MKL1888:Dramaturgīe
[117] Dramaturgīe (Dramaturgik, griech.), bei den Griechen Bezeichnung für die Darstellung eines Dramas sowie für die Verfertigung eines solchen, während sie Schriften über dramatische Dichtungen und deren Aufführung Didaskalien nannten. In neuerer Zeit hat das Wort D. eine wesentlich andre und sehr dehnbare Bedeutung erhalten, so daß man jetzt die ganze Lehre vom Drama darunter versteht, des dichterischen Teils sowohl als der theatralischen Ausführung in Darstellung und szenischen Mitteln, obschon es zur Zeit noch fast ganz an Schriften fehlt, die diesem umfassenden Sinn des Wortes entsprächen. Die meisten dramaturgischen Schriften beschäftigen sich nur mit einzelnen Teilen einer solchen Lehre. Für ein zusammenfassendes Werk bietet besonders das Verhältnis der Musik zum Drama eine beträchtliche [118] Schwierigkeit. Lessing war der erste, welcher für das, was die Griechen Didaskalia (s. d.) genannt haben würden, die Bezeichnung D. gebrauchte, obschon die „Hamburger D.“ keineswegs die erste dramaturgische Schrift war. Als die älteste darf die „Poetik“ des Aristoteles bezeichnet werden, die sich jedoch auf die Tragödie beschränkt. Die Dunkelheit und Mehrdeutigkeit einzelner Stellen derselben hat viel zu der Verwirrung beigetragen, der wir auf dem Gebiet des Dramas im Lauf seiner historischen Entwickelung begegnen. Lessing hat sich um die Aufklärung einiger der am meisten mißverstandenen Punkte große Verdienste erworben, ohne sie doch überall endgültig entschieden zu haben. Von den römischen Schriftstellern hat unter andern Horaz in seinem meist als „Ars poetica“ bezeichneten zweiten Brief an die Pisonen auch Ansichten über das Drama niedergelegt. Unter den Spaniern verdienen besonders Lope de Vega („Neue Kunst, in jetziger Zeit Komödie zu schaffen“), Tirso de Molina, Cristoval Juarez de Figueroa, Ignacio de Luzan und Blas Nasarre als Theoretiker des Dramas angeführt zu werden. In Frankreich legte der ältere Corneille den Grund zu der Lehre von den drei Einheiten, die von Boileau in seiner „Art poétique“ zum Gesetz erhoben wurde und für die Entwickelung des französischen Dramas, besonders der Tragödie, verhängnisvoll war. D’Aubignac („Pratique du théâtre“) trieb die akademischen Regeln auf die Spitze, indem er sogar die Zahl der Verse des Dramas festsetzen wollte. Molière und später Diderot reagierten gegen diese und ähnliche Satzungen zu gunsten der Natur und der künstlerischen Freiheit. Von den Italienern mag hier nur Riccoboni („L’art du théâtre“) genannt werden. In Deutschland trat Gottsched für die französischen Regeln, Lessing für eine natürliche Auffassung des Aristoteles, für Shakespeare, doch leider auch zu sehr für Diderot ein. Seine „Hamburger D.“ (mit Kommentar hrsg. von Schröter und Thiele, Halle 1877–1878) war epochemachend und grundlegend für alles, was nach ihm hier über das Drama geschrieben wurde. Tiecks dramaturgische Schriften, A. W. Schlegels „Vorlesungen über dramatische Kunst“ treten neben Lessing glänzend aus der Menge der hierher gehörigen Schriften hervor. Daneben verdienen auch Engels „Mimik“, Goethes „Regeln für Schauspieler“, Ifflands „Fragment über Menschendarstellung“ u. a. genannt zu werden. Von neuern Werken vgl. Rötscher, Kunst der dramatischen Darstellung (2. Aufl., Leipz. 1864); die Sammlungen dramaturgischer Aufsätze von Lindau, Bulthaupt, Wedde u. a.; ferner G. Freytag, Technik des Dramas (4. Aufl., das. 1881); R. Prölß, Katechismus der D. (das. 1877). S. auch Schauspielkunst.