MKL1888:Bürgerliches Gesetzbuch
[183] Bürgerliches Gesetzbuch (Zivilgesetzbuch), Gesetz, welches das Privatrecht (bürgerliche Recht) eines Landes in erschöpfender und systematischer Weise behandelt. Ein solches Gesetzbuch ist der französische Code civil (Code Napoléon), welcher auch in den deutschen Rheinlanden gilt, ist das preußische Landrecht, das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch und das bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen (s. Deutsches Recht, Bd. 4, S. 791). Für das Deutsche Reich fehlt es noch an einem gemeinsamen Zivilgesetzbuch; doch ist durch Reichsgesetz vom 20. Dez. 1873 (Antrag „Lasker“) das gesamte bürgerliche Recht in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung gezogen und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs inzwischen ausgearbeitet und durch seine Veröffentlichung (1888) der öffentlichen Kritik zugänglich gemacht worden (s. Zivilgesetzbuch, Bd. 16). Seitdem ist dieser Entwurf Gegenstand eines großen Streits unter den deutschen Rechtsgelehrten. Nicht nur einzelne Bestimmungen des Entwurfs, wie z. B. der Rechtssatz „Kauf bricht Miete“ (s. d., Bd. 9), sind angegriffen worden, sondern auch die ganze Art und Weise der Anlage und der Ausführung dieser großen gesetzgeberischen Arbeit ist vielfachem Tadel begegnet. Die Besprechungen des Entwurfs bilden allein schon eine Bibliothek. Man tadelt namentlich, daß der Entwurf nicht in erschöpfender Weise den Gegenstand behandle, indem manche Materien dem Partikularrecht der Einzelstaaten vorbehalten sind. Man bemängelt die Sprache und die Darstellung des Entwurfs als wenig volkstümlich (Felix Dahn), man nennt den Emwurf individualistisch und verlangt eine Annäherung an den modernen Sozialismus, und man bezeichnet ihn als eine doktrinäre Arbeit (Jhering); namentlich ist aber von den Germanisten (Beseler, Gierke u. a.) der Vorwurf erhoben, daß der Entwurf zu viel römisches Recht enthalte und das national-deutsche Recht viel zu wenig berücksichtige, ein Vorwurf, welchem jedoch von Gneist auf dem Juristentag in Straßburg (1889) mit der Ausführung begegnet ward, daß durch die Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter (s. Deutsches Recht, Bd. 4), das römische Recht mit seinen durchgebildeten Rechtsbegriffen nun einmal in das deutsche Volks- und Rechtsleben eingedrungen, daß uns nun einmal die Logik und Technik des römischen Rechts eingeimpft sei wie unsrer Kunst das griechische Ideal. Daß der Entwurf, welcher in erster Lesung vorliegt, verbesserungsbedürftig sei, wird kaum von irgend einer Seite bestritten. Manche, z. B. Bähr, bestreiten aber auch seine Verbesserungsfähigkeit und raten, den Versuch einer Kodifikation des ganzen Privatrechts lieber aufzugeben und nur einzelne Materien einer einheitlichen gesetzgeberischen Regelung zu unterziehen. Andre, wie Bekker, v. Lißt und Windscheid, halten den Entwurf für eine gute Grundlage zur weitern Beratung und endlichen Durchführung des großen Gesetzgebungswerkes. Der deutsche Anwaltstand steht dem Entwurf im allgemeinen günstig gegenüber. Vgl. „Gutachten aus dem Anwaltstand über die erste Lesung eines bürgerlichen Gesetzbuchs“ (Berl. 1888 ff.); Bekker und Fischer, Beiträge zur Erläuterung und Beurteilung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs (das. 1888 ff.); Bähr, Das bürgerliche Gesetzbuch (Leipz. 1888); Goldschmidt, Kritische Erörterungen zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs (das. 1889); Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (2. Aufl., das. 1889).