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MKL1888:Dante Alighieri

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Dante Alighieri“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 530536
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Dante Alighieri. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 530–536. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Dante_Alighieri (Version vom 11.04.2021)

[530] Dante Alighieri (spr. aligjehri), der größte Dichter Italiens und einer der tiefsten Geister aller Zeiten und Völker, wurde wahrscheinlich an einem der letzten Tage des Mai 1265 zu Florenz geboren und erhielt in der Taufe den Namen Durante, der nach der herrschenden Sitte in Dante abgekürzt wurde und ihm so dauernd verblieben ist. Seine Familie gehörte zu den alten florentinischen Geschlechtern und stand auf seiten der Guelfen. D. selbst nennt als seinen Stammvater den Cacciaguida, einen tapfern Krieger (geboren um 1090), welcher eine Alighieri aus dem Pothal zur Frau hatte. Einer ihrer Söhne (gestorben um 1200) nahm den Namen der Mutter an und ward so der Stifter des Geschlechts der Alighieri zu Florenz. Von der Jugend des Dichters weiß man thatsächlich wenig, da die romanhaft und tendenziös aufgeputzten Mitteilungen seines ersten Biographen Boccaccio nur mit Vorsicht aufzunehmen sind. Erst die gründlichen Forschungen der neuern Zeit, namentlich Balbos und Fraticellis, haben ein ziemlich klares Bild von Dantes Lebensgang hergestellt. Der Vater, ein Rechtsgelehrter, starb schon 1270, hinterließ aber ein ziemliches Vermögen an liegenden Gründen, und die Mutter, Donna Bella, übertrug nun die Erziehung ihres Knaben dem gelehrten Staatssekretär der Republik, Brunetto Latini, der selbst als Dichter in Ruf stand, und dem D. später an einer Stelle seiner „Komödie“ ein rührend schönes Denkmal setzte. Unter Brunettos Leitung machte sich D. mit allem bekannt, was damals im Bereich der Gelehrten lag, und beschäftigte sich neben den strengen Studien auch mit den heitern Künsten; er war Freund der Maler Giotto und Oderisi, wie er auch selbst zeichnete, sowie des Sängers und Musikers Casella. Wie früh er die Dichtkunst getrieben, läßt sich nicht bestimmen; wohl aber sagt er selbst, daß er die Provençalen kannte und bewunderte. Von dichterischen Freunden nennt D. den ausgezeichneten Guido Cavalcanti, an welchen das erste öffentlich von ihm bekannt gemachte Sonett gerichtet ist, und den er später verbannt sehen mußte, und Cino da Pistoja, welcher später den D. in einer Kanzone beklagt; andre waren Dante da Majano, Dino Frescobaldi etc. Eng verbunden mit seiner Liebe zur Poesie ist seine idealische Liebe zu Beatrice, der Tochter eines angesehenen Bürgers, Folco de Portinari, die er 1274, kaum neun Jahre alt (sie selbst zählte acht), bei einem Maifest zu Florenz zuerst gesehen hatte, worüber D. selbst in seinem Erstlingswerk: „La Vita nuova“, berichtet. Von dieser ersten Jugendliebe blieb ihm der tiefste Eindruck für das ganze Leben und steigerte sich in ihm zu jener Verklärung und Bedeutung Beatrices, wie er sie in seinem großen Gedicht verewigt hat. Daher setzt es unsern Begriffen gemäß allerdings in Erstaunen, zu erfahren, daß D. ein oder zwei Jahre (1291) nach Beatrices frühem Tod sich mit Donna Gemma aus dem vornehmen Geschlecht der Donati verheiratet habe, und manche sind geneigt, die ganze Mitteilung Dantes über jenen Gegenstand in symbolischem Sinn aufzufassen. Richtiger dürfte es sein, die Sache mit dem damals aus der Provence her noch fortwirkenden ritterlichen Frauendienst in Verbindung zu bringen, nach welchem Ehe und Minne nebeneinander bestehen konnten, ohne sich gegenseitig zu beirren. Daß der lernbegierige Zögling, herangewachsen, in den Orden der Franziskaner getreten, aber noch vor Ablauf des Noviziats wieder ausgeschieden sei, ist eine Sage. In Wirklichkeit hat er wohl seine Studien in Bologna und Padua fortgesetzt und ist etwa 1288 in die Vaterstadt zurückgekehrt, um sich nach dem Vorbild seines väterlichen Freundes und des trefflichen Priors Giano della Bella den Staatsgeschäften zu widmen. Er ließ sich, wie das Gesetz es damals vorschrieb, in eine Zunft und zwar in die der Ärzte und Apotheker aufnehmen, zog 1289, als die Ghibellinen von Arezzo aus wieder einmal einen Sturm auf Florenz zu unternehmen gedachten, mit gegen sie zu Felde und focht 11. Juni tapfer bei Campaldino, wobei er in große Gefahr geriet. Im folgenden Jahr war er bei dem Zug nach Pisa, durch welchen unter Anführung des Podesta Novello da Polenta die Feste Caprona erobert wurde. Außerdem ist in der Zeit von 1295 bis 1301 von verschiedenen Gesandtschaften die Rede, zu welchen D. verwendet wurde. Als er das gesetzliche Alter von 35 Jahren erlangt hatte, wurde er in die Zahl der Prioren gewählt (1300) und zwar nicht, wie es gewöhnlich geschah, durch das Los, sondern durch freie Wahl; ein Amt, das für ihn, nach seinem eignen Ausspruch, die Quelle all seines spätern Unglücks wurde. Florenz, im ganzen guelfisch, war doch in zwei Parteien: die „Weißen“ und die „Schwarzen“, geteilt, von denen die erstern mehr ghibellinisch gesinnt, die letztern dagegen unbedingte Anhänger des Papstes waren. Dantes patriotischer Eifer brachte es dahin, daß der Senat die Häupter beider Parteien aus Florenz verwies; doch entbrannte, da der Senat die Weißen begünstigte, der Kampf bald von neuem. Als die Schwarzen in Rom beschlossen, Karl von Valois, der sich eben zu einem Kriegszug gegen Sizilien rüstete, als Friedensstifter nach Florenz zu senden und mit seiner Hilfe die gegnerische Partei niederzuwerfen, schickten die Weißen Abgeordnete nach Rom, um dem Papst Vorstellungen zu machen und womöglich die Ankunft Karls zu hintertreiben. Zu dieser Gesandtschaft gehörte auch D., der sich der Sache der Weißen zuneigte. Er verließ Florenz, um nie wieder dahin zurückzukehren. Während er noch in Rom war, rückte Karl von Valois, vom Papst unterstützt, Anfang November 1301 in Florenz ein und rief sofort die Schwarzen zurück. Es kam zu einem Gericht über die Weißen, und D. mit 14 andern wurde 10. März 1302 zu 8000 Lire Geldbuße und zu zweijähriger Verbannung (resp. Feuertod im Betretungsfall) verurteilt. Seine Güter wurden eingezogen, sein Haus in der Stadt der Plünderung des Pöbels preisgegeben. Empört über die Unbill und die Beschimpfung, die ihm durch diesen Spruch widerfahren, eilte D. von Rom, wo er natürlich nichts ausgerichtet hatte, zunächst nach Siena und von da nach Arezzo, um hier mit den übrigen Geächteten Rats zu pflegen, was zu thun sei. Als Bitten und friedliche Maßregeln keinen Erfolg hatten, beschlossen die Flüchtlinge, die Rückkehr mit Waffengewalt zu erzwingen, und unternahmen 20. Juli 1304 einen Angriff auf Florenz. Derselbe [531] scheiterte indessen, und D., der vielleicht gar nicht daran teilgenommen, wurde nun auf Lebenszeit in die Acht erklärt. Tief erbittert zog er sich von den andern Geächteten zurück und nahm das Asyl an, das Graf Guido Salvatico im Val Casentino ihm anbot. Inzwischen war sein ältester Sohn herangewachsen und sollte in Padua seine Studien beginnen. Um ihn wiederzusehen, begab sich D. 1306 nach Padua, scheint sich aber nicht lange daselbst aufgehalten zu haben. Im Sommer 1307 machte Papst Clemens V. einen Versuch, den vertriebenen Weißen zur Rückkehr nach Florenz zu verhelfen; es kam in Mugello zu einer Zusammenkunft der Beteiligten, und auch D. fand sich dazu ein. Allein die Unterhandlungen zerschlugen sich; die „schlechte und dumme Bande“ der Weißen benahm sich so unwürdig, daß sich D. vollständig von ihr lossagte, um fortan „für sich allein Partei zu machen“. Allein wanderte er nun im Land umher, um zu erfahren, „wie scharf versalzen fremdes Brot schmeckt, wie hart es ist, fremde Treppen zu steigen“. Auch der Schmerz sollte dem Verstoßenen nicht erspart bleiben, „alles Teure“, das er in Florenz hatte zurücklassen müssen, durch einen plötzlichen Tod zu verlieren: seine Gattin und die beiden jüngsten Söhne starben 1308 an der Pest. Von den Orten, an welchen D. verweilte, kennt man mit Bestimmtheit nur einige. Nachdem er kurze Zeit in der Lunigiana (zwischen Lucca und Genua) beim Marchese Morello Malaspina gerastet (auf dessen Schloß er vielleicht den ersten Plan zur „Commedia“ entwarf), wandte er sich nach Verona, wo eben (1308) der heldenmütige Can della Scala (Can grande) Mitregent seines schwachen Bruders Alboin geworden war, und ging von hier, wie wenigstens Boccaccio berichtet, nach Paris, wo er sich in theologische Studien vertiefte. Die Kunde von dem Zug König Heinrichs VII. nach Italien erweckte wieder neue Hoffnungen in ihm und rief ihn in das Vaterland zurück. D.,„ der schon früher einen Ermahnungsbrief an die Fürsten und Völker Italiens erlassen hatte, sich dem Kaiser als dem „Retter des Landes“ zu unterwerfen, begrüßte diesen zu Mailand (Dezember 1310) und schrieb, als ihm derselbe zu lange in Oberitalien zögerte, einen feurigen Brief, der ihn aufforderte, ungesäumt die Axt an die Wurzel des Übels, Florenz, zu legen (11. April 1311). Eine dritte Epistel richtete D. sodann an die Florentiner selbst und verkündete darin seiner Vaterstadt das Schicksal Sagunts. Florenz antwortete mit einem Dekret (9. Sept. 1311), das die Ächtung Dantes in den schärfsten Ausdrücken bestätigte und ihn „auf ewige Zeiten“ verfemte, während es zugleich offene Partei für die „heilige Kirche“ gegen den Kaiser nahm. Die Belagerung der Stadt, welche der Kaiser im Sommer 1313, nachdem er im Juni 1312 in Rom gekrönt worden war, unternahm, hatte keinen Erfolg; er mußte unverrichteter Sache abziehen, und als er sie mit neuen Kräften wieder aufnehmen wollte, ereilte ihn bei Siena der Tod (24. Aug. 1313). Ob D. persönlichen Anteil an diesen Begebenheiten genommen, oder wo er sich um diese Zeit aufgehalten, ist nicht mit Sicherheit ermittelt. Über ein Dutzend Ortschaften und Klöster in den verschiedensten Gegenden Italiens haben in der Folge die Ehre beansprucht, des Heimatlosen Asyl und Herberge gewesen zu sein. Wahrscheinlich ist, daß er sich zunächst dem ihm von Arezzo her befreundeten Uguccione della Faggiuola, der das Haupt der Ghibellinen von Toscana und Herr von Pisa war, angeschlossen (dem er, wie man berichtet, den ersten Teil der „Commedia“ dedizierte, wie er den zweiten Teil dem Marchese Moroello Malaspina gewidmet haben soll), und daß er nach Heinrichs VII. Tod alle Hoffnung aufgegeben und sich einzig mit der Vollendung seines großen Gedichts beschäftigt hat. Von Pisa scheint er sich nach der Romagna gewandt zu haben, wo er etwa 1315 mit seinen beiden Söhnen Pietro und Jacopo und seiner Tochter Beatrice nach Ravenna kam; der Fürst Guido Novello da Polenta gewährte ihnen dort eine bleibende Stätte. Um diese Zeit ward dem berühmt gewordenen Dichter endlich die Erlaubnis zur Rückkehr nach Florenz durch einen Freund ausgewirkt, unter der Bedingung, daß er sich „der Form wegen“ einer kurzen Verhaftung und einer Geldstrafe unterwerfe und in einer Kirche seine Schuld durch ein Sühnopfer anerkenne. Mit großartigem Selbstbewußtsein wies aber D. in einem noch erhaltenen Brief den Antrag unter solchen Bedingungen zurück, und so ward das Verbannungsurteil im Oktober 1315 abermals „auf ewige Zeiten“ bestätigt und merkwürdigerweise erst 1494 ausdrücklich aufgehoben. In Ravenna brachte er wohl den dritten Teil seiner „Commedia“ vollständig zu Ende (um 1319); auch soll er nach Boccaccio während dieser Zeit zahlreiche Schüler unterrichtet und zum Dichten in der italienischen Volkssprache angeleitet haben. Im Sommer 1321 ging er dann, wie weiter berichtet wird, in einer diplomatischen Mission seines Gastfreundes nach Venedig, erkrankte dort und wurde, dem Tod nahe, nach Ravenna zurückgebracht, wo er 14. Sept. 1321 im Alter von 56 Jahren starb. Er ward in der Grabkapelle neben der Franziskanerkirche in einem marmornen Sarg feierlich bestattet. Der Fürst selbst hielt ihm eine Leichenrede, und nur seine eigne Verbannung, die im folgenden Jahr erfolgte, vereitelte seine Absicht, ihm ein prächtiges Denkmal zu errichten. – Im J. 1483 ließ Bernardo Bembo, Vater des berühmten Kardinals, die Grabstätte mit einem Denkmal schmücken und darauf eine angeblich von D. selbst verfaßte Inschrift setzen. Durch den Kardinallegaten Domenico Maria Corsi ward 1692 die verfallene Grabstätte notdürftig restauriert; erst 1780 erfuhr sie durch Luigi V. Gonzaga eine gründliche Reparatur. Im J. 1813 stellte Canova Dantes Marmorbüste im Pantheon zu Rom auf. Florenz reklamierte die Gebeine des Dichters, der in seinem letzten Willen ausdrücklich verlangt hatte, daß sie unter keinen Umständen an seine undankbare Vaterstadt ausgeliefert werden sollten, wiederholt (zuletzt noch 1864), aber immer vergeblich und hat erst 1829 in der Kirche Santa Croce seinem großen Sohn ein Denkmal von der Hand Riccis errichten lassen. Während der Kardinal Bertrando di Poggetto Dantes Gebeine als die eines Ketzers zum Feuer verurteilen wollte, hallte ganz Italien vom Ruhm des Dichters wider. Fünf Jahrzehnte nach des Dichters Tod errichtete seine Vaterstadt einen besondern Lehrstuhl zur Erläuterung seines Werkes, auf den Boccaccio berufen ward, und andre Städte, wie Pisa, Bologna, Mailand, folgten dem Beispiel von Florenz nach. – Sein Volk aber gab ihm den Beinamen des „Göttlichen“. – Nach Boccaccios Beschreibung war D. ein Mann von mittlerer Größe, im Alter etwas gekrümmt, doch würdig und stets in vornehmer Kleidung einhergehend, sein Gesicht lang, mit einer Habichtsnase und großen, ausdrucksvollen Augen; die Kinnbacken waren stark und die untere Lippe etwas hervorspringend, Bart und Haupthaar schwarz, dicht und kraus, der Ausdruck des Gesichts schwermütig und tiefsinnig, die Farbe desselben bräunlich. Raffael hat ihn in dem unter [532] dem Namen der „Disputa“ bekannten Gemälde im Vatikan zu Rom zwischen Thomas von Aquino und Scotus und in einem andern Gemälde daselbst, dem „Parnaß“, neben Vergil und Homer angebracht. In Florenz befindet sich eine Wachsmaske, die über der Leiche des Dichters abgenommen sein soll und von Rauch abgeformt wurde. Ein Bildnis Dantes auf einer Medaille entdeckte 1832 Misserini; ein Freskobildnis des jugendlichen Dichters (wie man annimmt, von Giotto, um 1295) wurde 1840 an einer Wand der Cappella del Podestà zu Florenz wieder aufgefunden. Statuen von D. befinden sich zu Florenz (zwei, von Pazzi und Demi), Verona (von Zannoni), Padua (von Vela) und Neapel (von Angelini).

Die 600jährige Wiederkehr des Geburtstags Dantes im Mai 1865 gab in Italien Anlaß zu einer nationalen Jubelfeier, die namentlich in Florenz 14. bis 16. Mai in großartigster Weise begangen wurde. Man feierte D. als „den Vorläufer der politischen Einheit des Vaterlandes und als den Anwalt für Freiheit und Recht in der christlichen Welt“. Den Kernpunkt des Festes bildete die Enthüllung der Statue Dantes (von Enrico Pazzi) auf dem Santa Croce-Platz, gegenüber der Kirche. In Ravenna, der Grabstätte des Dichters, wo man die Feier 24. und 25. Juni beging, erhielt dieselbe durch eine überraschende, kurz zuvor gemachte Entdeckung ein besonderes Interesse. Während man bislang gar nicht anders gewußt hatte, als daß die sterblichen Überreste Dantes in dem Marmorsarg bestattet lägen, den Guido da Polenta 1321 ihnen gegeben, wurde 26. Mai (1865) bei einer baulichen Reparatur an der Franziskanerkirche, mehrere Schritte von der Dantekapelle entfernt, ganz zufällig eine Kiste eingemauert gefunden mit der Aufschrift: „Dantis ossa a me Fra Antonio Santa hic posita anno 1677 die … Octobris“. Das Innere enthielt die auseinander gebrochenen Stücke eines menschlichen Skeletts, und eine zweite Inschrift besagte: „Dantis ossa denuper revisa 3. Junii 1677“. Bei Eröffnung des Marmorsargs zeigte sich derselbe wirklich leer; nur einige Knochenstücke enthielt er, welche gerade an dem in der Kiste gefundenen Skelett fehlten, so daß die Identität der Gebeine außer Zweifel zu sein scheint. Wahrscheinlich hatte Santi, der 1677 Kanzler des Klosters war, den Reliquienschatz verborgen in der Befürchtung, derselbe könne bei der damals beabsichtigten und 1692 ausgeführten Reparatur des Mausoleums aus der Grabkapelle entführt werden.

Dantes Tochter starb 1350 als Nonne in Ravenna. Von seinen beiden Söhnen war der jüngere, Jacopo di D., bei dem Tode des Vaters in Ravenna und lebte noch 1342 in Florenz, wo er einen Teil der konfiszierten Güter des Vaters zurückkaufte. Man schreibt ihm einen Kommentar über das „Inferno“ zu, betitelt: „Chiose di Jacopo figliuolo di D. sopra la Commedia etc.“ (hrsg. von Vernon, Flor. 1845), sowie mehrere Gedichte. Das Geschlecht des Dichters wurde durch den ältern Sohn, Pietro, fortgepflanzt und erlosch in seiner männlichen Linie erst 1547, wo der Name Alighieri dann mit der weiblichen Linie auf die Saregi überging, die noch heute in Verona leben und sich nach dem großen Dichter nennen.

Die kleinern Schriften Dantes.

Wie über Dantes Leben genaue Nachrichten fehlen, so ist auch hinsichtlich seiner Werke schwer anzugeben, wann und wo die einzelnen begonnen und vollendet wurden. Als frühste seiner Schriften ist „Das neue Leben“ („La vita nuova“) zu nennen, ein seltsames Werk, das um 1293–95 (D. sagt: „vor dem Eintritt in mein Mannesalter“) abgefaßt wurde. Es berichtet über die Geschichte seiner Jugendliebe zu Beatrice und enthält die Gedichte, welche derselben ihre Entstehung verdanken, aber durchweg von prosaischen, teils schwungvollen und ergreifenden, teils trocknen und pedantischen Erklärungen begleitet, die über Anlaß und Bedeutung jedes einzelnen Gedichts besondere Auskunft geben und so eine Art Kommentar bilden, der das Ganze in den Bereich der Allegorie rückt. Die „Vita nuova“ erschien zum erstenmal gedruckt mit den Kanzonen des D. und seinem Leben von Boccaccio (Flor. 1576) und erlebte über 30 Ausgaben. Zu den besten derselben gehören die vom Marchese Trivulzio (Mail. 1827), die nach einer Handschrift aus dem 15. Jahrh. (Pesaro 1828), die von Giuliani („La vita nuova e il canzoniere di D.“. Flor. 1868), von d’Ancona (Pisa 1872) und von Witte (Leipz. 1876). Deutsche Übersetzungen lieferten Fr. v. Öynhausen (Wien 1824), K. Förster (Leipz. 1842), Jacobson (Halle 1877). Das zweite bedeutende Werk Dantes: „Das Gastmahl“ („Il convito“), ist ein nicht minder seltsames Buch als die „Vita nuova“ und wurde wahrscheinlich 1303 in Arezzo begonnen. D. setzte sich darin vor, 14 in Bezug auf sein Liebesverhältnis zu Beatrice gedichtete Kanzonen gelehrt zu erläutern und zwar so, als wären sie wiederum nur allegorisch gemeint und bezögen sich auf seine Liebe zur Philosophie. Indessen haben nur drei der Kanzonen ihren Kommentar in diesem Sinn erhalten; das Werk blieb unvollendet. Den Namen „Gastmahl“ gab er dem Buch, das als erstes Beispiel wissenschaftlicher Prosa in italienischer Sprache wichtig ist, weil er die Erklärung gleichsam als Brot zu den Gerichten der Kanzonen auftischen wollte. Zum erstenmal gedruckt ward dasselbe Florenz 1490, dann Venedig 1521 u. öfter. Eine vortreffliche neue Ausgabe mit ausführlichem Kommentar besorgte Giuliani (Flor. 1874, 2 Bde.); eine deutsche Übersetzung gab Kannegießer („Dantes prosaische Schriften“, Leipz. 1845). Kritische Arbeiten darüber lieferten Monti (Mail. 1823), Witte (Rom 1825), Scolari (Padua 1828) und Selmi (Turin 1865). – Das dritte Hauptwerk unter den kleinern Schriften bilden die lyrischen Gedichte Dantes („Rime“), die, erotischen und philosophischen Inhalts und zu verschiedenen Zeiten entstanden, in mehr oder weniger vollständigen Sammlungen mehrfach erschienen. Für die älteste derselben darf Cinos und G. Novellos Ausgabe der „Canzoni e madrigali di D.“ (Vened. 1518 u. Mail. 1518), ein äußerst seltenes Werk, gelten. Die erste, ziemlich vollständige Ausgabe dieser lyrischen Gedichte bilden die vier ersten Bücher der „Sonetti e canzoni di diversi autori toscani“ (Flor. 1527, Vened. 1532 u. öfter; zuletzt: „Amori e rime di D.“, Mantua 1823); neuere Ausgaben besorgten Fraticelli (Flor. 1861) und Giuliani (das. 1863 u. 1868). Als Anhang zu den „Rime“ findet man in einigen Ausgaben „Rime spirituali“ (geistliche Lieder), aus einer Paraphrase der sieben Bußpsalmen und dem sogen. „Credo di D.“ bestehend, beides jedoch unecht und dem D. nur untergeschoben, um ihn zu einem bußfertigen Mönch zu machen. Gesondert sind die Sette salmi“ abgedruckt worden in „Raccolta di rime antiche toscane“ (Palermo 1817), das „Credo“ in „Saggio di rime di diversi buoni autori“ (Flor. 1827). Deutsche Übersetzungen der „Rime“ veröffentlichten Kannegießer („Dantes lyrische Gedichte“, mit einer Abhandlung von Witte, worin Echtes und Unechtes zu unterscheiden versucht wird; 2. Aufl., Leipz. [533] 1842) und C. Krafft („Dantes lyrische Gedichte und poetischer Briefwechsel“, Regensb. 1859).

Auch in lateinischer Sprache hat D. mehreres abgefaßt, so das Werk „De monarchia“, gleichsam sein politisches Glaubensbekenntnis, worin er sich offen als Ghibelline bekennt und das Kaisertum als ein ebenso göttliches wie dem Heil der Menschheit notwendiges Institut der Kirche ebenbürtig gegenüberstellt. Er fordert eine weltliche Universalmonarchie und spricht der Kirche, sobald sie sich in Streit und Hader zur weltlichen Herrschaft dränge, alle Autorität ab. Das Werk entstand um die Zeit, als Heinrich VII. das kaiserliche Ansehen in Italien wiederherzustellen bemüht war (zwischen 1310 und 1313), nach andern in den letzten Jahren des Dichters. Gedruckt ward es zuerst in Basel 1559. Neuere Ausgaben besorgten K. Witte (2. Aufl., Wien 1874) und Giuliani (in „Opere latine di D.“, Flor. 1878–82, 2 Bde.), eine Übersetzung Hubatsch (Leipz. 1873). Vgl. Böhmer, Über Dantes Monarchie (Halle 1866). – Eine andre Schrift in lateinischer Prosa ist die Abhandlung „De vulgari eloquentia“ („Über die Volkssprache“), worin er teils den Vorzug der neuern Sprache Italiens, wie er sie zu schaffen bemüht war, vor den Idiomen andrer neuerer Völker und vor den einzelnen Mundarten Italiens selbst zu zeigen sucht, teils auch die verschiedenen neuern Dichtungsarten charakterisiert. Das unvollendet gebliebene Werk entstand wohl um 1203[WS 1] und erschien zuerst in einer italienischen Übersetzung von Trissino (Vicenza 1529 u. öfter), das Original mit Noten von Corbinelli (Par. 1577), in neuerer Ausgabe von Torri (Livorno 1850), Giuliani (Flor. 1878). Eine deutsche Übersetzung gab Kannegießer (Leipz. 1845). Vgl. Böhmer, Über Dantes Schrift „De vulgari eloquentia“ (Halle 1868). – Auch zwei „Eklogen“ in lateinischen Hexametern hinterließ D., deren Echtheit jedoch nicht sicher ist. Sie erschienen zuerst vollständig, aber fehlerhaft in „Carmina illustrium poetarum italorum“ (Flor. 1718); besser gab sie Dionisi aus einer Handschrift der „Laurentiana“ in seinen „Aneddoti IV“ nebst den beiden dazugehörigen Gedichten des Giovanni di Virgilio heraus. Sie fallen in die Jahre 1320 und 1321 und beantworten ablehnend die Aufforderung des genannten Virgilio, einige große Begebenheiten der Zeit in römischer Sprache zu besingen und nach Bologna zu kommen. Eine Übersetzung dieser Eklogen, deren Sprache weit besser ist als die der prosaischen Werke Dantes, findet sich bei Krafft (s. oben). Die bis jetzt aufgefundenen Briefe Dantes, zum Teil sehr wichtig für die Kenntnis des Dichters und seiner Werke, finden sich in Wittes Sammlung „Dantis epistolae quae exstant cum notis“ (Padua 1827). In neuerer Zeit fand Theod. Heyse neun weitere Briefe Dantes auf, die in der Briefsammlung Dantes von Aless. Torri (Verona 1843) enthalten sind, wo sich auch die seltene „Quaestio de aqua et terra“ findet, eine Abhandlung über die damals viel erörterte Frage, ob das Meer irgendwo höher sei als das daraus hervorragende Land, welche D. 1320 zu Verona vorlas (zuerst gedruckt Vened. 1508; neu hrsg. von Giuliani, Flor. 1881). Eine Gesamtausgabe der „Opere minori“ Dantes lieferte Fraticelli (Flor. 1861–62, 3 Bde.).

Die „Divina Commedia“.

Dasjenige Werk aber, welches Dantes Namen unsterblich gemacht hat, ist die „Divina Commedia“. Warum D. sein Werk Komödie nennt, ergibt sich aus seiner Schrift „De vulgari eloquentia“, worin er drei Arten des Stils aufstellt: den tragischen oder höhern, den komischen oder niedern und den elegischen oder klagenden. Der Beiname „die göttliche“ (divina) entstand erst nach des Dichters Tod, und zwar findet sich derselbe schon in einigen Manuskripten der „Vita di D.“ von Boccaccio und in mehreren Handschriften des Gedichts; die erste Ausgabe mit der Bezeichnung „Divina C.“ scheint die von Venedig 1516 zu sein. Das Gedicht ist eine Art Vision, welche den Zustand und das Leben der Seelen nach dem Tod in den drei Reichen des Jenseits schildert, und zerfällt dem entsprechend in drei Abteilungen: Hölle (Inferno), Fegfeuer (Purgatorio) und Paradies (Paradiso). Jede dieser Abteilungen besteht aus 33 Gesängen, so daß das Ganze, mit der Einleitung als erstem Gesang, 100 Gesänge von zusammen 14,230 Versen in der Terzinenform umfaßt, als deren Erfinder D. dasteht. Kein andres Gedicht hat einen so bis ins einzelnste gehenden architektonischen Bau wie diese „Commedia“. Das „Inferno“ enthält (außer dem Vorhof) neun Höllenkreise, desgleichen das „Purgatorio“ neun Räume: den Vorhof, sieben Büßerterrassen und das irdische Paradies auf dem Gipfel des Läuterungsbergs. Das „Paradiso“ endlich besteht ebenfalls aus neun kreisenden Himmeln, über denen das Empyreum als der unbewegliche Sitz der Gottheit schwebt. Die Grundidee des Gedichts ist nun die einer Wanderung des Dichters durch diese drei Welten der Geister, die er auf höheres Geheiß unternimmt. Er findet sich um die Mitte seines Lebens in einem wilden Wald verirrt; als er bei Tagesanbruch dessen Ende erreicht und einen sonnigen Berg erklimmen will, hindert ihn daran die Erscheinung eines Panthers, eines Löwen und einer Wölfin. Im Begriff, wieder in die Tiefe des Waldes zurückzukehren, erscheint ihm der Schatten Vergils (gleichsam das Symbol der weltlichen Autorität) und verkündet ihm, zu seiner Rettung müsse ein andrer Weg eingeschlagen werden; er selbst werde ihn führen und ihm auf dem Weg die verdammten Seelen in der Hölle und die büßenden im Purgatorium zeigen; wolle er noch höher, zu den Seligen emporsteigen, so müsse ihn dann eine würdigere Seele geleiten. Dantes Zweifel werden durch die Angabe Vergils, Beatrice habe ihm diesen Auftrag gegeben, beschwichtigt. Die Wanderung geht nun zunächst durch die Hölle, welche einen bedeutenden Teil der Erdrinde einnimmt und einen Trichter bildet, dessen Spitze sich im Mittelpunkt der Erde befindet, und dessen Wände treppenartig durch mehrere rund umherlaufende Stufen abgeteilt sind. Auf diesen Stufen, die sich von der ersten bis zur neunten immer mehr verengern, befinden sich die Verdammten; im Vorhof diejenigen, welche auf der Erde ohne Ehre und ohne Schande gelebt haben; im ersten Kreis die edlen Geister der Vorzeit, welche zwar untadelhaft gelebt, aber die Taufe nicht empfangen haben; in den folgenden Kreisen aber der Reihe nach, dem Grade der Lasterhaftigkeit und der Schwere der Strafen entsprechend, die Wollüstigen, die Schlemmer, die Geizigen und Verschwender, die Zornigen und Rachsüchtigen, sodann in den tiefer gelegenen Kreisen die Epikureer und Ketzer, die Gewaltthätigen gegen ihren Nächsten und gegen Gott, die Lügner und Betrüger in den verschiedenen Gestalten und schließlich die Verräter an Verwandten, Freunden, Wohlthätern und Vaterland. In der Mitte dieses Kreises steht der Beherrscher dieses Reichs, Dis oder Luzifer, das böse Prinzip, mit den Füßen im Mittelpunkt der Erde. An dem Leib desselben emporsteigend, gelangen die Wanderer, dem Lauf eines klaren Baches folgend, aus der Schlucht hinaus auf die entgegengesetzte Erdhälfte, wo sich aus den Fluten, [534] welche diese ganz bedecken, der Berg des Purgatoriums erhebt. Am Uferrand empfängt sie Cato von Utica, der Wächter dieses Reichs. Der Läuterungsberg bildet einen steilen Kegel und ist in sieben rund herumlaufende Terrassen geteilt, die von den verschiedenen Abteilungen der Büßenden bewohnt werden und durch schmale Treppen, deren jede von einem Engel bewacht wird, in Verbindung stehen. In umgekehrter Ordnung der Hölle steigen hier Laster und Buße vom Schwerern zum Leichtern auf. Die unterste Terrasse nehmen die Hochmütigen ein, dann folgen nach der Reihe die Neidischen, die Zornigen, die sittlich Säumigen, die Geizigen und Verschwender, die Schwelger und endlich die von Weltlust Erfüllten. Nachdem die Reisenden sämtliche Terrassen durchwandert haben, gelangen sie von der letzten in das über derselben gelegene irdische Paradies. Hier verschwindet Vergil, und Beatrice (das Symbol der kirchlichen Autorität darstellend) übernimmt des Dichters Führung durch das dritte Reich, dessen Einteilung auf den zu Dantes Zeit noch herrschenden Ansichten vom Weltensystem beruht. Hiernach besteht dieses Reich aus zehn übereinander liegenden und als hohle, durchsichtige Kugeln zu denkenden Himmeln, welche die im Mittelpunkt des Universums liegende Erde umgeben, und von deren ersten sieben jeder nach einem bestimmten Gestirn benannt ist, nämlich der Himmel des Mondes, des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, des Jupiter und des Saturn. Den achten bildet die Sphäre der Fixsterne, den neunten die des Primum mobile, welches allen übrigen ihre Bewegung verleiht. Jeder dieser Himmel wird von einer besondern Klasse von Seelen bewohnt, welche alle diese verschiedenen Stufen durchlaufen müssen, bevor sie in den zehnten, den unbeweglichen Lichthimmel, das Empyreum, den eigentlichen Sitz der Seligen, gelangen. Nachdem D. an Beatrices Seite auch dieses ganze Reich durchwandert hat, verschwindet auch sie und übergibt ihn dem heil. Bernhard, durch dessen Vermittelung er schließlich des Anblicks des göttlichen Angesichts in einer mystischen Vision teilhaftig wird. Während der ganzen Wanderung durch die drei Welten werden Gespräche mit historisch bekannten, zumeist erst kürzlich verstorbenen Menschen geführt, die bald Abscheu und Entsetzen, bald tiefe Wehmut erregen; tiefsinnige Fragen der Theologie und Philosophie werden gelegentlich erörtert, und die bürgerlichen und sittlichen Verhältnisse Italiens, die entarteten Zustände der Kirche wie des Staats werden mit edlem sittlichen Zorn geschildert, so daß sich die Dichtung zu einem umfassenden, erhabenen und ergreifenden Zeitgemälde gestaltet. Namentlich sind es die beiden ersten Abteilungen des Gedichts, welche durch die Kunst ihrer Organisation, die Mannigfaltigkeit und Plastik ihrer Gestalten und das Interesse ihrer historischen Bezüge den Leser fortwährend fesseln, während sich die letzte Abteilung durch höchste Erhabenheit der Gesinnung und Empfindung auszeichnet. – Was aber die Deutung des Gedichts als eines allegorischen Ganzen wie seiner Allegorien im einzelnen betrifft, so haben sich in den sechs Jahrhunderten seines Bestehens die verschiedensten Geister auf die verschiedenartigste Weise daran versucht. Im allgemeinen herrschte früher die moraltheologische Deutung vor, wie denn auch Schlosser die Grundidee in diesem Sinn auslegt. Nach ihm hätte D. in seinem Gedicht den Weg besungen, auf dem er von der sinnlichen Liebe zur himmlischen, von weltlichen Bestrebungen zum betrachtenden Leben und zur innern Seligkeit gelangt sei, so daß das Gedicht gleichsam die Epopöe der menschlichen Erlösung darstellt. In unserm Jahrhundert, besonders seit Marchettis und Rosettis Auftreten, hat sich dagegen die Auffassung der „Commedia“ als einer Dichtung von wesentlich politischem Charakter Geltung verschafft und ist in Italien gegenwärtig die herrschende geworden. Man betrachtet sie als ein großartiges Strafgedicht, eine an die persönlichen Schicksale des Dichters anknüpfende politische Satire auf die Verworfenheit seines Zeitalters, auf die durch die Päpste in Schmach und Schande gestürzte Menschheit, die nur durch die volle Entfaltung der kaiserlichen Herrschermacht reorganisiert werden könne. So wurden denn z. B. auch die allegorischen „Raubtiere“ der Einleitung zur „Hölle“ als bestimmte historische Gestalten gedeutet: der bunt gefleckte Panther (früher als Sinnenlust bezeichnet) als Florenz mit seinen Parteien der Schwarzen und Weißen, der Löwe (früher Ehrgeiz) als Frankreich, speziell Karl von Valois, die gierige Wölfin (früher Habsucht) als die römische Kurie, speziell Bonifacius VIII. Indessen so sehr die dem Gedicht zu Grunde liegende Allegorie den Kenner und Forscher entzückt, so ist doch mit großer Kunst alles so eingerichtet, daß auch der Leser, der die Allegorie nicht sucht und nicht will, sondern alles bloß als Geschichte und Gemälde, als poetische Darstellung der menschlichen Natur und des menschlichen Lebens betrachtet, gefesselt und von Bewunderung erfüllt wird.

Wann D. sein großes Werk angefangen und wann er die einzelnen Teile vollendet habe, diese Fragen werden verschieden beantwortet. Mit ziemlicher Bestimmtheit ist jedoch anzunehmen, daß er das „Inferno“ nicht vor 1314, das „Purgatorio“ nicht vor 1318 beendigt haben kann, da darin noch Begebenheiten dieser Jahre erwähnt werden; wahrscheinlich ist auch, daß die 13 letzten Gesänge erst acht Monate nach Dantes Tod aufgefunden wurden, was Dionisis Ansicht, die Vollendung des Ganzen falle in das Jahr 1320, nicht widerspricht. Die „Divina Commedia“ wurde bald in unzähligen Abschriften in Italien verbreitet, und noch heute besitzen die Bibliotheken Italiens, Deutschlands, Frankreichs und Englands eine große Zahl derselben, die freilich alle durch Korruptionen entstellt sind und durch Varianten voneinander abweichen. Die Zahl aller Kodices schätzt Cancellieri auf 452.

[Ausgaben.] Die Zahl sämtlicher Ausgaben des berühmten Gedichts wurde 1882 auf 347 angegeben, wovon 15 auf das 15. Jahrh., 30 auf das 16. Jahrh., 3 auf das 17. Jahrh., 31 auf das 18. und 268 auf das 19. Jahrh. entfallen. Von der größten Seltenheit sind die drei ältesten Drucke: der von Foligno (klein Folio, mit dem Titel: „La commedia di D. A. delle pene e punizj de’ vizi e de’ meriti e premj della virtú“, von Jesi (groß Quart) und von Mantua (Folio), alle drei aus dem Jahr 1472 (in einer Prachtausgabe zusammen neu hrsg. von Lord Vernon, Lond. 1858). Nicht viel jünger ist eine (wahrscheinlich 1474) in Neapel erschienene Ausgabe in klein Folio. Von Wichtigkeit sind außerdem die von Vendelin (Vened. 1477), die Nidobeatina (Mail. 1477–78) und die Giuntina (Flor. 1506). Auch die Ausgabe von Florenz 1481, mit dem Kommentar des Landino, ist ziemlich selten und namentlich wegen der vielen darin enthaltenen Kupfer geschätzt. Ein besonderes (aber unverdientes) Ansehen erwarb sich die von Pietro Bembo besorgte, bei Aldus zu Venedig 1502 erschienene Ausgabe, deren Text daher von sämtlichen folgenden des 16. Jahrh. wiederholt [535] und im wesentlichen auch von der Crusca ihrer ersten Ausgabe (Flor. 1595) zu Grunde gelegt wurde. Der Cruscatext blieb zwei Jahrhunderte lang in ausschließlicher Geltung. Der erste, der seine Mängel erkannte, war Lombardi; seine Ausgabe erschien Rom 1791, 3 Bde., u. öfter (zuletzt Padua 1822, 5 Bde.). Noch mehr that Dionisi für die Reinigung des Textes, indem er in seiner Ausgabe (Parma 1795, 3 Bde.) auf den ältesten der vorhandenen Kodices, den angeblich von Villani 1343 angefertigten, als den korrektesten zurückging. Andre bemerkenswerte Ausgaben sind die von Zatta (Vened. 1757, 5 Bde. mit 110 Kupfertafeln), die Pisaner (1804–1809, 4 Bde., Folio), die von Poggiali (Livorno 1807, 4 Bde.), von Romualdi Zotti (Mail. 1808–1809, 3 Bde.), die Florentiner Folioausgabe mit dem Kommentar Biagiolis (1817–19, 4 Bde. mit vielen Kupfern), die von Sicca besorgte im „Parnasso classico italiano“ (Padua 1827), die von Ugo Foscola (Lond. 1825), die dritte Ausgabe der Crusca (Flor. 1837, 2 Bde.) und als die vorzüglichsten die neuern Ausgaben von Bianchi (7. Aufl., das. 1868), von K. Witte (Berl. 1862), auf sorgfältigster Vergleichung der vier korrektesten Kodices (Villani, Caetani, Vaticanus und Berolinus) beruhend, und von Scartazzini (Leipz. 1874–82, 3 Bde., mit Kommentar).

[Übersetzungen.] Für den ersten Übersetzer Dantes in lateinischen Versen hält man gewöhnlich den Olivetanermönch Matteo Ronto (gest. 1443); doch teilt Viviani ein offenbar älteres Bruchstück einer lateinischen Übersetzung mit. Andre Übersetzungen ins Lateinische sind von Carlo d’Aquino (Neap. 1728, 3 Bde.) und von Piazza (1848). Ins Spanische wurde das Gedicht übersetzt von Fernandez de Villegas (Burgos 1515; neue Ausg., Madr. 1867), neuerdings von Manuel Aranda y Sanjuan (das. 1868); ins Französische unter andern von Grangier (1596–97, 3 Bde.), von d’Artaud de Montor (1811 bis 1813, 3 Bde.; neue Ausg. 1845), von Calemard de Lafayette (1835, 2 Bde.), von Fiorentino (12. Aufl. 1881), von de Mongis (3. Aufl. 1875), von S. Rhéal (1843–56, 6 Bde.), von Ratisbonne (4. Ausg. 1870), von Mesnard (1854–57, 3 Bde.), von Lamennais (in Prosa, 1862), von Raynard (1878); ins Englische von H. Boyd (1785, 1812, 3 Bde.), von F. Carey (1814, 3 Bde.), von N. Howard (1807), von W. Hume (1812), von Wight (1833), von Cary (1851, neueste Ausg. 1871, in Terzinen), von Dayman (1865, in Terzinen), von Longfellow (1865, neue Ausg. 1877), von W. M. Rossetti (1865, in reimlosen Jamben), von Ford (1871), von Minchin (1884, in Terzinen), von Sibbald (1884); ins Russische von Dmitri Min (die „Hölle“, in Prosa, Petersb. 1843); ins Polnische von A. Stanislawski (Posen 1870); ins Dänische von Molbech (die „Hölle“, Kopenh. 1851, in Terzinen); ins Schwedische von K. Wilh. Böttiger (in „Italienska studier“, Upsala 1853, in reimlosen Versen); ins Holländische von Hacke van Mijnden (Haarl. 1867–1870) und von A. S. Kok (das. 1864). Die älteste deutsche Übersetzung ist die von Bachenschwanz (2. Aufl., Leipz. 1767–69, 3 Bde.) in Prosa; ihr folgte eine von Jagemann in freien Jamben (Weim. 1780 bis 1785, 7 Bde.). Einige Stellen der „Hölle“ hat auch A. W. Schlegel (in den „Horen“ 1795) übersetzt. Außer diesen ersten Versuchen liegen Übertragungen des Gedichts vor von Kannegießer (Leipz. 1814–21, 5. Aufl. 1873), von Streckfuß (Halle 1824–26, 3 Bde.; 9. Aufl. 1871) in Terzinen; von J. B. Hörwarter und K. v. Enk (Innsbr. 1830–31, 3 Bde.; 2. Aufl., Wien 1877) in Prosa; die vorzügliche Übersetzung von Philalethes (König Johann von Sachsen) in reimlosen Jamben (Dresd. 1839–40, 3 Bde.; neue Ausg., Leipz. 1865–66, 3 Bde.; 3. Abdruck 1877); von Heigelin (Blaubeuren 1836, 3 Bde.) und von Kopisch (Berl. 1840, 3. Aufl. 1882) ebenfalls in reimlosen Versen; von G. v. Berneck (Pforzh. 1841; 2. Aufl., Stuttg. 1856) und von Graul („Hölle“, Leipz. 1843) in Terzinen; von Jul. Braun (Berl. 1863, 1. Bd.: „Hölle“) in freien Versen; von Blanc (Halle 1864), von Eitner (Hildburgh. 1865, 3 Bde.), von Witte (Berl. 1865, 3. Aufl. 1877) in reimlosen Jamben; von Josepha v. Hoffinger (Wien 1865, 3 Bde.), von A. Dörr (Darmst. 1867, nur 17 Gesänge der „Hölle“), von W. Krigar (Berl. 1870–71, mit den Illustrationen von G. Doré), von R. Baron (Oppeln 1870), von Fr. Notter (Stuttg. 1871–72, 2 Bde.), von K. Bartsch (Leipz. 1877), von Francke (das. 1883–85) in Terzinen. Auch gibt es eine hebräische Übersetzung der „Hölle“ von Formiggini (Triest 1869) und eine neugriechische von Musurus Pascha (Lond. 1882). – Erwähnung verdienen Flaxmans Zeichnungen zur „Divina Commedia“, die, von Pistrucci gestochen, unter dem Titel: „Atlante Dantesco“ (Mail. 1822) erschienen. Auch Cornelius und Genelli haben Zeichnungen dazu geliefert. In neuester Zeit sind die schon erwähnten Illustrationen von Doré zur „Divina Commedia“ besonders beliebt geworden. Zur Orientierung auf den verschiedenen Schauplätzen der „Divina Commedia“ können M. A. Caetanis bildliche Darstellungen derselben unter dem Titel: „La materia della Divina Commedia dichiarata in VI tavole“ (Rom 1855; 2. Ausg., das. 1872) dienen.

[Kommentare etc.] Der Kommentare, welche bald den ästhetischen Wert des Gedichts, bald die darin auftretende Theologie und Philosophie, bald die geschichtlichen Thatsachen, bald die politischen Tendenzen des Dichters behandeln, sind unzählige. Fast sämtliche Manuskripte sind mit Kommentaren und Randglossen versehen, und ebenso sind die meisten Ausgaben erläutert und kommentiert. Die ältesten authentischen Kommentare sind der des Jacopo della Lana (noch vor 1328 geschrieben, gedruckt in der Ausgabe der „Divina Commedia“ von Vendelin de Spira, 1477; neue Ausg., Mail. 1865, Quart, und Bologna 1866) und der unter dem Namen: „L’antico, il buono, l’ottimo“ bekannte (hrsg. von Torri, Pisa 1827–29, 3 Bde.). Dem 14. Jahrh. gehören ferner an der Kommentar des Florentiner Anonymus (hrsg. von Fanfani, Bologna 1866–74), der des Boccaccio (hrsg. von Milanesi, Flor. 1863, 2 Bde.), der von Benvenuto Rambaldi von Imola (Imola 1855–56, 3 Bde.), der des Francesco de Buti (Pisa 1858–62, 3 Bde.) und der von Guiniforte Barziza (Marseille 1838). Aus dem 15. Jahrh. stammt der oben schon erwähnte Kommentar des Landino (zuerst Flor. 1481); aus dem 16. Jahrh. sind Vellutello (Vened. 1544 u. öfter) und Bern. Daniello da Lucca (das. 1568) als Kommentatoren zu erwähnen. Vgl. Hegel, Über den historischen Wert der ältern Dantekommentare (Leipz. 1878). Von den neuern Erklärern sind als die wichtigsten hervorzuheben: Lombardi (Rom 1791, 3 Bde., u. öfter; am besten Padua 1822, 5 Bde.), Rossetti (Lond. 1826–27, 2 Bde.; wegen seiner einseitigen Auffassung anfänglich scharf angegriffen), Tommaseo (Vened. 1837 u. öfter, am besten Mail. 1865), Bianchi (7. Aufl., Flor. 1868), Fraticelli (3. Aufl., das. 1871), de Marzo (das. 1864–82, 3 Bde.) und Scartazzini (in seiner Textausgabe, Leipz. 1874–82), welcher das gesamte vorliegende Material kritisch verarbeitet. Die Vorläufer Dantes behandelt d’Ancona („I precursori [536] di D.“, Flor. 1874). Von neuern deutschen Werken über D. sind, von den Biographien (s. unten) abgesehen, hervorzuheben: Ruth, Studien über D. (Tübing. 1853); Pfleiderer, Dantes Göttliche Komödie, übersichtlich dargestellt (Stuttg. 1871); ferner Wittes verschiedene wichtige Aufsätze zur Dante-Litteratur, gesammelt unter dem Titel: Dante-Forschungen. Altes und Neues (Halle 1869 u. Heilbr. 1879, 2 Bde.); Scartazzini, Abhandlungen über D. (Frankf. 1880) u. a. In Frankreich brachten nicht unwichtige Beiträge zur Kenntnis Dantes und seiner Zeit: Fauriel in „D. et les origines de la littérature italienne“. (Par. 1854, 2 Bde.), Ozanam in „D. et la philosophie catholique au XIII. siècle“ (5. Aufl., das. 1869) und K. Hillebrand in „Dino Compagni, étude historique et littéraire sur l’époque de D.“ (das. 1862). Auch E. Daniels „Essai sur la Divine Comédie“ (Par. 1873) ist zu nennen. In Deutschland gab das Dante-Jubiläum Anlaß zur Gründung der Dante-Gesellschaft, die sich 1865 in Dresden unter der Ägide des Dantekundigen Königs Johann von Sachsen konstituierte und bis jetzt vier Bände ihres „Jahrbuchs“ (Leipz. 1867–77) herausgegeben hat.

Als Hilfsmittel zum Studium der „Divina Commedia“ dienen Blancs „Vocabolario Dantesco“ (Leipz. 1852) nebst dem „Versuch einer philologischen Erklärung dunkler und streitiger Stellen der Göttlichen Komödie“ (Halle 1860–65, unvollendet), D. M. Granatas „Florilegio e dizionario Dantesco“ (Neap. 1855), G. J. Ferraris[WS 2] „Enciclopedia Dantesca“ (Mail. 1863–77, 5 Bde.), Boccis „Dizionario storico, geografico, universale della Divina Commedia“ (Rom 1874) u. a. Bibliographische Verzeichnisse aller Ausgaben, Übersetzungen und Erläuterungsschriften geben de Batines’ „Bibliografia Dantesca“ (Prato 1845–48, 5 Bde.) mit der Fortsetzung von Carpellini (Siena 1866) und Ferrazzis „Manuale Dantesco“ (Bassano 1865–77, 5 Bde.). Die Dante-Litteratur von 1865 bis 1879 enthält die „Bibliographia Dantea“ von Petzholdt (2. Ausg., Dresd. 1880); speziell die deutsche: Scartazzinis Werk „D. in Germania“ (Mail. 1881–83, 2 Bde.). Eine encyklopädische Übersicht der ganzen Dante-Forschung bietet Scartazzinis „Dantologia“ (Mail. 1883).

[Biographische Litteratur.] Die Lebensumstände des Dichters sind von keinem seiner Zeitgenossen ausführlich aufgezeichnet worden. Boccaccios Buch „Dell’origine, vita, studj e costumi del chiarissimo D. A.“ ist leicht und schwungvoll geschrieben, aber reich an Willkürlichkeiten und mehr Roman als Geschichte, ein Panegyrikus, der allerdings das Außerordentliche im Wesen des Dichters lebhaft erkennen läßt. Was Spätere, wie Villani, Bardini, Polentone, über D. veröffentlicht haben, hat geringe Bedeutung. Weit wichtiger ist die Biographie Dantes von Leonardo Bruni (Perugia 1617, Flor. 1672). Den obersten Rang aber unter den italienischen Biographen des Dichters behaupten Gius. Pelli („Memorie per servire alla vita di D.“. Vened. 1758; neue Ausg., Flor. 1823), Cesare Balbo („Vita di D.“. Turin 1839, 2 Bde.) und besonders Fraticelli, dessen Werk („Storia della vita di D.“. Flor. 1861) eine erschöpfende Zusammenstellung des biographischen Stoffes und kritische Sichtung desselben enthält, ohne indessen auf eine künstlerische Gestaltung Bedacht zu nehmen. Unter den deutschen biographisch-litterarischen Werken über D. sind hervorzuheben: Schlosser, D. (Leipz. u. Heidelb. 1855); Floto, D., sein Leben und seine Werke (Stuttg. 1858); Wegele, Dantes Leben und Werke (3. Aufl., Jena 1879); Grieben, D., eine Studie (Köln 1865); Scartazzini, D., seine Zeit, sein Leben und seine Werke (2. Aufl., Frankf. 1879); Scheffer-Boichorst, Aus Dantes Verbannung (Straßb. 1882); Derselbe, D. im Exil (das. 1885). Eine französische Biographie Dantes liegt vor von d’Artaud de Montor (Par. 1841). Vgl. Paur, Über die Quellen zur Lebensgeschichte Dantes (Görl. 1862).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Druckfehler in der Vorlage: gemeint ist 1303
  2. Druckfehler in der Vorlage; gemeint ist Giuseppe Jacopo Ferrazzis