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MKL1888:Arbeiterkolonien

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeiterkolonien“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Arbeiterkolonien“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 1 (1885), Seite 753
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Arbeiterkolonien. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 753. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeiterkolonien (Version vom 09.06.2024)

[753] Arbeiterkolonien, s. Armenkolonien.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 4243
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[42]  Arbeiterkolonien, im allgemeinen Niederlassungen für Arbeiter und Arbeiterfamilien. Dieselben können den Zweck haben, Arbeiter seßhaft zu machen, indem ihnen auf einer Ansiedelung der allmähliche Erwerb von Grundstücken zu freiem Eigentum ermöglicht wird; im engern Sinn ländliche Niederlassungen, in welchen Arbeitswillige bei länger andauernder Arbeitsunterbrechung Beschäftigung erhalten, bis sie wieder anderweit ihren Unterhalt finden können. Die Errichtung solcher Anstalten wurde besonders mit Beginn des letzten Jahrzehnts ins Auge gefaßt, als bei häufigerm Mangel an Arbeitsgelegenheit die Wanderbettelei sehr stark anwuchs und einen für Sittlichkeit und Sicherheit bedrohlichen Charakter annahm. Pastor v. Bodelschwingh in Bielefeld, welcher schon früher die Anstalt Bethel gegründet hatte, wo hilfsbedürftige und würdige Wanderer dauernde Unterkunft fanden, errichtete 1882 die Arbeiterkolonie Wilhelmsdorf bei Bielefeld zu dem Zweck: 1) arbeitslustige und arbeitslose Männer jeder Konfession und jeden Standes, soweit sie wirklich noch arbeitsfähig sind, so lange in ländlichen und andern Arbeiten zu beschäftigen, bis es möglich geworden ist, ihnen anderweit lohnende Arbeit zu beschaffen und ihnen so die Hand zu bieten, vom Vagabundenleben loszukommen; 2) arbeitsscheuen Vagabunden jede Entschuldigung abzuschneiden, daß sie keine Arbeit hätten. Diese A. sollen allerdings auch so eingerichtet sein, daß durch sie ein ordnungsgemäßes und gesittetes Leben gefördert wird. Sie bedürfen daher sittlicher Fürsorge und Überwachung. Sie sind jedoch nicht zu verwechseln mit Anstalten, welche zur Aufnahme und Besserung sittlich Herabgekommener und Verwahrloster bestimmt sind, wie z. B. mit den Trinkerasylen, welche bei längerm und selbst mehrjährigem Aufenthalt (so im Asyl Friedrichshütte 1–2 Jahre) zur Abgewöhnung des Trinkens dienen sollen und daher als Heilanstalten zu betrachten, einzurichten und zu behandeln sind. Die Aufnahme in diese A. beruht auf freiwilliger Entschließung; sie unterscheiden sich dadurch von den Zwangsarbeiterkolonien, an welchen, wie z. B. zu Bockelholm bei Rendsburg, Verwaltungen von Strafanstalten ihren Sträflingen Beschäftigung geben. In den letzten Jahren haben sich die A., deren einheitliche Organisation von dem Zentralvorstand deutscher A. angestrebt wird, über Deutschland ziemlich verbreitet. Es entstanden seit 1883 die Kolonien Kästorf bei Gifhorn, Rickling bei Kiel, Friedrichswille in der Provinz Brandenburg, Dornahof in Württemberg und Seyda bei Zahna (Provinz Sachsen), 1884 Dauelsberg bei Delmenhorst (Oldenburg), Wunscha bei Rothenburg (Schlesien), Meierei bei Schievelbein in Pommern, Karlshof bei Rastenburg (Ostpreußen) und Berlin N., 1885 Ankenbuk in Baden und Neu-Ulrichstein in Oberhessen, 1886 Lülerheim bei Wesel (evangelische Kolonie der Rheinprovinz), Schneckengrün in Sachsen und Elkenroth, Kreis Altenkirchen (katholische Kolonie der Rheinprovinz), [43] 1887–88 Simonshof in Bayern, Maria-Veen (katholische Kolonie in Westfalen), Gailsdorf in Thüringen, Alt-Latzig in Posen und Magdeburg. Im ganzen zählte man 1886: 15 und Anfang 1889: 21 A., in denen etwa 2400 Plätze zu besetzen sind. Doch reichen diese Stellen noch nicht aus, um allen, welche um Aufnahme nachsuchen, eine Unterkunft zu gewähren. Bis jetzt sind für Ankauf von Grund und Boden allein schon einige Millionen Mark von den Vereinen für A. aufgebracht worden.

Eine weitergehende Aufgabe als die A. haben sich die „Kolonien zur Heimat“ oder Heimatskolonien gesteckt. In diesen soll denjenigen, die sich in den A. als brauchbar gezeigt haben, die Möglichkeit geboten werden, sich ein eignes Heim zu gründen, in einer ihnen in der Kolonie liebgewordenen Beschäftigung sich und den Ihrigen den Lebensunterhalt zu verdienen und sich als ehrenhafte Bürger des deutschen Vaterlandes zu bewähren; es soll also eine Anstalt geschaffen werden, welche dauernd Arbeit gibt und dabei auch dauernd auf die Anstaltbewohner einen gewissen Einfluß zu üben vermag. Eine solche Kolonie, Düring oder Friedrich Wilhelms-Dorf bei Bremerhaven (Cronemayers Heimatskolonie), wurde, nachdem früher schon mehrere derartige Versuche an verschiedenen Orten resultatlos verliefen, im J. 1886 mit zwölf Kolonisten eröffnet. Die Kolonisten sollen ein Häuschen und 4 Hektar kultiviertes Land für etwa 5000 Mk. erhalten und dies mit 31/2 Proz. und 1 Proz. Amortisation verzinsen; Unterhalt und Lohn kosten täglich pro Person 1,72 Mk.

Einen andern Zweck als die A., wenn auch mit denselben Hand in Hand gehend, haben die Naturalverpflegungsanstalten. Dieselben ermöglichen den einfachen Ortswechsel für Arbeiter, welche anderweit Arbeit suchen, ohne die zum Wandern nötigen Mittel zu besitzen. Mit den bei dem Hausbettel zersplittert verabfolgten Geldgaben wird meist das Ziel einer segensreichen Unterstützung nicht erreicht. Aus diesem Grund hat man die Unterstützung vielfach zur Gemeindesache, in Sachsen 1880 zur Aufgabe größerer Bezirke gemacht, indem die Verpflegung bestimmten Stellen überwiesen wurde. In Württemberg wurden seit 1880 eigne Stationen für Naturalverpflegung armer Reisender von Gemeinden errichtet. Hiermit wurden die Vorteile der organisierten Armenpflege mit geeigneter Kontrolle und wirksamer Bekämpfung des Gewohnheitsbettels erreicht. Solche Anstalten erfüllen ihren Zweck am vollständigsten, wenn sie, netzartig über das ganze Land verbreitet, miteinander in Verbindung stehen, ihre Unterstützungen nur gegen Arbeitsleistung gewähren und gleichzeitig in der Lage sind, Arbeit nachzuweisen. Sie hätten demgemäß mit den A. in lebendiger Verbindung zu stehen. Solche Verpflegungsstationen bestehen in Westfalen 118 (davon 20 in Herbergen), in Hannover 36 (14 Herbergen), Schleswig-Holstein 32 (19), Brandenburg 150 (27), Schlesien 79 (20), Pommern 77 (12), Provinz Sachsen 139 (24), Ostpreußen 72 (3), Westpreußen 9 (4), Rheinprovinz 97 (19), Posen 18 (3), Hessen-Nassau 4, Freie Städte, Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig, Lippe, Waldeck 5 Stationen (und 24 Herbergen), Thüringen und Anhalt 91 (14), Königreich Sachsen 60 (34); von Bayern, Hessen, Baden, Württemberg und den Reichslanden ist nur das Bestehen von insgesamt 21 Herbergen bekannt. Vgl. Chuchul, Zum Kampf gegen Landstreicher und Bettler (Kassel 1881); Stursberg, Die Vagabundenfrage (Düsseld. 1882); Derselbe, Über A. und Naturalverpflegung der wandernden Bevölkerung (Gotha 1883); Elvers, Zur Vagabundenfrage (Berl. 1883); Huzel, Das System der kommunalen Naturalverpflegung (Stuttg. 1883); v. Bodelschwingh, Vorschläge zur Vereinigung aller deutschen A. (2. Aufl., Bielef. 1884); Pribyl, Das Bettelunwesen und die A. (Wien 1884); Schwering, Die Arbeiterkolonie Leinhausen bei Hannover (Hannov. 1884); Berthold, Die Entwickelung der deutschen A. (Leipz. 1887); Derselbe, Die Weiterentwickelung der deutschen A. 1886–87 (Berl. 1889); Märker, Vagabundennot, A. und Verpflegstationen (Heilbronn 1887); „Protokolle der ordentlichen Versammlungen des Zentralvorstandes deutscher A. in den Jahren 1884, 1885 und 1886“ (Berl.); „Die A. Korrespondenzblatt für die Interessen der A., zugleich Organ des Deutschen Herbergsvereins“ (hrsg. vom Zentralvorstand deutscher A., Wustrau 1885 ff.).