MKL1888:Eisenbahnhygiēne
[278] ✽ Eisenbahnhygiēne. Die Unterbringung der beim Bau der Eisenbahnen zahlreich zusammenströmenden, nicht ortsangehörigen Arbeiter erfordert sorgsame Berücksichtigung hygienischer Forderungen und erfolgt am besten in Baracken. Die in Eisenbahnwerkstätten beschäftigten Arbeiter sind keinen andern Gefahren ausgesetzt als Arbeiter der gleichen Kategorie überhaupt. Um so eigenartiger liegen die Verhältnisse bei den Eisenbahnbeamten (vgl. Eisenbahnberufskrankheiten, Bd. 5). Abgesehen von der anstrengenden Beschaffenheit des Eisenbahndienstes findet vielfach eine Schädigung der Beamten durch zu lange Ausdehnung der Dienstzeit statt, unter welcher auch die Sicherheit des Betriebs leidet. Abhilfe ist in neuerer Zeit durch die Verstaatlichung vieler Eisenbahnen geschaffen. In England sichert die Railway servants act von 1877 die Eisenbahnbeamten vor ungebührlicher Ausnutzung. Dem Interesse des reisenden Publikums (und des Fahrpersonals) dienen in erster Reihe die zahlreichen Sicherheitsmaßregeln, welche in Bezug auf den Bahnkörper, das rollende Material und den Betrieb getroffen sind, und deren Wirksamkeit durch beständige Überwachung möglichst zu sichern gesucht wird. In Bezug auf den Signaldienst ist das häufige Vorkommen von Farbenblindheit zu beachten. Im Sommer ist die Überfüllung der 3. und 4. Wagenklasse zu vermeiden, weil bei ungenügender Lüftung Ohnmachten und Hitzschlag vorkommen können. Im Winter sind alle Wagen zu heizen, leider aber ist ein ausreichendes Heizsystem bis jetzt nicht bekannt. Bei Heizung mit Koks und Kohlen ist vor allem darauf zu sehen, daß keine Verbrennungsgase in das Koupee gelangen. Den Vorzug verdient im allgemeinen die Dampfheizung, wenn sie vom Koupee aus regulierbar ist. Bei Mantelöfen kann eine Luftzuführung angebracht werden, doch ist die Luft nicht unten, unmittelbar über dem Bahndamm, aufzusaugen, sondern über den Wagen an staubfreier Stelle. Überheizungen sind besonders nachteilig, zumal bei der Anbringung der Heizvorrichtung unter den Sitzen. Für Ventilation ist in der Regel nicht besonders zu sorgen, da auch bei geschlossenen Thüren und Fenstern hinreichender Luftwechsel stattfindet. Nur in Rauchkoupees sind Vorrichtungen zur Abführung des Rauchs erforderlich. Dringend zu verlangen sind Einrichtungen, welche keinen Reisenden nötigen, unfreiwillig Tabaksrauch einzuatmen. Die Beleuchtung muß vor allen Dingen eine ruhige, gleichmäßige sein, die Flammen dürfen nicht flackern. Endlich erscheinen ausreichende Klosetteinrichtungen als unabweisbare Forderung. Neuere hygienische Bestrebungen beziehen sich auf häufige und regelmäßige Reinigung und Desinfektion der Personenwagen. Über die Zulassung von Kranken bestehen bei den meisten Eisenbahnen zweckmäßige Vorschriften.
[226] Eisenbahnhygiene. Nach den Cornetschen Ermittelungen erschien es fraglich, ob nicht durch die Benutzung der Eisenbahnwagen seitens schwindsüchtiger Personen eine dauernde Verunreinigung der Wagen mit Tuberkelbacillen in dem Maße eintritt, daß gesunde Personen durch Einatmung des Staubes gefährdet werden können. Prausnitz hat diese Frage untersucht und wählte als Prüfungsobjekt die hierfür besonders geeigneten Durchgangswagen, welche zwischen Berlin und Meran verkehren, und als Versuchszeit den November, in welchem Monat eine wiederholte Benutzung der Wagen durch Schwindsüchtige [227] stattgefunden haben dürfte. Während des Aufenthalts des Zuges in München kehrte Prausnitz unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln den Staub auf dem Bodenteppich des Wagens zusammen und prüfte ihn durch Verimpfung auf Meerschweinchen. Es wurde der Staub von vier Wagen untersucht, aber nur der von einem Wagen brachte bei einzelnen Versuchstieren Tuberkulose hervor, während der Staub der drei andern Wagen die Tiere gesund oder an andern Krankheiten eingehen ließ. Hieraus schloß Prausnitz, daß der gewöhnliche Modus der Reinigung der Eisenbahnwagen genügt, dieselben so weit tuberkelbacillenfrei zu erhalten, daß eine Gefährdung des reisenden Publikums in dieser Hinsicht ausgeschlossen erscheint.