MKL1888:Astrologie
[972] Astrologie („Sternlehre“), im Sprachgebrauch der Griechen und Römer s. v. w. Astronomie, nach jetzigem Sprachgebrauch die Kunst, aus dem Lauf und der Stellung der Gestirne das Zukünftige, besonders das Schicksal der Menschen, vorherzusagen. Die A. hat sich von der Thalebene Mesopotamiens aus weiter verbreitet, deren frühste Bewohner, die Akkadier, ihr schon huldigten. Nach Europa kam sie durch Vermittelung der Chaldäer, bei denen sie innig zusammenhing mit dem Gestirndienst. Deshalb werden auch die Sterndeuter später von den römischen Schriftstellern Chaldäer genannt. Die Ägypter setzten die A. früh in Beziehung zur Medizin, und ihre Prognostik beruhte besonders auf der Lehre von der Konstellation. In Griechenland scheinen die Astrologen von seiten des Staats nie behindert worden zu sein. Selbst Platon wird als Freund der A. genannt; die Aristoteliker aber erklärten sich gegen sie. Einen fruchtbaren Boden fand sie bei den Stoikern, mit deren fatalistischer Weltansicht sie harmonierte. Von den griechischen [973] Ärzten suchten die bessern nur insofern von der A. Gebrauch zu machen, als sich ein bestimmtes Kausalverhältnis zwischen gewissen himmlischen Phänomenen und gewissen terrestrischen Vorgängen wahrnehmen ließ. Besonders pflegte man Krankheitsveränderungen von der Konstellation des Mondes und der Planeten abhängig zu denken. Nächst der Sonne und den Planeten räumte man den zwölf Zeichen des Tierkreises die erste Stelle ein. In Rom fand die chaldäische Wissenschaft trotz des vielen Widerstandes, der ihr entgegengestellt wurde, unter der Masse der Ungebildeten zahlreiche gläubige Anhänger, während die Gebildeten, wie es scheint, sich meist ablehnend dagegen verhielten. Sie wurde hier gewöhnlich als Mathesis bezeichnet, und die Sterndeuter hießen Chaldaei, Babylonii, mathematici, genethliaci oder planetarii. Aus den Zeiten der Republik wird als angesehener Astrolog Lucius Tarutius Firmanus erwähnt, der auf Veranlassung seines Freundes Varro (116–28 v. Chr.) den genauen Zeitpunkt der Erbauung Roms auf astrologischem Weg zu bestimmen versuchte. Sein Zeitgenosse Cicero dagegen führt in seiner Schrift „De divinatione“ gegen die A. eine Reihe Gründe auf; er weist z. B. auf die große Verschiedenheit des Charakters und Schicksals derjenigen Menschen hin, welche sämtlich in demselben Augenblick geboren werden; er thut an dem Beispiel des Pompejus, Crassus und Cäsar, denen die Astrologen ein glorreiches Alter und einen ruhigen Tod verkündigt hatten, das Unsichere solcher Prophezeiungen dar. Ebenso erklären sich der ältere Plinius und Tacitus gegen die A. Seneca dagegen nimmt den Einfluß der Planeten auf die Menschen für ausgemacht an. Die meisten römischen Kaiser, selbst die, welche die Astrologen vertrieben, wie Tiberius, standen unter dem Bann der A. Noch stärker beeinflußte der Glaube an die A. die tiefsinnigen, aber unklaren Gemüter der spätern philosophischen Mystiker von Alexandria, Athen und Rom. Eine Abhandlung des Neuplatonikers Proklos über A. entwirft uns von dem Treiben der Astrologen jener Zeit ein sprechendes Bild, und aus dem 4. Jahrh. n. Chr. ist uns das ausführlichste Werk über A. aus dem Altertum: „Acht Bücher Astronomie“ von Maternus Firmicus, erhalten. Die besondere Gewalt einzelner Sterne auf einzelne Organismen hat besonders Manilius in seinem astronomischen Lehrgedicht ausführlich entwickelt. Die christliche Kirche verwarf im Gegensatz zu den Gnostikern die A. entschieden. Clemens von Alexandria nennt den astrologischen Glauben einen Verrat an der Lehre von der Vorsehung des Schöpfers, und Origenes, obwohl an Astralgeister glaubend, verwirft die Behauptung, daß die Handlungen der Menschen durch die Gestirne bestimmt würden, weil er darin einen Widerspruch mit der Freiheit des Menschen erkennt, auch alsdann das Gebet zu Gott überflüssig wäre. Auch Augustin, obwohl in der Jugend der A. zugethan, war später entschiedener Gegner derselben. Der Codex Justinianeus setzte die Sterndeuterei sogar der Giftmischerei gleich. Eifrig wurde dagegen die A. von den Arabern und jüdischen Kabbalisten gepflegt, zu einer Art von System ausgebildet und in die christliche Welt des Mittelalters verpflanzt. Abu Maschar (Albumasar) aus Bath in Chorasan (9. Jahrh.), einer der größten Astronomen, hinterließ ein astrologisches Werk: „De magnis conjunctionibus, annorum revolutionibus ac earum perfectionibus“, das viele Jahrhunderte auch in Europa in hohem Ansehen stand. Aboazen Haly erlangte im 13. Jahrh. durch sein Werk „De judiciis astrorum“ klassisches Ansehen und veranlaßte wahrscheinlich die Einteilung der Wissenschaft in Judizial- und natürliche A. Seit dieser Zeit gewann die A. auch unter den christlichen Völkern großes Ansehen. Ihre Glanzperioden sind das 14. und 15. Jahrh. Oft regierten die Hofastrologen ganze Reiche. Der Einfluß der Gestirne war auf das genaueste definiert; die spätern Astrologen kopierten, kommentierten und erläuterten nur die Werke ihrer Vorgänger. Obwohl schon zu Ende des 15. Jahrh. Savonarola und Pico della Mirandola sowie später Voß, Bardelon und der Astronom Sturm die A. bekämpften, so errang diese doch noch im 16. und 17. Jahrh., so in Frankreich unter Katharina von Medici und unter Heinrich III. und IV., noch einzelne Triumphe. Am berühmtesten war damals Michael Nostradamus (Notredame), der, meist in völliger Abgeschiedenheit zu Salon in Frankreich lebend, von da seine gereimten Prophezeiungen zu Hunderten in die Welt schickte, bis ihn Karl IX. zu seinem Leibarzt erhob. Von Rom aus wurden die Prophezeiungen des Nostradamus verboten, weil er auch den Untergang des Papsttums verkündigt hatte. Während mehrere Päpste die A. mit dem Bann belegten, ward sie öfters von den höchsten kirchlichen Würdenträgern gepflegt. So wurde 1623 der Kardinal Barberini Papst, indem er die astrologische Berechnung verkündigte, daß der neue Papst nicht sechs Wochen leben werde. Auch die protestantischen Theologen waren keineswegs frei von astrologischem Wahn. Melanchthon hielt viel von A. und trieb sie selbst, wenn auch mit wenig Glück. Am meisten aber galt die A. in England unter den Stuarts. Der Dichter Dryden (gest. 1701) ließ noch für seine Kinder die Nativität stellen. Paracelsus und Cardanus („Encomium astrologiae“) brachten die A. mit der Medizin und Chemie in Verbindung. Paracelsus nahm im Weltall verschiedene von den Planeten abhängige Oszillationen an, denen im Mikrokosmus des Menschen sieben verschiedene Arten des Pulses entsprechen sollten. Selbst Tycho Brahe und Kepler entsagten der A. nicht ganz, und letzterer erwarb sich dadurch Wallensteins Gunst, dem er 1629 in Sagan sein hohes Glück verkündigt haben soll. Obwohl Kepler die Schwächen der A. einsah, wollte er doch einen gewissen Zusammenhang zwischen den Konstellationen der Planeten und den Eigenschaften der unter solchen gebornen Menschen nicht geradezu in Abrede stellen. Das kopernikanische System aber, durch welches die Erde zum Punkt im Weltenraum herabsank, gab der A. den Todesstoß. Zwar warfen sich noch manche zur Verteidigung derselben auf, so namentlich Bapt. Morin (1583–1656), dessen „Astrologia gallica“ das Resultat einer 30jährigen Arbeit war. Mit ihm aber ward die A. im Abendland zu Grabe getragen. Einer ihrer letzten Anhänger war J. W. Pfaff, dessen „A.“ (Bamb. 1816) und „Der Stern der drei Weisen“ (das. 1821) als seltsame Anachronismen zu nennen sind. Im Orient aber, namentlich in Persien, Indien und China, steht die A. noch heutzutage in hohem Ansehen.
Die A., als System im Mittelalter ausgebildet, wird in die natürliche und positive oder Judizialastrologie eingeteilt. Die natürliche prophezeit die natürlichen Wirkungen natürlicher Ursachen, z. B. den Witterungswechsel, Wind, Sturm, Orkan, Donner, Fluten, Erdbeben, ist also nichts als eine phantastische Meteorologie. Die positive A. hat es dagegen mit der Herrschaft der Sterne über unser Schicksal zu thun. Das Verfahren bei ihrer Ausübung besteht wesentlich in folgendem: Wenn der Astrolog einem Menschen die Nativität stellen, d. h. [974] sein Schicksal vorhersagen will, so sucht er zuerst für die Zeit seiner Geburt nach dem Horoskop oder nach dem Punkte der Ekliptik, der im Augenblick der Geburt dieses Menschen eben aufging, die zwölf Häuser des Himmels auf (s. Figur). Diese werden nämlich durch die zwölf Positionskreise bestimmt, welche als die größten Kreise der Sphäre den Äquator in zwölf gleiche Teile teilen und durch den nördlichen und südlichen Durchschnitt des Horizonts mit dem Meridian gehen, während der Positionsbogen in der A. den zwischen dem Positionskreis und dem Meridian enthaltenen Teil des Äquators bildet. Jenes Horoskop fängt zugleich das erste Haus an, von welchem aus man nun die übrigen, gegen O. unter dem Horizont fortgehend, zählt. Die Häuser folgen der Reihe nach aufeinander als das Haus des Lebens, des Glücks oder Reichtums, der Brüder, der Verwandtschaft, der Kinder, der Diener (nach andern der Gesundheit), der Ehe, das mit dem untergehenden Punkte der Ekliptik aufhört,
Horoskop (Himmelsfigur). | |
des Todes, der Religion, der Würden, welches mit dem zur Zeit der Geburt eines Menschen kulminierenden Punkte der Ekliptik anfängt, der Freundschaft und der Feindschaft. Das erste Haus ist direkt oder genau östlich gestellt, u. die übrigen folgen in fortschreitender Ordnung nach S., W., N. bis wieder zum O., gleich der Bewegung der Planeten. Sind die zwölf Häuser für die Zeit der Geburt des fraglichen Menschen gefunden, so sucht der Astrolog dann den Ort der Planeten in jedem Haus u. bemerkt die gegenseitige Lage oder die Aspekten, aus welchen er dann seine Vorhersagung zieht. Die aus der Blütezeit der A. herrührenden, noch jetzt in den Kalendern vorkommenden Regenten des Jahrs findet man durch die mit 7 dividierte Jahreszahl, wo dann der Rest der Division 1, 2, 3, 4, 5, 6 oder 0 in gleicher Ordnung anzeigt, daß Sonne, Venus, Merkur, Mond, Saturn, Jupiter oder Mars das Regiment des Jahrs führe. Außerdem sind der Kopf und der Schwanz des Drachen oder die Knoten, in welchen die Ekliptik durch die Planetenkreise geschnitten wird, und die Region des Glücks (der Fortuna) oder die Entfernung der Ebene des Mondes von der Sonne noch zwei für die A. wichtige Himmelsräume, welche, wenn sie innerhalb der einem Menschen gehörigen Konstellation liegen, den Grad seiner Macht etc. erhöhen. Das übrige der Kunst besteht hauptsächlich in einer genauen Ausfüllung des obigen Schemas durch Beobachtung und Berechnung, um dann daraus eine weissagende Antwort zu bilden. Vgl. Maury, La magie et l’astrologie dans l’antiquité et au moyen-âge (4. Aufl., Par. 1877); Mensinger, Über ältere und neuere A. (Berl. 1872); Häbler, A. im Altertum (Zwick. 1879, Programm); Hankel in „Westermanns Monatsheften“, Bd. 25.