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MKL1888:Demosthĕnes

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Demosthĕnes“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Demosthĕnes“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 4 (1886), Seite 670671
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Demosthĕnes. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 670–671. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Demosth%C4%95nes (Version vom 02.05.2023)

[670] Demosthĕnes, 1) Sohn des Alkisthenes, athen. Feldherr, ein kühner, weitblickender Mann, reich an Ideen, unerschöpflich an Hilfsmitteln, ein vortrefflicher Taktiker und bei den Truppen beliebt, drang im Peloponnesischen Krieg auf Erweiterung der athenischen Macht im Ionischen Meer, that sich 425 v. Chr. besonders durch die für Athen so erfolgreiche Besetzung der Insel Pylos in Messenien hervor, fiel in Sizilien, wohin er dem Nikias und Lamachos Verstärkung brachte, nach der Niederlage der Athener am Asinaros tapfer kämpfend in die Hände der Syrakusier, die ihn hinrichteten (413 v. Chr.).

2) Der größte Redner des Altertums, geb. 383 v. Chr. im attischen Demos Päania. Schon in seinem siebenten Jahr des Vaters, eines wohlhabenden Waffenfabrikanten, beraubt, entschied er sich frühzeitig für den Beruf eines Redners, obwohl er eine schwache Stimme und undeutliche Aussprache hatte und an kurzem Atem litt. Nachdem er unter der Leitung des Isäos seine rhetorischen Studien gemacht, trat er 364 als Ankläger gegen seine Vormünder auf, die ihn um sein Vermögen betrogen hatten. Zwar verurteilt, wußten sich diese doch der Wiedererstattung des Unterschlagenen zu entziehen, so daß D., um seine und der Seinigen Existenz zu fristen, sich der allerdings einträglichen Thätigkeit des Redenschreibens für andre zuwenden mußte. Sein erster Versuch, vor dem Volk aufzutreten, mißlang vollständig, vornehmlich wegen der Mangelhaftigkeit seines Vortrags. Doch ließ sich D. nicht abschrecken, sondern wußte mit übermenschlicher Energie die Hindernisse, welche ihm seine schwache Brust und schwere Zunge bereiteten, zu überwinden und sich in der Aktion vorzüglich unter Anleitung des Schauspielers Satyros zu vervollkommnen. So vorbereitet, trat er 356 wieder öffentlich auf, diesmal mit dem besten Erfolg. Bald wandte er sich der staatsmännischen Thätigkeit zu; sein Ziel war die Wiederherstellung der Hegemonie Athens auf Grund innerer Tüchtigkeit und die Erhaltung der griechischen Freiheit, deren Bedrohung durch Philipp von Makedonien er früh erkannte. Der Kampf gegen den Landesfeind, die Indolenz seiner Mitbürger und die im makedonischen Sold stehende Partei, deren Haupt Äschines war, boten ihm reiche Gelegenheit, die ganze sittliche Energie seiner Persönlichkeit und die Macht seiner Rede zu zeigen. Zum erstenmal erhob er seine Stimme gegen den Makedonier 351 in der ersten seiner Philippischen Reden, welche den Erfolg hatte, daß die Athener sich aufrafften und Philipp an der Besetzung des Thermopylenpasses, des Schlüssels zum eigentlichen Griechenland, verhinderten. Dagegen ließen es die Athener trotz seiner drei Olynthischen Reden geschehen, daß Philipp 348 die höchst wichtige Stadt Olynth eroberte. D. mußte selbst zum Frieden raten, der aber durch die Intrigen der makedonischen Partei sehr zu ungunsten Athens ausfiel. Bald veranlaßten ihn die unaufhörlichen Übergriffe Philipps, aufs neue gegen diesen in gewaltigen Reden (der zweiten und dritten Philippischen, 344 und 341) aufzutreten, indem er gleichzeitig die äußerste Thätigkeit entfaltete, die einer kräftigen Politik und Kriegführung im Weg stehenden Mißbräuche abzustellen und Athens Streitmacht zu verstärken. Sein Verdienst war es, daß 340 Philipp der Krieg erklärt und das bedrohte Byzanz gerettet wurde. Allein der 339 ausbrechende zweite Heilige Krieg gab Philipp die gewünschte Gelegenheit, sich in die Angelegenheiten Griechenlands zu mischen. Er drang in Böotien ein, und als die Bemühungen des D. ein Bündnis Athens mit Theben zu stande brachten, kam es 338 zur Entscheidungsschlacht bei Chäroneia, durch welche die Freiheit Griechenlands vernichtet wurde. Zwar suchten Äschines und sein Anhang D. die Schuld an dem Unglück zuzuschieben; doch er besaß in solchem Grade die Achtung der Athener, daß diese ihm die öffentliche Leichenrede für die bei Chäroneia Gefallenen übertrugen. Nach dem Tod Philipps (336) suchte D. Athen zum Aufstand gegen Alexander zu bestimmen, allein das energische Auftreten des letztern gegen Theben verhinderte jeden Versuch. Nur mit Mühe entging D. der verlangten Auslieferung an Alexander. Schon 337 hatte Ktesiphon für D. die Auszeichnung eines goldenen Kranzes für seine Verdienste beantragt, war aber von Äschines wegen Gesetzwidrigkeit des Antrags angeklagt worden. Als Äschines 330 seine Klage erneuerte, errang D. mit seiner berühmten Rede vom Kranz einen solchen Sieg über ihn, daß er in die Verbannung gehen mußte. Dagegen gelang es 324 seinen Gegnern, seine Verurteilung wegen angeblicher Bestechung durch Harpalos (s. d.) herbeizuführen. Außer stande, die Strafsumme von 50 Talenten zu bezahlen, wurde er ins Gefängnis geworfen, entfloh aber nach Ägina, um schon 323 feierlich und ehrenvoll zurückgerufen zu werden. Nach dem unglücklichen Ausgang des Lamischen Kriegs von der makedonischen Partei zum Tod verurteilt, floh er in den Poseidontempel auf der kleinen Insel Kalauria bei Trözene und gab sich hier, als die Schergen Antipatros’ ihn ergreifen wollten, durch Gift den Tod (12. Okt. 322). Von bildlichen Darstellungen des gewaltigen Mannes sind hervorzuheben eine Herme aus pentelischem Marmor in München und eine lebensgroße Marmorstatue im Vatikan zu Rom. Ein jetzt in England befindliches Terrakotterelief zeigt ihn als Schutzflehenden am Altar des Poseidon zu Kalauria.

Die Reden des D. sind der reinste, treueste Spiegel seines Charakters. Glühende Vaterlandsliebe, Erhabenheit und Reinheit der Gesinnung, tiefe Wehmut über den Verfall seines Zeitalters, durchdringender Scharfblick in die gefährlichen Pläne des schlauen Makedoniers, tiefe Menschenkenntnis und große Staatsklugheit: dies alles leuchtet aus jeder Staatsrede entgegen. D. wollte nicht gefallen, sondern überzeugen; stets war es die Sache selbst, die Wahrheit der Überzeugung, die ihn auf die Rednerbühne führte, wo er durch umsichtige Anordnung des Stoffs und zeitgemäße Einreihung schlagender Gründe und Beweise, Gründlichkeit, Gewandtheit und Schärfe der Gedankenentwickelung, Innigkeit der Empfindung und Festigkeit der Gesinnung so gewaltig wirkte. Seine Sprache ist großartig und doch schlicht, reich und doch nicht überladen, ernst und doch gefällig, gedrängt und doch fließend, lieblich und doch eindringlich. Das Altertum kannte 65 echte Reden des D.; uns sind unter seinem Namen 60, teils Staats-, teils Gerichtsreden, erhalten, von denen jedoch 27 mehr oder weniger verdächtig sind. Zweifelhaft ist auch die Echtheit von 56 Proömien zu Staatsreden und 6 Briefen, die ihm beigelegt werden. Von den Gesamtausgaben der Reden (außer in den Sammlungen der attischen Redner) sind hervorzuheben: die von Bömel (Par. 1843–45, 2 Bde.; neue Ausg. 1868), von Dindorf (Oxf. 1846–1851, 9 Bde.; Textausgabe, Leipz. 1855–56, 3 Bde.) und von Bekker (das. 1854–55, 3 Bde.). Außerdem besorgte Bömel kritische Ausgaben der Philippischen Reden (Halle 1857), der Reden gegen Äschines (Leipz. 1862) und der gegen Leptines (das. 1866). [671] Auch die Ausgaben ausgewählter Reden (mit erklärenden Anmerkungen) von Westermann und v. Bamberg (3 Bde., in der Weidmannschen Sammlung) und von Rehdantz (6. Aufl., Leipz. 1881) sind zu nennen. Andre Herausgeber verschiedener Reden sind F. A. Wolff, Buttmann, Ammersfoordt, Dissen, Franke, Weber, Rudiger etc. Übersetzungen sämtlicher Reden besitzen wir von Papst (Stuttg. 1836–42, 19 Bdchn.), ausgewählter Reden von Westermann (das. 1860–68, 4 Tle.), Rauchenstein und Döderlein (das. 1860), der Staatsreden von Jacobs (2. Aufl., Leipz. 1833). Vgl. Schäfer, D. und seine Zeit (Leipz. 1856–58, 3 Bde.; 2. Aufl. 1882 ff.; Boullée, Histoire de Démosthène (2. Aufl., Par. 1868); Croiset, Des idées morales dans l’éloquence politique de Démosthène (das. 1874); Blaß, Die attische Beredsamkeit, 3. Abt. (Leipz. 1877).