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MKL1888:Auswanderung

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Auswanderung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 157164
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Auswanderung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 157–164. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Auswanderung (Version vom 24.11.2024)

[157] Auswanderung, das offene und gesetzliche wie auch das heimliche Verlassen des Landes, welchem man durch Geburt oder festen Wohnsitz angehört, in der Absicht, unter völligem Aufgeben des bisherigen Vaterlandes und der staatsbürgerlichen und heimatlichen Rechte sich in einem neuen Vaterland anzusiedeln. Hiernach unterscheidet sich die A. vom länger dauernden Reisen dadurch, daß bei ihr, sei es infolge förmlicher Entlassung aus dem Staatsverband, oder sei es wegen über eine bestimmte Zeitdauer hinaus fortgesetzten ununterbrochenen Aufenthalts im Ausland, die seitherige Staatsangehörigkeit verloren geht. So wird die deutsche Staatsangehörigkeit durch einen zehnjährigen Aufenthalt in der Fremde eingebüßt. Hiergegen kann man sich jedoch schützen dadurch, daß man sich bei einem Reichskonsulat immatrikulieren läßt. Die genannte Frist von zehn Jahren kann durch Staatsvertrag auf fünf Jahre herabgesetzt werden, wenn die Staatsangehörigkeit inzwischen im fremden Land erworben wurde (sogen. Bancroft-Verträge, genannt nach dem frühern nordamerikanischen Gesandten Bancroft in Berlin, der zuerst 22. Febr. 1868 einen solchen Vertrag mit dem Norddeutschen Bund abgeschlossen hatte). Die Auswanderer beabsichtigen, sich im neuen Heim eine dauernde Existenz zu gründen. Hierdurch unterscheiden sie sich von den Emigranten, unter welchen politische Flüchtlinge verstanden werden, die im Ausland eine vorläufige Zufluchtsstätte suchen. In der angegebenen Begrenzung wäre die A. aus Kolonialstaaten nach deren Besitzungen eine A. im eigentlichen Sinne nicht zu nennen, vielmehr eine Kolonisation; dennoch schließen wir auch diese Art von A. in unsre Betrachtung ein, weil nur ein Zusammenfassen aller Richtungen einen klaren Einblick in das Getriebe einer überall regsamen Völkerbewegung geben kann.

In älterer Zeit, in welcher die Einzelwanderung durch Hemmnisse rechtlicher Art und durch mangelnde Verkehrsentwickelung (Schwierigkeit des Reisens, Unkenntnis fremder Länder) erschwert war, kamen Auswanderungen mehr in der Form von Massenwanderungen vor. Das Mutterland gab einen Teil seiner Bewohner zur Gründung von Kolonien ab, besiegte Völker wurden von den Siegern nach einer andern Gegend verpflanzt (Juden), ein Volk wurde durch ein andres aus seinen Wohnsitzen verdrängt, oder es wanderte, um anderwärts ein besseres Heim zu finden (Völkerwanderung, eine derselben ähnliche Erscheinung weist die moderne Zeit im „Trekken“ der Boers in Südafrika wie in der Wanderung der Mormonen von Nauvoo nach Utah auf). Beispiele erzwungener A. aus späterer Zeit sind die Verjagung der Mauren aus Spanien, der französischen Protestanten unter Ludwig XIV., der Salzburger unter Erzbischof Firmian. In der neuern Zeit ist der Besuch fremder Länder durch Erweiterung der persönlichen Freiheitsrechte (Aufhebung der Hörigkeit, Gewährung freien Reiserechts, Wegfall einer großen Zahl polizeilicher Reiseerschwerungen) sowie durch eine großartige Verkehrsentwickelung außerordentlich erleichtert, und es trägt infolgedessen die moderne A. fast ausschließlich den Charakter der freiwilligen Einzelwanderung.

Die Motive, welche zum Aufgeben der Heimat veranlassen, können sehr verschiedene sein: religiöse, politische, ökonomische. Während die beiden ersten in früherer Zeit mächtige Triebfedern waren, ist in der Jetztzeit fast ausschließlich der Wunsch nach Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse maßgebend. Die Stärke der A. wird hiernach zunächst bedingt durch die Schwierigkeit, sich in der Heimat eine befriedigende Existenz zu schaffen. So kann eine länger dauernde Notlage ganze Scharen von Auswanderern über die Grenze treiben. Hatte doch Irland nach 1840 in kurzer Zeit über 30 Proz. seiner Bevölkerung durch A. verloren. Allerdings ist die Dichtigkeit der Bevölkerung nicht ausschließlicher Maßstab für die Schwierigkeit des Erwerbs, der unter Umständen durch Zunahme der Bevölkerung geradezu erleichtert werden kann. Auch in dünn bevölkerten Ländern kann infolge von Unfruchtbarkeit des Bodens, unzureichender Entwickelung von Industrie, Handel und Verkehr oder auch von besondern Rechtsgestaltungen (Bildung von Fideikommissen und Latifundien) die Ernährung eine sehr schwierige sein, wie denn in Deutschland die A. aus Mecklenburg und Pommern eine stärkere ist als aus der Rheinprovinz. Dann hängt die A. ab von den Aussichten, welche sich außerhalb des Heimatslandes bieten. Einen Beleg dafür gibt die Geschichte der wirtschaftlichen Zustände Nordamerikas in den letzten Jahren. Ganz in dem Maß, wie sich dieselben mehr oder wenig günstig gestalteten, [158] ist die Ziffer der Einwanderer aus Europa gestiegen oder gefallen. Von großem Einfluß auf die A. ist die ganze geschichtliche Entwickelung eines Volks. So zeichnet sich die kinderreiche germanische Rasse durch einen traditionellen Wandertrieb aus, während der größte Teil der Slawen zwar zum Wandern innerhalb der Grenzen des eignen Landes geneigt genug ist, zum Auswandern sich aber nur schwer entschließt. Von den romanischen Völkern sind die seßhaftesten die Franzosen, während der Italiener wieder leichter sein Vaterland verläßt.

Die deutsche A. nach Osten, d. h. nach Rußland, Ungarn und Siebenbürgen, wurde angeregt durch die Herrscher jener Länder, welche menschenleere Gebiete zu bevölkern und ihre halbbarbarischen Unterthanen durch deutsche Kultur auf eine höhere Stufe zu heben gedachten. Die deutsche A. nach Westen, namentlich nach Nordamerika, wurde ursprünglich veranlaßt durch politische und religiöse Bedrückung, durch Kriegs- und Hungersnot. Die große Hungersnot 1816–17 hob die bisher auf wenige Tausende beschränkte A. plötzlich auf 20,000 Seelen. Dann sank letztere wieder, bis die Reaktionsperiode der 30er Jahre eine neue Steigerung brachte, die 1847 ihren Kulminationspunkt erreichte. Einen plötzlichen Sprung machte die A. abermals 1852, gelangte 1854 zu einer früher nicht annähernd dagewesenen Ziffer (127,694), um dann wieder rasch zu sinken, bis sie infolge des amerikanischen Bürgerkriegs 1861 auf die niedrigste Stufe (30,939) herabging. Die Beendigung dieses Kriegs ließ die A. schnell steigen, einen noch mächtigern Anstoß gab der Krieg von 1866, während der von 1870 bis 1871 ein schnelles Nachlassen zur Folge hatte. Kaum aber war der Krieg beendet, so hob sich die A. wiederum, bis sie 1872 das Maximum von 125,650 erreichte. Die auch Amerika heimsuchenden Krisen hemmten den Auswanderungsstrom von neuem, bis der wunderbare wirtschaftliche Aufschwung der Union 1880 denselben zu einer alles früher Dagewesene überbietenden Mächtigkeit anschwellte (s. unten).

Die britische A. hat ihren Grund zwar zum Teil in ähnlichen Verhältnissen gehabt, zuerst in religiöser Unterdrückung, Hungersnot (1846); vornehmlich aber ist sie gefördert worden durch den britischen Kolonialbesitz und durch die mit Nordamerika bestehende Stammesverwandtschaft. Seit 1863 sank die britische A. nur einmal (1877) unter 100,000. Nicht absolute Bevölkerungsdichtigkeit, wohl aber das Unvermögen einer sich schneller als andre mehrenden Volkszahl, unterstützt durch große Vertrautheit mit dem Meer, veranlaßt die skandinavischen Völker zur Übersiedelung nach überseeischen Ländern. Und wenn die Schweiz und Italien jährlich verhältnismäßig hohe Kontingente zur Auswandererziffer liefern, so ist der Grund bei den einen wohl in dem höher entwickelten Unternehmungsgeist, bei den andern in einer gewissen Beengtheit und dadurch geschaffenen mißlichen Lage zu suchen. Österreich-Ungarn hat noch weite Striche innerhalb seiner Grenzen zu bevölkern, noch mehr Rußland, bei welchem die A. sogar durch die Einwanderung übertroffen wird, während Frankreichs geringe Bevölkerungszunahme fast vollständig Raum findet in der durch stetige Kapitalbildung erweiterten und verbesserten Werkstatt des Volkslebens. Diese günstigen Bedingungen haben dem industriereichen Belgien sogar schon seit Jahren eine beträchtliche Zuwanderung verschafft. Der beschränkte Raum der Heimat sendet alljährlich Scharen chinesischer Auswanderer nach allen Richtungen ins Ausland, wo diese mäßigen und arbeitsamen Menschen in erfolgreiche, ja bedrohliche Konkurrenz mit europäischer Arbeit treten.

Wie die beiden Faktoren: Volksvermehrung und die Möglichkeit, den Anforderungen zu genügen, welche eine steigende Bevölkerung an das Leben stellt, die A. beeinflussen, mag nachstehende Tabelle zeigen:

Geburtenüberschuß und Auswanderung in neun Hauptgebieten.
Staaten Geburtenüberschuß Auswanderung
Beob­ach­tungs­peri­ode Zahl der Jah­re Mittl. Bevöl­kerungs­ziffer der Peri­ode Wirk­liche Zahl für alle Jahre der Peri­ode Jähr­lich auf 1000 Einw. Beob­ach­tungs­peri­ode Zahl der Jah­re Wirk­liche Zahl für alle Jahre der Peri­ode Jähr­lich auf 1000 Einw.
Groß­britannien u. Irl. 1872–82 11 33627000 4773946 13,89 1872–82 11 2142458 6,90
Deutsch­land 1872–82 11 43767000 5927458 12,63 1872–82 11 923655 1,93
Italien 1872–81 10 27630000 2020789 7,31 1876–82 7 255852 1,14
Schweden 1871–81 11 4367000 587901 13,48 1871–81 11 148493 2,94
Nor­wegen 1871–81 11 1833300 279225 14,23 1872–82 11 126914 6,35
Öster­reich 1870–80 11 21270000 1818001 7,77 1870–80 11 77605 0,33
Däne­mark 1871–80 10 1877000 224300 11,95 1872–82 11 54258 2,56
Schweiz 1871–80 10 2757000 201618 7,31 1872–82 11 53714 1,73
Frank­reich 1873–81 8 36887000 952488 3,23 1872–77 6 31692 0,13

Aus dieser Aufstellung geht hervor, daß die relative Stärke der deutschen A. vielfach überschätzt wird. Namentlich wird dies klar, wenn wir die drei Teile des britischen Königreichs gesondert betrachten. Denn in der Periode 1871–82 nimmt Deutschland unter sieben Staaten erst den sechsten Platz ein. Es stellt sich nämlich für jene Zeit die mittlere Zahl der Auswanderer, auf 1000 der mittlern Bevölkerung berechnet, bei Irland auf 1101, Norwegen 635, Schottland 531, England 438, Dänemark 256, Deutschland 193 und Schweiz 173. Deutschland stellt sich ferner für 1871–81 zu Schweden wie 170 : 294, für 1872–81 zu Portugal wie 169 : 318.

Daß die A. den Staaten, zu denen sie sich wendet, in der Regel einen Vorteil bringt, ist leichtverständlich. Zur A. entschließen sich vorwiegend jüngere und kräftigere Elemente. So war in den 70er Jahren das Verhältnis des männlichen Geschlechts zum weiblichen bei den Auswanderern = 126 : 100, bei der Reichsbevölkerung nur 103 : 100, und es kamen von je 1000 Auswanderern der Jahre 1880 und 1881:

solche von bei den Aus­wanderern bei der ganzen Bevölkerung
 0–20 Jahren 427 443
20–40   472 293
40 Jahren und mehr 101 264

In der neuern Zeit wandern mehr ganze Familien aus als früher. Infolgedessen ist der Prozentanteil des weiblichen Geschlechts und der Kinder gestiegen. Dann kommen die Auswanderer auch nicht ganz mittellos in das fremde Land. Kapp berechnet, daß die Vereinigten Staaten allein von Deutschland [159] in 50 Jahren 500 Mill. Thlr. bar und 1751 Mill. Thlr. an Kapitalwert gewonnen haben, und daß Europa täglich rund 1 Mill. Doll. durch seine Auswanderer an die Union abgibt. Nach andern Schätzungen hat Deutschland in diesem Jahrhundert durch seine Auswanderer an Vermögen und fahrender Habe 11/2, in dem an die Auswanderer aufgewendeten Erziehungskapital 2, zusammen also 31/2 Milliarden Mk. eingebüßt. Diese Summen beruhen wohl auf allzu hohen Schätzungen. Denselben stehen die Summen gegenüber, welche durch Einwanderung gewonnen werden. Das Erziehungskapital ist freilich verloren, oder es hätten die Eltern der Auswanderer ohne den Erziehungsaufwand ein bequemeres Leben führen können. Nachdem nun aber einmal die Kinder erzeugt und erzogen sind, fragt es sich nur, ob ihre Kräfte anderweit hätten wirtschaftlich verwandt werden können. Ist dies nicht der Fall, wären sogar die Auswanderer der Gesellschaft zur Last gefallen, so ist der durch die A. entstehende Verlust an Erziehungskapital nicht weiter zu beklagen. Wird zwar die augenblickliche Bevölkerungszahl durch die A. gemindert, so wird oft, und zwar gerade bei den wanderlustigsten Nationen, die entstandene Lücke rasch wieder ausgefüllt. Einen positiven Gewinn kann die A. dem Mutterland dadurch bringen, daß sie die Grundlage einer dauernden Handelsverbindung bildet. Dies wird insbesondere dann leicht der Fall sein, wenn die Auswanderer sich Ländern zuwenden, in welchen eine verwandte Nationalität mit gleicher Sprache, Sitte und Kultur vorherrscht, oder wenn sie auch nur unter fremden Völkern durch festes, selbstbewußtes Auftreten und wachsende Zahl ihrer Nationalität mehr und mehr Geltung zu verschaffen wissen. Dies haben insbesondere die Briten verstanden und dadurch ihre Weltmachtstellung über alle Meere ausgebreitet, während leider die Deutschen in der Regel nach kürzerm oder längerm Verweilen in den sie umgebenden fremden Nationalitäten gänzlich aufgegangen sind.

Staatliche und private Thätigkeit.

Die Auswanderungspolitik des Staates trägt heute einen wesentlich andern Charakter als noch vor 100 Jahren. Standen der A. im Mittelalter vielfach Rechte Dritter im Weg (Hörigkeit), so suchte man sie später, insbesondere in der Blütezeit des Merkantilsystems, durch Verbot und Abgaben (Gabella emigrationis) zu beschränken, um dem Land eine größere Volkszahl zu erhalten. Vielfach wurde die heimliche A., insbesondere aber das Anwerben und Verleiten zur A., mit strengen Strafen, selbst mit „Leibes- und Lebensstrafen“, bedroht (vgl. Bevölkerung). Heute dagegen ist die A. in den Kulturländern ganz freigegeben, sofern nicht durch dieselbe die gegen den Staat zu erfüllenden Pflichten (Militärpflicht) verletzt werden. Der Grundsatz der Auswanderungsfreiheit ist im deutschen Bundes- (jetzt Reichs-) Gesetz vom 1. Juni 1870 ausdrücklich anerkannt. Der A. von einem Lande des Reichs in das andre (gewöhnlich Überwanderung genannt) werden überhaupt keine Schwierigkeiten in den Weg gestellt. Auch die Entlassung aus dem Reichsverband darf in Friedenszeiten niemand versagt werden, der seinen Pflichten als Angehöriger des Militär- oder des Beamtenstandes genügt hat. Aktiven Militärpersonen ist die Entlassung unbedingt zu versagen, andern kann dieselbe nur unter gewissen Voraussetzungen erteilt werden. Heimliche A. solcher Personen bedrohen die § 140 u. 360, Abs. 3 des Reichsstrafgesetzbuchs mit Strafe. Ebenso ist die geschäftsmäßige Verleitung zum Auswandern durch Vorspiegelung falscher Thatsachen und durch Täuschung strafbar (§ 144). Die heutige Auswanderungspolitik ist mehr darauf gerichtet, im Interesse der Auswanderer selbst geeignete Maßregeln zu ergreifen durch gesetzliche Bestimmungen über die Thätigkeit von Auswanderungsagenten, Anstellung von Beamten zur Beaufsichtigung des Auswanderungswesens an Seeplätzen, Schutz der Ausgewanderten in fremden Ländern etc. Dazu tritt noch in der neuern Zeit das Bestreben, den Auswandererstrom dahin zu leiten, wo er dem Mutterland ersprießliche Dienste leisten könne (vgl. Kolonien). In den Bereich der Staatsthätigkeit gehört auch die Führung einer geordneten Auswanderungsstatistik, wie sie auf Grund der Listen von Auswandererschiffen, dann auf Grund ausgestellter Pässe und Entlassungsurkunden aufgestellt werden kann. Allerdings muß, da Reisende und Auswanderer nicht immer streng zu scheiden sind, auf volle Genauigkeit verzichtet werden, wie denn auch die in Nordamerika geführten Listen mit den europäischen keineswegs immer übereinstimmen.

Preußen nahm schon 1847 die Auswanderungsangelegenheit in die Hand, dann 1848 die deutsche Nationalversammlung, 1850 die deutsche Union, wodurch ein besonderes Auswanderungs- und Kolonisationsamt eingesetzt werden sollte. Mit der Union scheiterte auch dieser Plan. Jetzt beschäftigt sich die Regierung des Deutschen Reichs insoweit mit der A., daß sie einen Reichskommissar bestellt, dem die Überwachung der deutschen Auswandererschiffe zum Zweck der Erfüllung der vorgeschriebenen Regulative unterstellt ist. Auf den Gewerbebetrieb der Auswanderungsunternehmer und -Agenten finden die Bestimmungen der deutschen Gewerbeordnung keine Anwendung. Die für denselben erforderliche gesetzliche Regelung bleibt der Landesgesetzgebung überlassen, welche dann auch an der meist schon früher eingeführten Konzessionspflicht festgehalten hat. Die private Thätigkeit hat sich der Auswanderungsfrage in vielen Ländern zugewandt. Von den seit 1843 gegründeten Gesellschaften sind zu nennen: der Auswanderungsverein in Düsseldorf (1843), dann (1848) Vereine zu Dresden u. Leipzig, der Nationalverein für deutsche A. zu Frankfurt a. M. mit Zweigvereinen in Darmstadt, Reutlingen, Karlsruhe, Limburg, Wiesbaden, der Verein zur Zentralisation deutscher A. und Kolonisation zu Berlin (1849), der Verein zur geistlichen Fürsorge für die deutschen Auswanderer in den westlichen Staaten der Union (1852). Bestimmte Gebiete faßten ins Auge: der Deutsche Adelsverein für Texas (1844), der Preußische Verein für die Mosquitoküste, der Bülowsche für Zentralamerika, der Stuttgarter für Chile, ein Verein für Westaustralien, der Kolonisationsverein für Südbrasilien (1849) in Hamburg, der von allen jenen allein noch besteht. In neuester Zeit haben der Zentralverein für Handelsgeographie, der Westdeutsche Verein, der Münchener Verein sich mit der Auswanderungsfrage wenigstens insoweit beschäftigt, als sie die deutsche A. in geeignete Gebiete zu lenken strebten. Auch in den Häfen, in welchen sie landen, finden die Auswanderer vielfach Schutz und Beihilfe durch gemeinnützige Vereine. In New York besteht zum Schutz derselben eine eigne offizielle Einwanderungskommission, welcher auch die Vorsitzenden der deutschen und der irländischen Gesellschaft angehören.

Länder mit überwiegender Auswanderung.

Deutschland hat schon seit den frühsten Zeiten Auswandererzüge über seine Grenzen nach Osten und Südosten entsandt. So wurden die östlichsten Provinzen [160] Preußens, die baltischen Herzogtümer, große Teile von Polen und Südrußland, ebenso weite Striche Ungarns und Siebenbürgens durch deutsche Auswanderer kolonisiert. Eine eigentliche A. nach Rußland begann unter Katharina II., sie wurde auch von ihren Nachfolgern eifrig gefördert. Nach Ungarn kamen Deutsche schon seit Geisa II. und nach langer Unterbrechung durch Maria Theresia und Joseph II. Doch beträgt die deutsche Bevölkerung nach dem Untergang zahlreicher deutscher Sprachinseln heute nur 1,882,371 Seelen, d. h. 12 Proz. der Gesamtbevölkerung. Weit bedeutender aber als diese östliche A. ist die namentlich seit den ersten Jahren dieses Jahrhunderts anhebende überseeische A.

Dieselbe richtete sich anfangs ausschließlich nach Nordamerika, und der Zug dorthin ist auch heute noch so stark, daß von der gesamten deutschen A. 95 Proz. auf dieses Gebiet entfallen. Die ersten Deutschen kamen 1683 aus Frankfurt a. M. unter der Führung von Pastorius und siedelten sich in der Nähe von Philadelphia an. Es folgten dann über England und Rotterdam zahlreiche Züge nach, deren Stärke sich ziffermäßig nicht nachweisen läßt; doch darf man annehmen, daß bis 1820 mehrere Hunderttausende Deutscher nach Amerika übersiedelten. Später hat sich die deutsch6e A. über alle Erdteile verbreitet. Mit einer Schätzung derselben seit 1815 haben sich unter andern Gäbler, Löher und Pösche in Philadelphia beschäftigt. Ihre Berechnungen weichen indes so weit voneinander ab, daß die einen für die Periode 1815–1843 die Zahl 383,000, die andern 740,000 finden. Eine vollständige Statistik über die Zahl der Auswanderer, welche aus deutschen Häfen befördert wurden, besitzen wir erst seit 1847; doch schließt dieselbe auch die nichtdeutschen Auswanderer ein und berücksichtigt nicht die aus nichtdeutschen Häfen abgegangenen deutschen Auswanderer. Indes möchten diese beiden Mängel einander gegenseitig einigermaßen aufheben. Aus deutschen Häfen wurden deutsche und fremde Auswanderer befördert:

1847–53: 370415
1854–60: 446370
1861–67: 472881
1868–74: 772294
1875–81: 644442
1882–84: 590492

Seit 1871 werden die aus Bremen und Hamburg, seit 1872 die aus Antwerpen, seit 1874 die aus Stettin beförderten Auswanderer aus dem Deutschen Reich von den übrigen getrennt aufgeführt. Über diese vier Häfen wanderten Deutsche aus:

1873: 103638
1874: 45112
1875: 30773
1876: 28368
1877: 21964
1878: 24217
1879: 33327
1880: 106190
1881: 210547
1882: 193869
1883: 166119
1884: 143586

Über Havre wurden 1871–84 direkt 63,183 deutsche Auswanderer befördert. Das Hauptziel deutscher A. ist unverändert die amerikanische Union geblieben, andern überseeischen Gebieten haben sich nie mehr als 4–5 Proz. der gesammten deutschen A. zugewandt.

Die Ziele der deutschen Auswanderung 1871–84.
Staaten Auswanderer Von 1000 Auswan­derern
Vereinigte Staaten von Nordamerika 1250937 955,5
Britisch-Amerika 3289 2,5
Mexiko und Zentralamerika 444 0,4
Westindien 916 0,7
Brasilien 27128 20,7
Andre südamerikanische Staaten 8524 6,5
Afrika 2929 2,2
Asien 441 0,3
Australien 14664 11,2

Von der Gesamtzahl, 1,309,272, gingen 648,930 über Bremen, 531,670 über Hamburg, 7629 über Stettin und 121,043 über Antwerpen.

Die einzelnen Teile des Deutschen Reichs haben, wie die folgende Tabelle zeigt, in verschiedenem Maße sich hieran beteiligt.

Staaten und Landesteile Deutsche Auswande­rung 1871–81 Durchschnittl. jährliche Aus­wanderung auf 1000 Ew.
Provinz Ost- und Westpreußen 96820 2,63
  Brandenburg 35897 0,96
  Pommern 90400 5,34
  Posen 77425 4,13
  Schlesien 23000 0,52
  Sachsen 13791 0,51
  Schleswig-Holstein 46738 3,77
  Hannover 62500 2,72
  Westfalen 21464 0,95
  Hessen-Nassau 30081 1,75
  Rheinland 25893 0,58
Hohenzollern 750 1,01
Preußen ohne nähere Bestimmung 878
Preußen: 525637 1,75
Bayern 71669 1,23
Sachsen 26525 0,81
Württemberg 43591 2,01
Baden 33125 1,92
Hessen 20298 1,97
Mecklenburg-Schwerin 28665 4,51
Mecklenburg-Strelitz 3259 2,95
Thüringische Staaten 12544 0,97
Oldenburg 8866 2,39
Braunschweig 3227 0,84
Anhalt 1426 0,56
Waldeck 1074 1,73
Schaumburg-Lippe  1945 1,13
Lippe
Lübeck 887 1,27
Bremen 5894 3,42
Hamburg 11816 2,37
Elsaß-Lothringen 3762 0,22
Deutschland ohne nähere Bestimmung 1488
Deutsches Reich: 805698 1,62

Die verhältnismäßig stärkste A. weisen dünn bevölkerte und zwar vornehmlich Ackerbau treibende Landesteile auf, wie die Provinzen Pommern, Posen, Preußen, Schleswig-Holstein und Hannover, ferner die beiden Mecklenburg und Oldenburg. Hier ist es die unbefriedigende Verteilung von Grund und Boden, welche die Bewohner nach Ländern jenseit des Meers blicken läßt. Die industriereichen Gebiete liefern weit weniger Auswanderer, doch ist die Zahl derselben aus Württemberg, Baden, Hessen nicht unbedeutend; hier ist aber nicht die Not, vielmehr der Wunsch, eine wenn schon leidliche, aber dennoch den Unternehmenden nicht hinlänglich befriedigende Lage zu verbessern, die Triebfeder gewesen, wobei auch geschichtliche Überlieferungen mit ihrem Einfluß auf den Wandertrieb eine wichtige Rolle spielen. In den Seestädten haben naturgemäß eng geknüpfte Beziehungen mit dem Ausland die A. zu fördern vermocht.

Die A. aus Österreich-Ungarn läßt sich nicht mit Genauigkeit feststellen, da eine Anzahl von Leuten das Kaiserreich verläßt, ohne ihre Absicht kundzugeben. Für Cisleithanien gibt die offizielle Statistik 169,356 Personen an, welche 1850–83 auswanderten mit dem Vorsatz, nicht wieder zurückzukehren. Böhmen, Mähren, Tirol, Galizien, das Litorale, namentlich der Kreis Gradisca, liefern das stärkste Kontingent. Die Hauptmasse dieser Auswanderer nimmt [161] ihren Weg über Hamburg und Bremen nach Nordamerika, in den 17 Jahren 1867–83: 115,473 Personen. Eine ungarische Statistik über die A. fehlt gänzlich, die Aufzeichnungen in Hamburg und Bremen sowie die Statistik der Vereinigten Staaten geben uns nur Ausweise über die dort Abgereisten, resp. Angekommenen. Diese Auswanderer wenden sich mit wenigen Ausnahmen den Vereinigten Staaten zu, welche von den in der elfjährigen Periode 1871–81 aus Ungarn nachgewiesenen 24,463 Ausgewanderten 24,346 empfingen. Die A. über die Landesgrenze nach Rußland, Rumänien, Serbien etc. läßt sich ziffermäßig nicht darstellen, ist aber eine ziemlich beträchtliche.

Die Schweiz hat von jeher ein starkes Kontingent zur A. gestellt, indessen erreichte dieselbe doch erst seit den Notjahren 1846–54 eine größere Ausdehnung; später kam der Druck hinzu, welcher auf gewissen Industrien lastete. Nach dem offiziellen statistischen Werk „L’émigration suisse pour les pays d’outre-mer“ haben in den 16 Jahren 1868–83 im ganzen 84,775 Personen die Schweiz verlassen, von welchen 45,127 die Vereinigten Staaten aufsuchten.

Das Königreich der Niederlande veröffentlicht zwar seit 1869 eine Statistik der A., allein dieselbe ist wenig zuverlässig, da, wie die holländischen Beamten selbst zugeben, die Aufstellungen in sehr unregelmäßiger Weise Reisende sowie in die niederländischen Kolonien abgehende Beamte bald in die Rubriken aufnehmen, bald aber weglassen. Die sich schnell hebenden wirtschaftlichen Verhältnisse der letzten Jahre in den Vereinigten Staaten sind auch auf die holländische A. nicht ohne Einfluß geblieben. In den 21 Jahren 1861–81 sind 37,587 Niederländer in die Union gewandert. Die A. der Niederlande ist demnach eine sehr schwache, obschon außer Belgien kein europäischer Staat eine gleich dichte Bevölkerung (123 auf 1 qkm) besitzt.

Großbritannien hat schon seit frühen Zeiten seine Kinder in alle Weltgegenden entsandt; von 1815 bis 1883 haben 10,444,992 Menschen seine Häfen verlassen, davon fünf Sechstel Angehörige des Königreichs selber. Diese Zahl verteilt sich auf fünfjährige Perioden wie folgt:

1815–19: 97799
1820–24: 97548
1825–29: 121084
1830–34: 381956
1835–39: 287358
1840–44: 465577
1845–49: 1029209
1850–54: 1638945
1855–59: 800640
1860–64: 774111
1865–69: 1064988
1870–74: 1356214
1875–79: 796828
1880–83:  1535253

Von den oben genannten 10,444,992 Auswanderern gingen 6,860,261 in die Vereinigten Staaten, 1,765,586 nach Britisch-Nordamerika, 1,437,243 nach Australien und Neuseeland und die 381,902 Verbleibenden in verschiedene Länder; unter den letztern sind die südafrikanischen Kolonien die wichtigsten Gebiete. Von 1853 bis 1883 haben 5,405,917 Briten, 1,250,003 Ausländer und 325,450 Personen nicht ermittelter Nationalität britische Häfen verlassen; davon waren Engländer 2,516,356, Schotten 525,470, Irländer 2,346,091. Das Verhältnis der englischen zur irischen A. hat sich in jüngster Zeit völlig verschoben; während die erste 1853–55 nur die Hälfte der zweiten betrug, übertrifft sie dieselbe jetzt um ein Erhebliches (1883: 183,236 Engländer, 31,139 Schotten und 105,743 Iren). Dieser A. steht eine nicht unbeträchtliche Einwanderung oder Rückwanderung gegenüber, 1854–83: 1,508,778 Personen.

Dänemarks A. besteht zum größten Teil aus Angehörigen der ländlichen Bevölkerung und richtet sich zum überwiegenden Teil nach Nordamerika, nächstdem nach Australien. In den letzten Jahren hat das auch hier sich verbreitende Mormonentum der A. unter den begüterten Familien einen Anstoß gegeben. Nach der dänischen Statistik wanderten 1869 bis 1883: 74,423 Personen aus.

Schweden schickt die größte Zahl seiner Auswanderer nach den Vereinigten Staaten, doch richtet sich die meist aus dem Süden stammende A. von Arbeitern besonders nach Deutschland und Dänemark. Von 1861 bis 1882 wanderten 318,708 Individuen aus, d. h. jährlich 0,29 Proz. der Bevölkerung, in den letzten Jahren aber nahe an 3 Proz.

Norwegen, arm und unfähig, eine starke Bevölkerung zu ernähren, nötigt jährlich eine ansehnliche Zahl seiner Einwohner zur A., und die in der Fremde zu Wohlstand Gelangten ziehen beständig ihre Freunde nach. 1836–82 wanderten 292,398 Personen aus. Das Hauptziel norwegischer A. ist Nordamerika, eine kleine Zahl sucht Neuseeland und Victoria auf.

Frankreichs A. ist niemals bedeutend gewesen, eine natürliche Konsequenz seiner geringen Volksvermehrung, der glücklichen wirtschaftlichen Lage seiner Bewohner und der auch im Nationalcharakter begründeten Abneigung der Franzosen, ihr Land mit einem andern zu vertauschen. Eine offizielle Statistik der A. wurde zuerst 1857 veröffentlicht, dieselbe reicht bis 1883. Danach rekrutiert sich die französische A. in erster Linie aus den Departements Basses- und Hautes-Pyrénées, nächstdem aus der Gironde, Pyrénées-Orientales, Hautes-Alpes, Bouches du Rhône, Savoyen, Corsica, Doubs, Cantal, Gers. Die Gesamtsumme aller in dem 21jährigen Zeitraum 1857–77 aus Frankreich ausgewanderten Personen beträgt nur 148,290, und 1880–83 wanderten nur 14,168 Personen aus.

Italien, dessen Bevölkerungsdichtigkeit ihm die vierte Stelle unter den europäischen Staaten anweist, das aber bei mangelhaft entwickelten Erwerbsverhältnissen seiner schnell wachsenden Bevölkerung die nötigen Subsistenzmittel nicht zu gewähren vermag, entsendet einen von Jahr zu Jahr wachsenden Teil seiner Angehörigen ins Ausland, wo sie vorübergehend oder dauernd ihren Aufenthalt nehmen. Das größte Kontingent stellen die Provinzen Venetien, Piemont und Lombardei, demnächst Ligurien und die Umgegend von Cosenza, Potenza und Salerno. In 1869–83 bezifferte sich die italienische A. nach europäischen und außereuropäischen Staaten auf 1,774,536 Seelen. Dies schließt aber auch die zeitweilige A. ein, nicht nur die eigentliche, auf welche kaum die Hälfte der Gesamtzahl entfällt. Mit Vorliebe suchen die Italiener die südlichen und zentralen Teile des amerikanischen Kontinents auf, welche in den acht Jahren 1876–83 von 296,720 Auswanderern 230,383 aufnahmen, ein Beweis für die Anziehungskraft verwandter Sprache und Sitte. Die zeitweilige A. wendet sich in erster Linie nach Frankreich, dann nach Österreich-Ungarn, der Schweiz und Deutschland, zur Balkanhalbinsel und nach England.

Spanien veröffentlicht keine offizielle Statistik seiner A.; dieselbe läßt sich daher nur nach den Berichten der Länder feststellen, auf welche sie sich richtet, und nach den allgemeinen Angaben des Statistischen Büreaus zu Madrid. Die Auswanderungsziele der Spanier sind vornehmlich Algerien, Südamerika, weniger die Vereinigten Staaten. Die A. nach Algerien, jährlich 15–18,000 aus den südlichen Provinzen, verliert indes ihre ganze Bedeutung, da die meisten dieser Auswanderer nach kurzem, oft nur einjährigem [162] Aufenthalt wieder in ihre Heimat zurückkehren. Fast alle diese Auswanderer sind Ackerbauer, und es wurden 1881: 114,320 in der afrikanischen Kolonie gezählt. Aus den nördlichen Provinzen wandern jährlich 8–10,000 Menschen übers Meer, namentlich nach Argentinien, Brasilien und Uruguay.

Auch in Portugal wird keine offizielle Statistik über die A. geführt. Die gesamte A. des Königreichs mit Einschluß der Azoren und Madeiras in den zehn Jahren 1872–81 wird auf 133,008 Seelen angegeben, wovon 129,549 sich nach Amerika, vornehmlich nach Brasilien, wandten.

Die nationale überseeische Auswanderung aus den Hauptländern Europas.
Jahr Deut­sches Reich Groß­britan­nien Schweiz Öster­reich Schwe­den Nor­wegen Däne­mark Nie­der­lande Frank­reich Ita­lien Por­tu­gal
1871 75912 192751 3852 6169 13190 12276 3906 6383
1872 125650 210494 4899 6099 11969 13865 6893 8751 17284
1873 103638 228345 4957 6927 9646 10352 7200 3867 6832 12989
1874 45112 197272 2672 5837 3570 4601 3322 1042 6385 14835
1875 30773 140675 1772 10012 3691 4048 2088 2130 3785 15440
1876 28368 109469 1741 9259 3786 4355 1581 2402 2591 22392 11035
1877 21964 95195 1691 5887 2998 3206 1877 2403 3348 22698 11057
1878 24217 112902 2608 5395 4403 4863 2972 2783 ? 23901 9926
1879 33327 164274 4288 5929 12870 7608 3068 4664 ? 39827 13208
1880 106190 227542 7255 10145 36400 20212 5658 11875 4612 35677 12597
1881 210547 243002 10935 13341 40762 25976 7985 29110 4456 43725 14637
1882 193869 279366 10896 7759 44585 28804 11614 34321 5100 67632
1883 166119 320118 13502 7366 8375 19643 70436

Indiens häufig von Hungersnot heimgesuchte Bewohner zeigen sich leicht geneigt, andre, ihre Arbeit besser lohnende Striche aufzusuchen. Es geschieht dies weniger aus eignem Antrieb als infolge von Aufforderungen der dazu von der englischen Regierung autorisierten Agenten. Von den 1835–1882 ausgewanderten 657,679 Kulis gingen über drei Fünftel nach Mauritius. Einige Tausend gingen nach Natal, Britisch-Guayana, Britisch-Westindien, Französisch-Westindien, Réunion, Surinam etc. Gegenwärtig suchen auch Australien und Hawai die indische A. für sich zu gewinnen. Eine Rückwanderung führt die verlornen Elemente zum Teil wieder nach Indien zurück, so kehrten 1842–80 aus Mauritius 118,071 Kulis wieder.

China mit durchschnittlich 100 Bewohnern auf 1 qkm, in einzelnen Distrikten aber mit einer doppelt und dreifach so starken Bevölkerung entsendet ganze Völkerwellen landeinwärts nach der Mongolei, Tibet und Hinterindien, aber auch seewärts nach dem indischen Archipel, Australien und den polynesischen Inseln. Australien und Hawai suchen sich einer Überflutung durch die ihnen antipathischen Elemente zu erwehren, indem sie scharfe und drückende Regulative gegen die chinesische Einwanderung erlassen. Dasselbe versucht man in den Vereinigten Staaten, wohin bis 1883: 288,643 Chinesen zogen. Dagegen hat man sie als Arbeiter auf den Plantagen nach Britisch-Westindien gebracht (1861–66: 11,565). Eine außerordentlich starke Einwanderung richtet sich nach Singapur, wo in den beiden Jahren 1877 und 1878 gegen 100,000 Chinesen anlangten. Die jährliche Durchschnittszahl der chinesischen überseeischen A. darf auf mindestens 150,000 angeschlagen werden, doch kehren auch viele der Ausgewanderten wieder in ihr Vaterland zurück.

Ziele der europäischen Auswanderung.

Wie zu erwarten, richtet sich der Strom der Auswanderer mit Vorliebe auf Gebiete, in welchen Stammverwandte vorzufinden sind. Die Romanen: Spanier, Portugiesen, Italiener und Franzosen, wenden sich nach dem spanischen oder portugiesischen Amerika, auch nach dem französischen Algerien; die Germanen: Deutsche, Briten, Holländer, Skandinavier, Schweizer, suchen fast ausschließlich den Norden Amerikas, zu einem größern Bruchteil auch Australien auf. Keine der in neuester Zeit hervorgetretenen Bemühungen, dies Verhältnis zu ändern, haben irgend welche bemerkenswerte Wirkung gehabt.

Von den 1871–82 ausgewanderten Franzosen wandten sich 55,98 Proz., von den 1876–83 ausgewanderten Italienern 79,35 Proz. nach Südamerika, das als fast ausschließliches Reiseziel von Spaniern und Portugiesen angesehen wurde (s. weiter unten). Dagegen hat in der 13jährigen Periode 1871–1883 Nordamerika von der Gesamtauswanderung der betreffenden Länder folgende Prozentsätze empfangen: aus Deutschland 95,80, aus Schweden 97,95, aus Dänemark 86,06, aus der gemischtsprachigen Schweiz, die 23,70 Proz. nach Südamerika entsandte, 67,12 und aus Großbritannien, das 19,45 Proz. seiner Auswanderer an seine australischen Kolonien abgab, 73,06 Proz.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind seit vielen Jahren das Haupt- und Endziel aller europäischen A. gewesen. Ihre größere Nähe, großen Hilfsmittel und deren staunenswerte Entwickelung, dabei Notstände im ältern Europa haben den jährlich stärker anschwellenden Strom fortdauernd hierher gelenkt. Die Wahl der Berufsarten ist für die einzelnen Nationalitäten charakteristisch: während die Deutschen sich vorwiegend dem Ackerbau und dem Handwerk widmen, sind die Iren meist Arbeiter, die Engländer Handwerker, Fabrikarbeiter und Bergleute, die Schotten und Kanadier desgleichen, die Schweden meist Ackerbauer, die Franzosen Ackerbauer und Handwerker. Die Zahl der Rückwanderer ist dagegen geringfügig. Eine Bilanz läßt sich erst seit 1867 aufstellen. Mit Ausschluß der vom Ausland zurückgekehrten Angehörigen der Union und solcher Fremden, welche sich nicht dauernd niederzulassen beabsichtigten, sind in den Fiskaljahren 1867–1880 eingewandert 3,834,352, ausgewandert 640,764 Personen, so daß sich in diesem Zeitraum durch Einwanderung ein Bevölkerungszuwachs von 3,193,587 Seelen ergibt. Die gesamte Einwanderung in die Vereinigten Staaten seit 1821 betrug:

1821–30: 151824
1831–40: 599125
1841–50: 1713251
1851–60: 2598214
1861–70: 2491209
1871–80:  2944719
1881: 720045
1882: 730349
1883: 569628
1884: 461346

[163] Nach Nationalitäten verteilte sich die Einwanderung in dem Zeitraum 1821–84 folgendermaßen:

 Aus Europa 11290740
Großbritannien 5456757
Deutschland 3946972
Österreich-Ungarn 212748
Schweden-Norwegen 642040
Dänemark 97082
Niederlande 75654
Belgien 31018
Schweiz 136378
Frankreich 337662
Spanien u. Portugal 42207
Italien 181144
Rußland 130048
Andere europ. Länder 1030
 Aus Asien 290338
China 288727
Andre Länder 1611
 Aus Afrika 987
 Aus Amerika 1135898
Brit.-Nordamerika 1028791
Westindien 69775
Mexiko 26881
Zentralamerika 1376
Südamerika 9075
 Aus Australien 15306
 Aus nicht angegebenen Ländern 246351
Totalsumme: 12979620

Britisch-Nordamerika bezieht seine wenig zahlreiche Einwanderung fast ausschließlich aus Großbritannien, nennenswert ist noch die skandinavische. Die gesamte englische Einwanderung 1815–83 betrug 1,765,586 Seelen, doch werden die hiesigen britischen Kolonien von einer großen Zahl nur als Durchgangsland nach den Vereinigten Staaten benutzt; so gingen 1870–83 von 854,531 Immigranten 385,011 dorthin. Außerdem findet eine ziemlich ansehnliche Rückwanderung nach England statt.

Mexiko und Zentralamerika haben zu wiederholten Malen die A. an sich zu ziehen versucht, stets ohne sonderlichen Erfolg. Unternehmungen, welche den übrigen Republiken Zentralamerikas Auswanderer zuführten, sind kläglich gescheitert.

In Westindien stellte sich nach Aufhebung der Sklaverei ein dringender Bedarf an Arbeitskräften heraus, dem man abzuhelfen suchte, indem man 1839 und 1840 Deutsche und Franzosen, später auch Engländer dorthin lockte, welche aber meist dem Klima erlagen. Die Pflanzungen erfordern andre als nordeuropäische Kräfte, daher zog man Arbeiter aus Madeira, Afrika, China, namentlich aber aus Ostindien hierher. Dieselbe Klasse von Auswanderern wird auch nach Britisch-Guayana geleitet, während aus klimatischen Gründen Europäer diese Gegenden sehr wenig aufsuchen. Südamerika wird vorzugsweise von romanischen Völkern aufgesucht, doch haben sich fast sämtliche Regierungen bemüht, eine deutsche Einwanderung ins Land zu ziehen. So Venezuela 1843 nach einem von Humboldt gutgeheißenen Plan einige Hunderte; so Peru, das sich in der Geschichte der deutschen A. mit seiner Kolonie Pozuzu einen sehr übeln Namen gemacht hat; so Chile, wo, veranlaßt durch ein 1840 in Württemberg gebildetes Aktienunternehmen, einige Hundert Deutsche angesiedelt wurden. Weit stärker aber ist hier die Einwanderung von Italienern, in Peru von Kulis (1860–72: 80,458). Brasilien könnte in seine fruchtbaren Gebiete noch Hunderte von Millionen Menschen aufnehmen, und in der That sind schon seit 1812 Versuche gemacht worden, Einwanderer ins Land zu ziehen. Diese ersten kamen von den Azoren, 1818 kamen die ersten Deutschen, denen später noch viele andre nachfolgten. Die deutsche Einwanderung ist indessen schwach zu nennen gegen die der Romanen. In den Jahren 1855–83 sind rund 600,000 Menschen eingewandert, darunter 215,000 Portugiesen, 65,000 Deutsche und 320,000 andrer Nationalitäten (Italiener, Franzosen, Briten, Spanier). Die Italiener sind aber in den letzten Jahren am stärksten vertreten gewesen. Die Geschichte der deutschen A. nach Brasilien ist wenig befriedigend; namentlich haben die Parceria- (Halbpacht-) Verträge deutscher Einwanderer mit brasilischen Großgrundbesitzern Brasilien in sehr schlechten Ruf gebracht. Dazu kommt das verderbliche Klima der nördlichern Gegenden, das viele der Einwanderer hinraffte. Daher wurde 3. Nov. 1859 in Preußen durch Ministerialreskript die A. nach Brasilien bedeutend erschwert; das südliche Brasilien ist aber für Deutsche vorzüglich geeignet, wie die dortigen blühenden deutschen Kolonien deutlich beweisen. Daß die A. nach Brasilien eine so schwache gewesen ist, daran trägt wesentlich schuld die wankelmütige Haltung der dortigen Regierung hinsichtlich der die Einwanderung und Kolonisation regelnden Bestimmungen.

Argentinien bemüht sich seit geraumer Zeit, die europäische A. an sich zu ziehen, und mit nicht geringem Erfolg. 1870–83 wanderten 632,238 Personen ein, aber in vielen Jahren auch nahezu die Hälfte der Ankommenden wieder aus. Heute berechnet man die Zahl der Fremden auf 7–800,000 Seelen, davon

Italiener 154000
Spanier 73200
Franzosen 69400
Engländer 23000
Schweizer 12100
Deutsche 10000

Das angrenzende, zwar dichter bevölkerte (2 gegen 0,8 auf 1 qkm), aber immer noch menschenleere Uruguay hat seine Einwanderung gleichfalls und noch ausschließlicher aus romanischen Staaten empfangen. Die Einwanderung ist fast ganz spanisch, italienisch oder französisch (1880 befanden sich unter 140,222 Fremden nur 2125 Deutsche). – Paraguay, fast ganz durch Bürgerkriege entvölkert, macht lebhafte Anstrengungen, die europäische A. für sich zu interessieren. Eine italienische Kolonie von 2000 Seelen gedeiht leidlich, eine 400 Köpfe starke deutsche nimmt in den letzten Jahren rasch zu.

Australien empfing die ersten freien Auswanderer schon einige Jahre nach seiner Besiedelung durch Sträflinge (1788), eine regelmäßige A. dahin begann aber erst 1825. Bis 1883 sind aus den britischen Inseln 1,511,542 Personen nach dem australischen Kontinent, Tasmania und Neuseeland gegangen. Die A. aus andern Ländern ist dagegen unbedeutend gewesen; aus Deutschland kamen 1828–83 über Hamburg und Bremen 55,226 Einwanderer. Einschließlich der in Australien Gebornen wird man die jetzige Zahl der Deutschen, welche in jüngster Zeit besonders durch Zuwanderung in Queensland gestiegen ist, auf über 100,000 schätzen dürfen. Auch nach Hawai hat man in den letzten Jahren größere Zahlen deutscher Auswanderer gebracht, um dieselben auf den Zuckerpflanzungen zu verwenden; die sich früher stark dorthin wendende chinesische A. sucht man jetzt zurückzuhalten und durch Einwanderer von den Azoren und Ostindien zu ersetzen.

Nach Algerien hat die französische Regierung schon seit der ersten Okkupation europäische Einwanderer zu lenken gesucht, aber ohne große Erfolge. Am stärksten ist die spanische und nächstdem die italienische Einwanderung, doch ist dieselbe zum großen Teil eine hin- und herströmende. Ägypten gewann 1873–77: 51,946 Menschen durch Einwanderung. Von allen europäischen Nationen sind es vornehmlich Griechen, Italiener und Franzosen, welche sich hier ansiedeln. In die englischen Kolonien am Kap kamen zuerst deutsche Legionäre nach dem Krimkrieg, 1858 wurden 2000 Norddeutsche auf Kosten der englischen Regierung und 1877 gegen 1000 Deutsche auf Kosten der Kolonialregierung eingeführt. Die Einwanderung aus England in die Kapkolonie und Natal bezifferte sich 1875–80 auf 39,981 Seelen, die Einwanderung von indischen Kulis nach Natal bis 1879 auf 21,489 Individuen.

[164] Rußland hat große noch unbesetzte Strecken in seinem Innern, von einer A. über seine Grenzen ist daher kaum die Rede; doch haben die in den letzten Jahren erlassenen Gesetze, welche die bisher vom Militärdienst befreiten deutschen Kolonisten dazu heranziehen wollten, eine A. veranlaßt, wovon 1871–81 über Hamburg und Bremen 67,332 Seelen gingen und zwar 55,409 in die Vereinigten Staaten, 6491 nach Kanada, 4221 nach Brasilien. Nach Wesselowsky („Annuaire des finances russes“ 1879) betrug 1857–1877 die Mehrauswanderung russischer Unterthanen 499,514, aber 1830–82 wanderten 7,249,178 Deutsche ein, 6,458,729 aus, so daß 790,449 im Land blieben. Rußland verliert also sehr wenig durch die A. der eignen Landesangehörigen, während sich fortdauernd ein beträchtlicher Zuzug aus andern europäischen Ländern geltend macht. – Serbien ist in derselben Lage; dünn bevölkert (35 auf 1 qkm) und fruchtbar, vermag es noch viele Einwanderer aufzunehmen. In 16 Jahren (1860–75) gewann es durch Einwanderung 51,033 (aus der Türkei 40,868, aus Österreich 10,209) Individuen.

In Belgien, dem am dichtesten bevölkerten Land Europas (188 Bewohner auf 1 qkm), überstieg nur in den Jahren 1841–66 die A. (160,441) die Einwanderung (113,898) um 46,543 Seelen. Seit 1867 aber hat die Einwanderung die A. fortdauernd überwogen, so daß Ende 1882 sich eine Mehreinwanderung von 64,528 Seelen ergab.

Litteratur. Wappäus, Die deutsche A. und Kolonisation (Leipz. 1846 u. 1848); v. Bülow, A. und Kolonisation (Berl. 1849); Gäbler, Deutsche A. und Kolonisation (das. 1850); Roscher, Kolonien, Kolonialpolitik und A. (3. Aufl., mit Jannasch, Leipz. 1885); J. Fröbel, Die deutsche A. und ihre national- und kulturhistorische Bedeutung (das. 1858); Sturz, Die Krisis der deutschen A. (Berl. 1862); Duval, Histoire de l’émigration européenne, asiatique et africaine (Par. 1862); Lammers, Die deutsche A. unter Bundesschutz (Berl. 1869); F. Kapp, Über A. (das. 1871); Bödiker, Die preußische A. und Einwanderung seit dem Jahr 1844 (Düsseld. 1879); Ratzel, Die chinesische A. (Bresl. 1876). Vgl. Kolonien.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 8082
korrigiert
Indexseite

[80] Auswanderung. Die zu Anfang der 80er Jahre zu Tage getretene Anschwellung der europäischen A. ließ in den Jahren 1885 und 1886 merklich nach, hob sich aber in den beiden darauf folgenden Jahren wieder recht bedeutend. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der A. nach den Vereinigten Staaten, welche regelmäßig weit über 90 Proz. der gesamten europäischen A. aufnahm. Die A. dorthin betrug aus

  1880–88 Durchschn. Proz. 1887 1888 Proz.
Großbritannien 80324 17,3 105472 100756 20,1
Irland 67612 14,5 72599 71761 14,4
Deutschland 149516 32,2 111256 106924 21,4
Norwegen u. Schweden 59737 12,9 69208 65949 13,2
Italien 26928 5,8 46180 47422 9,5
Österreich-Ungarn 31179 6,7 39824 41665 8,3
Rußland 20363 4,5 25748 37333 7,4
Dänemark 8516 1,9 9300 8756 1,7
Niederlande 5139 1,2 5276 5457 1,1
Schweiz 8231 1,9 6560 7619 1,5
Frankreich 4697 1,1 5580 6869 1,4
Zusammen: 462242 100,0 501323 506213 100,0

Demnach hat die A. nach den Vereinigten Staaten 1888 in allen europäischen Staaten zugenommen, nur Deutschland und die Schweiz machen eine Ausnahme. Und diese Zunahme ist eingetreten trotz der sehr scharfen Maßnahmen, welche die amerikanische Union getroffen hat, um sich des Zuzugs eines [81] mittellosen Proletariats zu erwehren. Dagegen zeigt der deutsche industrielle Arbeiterstand nur sehr vereinzelt die Neigung, sein verhältnismäßig auskömmliches, den Gegenstand einer arbeiterfreundlichen Reformgesetzgebung bildendes Dasein mit dem rücksichtslosen Ausbeutungssystem, wie es jenseit des Ozeans gang und gäbe ist, zu vertauschen.

Die überseeische deutsche und fremde A., welche im Durchschnitt der Jahre 1880–84 allein aus deutschen Häfen 204,158 Personen betragen hatte, fiel danach sehr schnell, sie betrug:

1885: 155147
1886: 166474
1887: 172462
1888: 187057

Die deutsche A. des letzten Jahrs belief sich dagegen auf 98,568 Seelen, wovon 52,974 über Bremen, 25,402 über Hamburg, 2295 über Stettin und andre preußische Häfen, 14,057 über Antwerpen, 3787 über Rotterdam und Amsterdam und 53 über französische Häfen gingen. Von der Gesamtzahl kamen 63,103 auf Preußen, 12,249 auf Bayern, 6445 auf Württemberg, 3860 auf Baden, 2297 auf Sachsen, 2220 auf Hessen, 1821 auf Hamburg etc. Was die Ziele der deutschen Auswanderer betrifft, so ist eine erhebliche Änderung außer für die Vereinigten Staaten nur insofern zu verzeichnen, als die A. nach Australien gegen 1883 auf ein Viertel sank und auch die A. nach dem übrigen Amerika beträchtlich zurückging, während die A. nach Asien zunahm. Es wanderten aus nach:

Jahr Vereinigte Staaten Bra­silien Übriges Amerika Austra­lien Afrika Asien
1884 139339 1253 2063 666 230 35
1885 102224 1713 2331 604 294 72
1886 75591 2045 1398 534 191 116
1887 95976 1152 1555 500 302 227
1888 94364 1129 1922 539 331 230

Diese Zahlen geben freilich die thatsächliche Höhe der A. nicht an, da allein in die Vereinigten Staaten 1888 nach offiziellen amerikanischen Aufzeichnungen 106,924 Deutsche einwanderten. Da aber solcher Mangel auch den Aufzeichnungen früherer Jahre anhaftet, so bleibt die Thatsache der Verminderung der deutschen A. für die letzten Jahre unerschüttert.

Man hat die gesamte überseeische A. seit Anfang der 20er Jahre auf 5,1 Mill. Menschen berechnet, und so müßte denn bei der Gesundheit der von Deutschen aufgesuchten Länder und dem bekannten Kinderreichtum deutscher Familien eine nach vielen Millionen zählende deutsche Bevölkerung im Ausland sich vorfinden. Thatsächlich ist dies aber nicht der Fall. Denn von den ausgewanderten Deutschen bleibt nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der deutschen Nationalität erhalten. Schon die ersten Einwanderer gehen nicht selten in dem fremden Volk auf, während dies bei den Kindern fast immer, bei den Enkeln sicher der Fall ist. Offiziell werden aber die im Land Gebornen regelmäßig diesem zugerechnet. Es kann daher ein seit langer Zeit von Deutschen aufgesuchtes Laud eine sehr starke deutsche Bevölkerung haben, ohne daß diese in den offiziellen Listen erschiene, während ein seit kurzem zum Auswanderungsziel gewählter Staat seine volle oder nahezu volle Quote des Deutschtums in seinen Listen verzeichnet. Die veröffentlichten Nachweise über die Zahl der Deutschen im Ausland geben daher bei weitem nicht die volle Zahl unsrer im Ausland lebenden Landsleute an, doch erlauben sie unter Berücksichtigung der vorstehend angedeuteten Verhältnisse immerhin einen Schluß auf die wahre Stärke des Deutschtums in den einzelnen Staaten. Nach den letzten amtlichen Erhebungen beträgt die Zahl der Deutschen in:

Ver. Staaten (1880) 1690410
Eur. Rußland (1869) 983471
Kanada (1881) 254319
Schweiz (1880) 95262
Brasilien (1872) 45829
Australien und Neuseeland (1881) 42129
Niederlande (1879) 42026
Rumänien (1888) 41500
Großbritannien (1881) 40371
Belgien (1880) 34196
Dänemark (1880) 23152
Kaukasien (1869) 8876
Italien (1881) 5234
Sibirien (1869) 5060
Argentinien (1869) 4997
Chile (1875) 4678
Schweden (1880) 3289
Bulgarien (1887) 2245
Uruguay (1883) 2125
Finnland (1880) 1800
Peru (1876) 1672
Hawai (1884) 1600
Norwegen (1875) 1471
Venezuela (1882) 1171
Spanien (1877) 952
Ägypten (1882) 948
Island (1881) 927
Paraguay (1888) 740
Japan (1885) 318
Griechenland (1879) 314
Russ.-Zentralasien (69) 236
Tonga (1884) 63
Korea (1889) 31

Diese Tabelle ist allerdings nicht vollständig. Es fehlen darin das Kapland, in welchem eine beträchtliche Anzahl Deutscher wohnen, sowie Natal und die Burenrepubliken, Ost- und Westafrika, in welchen wir Kolonien besitzen, ebenso das Kaiser Wilhelms-Land auf Neuguinea, wo eine große Anzahl deutscher Beamten arbeiten, sowie Mexiko, Portugal, China u. a. Indessen handelt es sich bei diesen Gebieten im ganzen doch nur um einige Tausende. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die oben angegebenen Zahlen entweder nur auf in Deutschland Geborne sich beziehen oder auf deutsche Reichsangehörige. So stellt die oben für die Vereinigten Staaten angegebene Zahl keineswegs die dort lebenden Deutschen dar, welche sich noch als solche fühlen und weder ihre Muttersprache aufgegeben, noch ihr altes Stammland vergessen haben. Will man die Umgangssprache als bestimmend ansehen, so hat man nach Ratzel mindestens 4, nach andern sogar 7–8 Millionen als Deutsche zu rechnen, in denen sich das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu dem alten Stamm noch erhalten hat. Für Rußland haben Rittich und Wenjukow Berechnungen der verschiedenen Nationalitäten des Zarenreichs gemacht. Allein die oben für das europäische Rußland angegebenen Zahlen werden von Kennern der Verhältnisse als viel zu niedrig angesehen. Es wird behauptet, daß hier mindestens 1,250,000 Deutsche leben. Bekanntlich ist das Deutschtum sehr stark in Polen (400,000), bei Saratow (260,000), in den deutschen Kolonien bei Petersburg (60,000), am Schwarzen Meer, in Transkaukasien, Wolhynien, in den Ostseeprovinzen (200,000) vertreten. Daß es freilich an allen diesen Punkten der jetzt herrschenden Russifizierungswut erliegen wird, ist eine sicher vorauszusehende Thatsache. Was über die Vereinigten Staaten gesagt ist, darf, wenn auch in beschränkterm Maß, ebenfalls für Kanada gelten. Bei der Schweiz sind nur die deutschen Reichsangehörigen vermerkt worden; will man die Umgangssprache als maßgebend gelten lassen, so hat man nach dem Zensus von 1888 als Deutsche 2,092,530 gelten zu lassen. Für Brasilien dürfen wir bei demselben Verfahren 150–200,000, für Australien mit Neuseeland 100,000 als Deutsche in Rechnung stellen. Daß die Zahl 40,371 für Großbritannien viel zu niedrig gegriffen ist, wird klar, wenn man erfährt, daß 1881 zwar in London 21,966 Deutsche gezählt wurden, hier aber mindestens 50,000 Deutsche in den allerverschiedensten Lebensstellungen wohnen. Ähnlich steht es mit andern Gebieten, so wird die Zahl der Deutschen in Argentinien 1882 auf 50,000 veranschlagt. Will man aber zu einer Schätzung sämtlicher Deutschen auf der Erde kommen, ohne auf ihre politische Zugehörigkeit Rücksicht zu nehmen, so darf man [82] Österreich-Ungarn nicht vergessen, wo nächst dem Deutschen Reich das Deutschtum trotz aller Angriffe der andern Nationen des polyglotten Kaiserreichs noch immer weitaus am stärksten dasteht. Nach dem letzten Zensus von 1880 zählte man in Österreich 8,008,864, in Ungarn 1,798,373, also im ganzen Kaiserreich 9,807,237 Deutsche. Mit Hinzurechnung dieses großen Gebiets und der Schweiz wird man unter Berücksichtigung der nach allen Gegenden der Welt seit langen Zeiten gerichteten deutschen Auswanderung gewiß nicht fehlgehen, wenn man die Zahl aller Deutschen auf der Erde rund zu 66–67 Mill. Individuen veranschlagt, eine Zahl, die sich auf 701/2 Mill. erhöht, sobald man die Niederdeutschen in Holland mit seinen jetzigen und ehemaligen Kolonien, in Belgien und in Frankreich hinzurechnet.