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MKL1888:Eros

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eros“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 813814
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Eros. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 813–814. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eros (Version vom 13.12.2024)

[813] Eros (lat. Amor, Cupīdo), bei den Alten der Gott der Liebe. Homer erwähnt ihn nicht, bei ihm ist nur Aphrodite die Liebe erweckende Gottheit. Nach Hesiod dagegen gehört er zu den ältesten Göttern, der mit der Erde und dem Tartaros aus dem Chaos hervorging und als einigende und bezwingende Macht in allen Göttern und Menschen auftritt. Diese kosmogonische Idee waltet auch vor, wenn Sappho den E. von Uranos und Gäa abstammen läßt, oder wenn Aristophanes („Vögel“, 695) singt: „Aus dem Urei, welches die Nacht gebar, entsproß E., der mit dem Chaos alle Götter und Sterblichen zeugte und den Streit der Urstoffe in Einklang löste“. In ähnlicher Weise heißt in der Orphischen Sage E. ein Sohn des Kronos und der Nacht und der zuerst Erschienene (Phanes); zu allem hat er die Schlüssel. Mit diesem kosmogonischen E. der alten Mythen stimmen die im „Gastmahl“ des Platon, der berühmtesten Schrift des Altertums über den E., dargelegten Ansichten wenig überein. Der E. des Philosophen ist der geistige Zeugungstrieb, der eben nur Seelenliebe braucht, und erscheint hier in der Stufenfolge aller andern berechtigten Arten der Liebe als Vollendung derselben, im vollen Kontrast gegen ihre Ausartungen, insbesondere als Verklärung der bei den Griechen nach ihren geselligen Verhältnissen unausbleiblichen Männerliebe, als deren letzter Grund Sehnsucht des Sterblichen nach Unsterblichkeit aufgedeckt wird. Dem gemeinen Verstand hingegen war und blieb E. der mehr oder weniger sinnliche Liebesgott. Als solcher ist er von lyrischen, elegischen und epigrammatischen Dichtern auf das mannigfaltigste und sinnreichste gepriesen und ausgeschmückt worden. Als seine Mutter gilt meistens Aphrodite, als sein Vater Ares oder Hermes, der Geflügelte. Da sich die Liebe auf unbekannten Wegen in die Herzen einschleicht, so ließen manche seine Eltern unbekannt sein oder nannten ihn vaterlos. Statt des ältesten ist er hier der jüngste unter den Göttern und ewig Kind: unvorsichtig, launisch, doch allmächtig und unwiderstehlich, daher wie ein Krieger ausgerüstet mit Bogen, Pfeilen und Köcher oder mit brennenden Fackeln. Er verschont niemand, selbst die eigne Mutter ist vor seinen Geschossen nicht sicher; dem Herakles raubt er die Keule und Löwenhaut, dem Apollon die Geschosse, dem Ares den Helm, dem Poseidon den Dreizack, ja sogar dem Zeus den Blitzstrahl. Listig, wie die Liebe ist, stellt er seine Netze und trifft unversehens selbst seinen Wohlthäter, wie in der bekannten Anakreontischen Ode (59). Zeus erkannte sogleich bei seiner Geburt den Unheilstifter und befahl der Aphrodite, ihn umzubringen. Diese aber verbarg ihn in den Wäldern, wo er an der Brust wilder Tiere sich ernährte und den neu geschnitzten Bogen versuchte. Die Binde vor seinen Augen bezeichnet, daß die Liebe blind ist; daß sie auch flatterhaft sein kann und schnell die Herzen erobert, deuten die Flügel an. Reiz und Schönheit erwecken die Liebe; daher thront er am liebsten auf rosigen Wangen oder lacht aus schönen Augen und bleibt ein williger Sklave der Schönheit. Da aber Liebe ohne Gegenliebe nicht gedeiht, so wollte E. nicht eher wachsen, als bis ihm Aphrodite aus Ares’ Umarmung den Anteros („Gegenliebe“) gebar. Nun ward er größer und stärker, war fröhlich mit seinem Gespielen und traurig, wenn dieser ihm fehlte. Doch ist letzterer oft auch im Kampf mit ihm. E. selbst erscheint gewöhnlich als Begleiter seiner Mutter Aphrodite. Als seine Gesellschafter treten öfters auf Pothos („Sehnsucht“) und Himeros

Fig. 1. Eros (Rom, Vatikan).

(„Verlangen“), welche beide, wie im Lateinischen Cupido („Begierde“), zuweilen für E. selbst stehen; ferner Peitho („Überredung“), die Chariten und Musen, Hymen, Tyche oder Fortuna. Außerdem gaben ihm die Dichter noch eine Menge gleichnamiger Brüder, Eroten (Amores, Cupidines, „Amoretten“), ebenfalls Söhne der Aphrodite oder der Nymphen. Der berühmteste Kultus des E. fand zu Thespiä in Böotien am Fuß des Helikon statt; er galt ursprünglich dem alten Naturgott E. und war verbunden mit dem Dienste der Musen, die, ursprünglich Quellgöttinnen, auf dem Helikon einen Hain und die heiligen Quellen Aganippe und Hippokrene hatten. Hier war die berühmte Statue des E. von Praxiteles. Alle vier Jahre wurden hier die Erotien oder Erotidien begangen, wobei man musische und gymnische Wettkämpfe anstellte, die sich lange Zeit großer Beliebtheit erfreuten. Außerdem verehrte man den Gott zu Athen, Megara, Sparta, auf Kreta, in Samos, zu Parion am Hellespont u. a. O. Übrigens ward E. nicht bloß als Gott der Liebe zwischen den beiden Geschlechtern, sondern auch als der Stifter der Freundschaft und [814] Liebe unter den Männern und zwischen Männern und Jünglingen verehrt, welche in Griechenlands besten Zeiten die Seele der kriegerischen und gymnastischen Übungen war. Daher war sein Bild in vielen Gymnasien zwischen den Statuen des Hermes und des Herakles aufgestellt („Klugheit und Stärke im Bunde mit der begeisternden Gemeinschaft“), und zu Elis stellte ein Relief E. und Anteros (als Liebe und Gegenliebe der männlichen Jugend) dar, wie beide um die Palme des Siegs stritten; daher war auch die „heilige Schar“ der thebanischen Jünglinge dem E. geweiht, und die Spartaner und Kreter opferten ihm vor der Schlacht, um sich so zu treuem Zusammenhalten zu verbinden. – Der römische Amor oder Cupido ist eine bloße Übertragung des griechischen E. und hat nie öffentliche Verehrung genossen. Über die später erfundene sinnreiche Mythe von der Liebe des Amor und der Psyche (der personifizierten Menschenseele) s. Psyche.

Fig. 2. Eros (Rom, kapitolinisches Museum).

Die Künstler folgten in der Darstellung des E. den Dichtern, indem sie ihn als einen schönen, an der Schwelle des Jünglingsalters stehenden Knaben oder auch als anmutiges, fast immer geflügeltes Kind zu bilden pflegten; doch ist letztere Darstellung die spätere. Seine Attribute sind Bogen und Pfeile und die brennende Fackel. Unter den Blumen ist ihm die Rose geweiht; unter den Tieren findet sich Hase, Hahn und Bock nicht selten mit ihm abgebildet. Ein E. des berühmten Praxiteles aus pentelischem Marmor galt für eins der besten Kunstwerke des ganzen Altertums. Dasselbe hatte die Hetäre Phryne vom Künstler zum Geschenk erhalten, die es nach Thespiä weihte; Kaiser Nero brachte es nach Rom, wo es unter Titus bei einer Feuersbrunst zu Grunde ging. Außerdem befand sich zu Thespiä eine berühmte eherne Bildsäule von Lysippos sowie zu Athen im Tempel der Aphrodite eine andre von Skopas. E. mit Rosen bekränzt malte Zeuxis für denselben Tempel, und Pausias zeigte ihn, wie er Pfeile und Bogen weggeworfen und statt ihrer die Leier ergriffen hat. Äußerst zahlreich und mannigfaltig sind die Darstellungen auf Gemmen und Reliefs, wo E. bald mit wilden Tieren (dem Panther des Dionysos etc.) spielt, bald die Attribute der Götter fortschleppt, bald auch allerhand Geschäfte der Menschen scherzend nachahmt. Unter den vielen auf uns gekommenen Erosstatuen und -Statuetten des Altertums gehören zu den bedeutendsten: der Torso im Vatikan, den Gott in träumerischer Liebesmelancholie darstellend (dem Praxiteles zugeschrieben, 1770 vom Maler Hamilton an der Via Labicana ausgegraben, Fig. 1); der sogen. bogenprüfende E. im kapitolinischen Museum zu Rom (Fig. 2; wahrscheinlich nach einem Bronzeoriginal des Lysippos), der aber außerdem in zahlreichen andern Kopien erhalten ist, und ein mit Knöcheln spielender E. im Berliner Museum; endlich die berühmte Marmorgruppe von Amor und Psyche, die sich umarmen und küssen, deren beste Wiederholung sich im kapitolinischen Museum findet. (Vgl. Collignon, Essai sur le mythe de Psyché, Par. 1878.) Die verschiedenen Seiten der Liebe hatte Skopas in einer Gruppe des E. (Liebe), Pothos (Sehnsucht) und Himeros (Verlangen) zum Ausdruck gebracht. Auch mit Anteros, dem Dämon der Gegenliebe, erscheint er zusammen auf Reliefs und ist als Gehilfe der Aphrodite in vielen Darstellungen bemüht, Liebende (z. B. Paris und Helena) zu vereinen, Verlassene (Ariadne) zu trösten, aber auch noch das Alter (s. Abbildung bei „Kentauren“) mit seiner Macht zu beherrschen. Vgl. Jahn, Archäologische Aufsätze (Greifsw. 1845); J. Grimm, Über den Liebesgott (Berl. 1851); Schömann, De Cupidine cosmogonico (Greifsw. 1852); Furtwängler, E. in der Vasenmalerei (Münch. 1874); Primer, De Cupidine et Psyche (Bresl. 1875); Max Müller, Essays (Bd. 2, S. 119 ff.); Stephani im „Compte rendu de la commission archéologique“ 1877 (S. 53 ff.); Wolters in der „Archäologischen Zeitung“ 1884 (S. 1 ff.).