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MKL1888:Faust

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Faust“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 7577
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Faust. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 75–77. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Faust (Version vom 30.05.2021)

[75] Faust, Doktor Johann, berühmter Schwarzkünstler, dessen sagenhaft ausgeschmückte Geschichte, ein Produkt des Reformationszeitalters, in der Litteratur eine bedeutsame Rolle spielt. Die historische Person, welche den Namen F. trug, lebte in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. und läßt sich in den Zeugnissen der Mitlebenden von 1507 bis etwa 1530 verfolgen. Er stammte aus Knittlingen (Kundlingen) in Schwaben, nach andern aus Roda im Altenburgischen und soll in Krakau Magie studiert haben. Nach einem Brief des Abtes Trithemius von Sponheim (20. Aug. 1507) befand er sich 1506 und 1507 zuerst in Gelnhausen, dann in Würzburg, zuletzt in Kreuznach, wo Franz von Sickingen mit ihm verkehrte; 1513 war er, wie der Kanonikus C. Mutianus Rufus in Gotha (3. Okt. 1513) mitteilt, in Erfurt; um 1530 taucht er in Wittenberg auf; 1539 berichtet Begardi („Zeyger der Gesundheit“) von ihm; zu Staufen im Breisgau soll er um 1540 in hohem Alter gestorben sein. Dieser historische F. war allen Mitteilungen zufolge ein gewaltiger Prahler, der sich den „Philosophen der Philosophen“ und „zweiten Magus“ nannte und abenteuernd als Arzt und Astrolog, als Zauberer und Alchimist umherzog. In Würzburg rühmte er sich z. B., daß er alle Wunder Christi vollbringen wolle, wann und so oft es verlangt werde; in Wittenberg: die Siege der kaiserlichen Heere in Italien (Schlacht bei Pavia 1525, Eroberung Roms 1527) habe er ihnen durch seine Zauberkunst verschafft etc. Bei dem großen Aufsehen, das er überall erregte, geschah es dann, daß man viele seiner Behauptungen als vollführte Thatsachen hinstellte, daß man außerdem seit alten Zeiten umlaufende Geschichten von Zauberkünsten, wie sie von Albertus Magnus, Simon Magus, Johannes Teutonicus, Paracelsus u. a. erzählt wurden, auf seine Person übertrug und ihm endlich auch neu erfundene, im Geiste der Zeit wurzelnde Züge andichtete. Da aber Zauberei nur mit Hilfe des Bösen möglich war, so ließ man ihn ein Bündnis mit dem Teufel schließen, der ihn in Gestalt eines Hundes begleitete und schließlich auf schreckliche Weise ums Leben brachte. Auch der Ort seines Todes, über den am ausführlichsten Joh. Manlius (gest. 1560) berichtet, wird teils nach Schwaben, teils nach Sachsen verlegt. So entstand das, was man die Faustsage nennt. Nach W. Scherer (dem wir in dieser Darstellung folgen) sind dabei drei Traditionen zu unterscheiden: eine oberrheinische, eine wittenbergische und eine Erfurter, von denen die beiden erstern F. mehr als einen gewöhnlichen Magier auffassen, während er in der letztern idealisiert, als Poet und Humanist erscheint. Mancherlei Züge, die ihm die Erfurter Überlieferung beilegt, heben dies klar hervor; so, wenn er sich anheischig macht, die verlornen Komödien des Plautus und Terenz wieder herbeizuschaffen; wenn er von einem Geist bedient sein will, der so geschwind ist wie der Menschen Gedanken; wenn er während einer Vorlesung über Homer die antiken Helden seinen Zuschauern persönlich vorführt, darunter den Polyphem, der nicht wieder zur Thür hinaus will und ihnen großen Schrecken einjagt; wenn er ein andermal im Nu durch die Luft von Prag hergeritten kommt, da sich sein dienender Geist in ein Pferd mit Flügeln, „wie der Poeten Pegasus“, verwandelt hatte etc.: alles Zuge, welche auf den Ideenkreis des Humanismus hinführen.

Die erste litterarische Verwertung der Faustsage ist das 1587 zu Frankfurt a. M. erschienene VolksbuchHistoria von Dr. Johann Fausten, dem weitbeschreiten Zauberer und Schwarzkünstler etc.“, herausgegeben von Johann Spies, der in der Vorrede mitteilt, daß ihm das Manuskript von einem Freund in Speier zugeschickt worden sei. Dieses älteste Faustbuch, von dem sich Exemplare in Wien, in H. Hirzels Bibliothek zu Leipzig, in Wernigerode, im Britischen Museum finden (neu hrsg. von Kühne, mit Einleitung und Anmerkungen, Zerbst 1868; von W. Braune, mit Bibliographie von Zarncke, Halle 1878; von Scherer, photographische Nachbildung, mit Einleitung, Berl. 1884), ist eine Zusammenstellung kunstlos erzählter Geschichten, nicht ohne mancherlei Widersprüche, Wiederholungen und Unterbrechungen des Zusammenhanges, und zerfällt in vier Abschnitte: 1) Geburt und Studia, 2) Abenteuer und Fragen, 3) Was er mit seiner Nigromantia gethan und getrieben, 4) Ende. Nach dieser Historia war F. der Sohn eines Bauern zu „Rod bei Weinmar“, der zu Wittenberg erzogen wurde, Theologie studierte und den theologischen Doktorgrad erlangte, dann ein Weltmensch, Doctor Medicinä, Astrologus, Mathematikus wurde und sich im Spesserwald bei Wittenberg dem Teufel ergab, mit dessen Beistand er allerlei Wunder sah und verrichtete, bis er nach 24 Jahren im Dorf Rimlich bei Wittenberg nächtlicherweile vom Teufel von einer Wand zur andern geschleudert und mit zerbrochenen Gliedern tot auf dem Mist gefunden wurde. Das Buch schöpft im wesentlichen aus der oberrheinischen und wittenbergischen Tradition, enthält aber daneben einzelne selbständige Züge, die von einer höhern Auffassung des Helden Zeugnis ablegen und ihn mit einer gewissen Größe umkleiden, ohne doch mit der Erfurter Überlieferung übereinzustimmen. Nach diesen zerstreut vorkommenden Zügen erscheint F. als ein erster Umriß dessen, was uns seine Gestalt jetzt ist: als titanischer Philosoph und Forscher, der freilich der Welt als warnendes Beispiel vorgestellt wird. „Er nahm Adlersflügel an sich und wollte alle Gründ’ am Himmel und Erden erforschen“, heißt es. Schon auf der Schule der „Spekulierer“ genannt, nahm er sich vor, die „Elementa zu spekulieren“, und wurde ein „Weltmensch“, d. h. er wandte sich von der Theologie ab zur weltlichen Gelehrsamkeit, zur Naturforschung, die nach dem Glauben der Zeit nicht von Gott stammt, sondern vom Teufel, und zum Teufel führt. Er begehrt nicht nur Zauberkünste ausführen zu können, er verlangt vom Teufel auch, daß er ihm auf alle seine Fragen antworten und nie etwas Unwahrhaftiges antworten soll, d. h. er hat den Trieb nach Wahrheit. Dabei wird gelegentlich die Ewigkeit der Welt behauptet und die Unsterblichkeit der Seele geleugnet. Sein Abfall von Gott wird mit der Vermessenheit der himmelstürmenden Giganten und dem Hochmut Luzifers verglichen, und selbst sein „epikureisches Leben“ erhält eine Art von Größe [76] und gereicht ihm zur Befriedigung seines Wissensdranges: das schönste Weib, die griechische Helena, die er heraufbeschwört, wird seine Genossin, und der Knabe, den sie ihm gebiert, verkündet ihm viele zukünftige Dinge, die in allen Ländern geschehen sollen. Mit Recht hat man das Bild des verwegenen Spekulierers, wie es das Spiessche Buch in diesen und andern Zügen andeutet, als das bis ins einzelne ausgeführte Gegenbild von Luther, dem Ideal eines Theologen des 16. Jahrh. aufgefaßt.

Nachdem die Geschichte Fausts so in die Litteratur eingeführt war, fand sie durch Nachdrucke, neue Auflagen und Bearbeitungen rasch die allgemeinste Verbreitung. Noch 1587 erschien das Spiessche Faustbuch (von welchem bis 1592: 14 Drucke nachgewiesen sind) in zweiter Auflage mit acht neuen Kapiteln; 1588 in dritter Auflage, bereichert durch Zeugnisse der Heiligen Schrift von den verbotenen Zauberkünsten. Auch ins Niederdeutsche wurde es übertragen (Lübeck 1588). Eine Berliner Ausgabe von 1590 (das Original in Zerbst) brachte dann abermals sechs neue Kapitel, von denen eins auf einer Leipziger Tradition (Auerbachs Keller) beruht, die übrigen die in Erfurt spielenden Geschichten mitteilen. Eine Bearbeitung des Buches in Reimen, von Tübinger Studenten ausgeführt, war bereits 1588 zu Tübingen unter dem Titel: „Eine wahrhafte und erschröckliche Geschicht von D. Johan Fausten“ erschienen, und durch Übersetzungen ins Englische (1588), Holländische (1592) und Französische (1598 u. öfter) fand es auch im Ausland Verbreitung. Bald darauf aber wurde das Spiessche Faustbuch verdrängt durch eine neue Bearbeitung des Stoffes, welche G. Rud. Widmann 1599 zu Hamburg in drei Teilen erscheinen ließ (abgedruckt in Scheibles „Kloster“, Bd. 2). In diesem Werk sind die großen Züge verwischt; der Verfasser, ein eifriger Lutheraner zu Schwäbisch-Hall, erlaubt sich tendenziöse Veränderungen (wie er denn F. auf einer katholischen Universität, zu Ingolstadt, studieren läßt) und sucht in pedantisch-gelehrten Anmerkungen, platten Ermahnungen und Warnungen, die er jedem Kapitel beifügt, seine Stärke. Das Widmannsche Faustbuch gab in der Folge der Nürnberger Arzt Nikol. Pfitzer mit Veränderungen neu heraus (Nürnb. 1674; Neudruck von A. v. Keller, Stuttg., Litterarischer Verein, 1880), und aus diesem Werk stellte endlich ein Autor, der sich den „Christlich Meynenden“ nannte, durch Beseitigung des gelehrten Beiwerkes und sonstige Abkürzungen einen Auszug her, der in Frankfurt zu Anfang des 18. Jahrh. erschien, seitdem oft gedruckt, auch modernisiert wurde und die Grundlage des spätern, in unzähligen Abdrücken verbreiteten Jahrmarktsbuches vom Dr. F. bildet. Von Interesse ist, daß bei Pfitzer zuerst ein Bürgermädchen eingeführt wird, in das sich F. verliebt, und das er heiraten will, was aber der Teufel hindert – der Keim zu Goethes Gretchen. Unter den Neuerzählungen ist Aurbachers „Geschichte des Doktor Faustus“ (im „Volksbüchlein“, Münch. 1839) auszuzeichnen.

Sehr früh begannen auch die selbständigen poetischen Bearbeitungen der Faustsage. Unmittelbar aus dem Volksbuch von 1587 entsprang die erste Tragödie, welche den Stoff behandelte: „The tragical history of the life and death of Doctor Faustus“ des Engländers Christ. Marlowe (gest. 1593), der in dem Helden sein Ebenbild erkennen mochte. Hier findet sich bereits der Eingangsmonolog, in welchem F. den Wissenschaften, die ihn nicht befriedigen, den Rücken kehrt und sich der Magie ergibt, allerdings weniger aus Wissensdrang, als um Ehre, Vergnügen und Macht zu gewinnen. Dieser Eingang sowie die Beschwörung der Geister, der Vertrag und am Ende der hochpoetische Schlußmonolog des zwischen Trotz und Seelenangst hin- und hergeworfenen Helden sind glänzende und effektvolle Züge der Tragödie, deren übriger Inhalt zum großen Teil aus einem Haufen von Abenteuern ohne organische Gliederung besteht. Der Marlowesche „Faustus“ wurde, wahrscheinlich zu Anfang des 17. Jahrh., von den englischen Komödianten auch nach Deutschland gebracht (1628 kam er in Dresden zur Aufführung) und gestaltete sich hier durch mancherlei Änderungen und Zusätze allmählich zu einem echt deutschen Volksstück um, das bis über die Mitte des 18. Jahrh. von wandernden Schauspielern allenthalben in Deutschland gespielt wurde und alle Entwickelungsphasen des populären Schauspiels mitmachte, bis es von der wirklichen Bühne verdrängt und in die Sphäre der Puppenspiele verbannt wurde, wo es noch heute sein Dasein fristet. Von dem Marloweschen Stück hielt das Volksschauspiel vor allem den Anfangsmonolog (der sich bis auf Goethe vererbte) und die Beschwörungsszene fest; doch stellt es den Wissensdrang Fausts, der als Wittenberger Professor figuriert, wieder entschiedener in den Vordergrund (er will durch das studium nigromanticum alle ihm noch abgehenden Wissenschaften erlangen; er wünscht „alles zu sehen und mit Händen zu greifen“). Unter den Zusätzen und Veränderungen, die es erfuhr, sind (nach Creizenach) besonders drei bemerkenswert: ein Vorspiel in der Hölle zwischen Luzifer und verschiedenen Lust-, Sauf-, Geiz- und andern Teufeln, sodann in der Beschwörungsszene die Frage Fausts nach dem geschwindesten der Dämonen, wobei Mephistopheles als so geschwind „wie der Menschen Gedanken“ den Sieg davonträgt (ein Zug der Erfurter Tradition); endlich am Schluß die Umgestaltung der Helena-Szene, wodurch das tragische Geschick des Helden eine tiefere Motivierung und das ganze Stück eine wirksame Steigerung erfährt. Nachdem nämlich Mephisto den von Reuegedanken ergriffenen F. vergeblich durch die Aussicht auf Macht und irdischen Glanz wieder an sich zu locken versucht hat, führt er ihm die Helena zu, deren Schönheit F. überwältigt und von der Buße abzieht; als er sie aber umarmen will, verschwindet sie, und F., dessen Frist eben verstrichen ist, verfällt dem Teufel. Noch ein völlig neues Moment kam (etwa gegen Ende des 17. Jahrh.) unter italienischem Einfluß in das alte Volksschauspiel (zuerst in Wien durch Stranitzky) mit dem Hanswurst, der in einen parodistischen Gegensatz zum himmelstürmenden F. tritt und seinen sprudelnden Humor dem düstern Ernste der alten Sage beimischt. Ausgaben des Volksschauspiels, das noch in verschiedenen Fassungen vorliegt, besorgten v. Below (anonym, „Doktor F. oder der große Negromantist“, Berl. 1832), Simrock („Dr. Johannes F., Puppenspiel in 4 Aufzügen“, Frankf. a. M. 1846; neue Ausg. o. J. mit dem Volksbuch und einem Anhang: „Versuch über den Ursprung der Faustsage“, 1873), W. Hamm (anonym, „Das Puppenspiel vom Dr. F.“, Leipz. 1850; nach dem Manuskript des Marionettenspielers Bonneschky), O. Schade (Weim. 1856), K. Engel (Oldenb. 1874), Bielschowsky ( „Das Schwiegerlingsche Puppenspiel vom Dr. F.“, Brieg 1882), Kralik u. Winter („Deutsche Puppenspiele“, Wien 1885). Die vorhandenen Puppenspiele beruhen fast durchaus auf der spätern (Wiener) Konzeption; nur ein einziges, ein Ulmer Stück (abgedruckt in Scheibles „Kloster“, Bd. 5), hat den Charakter des 17. Jahrh. treu bewahrt.

[77] Unter den spätern Bearbeitern der Faustsage tritt uns zunächst Lessing entgegen, der das Volksstück wahrscheinlich in Berlin kennen gelernt hatte und es für die regelmäßige Bühne zu gewinnen beschloß; leider sind von seinem „F.“, zu dem er um 1759 zwei Pläne entworfen, nur einzelne Szenen vorhanden. Nach Lessing und noch vor Goethe (wenigstens vor der Publikation des ersten Fragments seiner in den ersten 70er Jahren begonnenen Faustdichtung) verarbeitete ein Wiener, P. Weidmann, den Stoff zu einem elenden „allegorischen“ Drama: „Johann F.“ (Münch. 1775; Neudruck, Oldenb. 1877), mit Einheit der Zeit und des Ortes, worin er dem bösen Genius einen guten Geist, Ithuriel, gegenüberstellt, der endlich dem Sünder Gottes Barmherzigkeit verschafft. Fast gleichzeitig veröffentlichte Maler Müller Bruchstücke aus einem dramatisierten Leben Fausts: „Situation aus Fausts Leben“ (Mannh. 1776) und „Fausts Leben“ (das. 1778, unvollendet), während ein andrer Dramatiker der Geniezeit, Klinger, den Stoff nicht als Drama, sondern als Roman: „Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt“ (Petersb. 1791), behandelte, worin F. mit dem Mainzer Buchdrucker Fust vermengt und durch eine Reihe eigner und fremder, bewußter und unbewußter Schandthaten der Hölle zugeführt wird. Auf Klinger folgten Julius Graf von Soden mit einem Volksschauspiel „F.“ (Augsb. 1797), in welchem F. als Tyrannenfeind und Patriot auftritt, sich tapfer gegen die aufrührerischen Bauern benimmt, schließlich aber doch vom Teufel geholt wird, und Friedrich Schink, ein leidenschaftlicher Antiromantiker, welcher sich in seinem „Johann F. Eine dramatische Phantasie“ (Berl. 1804) der Auffassung Weidmanns anschloß. Eine neue, tief in das Bewußtsein des Volkes übergegangene Auffassung gewann dann die Faustsage durch die mächtige und tiefsinnige Dichtung Goethes, deren erster vollständiger Teil 1808 erschien, während der zweite erst nach des Dichters Tod 1832 ans Licht trat. Goethe hat in diesem seinem bedeutendsten Werk die Person des F. in eine höhere geistige Sphäre gerückt und die Tragödie des alten Magiers zur Tragödie des strebenden Menschengeistes und des Menschenschicksals überhaupt gemacht; wie schon Lessing wollte, läßt er den nach Erkenntnis und Wahrheit Ringenden nicht dem Bösen verfallen, sondern schließlich Rettung finden. Fast gleichzeitig mit dem Goetheschen „F.“ (1. Teil) erschien auf Grund des Klingerschen Romans eine klägliche „romantische Tragödie“ gleichen Namens von Schöne (Berl. 1808), der später auch das Wagnis einer Fortsetzung von Goethes „F.“ (das. 1823) unternahm; ebenso erinnert Klingemanns „F.“, ein geschickt hergestelltes und lange Zeit beliebtes Bühnenstück (Leipz. 1815), vorzugsweise an Klinger und das Volksschauspiel. Weiter sind anzuführen: das Trauerspiel „F.“ von Jul. v. Voß (Berl. 1824), wo der Held wieder identisch mit Fust, dem Miterfinder der Buchdruckerkunst, ist, und das Melodrama „F., der wunderthätige Magus des Nordens“ von K. v. Holtei (Wiesb. 1832). Das Erscheinen des zweiten Teils von Goethes „F.“ hinderte nicht, daß noch andre Fortsetzungen hervortraten, die zum Teil Unglaubliches bieten, so von J. D. Hoffmann (Leipz. 1833), S. Moser (Weißenb. 1864), Adolf Müller (Leipz. 1869). Bei letzterm findet F. seine (nicht als Kind ertrunkene, sondern gerettete und inzwischen zur Jungfrau herangewachsene) Tochter, um sie zu verführen, und verfällt schließlich mit seinem Leibe der Hölle, während seine Seele zum Himmel eingeht (!). Auch Parodien auf den Goetheschen „F.“ erschienen, von denen hier Vischers „F., der Tragödie dritter Teil“ (Stuttg. 1862, neue Bearbeitung 1886) genannt sei. Eine Gruppe andrer Dichter strebte selbständige philosophische Behandlung der Sage an, ohne diese Prätension rechtfertigen zu können, z. B. Braun v. Braunthal (Leipz. 1835), Marlow (F. Wolfram, das. 1839), Czilsky (Halle 1843), F. Stolte („F., dramatisches Gedicht in vier Teilen“, Leipz. 1860 u. 1869). Wirklich eigentümliche Motive weisen die Dichtungen von Grabbe („Don Juan und F.“, 1829) und H. Heine („Doktor F., ein Tanzpoem“, 1851) auf. Zu Operntexten wurde die Faustsage verarbeitet von Bernard (1814, komponiert von Spohr) und den Franzosen Barbier und Carré (1859, komponiert von Gounod). Endlich treten auch in epischer Form selbständige, zum Teil wertvolle Behandlungen hervor, aus deren Zahl wir L. Bechsteins „Faustus“ (Leipz. 1833), N. Lenaus „F.“ (Stuttg. 1836), unter den nachgoetheschen Dichtungen jedenfalls die gediegenste, und Solitaires (W. Nürnbergers) „F.“ (Berl. 1842) hervorheben wollen. Schließlich sei auch noch an ein rätselhaftes Volkslied vom Dr. F. erinnert, das in „Des Knaben Wunderhorn“ (Bd. 1) als fliegendes Blatt aus Köln mitgeteilt wird, und von dem sich Anklänge in mehreren Versionen des Volksstückes finden.

Vgl. Stieglitz, Abhandlung über Dr. F. (in Raumers „Historischem Taschenbuch“ 1834); E. Sommer, F. (im 42. Teil der „Encyklopädie“ von Ersch und Gruber, 1845); v. d. Hagen, F. (Berl. 1844); Düntzer, Die Sage vom Doktor F. (Stuttg. 1846); Peter, Die Litteratur der Faustsage (2. Aufl., Leipz. 1851; Zusätze 1857); Housse, Die Faustsage und der historische F. (Luxemb. 1862); Creizenach, Versuch einer Geschichte des Volksschauspiels vom Doktor F. (Halle 1878); Kuno Fischer, Goethes F. (Stuttg. 1878); Delius, Marlowes F. und seine Quelle (Bielef. 1881); Zahn, Cyprian von Antiochien und die deutsche Faustsage (Erlang. 1882); H. Grimm, Die Entstehung des Volksbuches vom Dr. F. (in „Fünfzehn Essays“, 3. Folge). Eine „Zusammenstellung der Faustschriften“ gibt K. Engel (Oldenb. 1885, 2714 Nummern enthaltend). Auch die bildende Kunst hat sich mannigfach mit Fausts Leben beschäftigt. Bekannt ist Rembrandts schön radiertes Blatt, F. darstellend in seinem Zimmer während einer Geistererscheinung. Noch älter sind die beiden Kupferstiche von Christoph von Sichem, welche F. und Mephistopheles und den Famulus Wagner nebst seinem Geist vorführen. Aus neuerer Zeit sind die Darstellungen zu Goethes F. von Cornelius, Retzsch, Seibertz, Kaulbach und Kreling weit verbreitet.