MKL1888:Archäologie

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Archäologie“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 767769
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Archäologie. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 767–769. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arch%C3%A4ologie (Version vom 21.04.2023)

[767] Archäologie (griech.), im allgemeinen s. v. w. Altertumskunde; im engern Sinne nach modernem Sprachgebrauch die Wissenschaft, welche sich mit der bildenden Kunst des klassischen Altertums beschäftigt. Als solche bildet sie einen Teil der gesamten Altertumswissenschaft, welche bestrebt ist, die Kultur und das gesamte Leben des Altertums in seiner Entwickelung zu verfolgen, und nimmt in derselben ihre besondere Stelle insofern ein, als sie auf den Kunstsinn der alten Völker gerichtet ist, diesem in seinem Werden und in seiner Entwickelung nachgeht, seine Erzeugnisse nach Form und Inhalt betrachtet und so die Geschichte der Kunst im Altertum zu gewinnen sucht. Diesem ihrem Zweck nach ist die A. anderseits ein Teil der allgemeinen Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte, neben dieser aber dennoch als besondere Wissenschaft berechtigt, weil die antike Kunst für die Gegenwart, wenn auch vielfach unbewußt, noch wirksam und in mannigfacher Weise bestimmend ist, und weil sie sich ein für alle Zeiten normgebendes Gebiet wählt, in dem sie als in einem engen, aber sehr geeigneten Kreis alle die Betrachtungen durchführt, welche das Ideal der Kunstwissenschaft an die Kunst der Menschen heranbringen kann. Die realen Hilfsmittel der Forschung sind für die A. dieselben wie für die übrige Altertumswissenschaft, ihre Verwertung ist eine andre. Aus den litterarischen Quellen erhält sie einen reichen Schatz von Kenntnissen über die antike Kunst; in hervorragenderer Weise aber als alle verwandten Wissenschaften richtet sie ihre Studien auf die aus dem Altertum erhaltenen Denkmäler selbst. Was nur immer von den Resten des Altertums die Spuren menschlicher Hand und menschlichen Geistes trägt, die unterirdische Grabkammer nicht weniger als der hoch gebaute Tempel, die unscheinbare Gemme ebenso gut wie die herrlichen Gebilde der Plastik, unterliegt ihrer Forschung. Auch die in unzähliger Menge für das tägliche Leben handwerksmäßig hergestellten Gebrauchsgegenstände sind ihr nicht entlegen, denn auch bei diesen kommt wenigstens noch ein Abglanz der Kunst, ein stilistisches Gepräge zum Vorschein. Betrachtet aber werden diese Dinge nur aus dem Gesichtspunkt der Kunst; ihre Form vorzugsweise unterliegt der Beurteilung, ihr Inhalt und ihre Bestimmung nur insofern, als diese für die Form maßgebend war. Die Bedeutung jener [768] Altertümer für die mannigfachen Bedürfnisse des Lebens zu untersuchen und zu lehren, überläßt die A. der Altertumskunde, diese Kenntnis zu verwerten, der Geschichte. In diesem Sinn hat zuerst O. Jahn 1848 die A. richtig definiert als „die wissenschaftliche Bearbeitung der durch Masse, Form und Farbe wirkenden Denkmäler der Völker des klassischen Altertums nach der ihnen eigentümlichen Ausdrucksweise und die darauf wesentlich gegründete Erkenntnis der Entwickelung und des Bestands der bildenden Kunst im Altertum als eines Gliedes in dem gesamten Kulturleben desselben, oder kurz gefaßt, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der bildenden Kunst des Altertums“.

Das Wort A. wurde schon von den Griechen häufig gebraucht, vorzugsweise aber auf die Erforschung und Darstellung von vergangenen, für die Gegenwart nicht mehr wirksamen Dingen, namentlich der ältesten Geschichte, Staatsform und Sitte, angewandt. Mit dem Aufblühen der klassischen Studien im 15. Jahrh. bürgerte sich der Ausdruck Antiquaria für die A. ein, und noch Lessing handelte in seinen „Antiquarischen Briefen“ durchaus von der antiken Kunst. Studium der Antike nannte Heyne die A., deren jetziger Name sich erst seit Beginn dieses Jahrhunderts allgemeine Geltung verschafft hat. Die Anfänge der archäologischen Studien fallen nach Italien in die Zeit des beginnenden 15. Jahrh. und wurden von demselben Geiste der Renaissance, der auf die Wiederbelebung des klassischen, speziell des römischen, Altertums gerichtet war, hervorgebracht und in ihrer ersten Entwickelung bestimmt. Mit lebhaftem Enthusiasmus ergriff man zu jener Zeit die Welt antiker Schönheit, welche in ungezählten Mengen von Kunstwerken dem Boden entstieg. Man sammelte, zeichnete und studierte mit Hilfe der alten Autoren, namentlich des Vitruv, die alten Skulpturen; die Hallen, Höfe und Treppen der Paläste schmückten sich mit antiken Statuen und Büsten; in Florenz ein Lorenzo de’ Medici, in Rom die Päpste selbst, wie Nikolaus V., Pius II., später Julius II. und Leo X., machten sich zum Mittelpunkt dieser Bestrebungen und gaben in dem vatikanischen Belvedere den gesammelten Schätzen einen glänzenden Raum. Kritik war vorläufig diesem begeisterten Treiben fremd. Die Frage nach dem Echten, dem Ursprünglichen fiel dieser Generation noch zusammen mit der Frage nach dem Schönen, dem Verständlichen; man ergänzte die zum Teil verstümmelten Statuen, um sie zur Dekoration zu gebrauchen, und glaubte nur dem eignen Geist folgen zu dürfen, um das Kunstwerk in seiner ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen. Arbeiten der Gelehrten und Kunsttheoretiker schlossen sich an; Andrea Fulvio, dem zuerst eine Rekonstruktion des klassischen Altertums aus seinen Überresten als Ziel einer A. vorschwebte, stand an ihrer Spitze. Zur Herrschaft gelangte dieses litterarische Betreiben der A. in der folgenden Periode, dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrh. In Rom freilich war zu dieser Zeit die Sammellust noch im Steigen, und fremde Fürsten, wie die Königin Christine von Schweden (1668–89 in Rom), und Kardinalnepoten, wie Aldobrandini, Borghese, Ludovisi, Barberini, schufen ihre herrlichen Sammlungen. Der Schwerpunkt der geistigen Arbeit aber ging von Rom auf andre Länder über und ließ dort wegen der Beschwerlichkeit der eignen Anschauung mehr das gelehrte Interesse und die litterarische Arbeit in den Vordergrund treten, wenn auch einzelne Männer durch unermüdlichen Sammelfleiß, unterstützt von reichen Geldmitteln und einer glücklichen Verbindung von Kunstsinn und Gelehrsamkeit, Außerordentliches leisteten und Vorläufer der großen dritten Periode wurden. Gori (1691–1757) begründete die etruskische Altertumskunde, Franziskus Junius ließ in Amsterdam das erste umfassende Lehrgebäude der antiken Kunst erscheinen; vor allen erkannten die Franzosen Peiresc und Spon die A. als selbständige Wissenschaft und förderten sie durch Reisen, Sammlungen und eifrigen Verkehr mit den gleichzeitigen Gelehrten. Zu einer Auffassung der A. als einer Geschichte der antiken Kunst gelangte indes erst Joh. Joach. Winckelmann (s. d.), der, herangebildet durch die Ästhetik seiner Zeit und die griechischen Dichter, seit seinem ersten Aufenthalt in Italien (1755) das Wesen der alten Kunst voll und richtig erkannte und in seiner „Geschichte der Kunst des Altertums“ der Welt darlegte, wie er auch in seinen „Monumenti antichi inediti“ eine neue Erklärung der Kunstwerke wenigstens anbahnte. Er erkannte den Maßstab der Eigentümlichkeit derselben in ihren Stilen und wies eine Aufeinanderfolge derselben nach; die Masse der römischen Orten entstammenden Antiken erwies er als Kopien und forschte nach den Originalen; den griechischen Mythus bezeichnete er als die der Poesie wie der bildenden Kunst gemeinsame Quelle. Durch glücklichen Zufall fielen in seine Zeit gerade die ersten Aufdeckungen von Herculaneum und Pompeji. Die von Winckelmann eingeschlagenen Bahnen wurden von Visconti und Zoega weiter verfolgt; Heyne und seine Schule brachten die neue Lehre vor das akademische Publikum, Böttiger und Millin traten als Popularisierer auf. Für die weitere Entwickelung der A. in diesem Jahrhundert sind vor allem wichtig die reichen Entdeckungen griechischer Originalskulpturen durch die Engländer, namentlich die Auffindung der Parthenongruppe durch Lord Elgin, die von Gottfr. Hermann und A. Böckh in verschiedener Weise geförderte Ausbildung der philologischen Kritik und Erklärung, die auch der A. feste Gesetze gab und von F. G. Welcker und O. Jahn mit dem feinsten Verständnis geübt wurde, endlich die 1829 unter dem Protektorat Preußens geschehene Gründung des Archäologischen Instituts (s. S. 769) in Rom. Letzteres sowie in fast allen europäischen Ländern zahlreich gegründete archäologische Gesellschaften (in Berlin 1841) bilden die belebenden Mittelpunkte für die Studien der heutigen Archäologen, welche meist auf das gemeinsame Ziel gerichtet sind, das allmähliche Werden, die Entfaltung, die Blüte, das Vergehen einer so wunderbar klassischen Schöpfung, wie es die alte Kunst ist, immer tiefer zu erfassen. Vgl. Brunn, Geschichte der griechischen Künstler (Stuttg. 1853–59, 2 Bde.), auf litterarischen Quellen beruhend; Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik (3. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.); Derselbe, Griechische Kunstmythologie, nebst Atlas der griechischen Kunstmythologie (das. 1871 ff.); Welcker, Alte Denkmäler (Götting. 1849–64, 2 Bde.); O. Jahn, Aus der Altertumswissenschaft (Bonn 1868); Bötticher, Tektonik der Hellenen (2. Aufl., Berl. 1869); Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten (2. Aufl., Münch. 1878, 2 Bde.); Stark, Systematik und Geschichte der A. der Kunst (Leipz. 1880); „Denkmäler des klassischen Altertums“, herausgegeben von Baumeister (lexikalisch, Münch. 1884 ff.).

Seit dem Beginn des 19. Jahrh. und unter dem Einfluß der Romantik im deutschen Geistesleben bildete sich auch eine christliche A. aus. Fr. Schlegel war der erste, welcher die Idee einer christlichen Kunst gegenüber der antiken aussprach und bei praktischen [769] Künstlern reichen Beifall, geringern bei der protestantischen Theologie fand. Allmählich aber zu immer größerer Anerkennung gelangt, nimmt jetzt die christliche A. an Regsamkeit und Geschick der Behandlung eine fast ebenbürtige Stellung neben der klassischen A. ein, durch deren erprobte Methode sie groß geworden ist. In Frankreich war neben Martigny („Dictionnaire des antiquités chrétiennes“, 2. Aufl., Par. 1877, u. a.) Vicomte de Caumont der eifrigste Mittelpunkt dieser Studien, und in Didrons „Annales archéologiques“ ist seit 1844 ein eignes Organ für dieselben geschaffen. In Deutschland gab 1819 Augusti das erste Lehrbuch der christlichen A. heraus. Besondere Pflege fand dieselbe seitdem durch H. Otte („Geschichte der christlichen Kunst“, Leipz. 1862; „Handbuch der christlichen Kunstarchäologie“, 5. Aufl., das. 1883–84, 2 Bde.; „Archäologisches Wörterbuch“, 2. Aufl., das. 1877), Fr. Piper („Mythologie und Symbolik der christlichen Kunst“, Weim. 1847–51; „Einleitung in die monumentale Theologie“, Gotha 1867), Baudry („Organ für christliche Kunst“, Köln 1851–73) und F. X. Kraus („Realencyklopädie der christlichen Altertümer“, Freiburg 1880 ff.; „Über Begriff, Umfang, Geschichte der christlichen A.“, das. 1879), die Italiener de’ Rossi („Bulletino di archeologia cristiana“, Rom 1863 ff.) und Garrucci („Storia della arte cristiana“, 1884 beendet, 6 Bde. mit 500 Tafeln), endlich durch E. Reusens in Löwen („Éléments d’archéologie chrétienne“, 1884, 2 Bde.). Um die religiöse Kunst der Gegenwart zu beleben, erscheint, von Schnaase, Grüneisen und Schnorr begründet, das „Christliche Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus“ (Stuttg., seit 1857). – über biblische A. s. d.

In England und Amerika, neuerdings auch in Deutschland wendet man den Ausdruck A. in seiner weitern Bedeutung insbesondere auf Untersuchungen über die Geschichte, Gebräuche und Überbleibsel von Urvölkern oder ältern Landesbewohnern an und spricht von einer anthropologischen A., welche einen wichtigen Teil der Kulturgeschichte (s. d.) ausmacht. In diesem Sinn wirken in England die schon 1572 gegründete Society of Antiquaries, in Schottland (seit 1780) die Scottish Society of Antiquaries, in Irland (seit 1786) die Royal Irish Academy. In Deutschland sind namentlich die Überbleibsel aus vorhistorischen Kulturperioden (Stein-, Bronze- und Eisenzeit), in England die Kelten, in Amerika die Indianer Gegenstand archäologischer Forschung in diesem Sinn. Vgl. Anthropologie und Prähistorie.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. auch den Artikel Archäologische Litteratur (1885–90) im 18. Band.