MKL1888:Eisenbahnfusion
[460] Eisenbahnfusion. Nachdem in den ersten Anfängen des Eisenbahnwesens zahlreiche kleinere Eisenbahngesellschaften entstanden waren, zeigte sich bald die Neigung zur Vereinigung einzelner Verkehrsgruppen zu geschlossenen Unternehmungen mit großem und abgerundetem Netz. Den Vorgang dieser Verschmelzung zweier oder mehrerer selbständiger Eisenbahnunternehmungen zu einem einheitlich verwalteten Netz nennt man E. Man hat die Fusionen einzelner früher selbständiger Eisenbahnverwaltungen häufig beklagt, weil die betreffenden Verwaltungen durch ihre Lage zuvor meist zu gegenseitiger Konkurrenz angewiesen waren und mit der Fusion die erwarteten Vorteile der Konkurrenz aufhörten. Der Hauptsache nach stellten indes die Fusionen einen volkswirtschaftlich gebotenen und gesunden Entwickelungsprozeß dar, da die Verschmelzung der kleinern Teile des Eisenbahnnetzes zu größern Ganzen eine wesentliche Voraussetzung für die Vervollkommnung und wohlfeilere Gestaltung des Eisenbahnbetriebs bilden. Hierbei ist namentlich bestimmend, daß die allgemeinen Verwaltungskosten verhältnismäßig abnehmen, je weniger selbständige Zentralverwaltungen zu unterhalten sind, ferner, daß die Notwendigkeit der Herstellung direkter Verbindungen für zahlreiche durchgehende Verkehrsrichtungen, im Zusammenhang damit die Vereinbarung direkter Tarife und durchgehender Züge, endlich die notwendige Verständigung über gemeinsame Einrichtung beim Vorhandensein vieler selbständiger Unternehmungen nicht in ausreichendem Umfang oder nur unter unnötigem Aufwand an Zeit und Mitteln ins Werk zu setzen sind. Bei der allmählichen Ausdehnung des Eisenbahnbetriebs mußten diese Verhältnisse die Verschmelzung der einzelnen selbständigen Betriebe zu größern und abgerundeten Betriebsorganismen herbeiführen. Diese Entwickelung ist sowohl in Ländern mit vorwiegendem Staatsbahnbetrieb als auch in solchen mit ausgebildetem Privatbahnbetrieb gleichmäßig vor sich gegangen. In Deutschland, Belgien und den skandinavischen Ländern waren es die Staatsbahnen, welche die kleinern Unternehmungen in sich aufsogen. In Österreich-Ungarn ist ein gleicher Prozeß im Werden begriffen. England und Frankreich geben das Beispiel der Fusion der Privatbahnen zu großen, bestimmte Verkehrsgebiete ausschließlich beherrschenden Unternehmungen. Die zu großen Eisenbahnkomplexen fusionierten Gesellschaften üben ein faktisches Monopol innerhalb ihres Gebiets aus, welches Mißbräuche und Schädigungen des wirtschaftlichen Lebens zur Folge haben kann, wenn, wie dies beispielsweise in Amerika der Fall ist, eine staatliche Aufsicht gar nicht oder nur in ungenügendem Maß besteht. Darüber, daß die Fusionen nicht zur Ausbeutung des Publikums ausarten, haben die staatlichen Aufsichtsbehörden zu wachen. (Vgl. Eisenbahn, S. 438.) Die nachfolgende Übersicht zeigt die Zusammensetzung der zur Zeit bestehenden großen Eisenbahngesellschaften in England und Frankreich aus der Fusion früherer selbständiger Unternehmungen. [461]
Nr. | Namen der Eisenbahngesellschaften | Zahl der fusionierten Bahnen |
England: | ||
1 | London and North Western | 59 |
2 | Great Western | 37 |
3 | North Eastern | 28 |
4 | Great Eastern | 26 |
5 | London and South Western | 22 |
6 | London-Brighton und South Coast | 22 |
7 | Lancashire und Yorkshire | 18 |
8 | Midland | 17 |
9 | Great Northern | 15 |
10 | Manchester-Sheffield und Lincolnshire | 11 |
11 | South Eastern | 7 |
Frankreich: | ||
1 | Paris-Lyon-Méditerranée | 19 |
2 | Ouest | 9 |
3 | Paris-Orléans | 7 |
4 | Est | 6 |
5 | Nord | 4 |
6 | Midi | 3 |