MKL1888:Altersschwäche

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Altersschwäche“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 421422
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Altersschwäche. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 421–422. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Altersschw%C3%A4che (Version vom 07.01.2023)

[421] Altersschwäche (griech. Marasmus, lat. Involutio senilis, Senilität, Seneszenz), derjenige Zustand, in welchen alle organischen Wesen verfallen, wenn sie sich dem höchsten Maß ihrer natürlichen Lebensdauer nähern. Die A. ist demnach keine Krankheit im strengern Sinn, sie ist vielmehr das Resultat der schlechteren Ernährung, welcher Pflanzen, Tiere und Menschen unterliegen, wenn sie den Zenith ihrer Kraftfülle überschritten haben und nun allmählich verdorren. Der Zeitpunkt, in welchem die A. beginnt, ist demnach für die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten sehr verschieden: die einjährigen Pflanzen erreichen ihn in wenigen Sommermonaten, während die Eiche noch nach Jahrhunderten in stolzer Kraft ihre Äste treibt und sich in jedem Lenz mit neuem Grün schmückt; der Seidenspinner erfreut sich nur knapp bemessene Tage seiner vollen Lebensfrische und siecht dahin, sobald er seine Eier gelegt hat, während der Rabe und der Elefant Menschengeschlechter überdauern. Der Mensch selbst erreicht erfahrungsgemäß nur selten das 70. oder ein späteres Lebensjahr, die A. beginnt aber weit früher, in ihren ersten Spuren schon Anfang der 40er, zuweilen noch zeitiger. Den Beginn der Alterserscheinungen macht das Auge, dessen Akkommodationsfähigkeit schon Mitte der 30er Jahre nicht selten merklich abnimmt. Gleichfalls früh ergrauen die Haare, namentlich der Schläfengegend und bei dunkelhaarigen Personen. Das Fettpolster schwindet, die Haut wird welker, bekommt Runzeln, einzelne Stellen werden leicht bräunlich gefärbt. Später verlieren die Muskeln an prompter elastischer Wirkung, die Beine werden ungelenk, der Rücken steif. Im hohen Alter werden die Knochen dünner; ein Fall, der im mittlern Lebensalter eine Verrenkung bewirkt haben würde, führt bei Greisen leicht einen Knochenbruch, z. B. im Hüftgelenk, herbei. Die Hornhaut zeigt den Greisenbogen; zuweilen verdickt sich das Trommelfell, es verwachsen die Gehörknöchelchen, und es entsteht ein gewisser Grad von Taubheit. Die Schärfe und Schlagfertigkeit des Geistes nimmt bei den meisten Personen ab; viele alte Leute werden redselig, etliche geradezu kindisch oder völlig schwachsinnig. Unter den innern Organen verfallen das Herz und die Leber einer geradezu regelmäßigen Verkleinerung (braune Atrophie) mit Bildung brauner Farbstoffmoleküle in ihrem Gewebe. Die Milz schrumpft, ebenso die Nieren (Granularatrophie), das Gehirn wird derber, seine nervöse Substanz nimmt ab auf Kosten der bindegewebigen Gerüstmasse, und so entsteht mit zunehmendem Alter eine Summe von Störungen, die, jede für sich betrachtet, nur unwesentliche Folgen nach sich ziehen, aber vereint das ausmachen, was man als mannigfache Klagen des dekrepiten Alters kennt, was den Greis als Ruine des Menschen erscheinen [422] läßt und schließlich die kümmerliche Fackel verglimmen macht, ohne daß Krankheit oder äußerer Anstoß gewaltsam das Leben zum Verlöschen bringt.