MKL1888:Forstwissenschaft

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Forstwissenschaft“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 454455
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Forstwissenschaft. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 454–455. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Forstwissenschaft (Version vom 01.04.2022)

[454] Forstwissenschaft, die Gesamtheit der systematisch geordneten Kenntnisse, welche sich auf das Forstwesen beziehen. Einen Teil jener Kenntnisse empfängt die F. von andern Wissenschaften, und sie begründet ihre Schlußfolgerungen durch diese Wissenszweige, welche man daher die forstlichen Grundwissenschaften nennt. Als solche sind anzusehen die Naturwissenschaften: Physik, Chemie, Mineralogie, Geognosie, Bodenkunde, Meteorologie und Klimalehre, dann Botanik und Zoologie, ferner Mathematik, Volkswirtschaftslehre, Staatswissenschaft. Werden diese Wissenszweige in dem durch die forstlichen Zwecke begrenzten Umfang aufgefaßt, so pflegt man dies durch den Zusatz „Forst“ anzudeuten (Forstbotanik, Forstzoologie, Forstmathematik, Forstvermessung etc.). Die F. ist eine angewandte Wissenschaft. Aus der Anwendung der Grundwissenschaften auf das Forstwesen ergeben sich die forstlichen Haupt- oder Fachwissenschaften. Das noch nicht völlig durchgebildete System derselben läßt sich folgendermaßen gliedern:

I. Forstwirtschaftslehre. 1) Forstliche Produktionslehre: a) Waldbaulehre; b) Forstschutzlehre; c) Forstnutzungslehre. 2) Forstliche Betriebslehre: a) Waldwert- und Rentabilitätslehre; b) Forsteinrichtungslehre. 3) Forsthaushaltslehre (allgemeine Forstverwaltungslehre).
II. Staatsforstwissenschaft. 1) Forstpolitik. 2) Forstverwaltungsrecht.
III. Forstgeschichte.
IV. Forststatistik.

Nebenwissenschaften, die in keinem notwendigen Zusammenhang mit den forstlichen Fachwissenschaften stehen, aber von den Forstleuten in der Regel gekannt sein müssen, sind Rechtskunde und Baukunde.

Die Geschichte der F. geht kaum um 11/2 Jahrhundert zurück. Solange das Holz im Überfluß vorhanden war (s. Forstwirtschaft), fehlte es an jedem Motiv, die Forstwirtschaftslehre systematisch zu gestalten und wissenschaftlich zu begründen. Auch dann, als seit dem 16. und 17. Jahrh. der traurige Zustand vieler Forsten, die Furcht vor Holzmangel zu einer rationellern Gestaltung der Waldbenutzung mahnten, entwickelte sich nur ganz langsam eine wissenschaftliche Behandlung der auf einer ziemlich rohen Empirie beruhenden Forstwirtschaftslehre. Die mit dem Wirtschaftsvollzug betrauten Jäger vermochten nichts weiter, als auf dem Weg der praktischen Beobachtung gewisse Regeln für die Wirtschaft abzuleiten, welche sie oft genug in unberechtigter Weise generalisierten und dadurch ihres ganzen Wertes beraubten. Auch als seit 1760 Forstschulen entstanden, richteten sie ihre Thätigkeit zunächst lediglich auf die Erlernung des praktischen, handwerksmäßigen Wirtschaftsvollzugs. Der erste Versuch, das gesamte forstliche Wissen zu sammeln und systematisch zu ordnen, ging von Nichtforstleuten, von kameralistisch gebildeten Polyhistoren aus, von denen unter den Verwaltungsbeamten v. Moser („Grundsätze der Forstökonomie“, 1757), Stahl („Onomatologia forestalis“, 1772), v. Brocke („Wahre Gründe der physikalischen und experimentalischen allgemeinen F.“, 1768–75), unter den kameralistisch gebildeten Universitätslehrern, welche seit 1770 auf den meisten deutschen Hochschulen F. lehrten, Suckow (Professor an der Kameralhochschule zu Lautern, Verfasser einer „Ökonomischen Botanik“, 1777), Jung-Stilling (Verfasser eines „Lehrbuches der F.“, 1781), Nau (Verfasser einer „Anleitung zur deutschen F.“, 1790), Walther (Verfasser mehrerer wertvoller forstbotanischer Schriften und eines „Lehrbuches der F.“, 1795) und Trunk in Freiburg („Forstlehrbuch“, 1788) die bedeutendsten sind. Durch die voraufgeführten Arbeiten der Kameralisten fand die Forstwirtschaftslehre die erste systematische Gestaltung; ihr wissenschaftlichen Inhalt und eine exakte Begründung zu verleihen, waren diese gänzlich außerhalb der praktischen Wirtschaft stehenden Männer unfähig. Zu dieser Arbeit waren vielmehr die Berufsforstwirte bestimmt, aber vor 1790 wenig geeignet, da ihnen eine tiefere wissenschaftliche Bildung mangelte. Zunächst schien es auch vor allem wichtig, in den praktischen Wirtschaftsbetrieb größere Ordnung und Übersichtlichkeit zu bringen. Eine Reihe von Systemen der Forsteinrichtung entstand, und auch die mathematische Seite der F. machte rasche Fortschritte. Auf diesem Gebiet haben Öttelt in Thüringen (Verfasser einer ihrer Zeit bedeutenden Schrift: „Beweis, daß die Mathesis bei dem Forstwesen unentbehrliche Dienste thut“, 1765–68), v. Wedell in Schlesien, Hennert in der Mark Brandenburg (Verfasser einer „Anweisung zur Taxation der Forsten“, 1791) Bedeutendes geleistet. Es entstanden rasch eine Reihe von Forstschulen, und seit 1795 gab Bechstein auf seiner Privatforstschule zu Waltershausen (später Dreißigacker) dem Studium der F. die schulgerechte methodische Form und encyklopädische Vollständigkeit; aber es fehlte noch immer die volle Beteiligung der praktischen Forstwirte an diesen Bestrebungen, es fehlte der Mann, der die Waldwirtschaft aus den Bahnen des Handwerks hinüberführte zu rationeller Übung, der den Scholastizismus, in welchen die F. zu versinken drohte, überwand und beide dem Streben nach einem exakten Ausbau der Wissenschaft vom Walde dienstbar machte.

Einen bedeutenden Schritt vorwärts wurde die junge F. in dieser Richtung durch G. L. Hartig und Cotta am Anfang des 19. Jahrh. geführt. Beide, praktisch begabt, naturwissenschaftlich und mathematisch gebildet, sind die Reformatoren der Forstwirtschaft [455] und F. geworden. Aber die Gesamtverhältnisse jener Zeit, die geringe Entwickelung der Naturwissenschaften, die geringe Bildung der meisten Forstbeamten versagten ihnen die Krönung des Werkes, dessen Fundament sie legten. Über die Zusammenstellung schulgerechter Generalregeln, deren naturwissenschaftliche Begründung sie der Zukunft überlassen mußten, sind beide nicht weit emporgestiegen. Ja, eine gewisse doktrinäre Schulrichtung (vollkommen geeignet für die damaligen Praktiker), eine gewisse dogmatische Gebundenheit ist zur Signatur, namentlich der Hartigschen Epoche, geworden. Gegen diese Regelgerechtigkeit und Gebundenheit trat Fr. Pfeil seit 1816 energisch auf. Autodidakt, mit scharfem und besonders kritischem Verstand ausgestattet, ist er der Begründer einer Richtung in der F. geworden, welche die Berechtigung der Schulregeln leugnet und alle wirtschaftlichen Maßregeln aus der freien Beurteilung der konkreten örtlichen Verhältnisse herleitet. Gleichzeitig hat Pfeil zuerst die allgemein wirtschaftlichen Grundlagen der Forstwirtschaft klar erfaßt. Der rasche Aufschwung, welchen seit 1820 die Naturwissenschaften nahmen, wirkte mächtig mit zu der Vertiefung der F. Auf dem forstbotanischen Gebiet hatten schon Walther und Burgsdorff vor Hartig und Cotta nicht Unbedeutendes geleistet, und Bechstein in Dreißigacker („Forstbotanik“, 5. Aufl. von Behlen, Erfurt 1842), Borckhausen („Handbuch der Forstbotanik und Forsttechnologie“, Gieß. 1800–1803), Reum in Tharandt („Forstbotanik“, 2. Aufl., Dresd. 1828) u. a. waren auf diesem Weg weiter vorgeschritten; Hundeshagen und Th. Hartig haben sodann auf diesem Gebiet mit Erfolg weiter gearbeitet. Die übrigen, dem Gebiet der Naturwissenschaften angehörigen forstlichen Grundwissenschaften fanden erst seit 1830 eine wahrhaft wissenschaftliche Bearbeitung, die Entomologie durch Th. Hartig und in hervorragender Weise durch Ratzeburg („Forstinsekten“, Berl. 1839–44, 3 Bde.), die Bodenkunde durch Hundeshagen, Senft („Lehrbuch der Gebirgs- und Bodenkunde“, Jena 1847, 2 Bde.), K. Grebe. Viel früher waren die mathematischen Grundlagen der F. zu einem gewissen Abschluß gekommen. Die Arbeiten von Späth in Altdorf („Handbuch der F.“, Nürnb. 1801–1805), Däzel („Über die zweckmäßigste Methode, große Waldungen auszumessen und zu berechnen“, Münch. 1799), die Methoden der Forsteinrichtung von G. L. Hartig und Cotta (die sogen. Fachwerksmethoden, s. Forsteinrichtung), von Paulsen und Hundeshagen (Formelmethoden) sind hier besonders zu nennen. Die mathematische F. fand später in König („Handbuch der Forstmathematik“, 5. Aufl. von Grebe, Gotha 1864), Preßler, K. und G. Heyer namhafte Vertreter. So sehr zur Zeit noch die Ansichten über die Ziele des forstwissenschaftlichen Strebens auseinander gehen, so viele Probleme noch zu lösen bleiben, so verschieden die Wege sind, welche man geht, um ihre Lösung zu finden: darin sind alle einig, daß die F. sich zu ihrem fernern Aufbau der Methode des exakten Versuchs zu bedienen hat, und daß die in neuerer Zeit durchgeführte Organisation des forstlichen Versuchswesens in Deutschland in erster Linie dazu berufen ist, der wissenschaftlichen Forschung wichtiges Material[WS 1] zu liefern. Noch bleibt vieles zu thun: die Forststatistik harrt ihrer festen Gestaltung im Deutschen Reich; die forstliche Statik, in neuerer Zeit von K. Heyer, Preßler in Tharandt, besonders aber von G. Heyer zum Gegenstand eingehender Studien gemacht, wird einst mit Hilfe reichen statistischen Materials zur Erhellung der volkswirtschaftlichen Grundlagen der Forstwirtschaft beitragen, und die von ihr auszubauende Theorie der forstlichen Reinertragslehre (einst in ihrer Bedeutung schon von Pfeil gewürdigt, von Hundeshagen in ihren Grundzügen aufgestellt, wenngleich ihr wissenschaftlicher Ausbau diesen Männern nicht gelang) wird einst wichtige Direktiven geben. Die in neuerer Zeit mit Lehrkräften und Lehrmitteln reich ausgestatteten forstlichen Unterrichtsanstalten arbeiten, wenngleich auf verschiedenen Wegen (Forstakademie, Universität), an der Fortbildung und Vertiefung der F. Auch in der Wirtschaft ist ein reges wissenschaftliches Leben vielerorts eingekehrt, wozu Zeitschriften und zahlreiche Vereine reiche Anregung geben. Die Forstgeschichte, d. h. die geschichtliche Darstellung der Rechtsverhältnisse des Waldes (namentlich des Waldeigentums), der Waldwirtschaft, der F. und Forstpolitik, wurde besonders bearbeitet durch Bernhardt, Geschichte des Waldeigentums, der Waldwirtschaft und F. in Deutschland (Berl. 1872–75, 3 Bde.); Roth, Geschichte des Forst- und Jagdwesens in Deutschland (das. 1879); v. Berg, Geschichte der deutschen Wälder bis zum Schluß des Mittelalters (Dresd. 1871); Fraas, Geschichte der Landbau- und F. seit dem 16. Jahrhundert (Münch. 1865); Schwappach, Grundriß der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands (Berl. 1883), und dessen größeres „Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands“ (das. 1885 ff.). Vgl. Heß, Encyklopädie u. Methodologie der F. (Nördling. 1885 ff.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Materia-