein gefürchtetes Reich gebildet; in Kandahar waren Parther, d. h. Völker vom iranischen Stamm. Der Buddhismus war hier die herrschende Religion. Die Afghanen, das jetzt herrschende Volk, drangen von Südwesten nach Norden vor, vertrieben die Arier und führten die jetzt noch existierende Stammesverfassung ein: das Volk teilt sich in Stämme mit einem Chan als Oberhaupt, diese in Geschlechter und diese in Unterabteilungen, mit Maliks, Muschirs und Spinzeprah (Weißbart) an der Spitze. Der Stamm wie die einzelnen Abteilungen heißen Uluß. Die Dirgha, die Gesamtheit der Familienhäupter, gleichzeitig auch das Gericht, steht über den Chanen. In neuerer Zeit haben letztere sich aber häufig unabhängig gemacht. Im J. 664 wurden Belutschistan und das südliche A. von den Arabern erobert, 683 Kabul ihnen tributpflichtig. Im J. 812 erfolgte die erste Auflehnung der arabisch-indischen Statthalter gegen die Kalifen; es bildeten sich dann, freilich nur auf kurze Zeit, selbständige Reiche. Im J. 1001 stand ganz A. unter der Herrschaft von Mahmud, aus der 961 zu Ghasni gegründeten Dynastie. Im J. 1140 zerfiel das Reich der Ghasnawiden. Noch einmal nahmen die Afghanen Besitz vom Thron zu Dehli, bis ihnen die Schlacht von Panipat 1525 für immer die Herrschaft über Hindostan entriß. Gegen Persien wie gegen den Großmogul von Dehli sich behauptend, herrschte sogar 1722 eine Afghanendynastie über ersteres Land. Nadir Schah und Chorasan besiegte sie 1731. Im J. 1747 gründete Achmed Schah Abdalli nach der Ermordung Nadirs ein Afghanenreich, von Chorasan im Westen bis Serhind im Osten vom Pandschab, vom Oxus im Norden bis zum Meer im Süden reichend. Innere Streitigkeiten führten aber bald zu Teilungen und zu Einmischungen der benachbarten persischen und indischen Reiche. Schah Sudschah, ein Nachkomme von Achmed Schah, welcher sich nur in Herat gegen die Söhne des Ministers Fateh Chan, die Kabul und Kandahar in Besitz hatten, behaupten konnte, erbat die Hilfe der Engländer gegen letztere. Diese gewährten solche: 1. Okt. 1838 erging von der indischen Regierung ein Manifest gegen Dost Mohammed, einen Sohn Fateh Chans, in welchem demselben Treubruch gegen einen indischen Verbündeten sowie ein Bündnis mit Persien gegen England vorgeworfen wurden. Englische Truppen (9000 Mann) besetzten 21. April 1839 Kandahar, 23. Juli Ghasni; Sudschah wurde 7. Aug. in seine Rechte eingesetzt. Am 5. Nov. 1840 ergab sich Dost Mohammed den Engländern nach einer neuen Niederlage. Schah Sudschah wußte jedoch nicht seine Unterthanen zufriedenzustellen, und die Engländer zogen sich deren Haß durch ihren Übermut in so hohem Maße zu, daß 2. Nov. 1841 einige hervorragende Engländer und dann in Kabul alle Europäer ermordet wurden. Nur 6000 Mann behaupteten sich in einem befestigten Lager, welche aber auch infolge der Schwäche des kommandierenden Generals und des durch den Sohn Dost Mohammeds, Akbar, bethörten u. später ermordeten Residenten den Rückzug antraten. Nur 270 Soldaten mit 2000 Mann Train etc. kamen glücklich nach Indien. Durch die Besetzung von Kabul 15. Sept. 1842 wurde die soldatische Ehre wiederhergestellt, aber nach vierwöchentlichem Aufenthalt kehrten die Engländer nach Indien zurück. Dost Mohammed bestieg den Thron in Kabul wieder. Neben ihm war Kohandil Chan zu Kandahar der mächtigste Fürst in A.; er unterlag jedoch im Kampf mit Dost Mohammed, welcher sich zum Herrn von Kandahar machte und 1862 auch Herat, das sich unabhängig (1823) gemacht hatte, sich unterwarf. Nachdem er so alle Teile Afghanistans auf dem rechten Indusufer wieder unter seine Botmäßigkeit gebracht hatte, starb er 9. Juni 1863 in Herat. Schon 1855 war zwischen ihm und den Engländern ein Vertrag zu stande gekommen „zu ewigem Frieden mit Dost Mohammed und seinen Erben“; 1857 war derselbe erneuert. Dessenungeachtet zögerten die Engländer mit der Anerkennung des von Dost Mohammed zum Nachfolger bestimmten Schir Ali Chan. Die Brüder desselben, Azim und Afzul, lehnten sich infolgedessen gegen ihn auf, und nachdem beide Kabul eingenommen und 10. Mai 1866 Schir Ali geschlagen hatten, ließ sich Afzul 21. Mai als Emir von A. ausrufen und erhielt die englische Anerkennung. Nach seinem Tod (Oktober 1867) folgte ihm Azim in der Regierung von Kabul. Den ganzen Süden und Westen von A. hatte indessen noch Schir Ali inne; er sammelte ein neues Heer, wurde aber bei Kelat 17. Jan. 1867 geschlagen, verlor infolgedessen den Süden seines Reichs und floh nach Herat. Mit Hilfe von Balch gelang es ihm aber, im September 1868 Kabul zu nehmen und im Dezember Azim bei Ghasni zu schlagen. Hiermit endete der 41/2jährige Bürgerkrieg, hauptsächlich dadurch veranlaßt, daß die Engländer den von Dost Mohammed bestimmten Thronerben nicht sofort anerkannten. 1869 begab sich Schir Ali nach Ambana (im Pandschab) zur Begrüßung des Vizekönigs Lord Mayo. Es wurden ihm „auf die Dauer guten Verhaltens“ Subsidien zugesichert. Der russisch-englische Depeschenwechsel vom 17. Okt. 1872 bis 31. Jan. 1873 teilte alle Länder südlich des Amu Darja bis Chodscha Saba, dann die Städte westlich zwischen Balch und Herat, südlich der Turkmenenwüste, A. zu. Schir Alis Sohn Jakub Chan, der seit 1871 unabhängige Herrscher von Herat, folgte 1874 der Aufforderung seines Vaters, zur Regelung der Thronfolge nach Kabul zu kommen. Abdullah Chan wurde als Thronerbe anerkannt, Jakub Chan aber gefangen genommen und Herat 19. Jan. 1875 von Truppen des Emirs besetzt. Ein Aufstand im Kabulthal bis nach Indien hin zu gunsten des gefangenen Jakub unter Führung von Nauroz Chan führte zu keinem Resultat; Anfang 1877 war die Bewegung ins Stocken geraten. Der Emir beschäftigte sich nun eifrig mit Reorganisation seiner Armee: er verfügte über 48 Infanterieregimenter, 4 schwere, 5 reitende und 17 Maultierbatterien. Aus Furcht vor den in Zentralasien vordringenden Russen bewarb sich Schir Ali bei den Engländern um ein Schutz- und Trutzbündnis gegen jene. Der Vizekönig Northbrook und der Minister für Indien, Argyll, lehnten die Bitte ab im Vertrauen auf die Zusage Rußlands, daß A. außerhalb seiner Interessen liege. Der Emir wandte sich nun an die Russen und knüpfte mit dem Generalgouverneur von Turkistan, General Kaufmann, vertrauliche Unterhandlungen an. Lord Lytton, 1876 an die Stelle Northbrooks getreten, forderte daraufhin die Zulassung europäischer Vertreter in A. (nach dem [146] Vertrag von 1857 durfte der diplomatische Vertreter Englands in A. nur indischer Abkunft sein); vermehrte Geldzuschüsse und Absendung britischer Offiziere zur Organisation der afghanischen Armee wurden dagegen versprochen. Schir Ali ging darauf nicht ein; nur mit Mühe wurde er bewogen, 1877 einen Gesandten nach Peschawar zu senden, mit welchem aber (da er ohne Vollmachten) die Verhandlungen bald abgebrochen wurden. Gleichzeitig (Februar 1877) besetzten die Engländer Quetta. Schir Ali warf sich nun ganz in die Arme Rußlands und empfing 23. Juli 1878 eine Gesandtschaft desselben unter General Stoljetow. Die englischerseits unter Sir Neville Chamberlain nach Kabul entsendete Gesandtschaft wurde dagegen schon an der Grenze Afghanistans im Chaiberpaß beim Fort Alimusjid in beleidigendster Weise zurückgewiesen. England verlangte Genugthuung. Schir Ali verweigerte sie im Hinblick auf Rußland. Nach Ablauf des Ultimatums überschritten die Engländer 21. Nov. die Grenze: eine Kolonne unter General Browne im Chaiberpaß, eine zweite unter Roberts im Kurampaß und eine dritte unter Biddulph von Quetta aus. Browne besetzte 20. Dez. Dschelalabad, Roberts eroberte 2. Dez. den Paiwerpaß und schlug 7. Jan. 1879 die Afghanen im Chostthal, General Stewart von der linken Flügelkolonne rückte 8. Jan. in Kandahar ein. Schir Ali war schon Mitte Dezember 1878 im Gefolge der russischen Gesandtschaft nach Turan geflüchtet und starb 21. Febr. 1879 in Mazarascherif, nachdem er seinem nunmehr in Freiheit gesetzten Sohn Jakub Chan (Adullah Chan war gestorben) die Regierung übertragen hatte. Dieser wurde im Land anerkannt. Jakub Chan war zum Friedensschluß geneigt, seine Unterthanen noch nicht. Um einen Druck auf letztere auszuüben, rückten die englischen Truppen 1. April von Dschelalabad auf Kabul. Nach einem siegreichen Gefecht bei Nimla Bagh drang die Kolonne bis Gandamak vor. Jakub Chan, zu Verhandlungen bereit, traf 8. Mai hier ein, und am 19. wurde der Vertrag abgeschlossen. Art. 3 regelte die Oberaufsicht Britisch-Indiens über A.: „In allen äußern Angelegenheiten wird der Emir durch die britische Regierung beraten und gegen jeden auswärtigen Angriff geschützt“; Art. 5 lautete: „Für Kabul wird ein britischer Resident ernannt mit der nötigen Eskorte und Vollmachten. Die Kuram-, Pischin- und Sibithäler treten unter indische Verwaltung. Den britischen Behörden steht die Kontrolle der nach dem Kabulthal führenden Pässe sowie über die Grenzstämme zu. 2,400,000 Mk. erhält der Emir als Jahresgehalt, sofern der Vertrag eingehalten wird.“

Am 24. Juli 1879 zog Major Cavagnari mit einer Eskorte von 89 Kombattanten als britischer Gesandter in Kabul ein; aber schon 3. Sept. erfolgte ein Massenangriff auf das Gesandtschaftsgebäude und die Ermordung des Gesandten und seiner Begleitung. Zur zwangsweisen Durchführung des Vertrags und Wiederherstellung der britischen Ehre erfolgte sofort ein erneuter Einmarsch englischer Truppen unter dem General Roberts. Der zweite afghanische Krieg 1879 begann. Kabul, 12. Okt. besetzt, mußte 10. Dez. wieder geräumt werden, ward aber 27. Dez. aufs neue genommen; ebenso wurde Kandahar besetzt, der Hilmend von Girischk aus überwacht und Ghasni genommen. Jakub Chan, der Mitschuld an der Ermordung Cavagnaris überwiesen, ward 13. Dez. 1879 in die Gefangenschaft nach Indien abgeführt.

Von englischen Truppen standen damals General Roberts mit 10,000 Mann in und um Kabul, Bright mit 12,000 Mann zwischen Kabul und Peschawar, Stewart mit 9045 Mann in Kandahar, im Kuramthal 9150 Mann. Trotz dieser Truppen fanden aber überall Aufstände statt, und die Anhänger Jakubs riefen in Ghasni den einzigen fünfjährigen Sohn desselben, Musa, zu seinem Nachfolger aus, Mohammed Dschan wurde sein Vormund und Regent. Letzterer eröffnete den Glaubenskrieg, ward aber 19. April 1880 vor Ghasni geschlagen und durch die Einnahme dieser Stadt der Ghilzaistamm niedergeworfen. Waffenruhe herrschte nunmehr im Kabulthal wie in Kandahar. In einer im April vom Oberkommandierenden nach Maidan berufenen Versammlung der einflußreichsten Einwohner ward denselben bekannt gemacht, daß England nicht die Absicht habe, A. dauernd besetzt zu halten, vielmehr einen vom Volk gewählten Emir anerkennen und dann seine Truppen zurückziehen würde. Schon früher war A. englischerseits bekannt gegeben, daß die Provinz Kandahar abgetrennt und zu einem selbständigen Reiche gemacht werden solle. Im April wurde es zur Thatsache: der bisherige Gouverneur von Kandahar, Schir Ali, ward zum Wali oder Fürsten des neuen Reichs ernannt; eine englisch-indische Brigade hielt Kandahar besetzt. Die Afghanen, sehr mißgestimmt, verlangten Wiederherstellung eines ungeteilten A., besonders Mohammed Dschan in Ghasni mit seinem Anhang wie auch die nördlich des Kabulthals seßhaften Stämme.

In diese Zeit fällt das Auftreten Abd ur Rahmâns, Sohn von Afzul, Enkel von Dost Mohammed. Nach der Niederlage Azims, seines Onkels, bei Ghasni im Dezember 1868, floh Abd ur Rahmân zuerst nach Persien und dann nach Rußland, wo er als russischer Staatspensionär mit 2500 Rub. Apanage in Samarkand lebte. Mitte Februar 1880 tauchte derselbe mit einer turkmenischen Streitmacht in der afghanischen Provinz Badachschan auf und wurde hier zum Herrscher von A. ausgerufen. Anfang April erkannten ihn auch die Bergstämme am Südabhang des Hindukuschgebirges an. Auch die Anhänger Jakub Chans liehen ihm Unterstützung. Infolgedessen entsandte die englische Regierung eine Gesandtschaft, um Abd ur Rahmân auch ihre Anerkennung als Emir von A. unter gewissen Bedingungen anzubieten. Nach langen Verhandlungen kam es schließlich 22. Juli in einer Versammlung afghanischer Häuptlinge in Kabul zu der Proklamierung Abd ur Rahmâns zum Emir von A. Abgesehen von dem englischerseits eingesetzten Wali Schir Ali von Kandahar, existierte aber auch noch eine Nebenregierung in Herat. Hier war 1879 Ejub Chan, Sohn des Emirs Schir Ali und Bruder des in Indien gefangen gehaltenen Jakub Chan, als Gouverneur eingesetzt. Um nicht selbst infolge der in seinem eignen Heer ausgebrochenen Kämpfe zu Grunde zu gehen, sah er sich genötigt, nach außen thätig zu werden. Die Proklamierung eines neuen Emirs von A. gab ihm Anlaß dazu, indem er eigne Rechte auf den Thron geltend machte. Ende Juni 1880 war er mit seiner Streitmacht von Herat über Farah nach dem Hilmend aufgebrochen. Gegenmaßregeln wurden von Kandahar aus getroffen. Hier stand General Primrose mit ca. 4000 Mann englischer Truppen, auf den rückwärtigen Verbindungslinien befehligte General Phayre. Der Wali Schir Ali hatte eine eigne Streitmacht organisiert. Letzterer rückte Ejub Chan entgegen; General Burrows wurde von Primrose [147] mit einer gemischten Brigade zur Unterstützung des Walis detachiert. Infolge der Desertion des größten Teils der Infanterie und Artillerie des Walis mußte General Burrows vor den 12,000 Mann und 36 Geschützen Ejubs zurückweichen. Auf halbem Weg zwischen Girischk und Kandahar kam es östlich Kuschk i Nakhud 27. Juli zum Gefecht; die englische Brigade, fast aufgerieben, wurde auf Kandahar zurückgeworfen. Ejub traf 6. Aug. vor dieser Stadt ein. General Primrose verfügte über nicht ganz 5000 Mann mit 18 Geschützen. Infolge der durch Ejub unterbrochenen Verbindung mit Tschaman und Quetta war auf Unterstützung von dorther nicht zu rechnen. Man detachierte den General Roberts von Kabul auf Kandahar. Am 7. Aug. brach er mit rund 10,000 Kombattanten auf; 8000 Mann Lagertroß, 2000 Pferde, 750 Artilleriemaultiere und 1225 Transporttiere mußte er mit sich führen. Bei den Terrain-, Bevölkerungs- und Ernährungsverhältnissen des Durchmarschgebiets war das Unternehmen äußerst schwierig, zumal schon den gegebenen Versprechungen gemäß Kabul geräumt werden mußte. Schon 10. Aug. verließen die letzten englischen Truppen letzteres und zogen auf Gandamak ab. General Roberts verlor somit jede Basis; nur in der Erreichung seines Ziels und einer glücklichen Entscheidung durch die Waffen konnte ein Erfolg erzielt werden. Ejub hatte bereits 10. Aug. das mit 4630 Mann besetzte Kandahar von allen Seiten eingeschlossen. General Roberts langte 23. Aug. in Kelat i Ghilzai an, nahm die dort befindliche englische Besatzung von 1200 Mann mit und setzte seinen Marsch fort. Ejub hob auf die bezügliche Nachricht hin schon 23. Aug. die Belagerung auf und nahm mit seiner jetzt 20,000 Mann betragenden Armee etwa 15 km nordwestwärts der Stadt eine Stellung. Schon 31. Aug. war das englische Entsatzheer in Kandahar eingezogen. Am 1. Sept. griff General Roberts Ejub in der Stellung am Baba Wali an und schlug ihn vollständig. Ejub flüchtete über Farah nach Herat, wo er mit den Trümmern seiner Getreuen (die irregulären Truppen hatten sich zerstreut, die Kabuler Regimenter sich nach Kabul geflüchtet) Ende September anlangte. Nach diesem Sieg konnte das Kabinett Gladstone an der beschlossenen Räumung Afghanistans festhalten. Am 12. Sept. war von den Truppen des Generals Stewart der Chaiberpaß passiert; auch General Roberts trat schon wenige Tage nach seinem Sieg den Rückmarsch an. Nur 13,000 Mann unter dem mittlerweile von Tschaman angekommenen General Phayre blieben bei Kandahar und Tschaman.

Abd ur Rahmân hatte seine Herrschaft in Kabul und Nordafghanistan wesentlich befestigt: Mohammed Dschan, selbst die Ghilzai hatten sich unterworfen; im südlichen A. fingen die Verhältnisse sich zu konsolidieren an. An Stelle des nach Indien gegangenen Walis Schir Ali wurde der 26jährige Mohammed Hassim Statthalter von Kandahar. Die Engländer traten 17. April 1881 auch von hier aus ihren Rückzug an. Somit war der Emir thatsächlich Herr von Nord- und Südafghanistan, nur Herat und somit der Westen war ihm noch nicht unterthan. Hier hatte Ejub trotz Geldverlegenheiten mit großer Energie seine Streitmacht neu organisiert und war mit seinem wachsenden Ansehen wieder zu einer beständigen Drohung für Abd ur Rahmân, ja selbst für England geworden. Hier herrschten über die für Südafghanistan einzuschlagende Politik die verschiedenartigsten Ansichten; die Räumungspolitik Gladstones hatte indes die Oberhand behalten, nur am Kodschakpaß war die englische Nachhut stehen geblieben. Mohammed Hassim war keineswegs populär, und sein Ansehen stand je weiter nach Westen, desto mehr dem Ejubs nach. Während Abd ur Rahmân mit der Befestigung seiner Stellung und Organisation seines Heers beschäftigt war, zog Ejub gegen Kandahar. Schon Anfang Juni war es am Hilmend zwischen Abteilungen Hassims und den Durani, Anhängern Ejubs, zu Kämpfen gekommen. Schon 15. Juli erschien letzterer bei Girischk, passierte den Hilmend, schlug Hassim 26. Juli bei Karez i Alta und besetzte am folgenden Tag mit seiner Vorhut Kandahar. Erst jetzt sah sich Abd ur Rahmân, dessen Sache man selbst in England schon für verloren ansah, veranlaßt, auch seinerseits Gegenmaßregeln zu treffen. Am 1. Sept. traf er mit Verstärkungen bei Kelat i Ghilzai ein, während Ejub bis dahin in und bei Kandahar stehen geblieben war. Jetzt bezog er unmittelbar östlich davon eine Stellung. Abd ur Rahmân konnte sich nicht zum Angriff entschließen. Ejub, für seine Rückzugslinie nach Herat besorgt, gab jene Stellung auf und nahm eine andre südwestlich der Stadt. Hier, bei den Ruinen des alten Kandahar, kam es 22. Sept. zur Schlacht, in welcher Ejub hauptsächlich infolge Verräterei seiner Truppen unterlag. Bevor jedoch Abd ur Rahmân seine Absicht, auf Herat zu marschieren, ins Werk setzen konnte, war das Schicksal dieser Stadt schon entschieden. Unter Abd ul Kudus Chan und Ischak Chan waren nämlich dem Emir ergebene Truppen aus dem afghanischen Turkistan bereits Ende September auf dem Marsch gegen Herat. Der hier zurückgebliebene Gouverneur Inniab rückte ihnen entgegen, wurde aber 2. Okt. bei Schaflan geschlagen. Am 4. Okt. war Herat in der Gewalt der Sieger. Ejub Chan, durch dies Mißgeschick vom gefeiertsten Prätendenten zu einem anhangslosen Rebellen geworden, flüchtete, jeder Hilfsmittel beraubt, auf persisches Gebiet. Auch in Herat wurde jetzt Abd ur Rahmân als Emir proklamiert: er wurde Herr des ungeteilten A. England, das 171/2 Mill. Pfd. Sterl. in der dreijährigen Feldzugsperiode geopfert hatte, konnte nunmehr seine Truppen auch aus Tschaman, wo sie bis dahin noch Wache gehalten hatten, durch den Kodschakpaß und das Pischinthal nach Indien zurückziehen. Quetta ist die Kandahar zunächst liegende englische Garnisonstadt.

Die augenblickliche Lage (1884) läßt sich dahin zusammenfassen: Abd ur Rahmân hat sich als Beherrscher Afghanistans zu erhalten gewußt, wenn auch um den Gouverneurposten in Herat wiederholte Streitigkeiten ausgebrochen sein sollen. Die politische Situation des Emirs ist eine äußerst schwierige in Rücksicht auf das gegenseitige Verhältnis Englands und Rußlands in Innerasien. Es ist daran zu zweifeln, ob er im stande sein wird, das strategische Dreieck Kabul-Herat-Kandahar als neutrale Zone zwischen den Machtsphären jener beiden Reiche intakt zu erhalten. Gelingt ihm oder seinem Nachfolger dies nicht, so wird A. ein Territorium sein, auf welchem sich zeigen muß, ob Rußland oder England die Fäden der asiatischen Politik geschickter zu spinnen weiß. Der Afghane fügt sich nur der Macht. Rußland ist darüber vollständig im klaren. Es wird an seinen Zielen festhalten. Von der Politik Englands wird es abhängen, ob Rußland auch hier sein Ziel, wie in Zentralasien überall, erreichen wird.

Vgl. Stein, A. in seiner gegenwärtigen Gestalt (in „Petermanns Mitteilungen“, 1878–79); [148] Chavanne, A. (Wien 1878); Bellew, A. and the Afghans (Lond. 1879); Derselbe, The races of A. (das. 1880); Burnes, Cabool (das. 1843; deutsch, Leipz. 1843); Spiegel, Eranische Altertumskunde (das. 1871); Kaye, History of the war in A. (4. Aufl., Lond. 1878, 3 Bde.); Langlois, Hérat, Dost Mohammed et les influences politiques de la Russie et de l’Angleterre dans l’Asie centrale (Par. 1864); Malleson, History of A. (2. Aufl., Lond. 1879); Hensman, The Afghan war of 1879–1880 (das. 1881).