MKL1888:Fabel

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Fabel“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 989990
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Fabel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 989–990. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Fabel (Version vom 18.04.2022)

[989] Fabel (lat. Fabula), im weitern Sinn das Süjet jeder Dichtung, z. B. eines Dramas oder eines Epos, oder nach Lessing jede Erdichtung, womit der Dichter [990] eine gewisse Absicht verbindet; im engern Sinn eine besondere Dichtungsart, nach ihrem angeblichen Erfinder (Äsop) Äsopische F. genannt, die zu den didaktischen oder Lehrgedichten gehört und sich von der Paramythie (s. d.) dadurch unterscheidet, daß die versinnlichte Wahrheit eine moralische, von der Parabel (s. d.) aber dadurch, daß das versinnlichende Bild aus dem Tierleben genommen ist. Den Grund, warum in der F. hauptsächlich Tiere, zu moralischen Wesen erhoben, handelnd eingeführt werden, findet Lessing mit Recht in der allgemeinen Bekanntheit ihrer Charaktere, die dem Dichter eine genaue Charakterisierung erspart. Die F. ist alt und im Orient entstanden. Berühmt sind die indischen Fabeln, die man gewöhnlich dem Bidpai (s. d.) beilegt, und die Fabeln des Arabers Lokman. Auch die Entstehung der F. in der griechischen Litteratur weist nach dem Orient: Äsopos war ein Sklave aus Phrygien. Durch die Griechen wurde sie den Römern bekannt, Phädrus übertrug die griechischen Fabeln ins Lateinische. Als die alte Litteratur unterging, erhielt sich das Andenken an die Äsopischen Fabeln bei Spaniern und Franzosen (im „Maître Pathelin“). Im Mittelalter interessierten sich vorzüglich die Deutschen dafür; deutsche Fabeln aus der Zeit der Minnesänger gab Bodmer heraus (Zür. 1757). Der älteste deutsche Fabeldichter scheint Stricker (um die Mitte des 13. Jahrh.) zu sein; Boner (zu Anfang des 14. Jahrh.) ist als treuherziger Fabeldichter durch seinen „Edelstein“ bekannt. Italiener und Spanier beschäftigten sich am wenigsten mit dieser Gattung. Bei den Franzosen hat Lafontaine durch Witz und Eleganz den kindlichen Ton der F. verwischt. Die besten englischen Fabulisten sind Gay und Moore. Die deutsche Nation nahm sich auch ferner mit Liebe dieser Dichtungsart an. Im 16. Jahrh. lebte der treffliche Fabulist Burkhardt Waldis. Hagedorn erzählte Fabeln in der Manier des Phädrus und in der Lafontaines; Gellerts Fabeln wurden mit Enthusiasmus aufgenommen. Gleim, Lichtwer, Willamov folgten. Lessings Fabeln sind in Prosa, geistvoll, kurz, treffend, ohne poetische Ausschmückung und beziehen sich zum Teil auf litterarische Verhältnisse. Pfeffels Fabeln sind zum Teil satirisch, zum Teil sentimental. In neuer Zeit ward die F. wenig angebaut, nur der Schweizer Fröhlich verdient Erwähnung; trefflich für das Kindesalter sind Heys Fabeln (mit O. Speckters Zeichnungen). Eine „Fabellese“ gab Ramler heraus (Leipz. 1783–90, 3 Bde.).