MKL1888:Kolonialrecht

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kolonialrecht“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 953954
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Kolonialrecht. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 953–954. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kolonialrecht (Version vom 20.04.2024)

[953] Kolonialrecht, im allgemeinen der Inbegriff der Rechtsnormen, welche die Rechtsverhältnisse der Kolonien regeln. Im einzelnen ist jedoch folgende Unterscheidung zu machen: 1) K. wird das Recht genannt, welches in den Kolonien jeweilig gilt, also für die Rechtsverhältnisse der Einwohner in den betreffenden Territorien maßgebend ist. Je nach den Verhältnissen, auf welche sich diese Rechtsnormen beziehen, gehören dieselben dem öffentlichen oder dem privaten Recht an. Kolonien, welche eine besondere Organisation haben, und denen, wie vielen englischen Kolonien, eine weitgehende Autonomie zugestanden ist, indem für sie auch besondere Volksvertretungen bestehen, haben ein ausgebildetes K. in diesem Sinn, während für andre Kolonien mehr oder weniger das in dem Mutterland geltende Recht maßgebend ist. 2) Staatsrechtlicher Natur ist dasjenige K., welches die Beziehungen der Kolonie zu dem Mutterland regelt. Auch in dieser Hinsicht besteht eine große Verschiedenheit, indem manche Kolonien geradezu Bestandteil [954] des Hauptstaats sind, wie z. B. Algerien staatsrechtlich zu Frankreich gehört, ohne deshalb seinen kolonialen Charakter verloren zu haben. Andre Kolonien stehen doch wenigstens unter der Souveränität der Regierung des Mutterlandes, während in noch andern Ländern die Regierung des Mutterlandes nur eine Schutzherrschaft ausübt und lediglich eine Schutzgewalt über ihre Staatsangehörigen in Anspruch nimmt, die sich in dem fremden Land aufhalten. Doch kann diese Schutzherrschaft eine so weitgehende sein, daß die Schutzgebiete in der That als Kolonien aufzufassen sind. 3) K. werden auch die Rechtsgrundsätze genannt, nach welcher sich die Beziehungen der verschiedenen Mächte untereinander in Ansehung ihres Kolonialbesitzes bestimmen. Diese sind völkerrechtlicher Natur (internationales K.). Soll der Kolonialbesitz des einen von der Regierung des andern Landes respektiert werden, so genügt es nicht, daß die Besitzergreifung eines herrenlosen, d. h. von einer der internationalen Rechtsgemeinschaft nicht angehörigen, unzivilisierten Völkerschaft bewohnten, Landes lediglich formell, z. B. durch Flaggenheißen, erfolgt; es ist vielmehr eine thatsächliche Herrschaftsausübung über das zu okkupierende Territorium erforderlich. In diesem Sinn hat auch die Congoakte vom 26. Febr. 1885 (Art. 34 f.) die Verpflichtung der Signatarmächte anerkannt, in den von ihnen an den Küsten des afrikanischen Kontinents besetzten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte zu schützen. Außerdem wird in dieser für künftige koloniale Erwerbungen maßgebenden Akte die Verpflichtung anerkannt, bei Übernahme einer neuen Schutzherrschaft oder bei neuen Besitzergreifungen den Signatarmächten davon Anzeige zu machen, um dieselben in den Stand zu setzen, gegebenen Falls ihre Reklamationen geltend zu machen.

Das K. ist infolge der deutschen kolonialpolitischen Bestrebungen in neuerer Zeit nicht nur mehrfach zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht, sondern auch gesetzgeberisch in Deutschland behandelt worden. Die deutsche Reichsverfassung (Art. 4, Abs. 1) weist nämlich die Bestimmungen über Kolonisation der Gesetzgebung und der Beaufsichtigung des Reichs zu. In den west- und südwestafrikanischen Schutzgebieten ist auch bereits der Anfang einer staatlichen Organisation gemacht, während in Ostafrika und Neuguinea der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft, resp. der Neuguineakompanie die Verwaltungseinrichtung überlassen ist. Nach dem deutschen Reichsgesetz vom 17. April 1886, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, übt der Kaiser in den letztern die Schutzgewalt im Namen des Reichs aus. Kolonialminister ist der Reichskanzler. Ein Syndikat von Hamburger Firmen fungiert als Kolonialrat. Nach dem angezogenen Gesetz sollen sich das für die deutschen Kolonien maßgebende bürgerliche Recht, Strafrecht, Gerichtsverfahren und Gerichtsverfassung nach dem Reichsgesetz vom 10. Juli 1879 über die Konsulargerichtsbarkeit bestimmen (s. Konsul). An die Stelle des Konsuls tritt der vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte. Kaiserliche Verordnungen können indessen Abweichungen von jenem Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit begründen. Das Reichsgesetz vom 4. Mai 1870, betreffend die Eheschließung und Personenstandsbeurkundung von Reichsangehörigen im Ausland, kann durch kaiserliche Verordnung auch auf Nichtreichsangehörige ausgedehnt werden, wie dies für die Schutzgebiete von Camerun und Togo durch Verordnung vom 21. April 1886 geschah. Eine weitere Verordnung vom 5. Juni 1886 regelt die Rechtsverhältnisse in dem Schutzgebiet der Neuguineakompanie, während eine Verordnung vom 13. Sept. 1886 die Rechtsverhältnisse in dem Schutzgebiet der Marshall-, Brown- und Providenceinseln zum Gegenstand hat. Vgl. Stengel, Die staats- und völkerrechtliche Stellung der deutschen Kolonien (Berl. 1886); Lentner, Das internationale K. (Wien 1886); Pann, Das Recht der deutschen Schutzherrlichkeit (das. 1887); Joel, Das Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (in Hirths „Annalen des Deutschen Reichs“, Münch. 1887, S. 191 ff.); Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts (im „Archiv für öffentliches Recht“, Bd. 2, S. 1 ff., Freiburg 1887).