MKL1888:Ballspiel
[296] Ballspiel, gymnastisches Spiel mit dem Ball, sowohl bei zivilisierten als bei unzivilisierten Völkern (Indianer in Nordamerika, Australier u. a.) im Gebrauch. Schon auf altägyptischen Denkmälern sehen wir menschliche Gestalten, welche ein Spiel mit runden Körpern treiben. Bei Homer spielt Nausikaa, die Tochter des Phäakenkönigs, mit ihren Gefährtinnen Ball; später scheint bei den Griechen das Spiel mehr vom männlichen Geschlecht betrieben worden zu sein, außer in Sparta, wo sich auch die Mädchen im B. übten. Es bildete als Sphäristik oder Sphäromachie einen besondern Teil der Gymnastik. Die verschiedenen Spielarten gleichen den auch bei uns gebräuchlichen. So mußte bei der Aporraxis der Ball möglichst oft nacheinander mit der Hand auf den Boden geschlagen werden; bei dem Spiel Urania wetteiferte eine Anzahl von Spielern in dem Auffangen eines hoch in die Luft geworfenen Balles; auch das von zwei Parteien gegeneinander gespielte Grenzballspiel war den Griechen bekannt. Bei den Römern war das B. ebenfalls eine der beliebtesten Übungen für jung und alt. Die verschiedenen Bälle waren Pila, der kleine Spielball, Follis, der große, mit Luft gefüllte Ballon, und Paganica, zwischen der Pila und dem Follis in der Mitte stehend, mit Federn gestopft und etwas schwerer als der Follis. Der Follis wurde mit der Faust oder dem Arm geschlagen, wobei der rechte Arm mit einer Art Fausthandschuh bewaffnet war. Das Spiel gewährte eine leichte, selbst dem höhern Alter angemessene Bewegung. Die meisten Spiele wurden mit der Pila gespielt. Man spielte auf zweierlei Art: datatim und expulsim, je nachdem der Ball zurückgeworfen oder weiter geschlagen wurde. Das beliebteste Spiel war der Trigon, welcher von drei in einem Dreieck stehenden Personen gespielt wurde. Anstrengender war das Harpastum, wo mehrere sich eines oder auch mehrerer in der Mitte liegender Bälle zu bemächtigen suchten. Auch im Mittelalter blieb das B. sehr gewöhnlich und stand so in Ehren, daß in Städten besondere Häuser (Ballhäuser) dazu erbaut und Ballmeister besoldet wurden, welche sich auf manchen Universitäten bis auf die neuere Zeit erhielten. Noch jetzt wird es in Frankreich ziemlich eifrig getrieben, und in Italien unterhält man geräumige Ballplätze mit einer hohen Seitenmauer zum Anschlagen des Balles und mit großem Zuschauerraum, da hier das B. meist nur noch als öffentliches Schauspiel von einzelnen Gesellschaften vorgeführt wird. Der Ball wird bei diesem italienischen B. (giuoco al palla) mittels einer die Pritsche ersetzenden hölzernen Handverkleidung geschlagen. Die in Deutschland verbreitetsten Ballspiele sind das Ballschlagen (Schlagball, Kaiserball) oder das deutsche B. mit kleinem Ball, ferner das Ballschleudern mit großem, meist mit einer Handhabe versehenem Ball (Grenzball, Balltreiben, Sauball) und das dem englischen Football verwandte Fußballspiel. Auch das englische Kricketspiel ist als Thorball an einigen Orten in Aufnahme [297] gekommen (vgl. Guts Muths-Schettler, Spiele, 6. Aufl., Hof 1883). Die englischen Ballspiele sind außerordentlich mannigfaltig; sie werden entweder von den Frauen um Ostern um fancy cakes (Wurmkrautkuchen), oder von den Männern um hohe Geldsummen, oder von den Kindern des bloßen Scherzes wegen gespielt. Die berühmtesten englischen Ballspiele sind: Bowls, Racket, Tennis, Football und Cricket. Das erstere wird mit großer Geschicklichkeit auf schönen Rasenplätzen (Bowlinggreens) gespielt. Karl I., Karl II. und andre englische Könige waren ausgezeichnete Bowlers. Bei dem Racket wird der Ball mit einem Holz geschlagen und fliegt gegen eine Mauer; es sind dazu eigne Racket-courts hergerichtet. Selbst den Gefangenen in der Queensbench war es früher gestattet, sich einen solchen Racket-court herzurichten. Auch Tennis (s. d.) wird mit Schlägern (rackets) gespielt; von allen englischen Ballspielen ist aber Cricket das vornehmste und berühmteste (s. Kricketspiel[WS 1]).