MKL1888:Autonomīe

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Autonomīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 172173
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Autonomīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 172–173. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Autonom%C4%ABe (Version vom 24.03.2022)

[172] Autonomīe (griech., Selbstgesetzgebung, Selbstsatzung), die Befugnis eines Gemeinwesens, unbeschadet des staatlichen Gesetzgebungsrechts, zur Regelung innerer Angelegenheiten Bestimmungen mit rechtsverbindlicher Kraft für seine Angehörigen zu erlassen. Der Umstand, daß die staatliche Autorität im Mittelalter nur wenig entwickelt, und daß der moderne Grundsatz der Zentralisation auf dem Gebiet der Gesetzgebung noch nicht zu einer konsequenten Aus- und Durchführung gelangt war, mußte der autonomischen Rechtsbildung im Mittelalter ganz besonders günstig sein. Die deutsche Reichsgesetzgebung war leider eine nur spärlich fließende Rechtsquelle, und die Autorität der Reichsregierung sank mehr und mehr. Kein Wunder also, daß die partikulare Gesetzgebung in den einzelnen Territorien, die Landesordnungen der Dynasten, die Statuten der Gemeinden, die Satzungen der Zünfte und andrer Korporationen die Reichsgesetzgebung überwucherten. Besonders waren es die Städte, welche sich ihr eignes Stadtrecht und namentlich auf dem Gebiet des Privatrechts ein besonderes Recht schufen, so daß neben den durch Gewohnheitsrecht entstandenen Normen ganz besonders die A. für jene Zeiten als Rechtsquelle zu bezeichnen ist. Wie aber das Gewohnheitsrecht heutzutage fast aufgehört hat, eine fließende Quelle des Rechts zu sein, so ist auch die A. der Gemeinden von der modernen Gesetzgebung mehr und mehr absorbiert worden. Gleichwohl besteht auch noch heutzutage das Recht der A. der Gemeinden und andrer Kommunalverbände (Provinzen, Kreise, Bezirke), wenngleich in beschränktem Umfang und mit dem Charakter einer von der staatlichen Gesetzgebung abgeleiteten Befugnis. Diese Verbände haben nämlich regelmäßig das Recht, innere Angelegenheiten durch rechtsverbindliche Statuten zu ordnen. Dies wird auch von der gegenwärtigen Reichsgesetzgebung anerkannt. So bestimmt z. B. die deutsche Gewerbeordnung (§ 142), daß die durch das Gesetz bezeichneten gewerblichen Gegenstände durch Ortsstatuten, welche auf Grund eines Gemeindebeschlusses nach Anhörung der beteiligten Gewerbtreibenden erlassen werden, mit verbindlicher Kraft geordnet werden können. Derartige Statuten bedürfen jedoch der Genehmigung der höhern Verwaltungsbehörde; auch ist die Zentralbehörde befugt, Ortsstatuten, welche mit den Gesetzen im Widerspruch stehen, außer Kraft zu setzen. Aber auch auf andre Verhältnisse des Staatslebens wird der Begriff der A. übertragen. So werden insbesondere diejenigen Staaten autonome genannt, welche zu einem größern Staatsganzen gehören und, unbeschadet des Gesetzgebungsrechts des letztern, in eignen Angelegenheiten eine gesetzgebende Gewalt ausüben, soweit die staatliche Vereinigung, zu welcher sie gehören, von ihrem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. In diesem Sinn kann man z. B. die einzelnen deutschen Bundesstaaten als autonome Staaten bezeichnen. Auch Bulgarien ist ein autonomes Fürstentum. Von praktischer Bedeutung ist ferner die A. des deutschen hohen Adels. Die deutsche Bundesakte (Art. 14) sicherte nämlich den 1806 und seitdem mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsständen und Reichsangehörigen zu, daß ihre noch bestehenden Familienverträge aufrecht erhalten werden sollten, und daß ihnen die Befugnis zustehen solle, über ihre Güter- und Familienverhältnisse verbindliche Verfügungen zu treffen, welche jedoch dem Souverän vorzulegen und bei den höchsten Landesstellen zur allgemeinen Kenntnis und Nachachtung zu bringen seien. Nach manchen Staatsgesetzen (Baden, Bayern, Preußen) [173] müssen übrigens derartige Hausgesetze dem Souverän nicht nur zur Kenntnisnahme, sondern zur Bestätigung unterbreitet werden. Übrigens steht dies Recht der A. auch den regierenden Häusern und ihren Oberhäuptern und zwar unabhängig von der Zustimmung der Stände zu. Mitunter kommt auch beim niedern Adel eine sogen. Privatautonomie in Angelegenheiten des Erb- und Familienrechts vor. Auch die Kirche hat ein Recht der A., sofern es sich um innere kirchliche Verhältnisse, z. B. um Liturgie und Kirchendisziplin, handelt, unbeschadet des staatlichen Oberaufsichtsrechts, welches in einzelnen Staaten, z. B. in Bayern, dadurch zum besondern Ausdruck gebracht ist, daß zu solchen autonomen Satzungen der Kirche das landesherrliche Placet eingeholt werden muß. Endlich haben auch die Geschäftsordnungen der parlamentarischen Körperschaften gewissermaßen den Charakter autonomer Satzungen, wie man denn auch nicht selten die Selbstverwaltung der Kommunen und der Kommunalverbände als eine autonome Verwaltung zu bezeichnen pflegt. Vgl. Heffter, Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten Häuser Deutschlands (Berl. 1871); Schulze, Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser (Jena 1862–83, 3 Bde.).