MKL1888:Korallpolypen
[79] Korallpolypen (Anthozoa, Polypen), Klasse der Cölenteraten (s. d.). Ihr Körper (s. Fig. 1 u. 2) besteht in der einfachsten Form aus einem an seinem hintern
Fig. 2. | Fig. 1. |
Korallpolypen. Fig. 1. Blastotrochus nutrix. Fig. 2. Edelkoralle (Corallium rubrum). K Knospe, M Mund, P Polyp, T Tentakeln. |
Ende festgewachsenen Sack mit einer vordern Öffnung M, die von einem Kranz von Fühlfäden oder Tentakeln T umstellt ist. Letztere dienen zum Greifen der Beute und sind zu deren Lähmung reichlich mit Nesselorganen (s. Cölenteraten) versehen. Die genannte Öffnung fungiert sowohl als Mund wie als After und läßt auch die Säfte gewisser Drüsen und die Geschlechtsprodukte austreten. Sie führt direkt in eine Art von Speiseröhre, die wiederum durch eine hintere verschließbare Öffnung mit dem Magen, in welchem die Verdauung stattfindet, in Verbindung steht. Dieser ist aber keine einfache Höhlung, sondern zerfällt durch zahlreiche Scheidewände, die sogen. Mesenterialfalten, in viele Taschen, welche am Hinterende des Tiers miteinander kommunizieren und sich auch in Form von Kanälen in die Körperwandungen sowie in die hohlen Tentakeln fortsetzen. So zirkuliert die im Magen aus den Speisen gewonnene Nährflüssigkeit direkt im ganzen Körper, ohne Dazwischenkunft besonderer Blutgefäße, und zwar geschieht dies nicht nur durch Kontraktionen der einzelnen Körperteile, sondern auch durch die Flimmerbewegung, welche die Zellen des Magens und der Kanäle hervorbringen. Man unterscheidet am Leib der K. drei Schichten, nämlich die aus Flimmerzellen bestehende Magenwand, das Entoderm, ferner die äußere Haut oder das Ektoderm und das zwischen beiden gelegene Mesoderm (vgl. Cölenteraten); letzteres wird oft sehr dick. Die Geschlechtsstoffe [80] entstehen in Verdickungen der Ränder der bereits erwähnten Mesenterialfalten und gelangen bei der Reife direkt in den Magen und von ihm aus ins Freie. Häufig sind die Geschlechter getrennt, aber auch dann, wenn Eier und Samenfäden dicht nebeneinander in demselben Tier entstehen, sind sie vielfach nicht zu gleicher Zeit reif, so daß also dasselbe Individuum bald männlich, bald weiblich ist. Die Befruchtung erfolgt stets im Innern des mütterlichen Körpers; ebenso geht hier die Entwickelung der Larven bis zu einer gewissen Grenze vor sich. Später schwärmen diese aus und schwimmen eine Zeitlang im Meer umher, bis sie sich festsetzen. Sie bestehen alsdann aus einer einfachen sogen. Gastrula und erhalten ihre Tentakeln um die Mundöffnung erst nach und nach.
Neben der eben geschilderten geschlechtlichen Fortpflanzung findet sich in hohem Grad entwickelt auch die ungeschlechtliche durch Sprossung und Teilung vor. Knospen (K) können am ganzen Umfang des K. auftreten, sowohl an der Seite als von der Anheftungsstelle, wie endlich vom Mundrand her; bleiben nun die neugebildeten Individuen mit den alten verbunden, so entstehen die Polypenstöcke. In ihnen sind die Einzeltiere in eine gemeinschaftliche Masse eingebettet und kommunizieren alle miteinander, so daß die von jedem von ihnen erworbenen Nahrungssäfte der Gesamtheit zu gute kommen. In einem solchen Tierstaat herrscht also bei völliger Gleichwertigkeit der Individuen der vollendetste Kommunismus.
Eine wichtige Rolle bei dem Aufbau der Polypenstöcke spielen die Skelettbildungen. Diese entstammen meist dem Ektoderm und treten bei einer Unterklasse der K. in Gestalt von einzelnen nadelförmigen Kalkkörperchen auf. Indem sie aber unter sich verwachsen, geben sie zu den oft steinharten Kalkskeletten Anlaß, aus denen manche sogen. Korallen (s. d.) bestehen. Ferner können auch Teile des Körpers verhornen, so daß also auch Hornskelette, entweder mit oder ohne Kalk, existieren. Endlich versteinert durch Kalkablagerung in einem Polypenstock oft die ganze Masse, welche die Einzeltiere untereinander verbindet (das sogen. Cönenchym), so daß also nur diese selbst noch weich und beweglich bleiben und sich nach Belieben über das gemeinsame Skelett hervorstrecken oder in dasselbe zurückziehen können. So entsteht bereits eine Mannigfaltigkeit von Formen der Polypenstöcke, die noch dadurch vermehrt wird, daß die Sprossung und unvollkommene Teilung die einzelnen Individuen in verschieden hohem Grad miteinander in Verbindung beläßt.
Die K. sind sämtlich Meeresbewohner und sind im allgemeinen auf die wärmern Zonen angewiesen, während allerdings einige Arten sogar im hohen Norden vorkommen. In bedeutenden Tiefen leben nicht wenige, indessen sind weitaus die meisten in der Nähe der Küsten zu finden; namentlich gilt dies von denjenigen Formen, welche die Korallenriffe (s. d.) erzeugen. Alle K. sind fleischfressende Tiere; zur Beute fallen ihnen hauptsächlich kleine Krebse, Larven verschiedener Tiere etc., aber auch Fische. Man teilt die lebenden K. nach der Zahl ihrer Tentakeln in die achtarmigen Octactinia und die vielarmigen Polyactinia ein. Zu den erstern gehören die sogen. Seefedern (Pennatulidae), die nachts ein schönes Licht ausstrahlen (s. Abbildung auf Tafel „Korallen“), ferner die vielgestaltigen sogen. Horn- oder Rindenkorallen (Gorgonidae), von denen die zu Schmucksachen verwendete weiße Koralle (Isis) und die Edelkoralle (s. d.) die bekanntesten sind, und endlich die Orgelkorallen (Tubiporidae, s. Tafel „Korallen“). Die Polyactinia, deren Tentakeln an Zahl entweder sechs oder ein Vielfaches von sechs betragen, sind teils ganz weich wie die Seeanemonen oder Aktinien (s. d.), teils mit horniger Achse versehen (Antipatharia), teils verkalkt und dann an der Korallenbildung beteiligt (s. Korallen). – Unter den versteinerten K. gehören die jüngern Formen aus dem Jura und der Trias den Polyaktinien an, dagegen bilden die ältern aus der Grauwacke und andern paläozoischen Schichten eine besondere Klasse, die Tetracorallia, mit ein oder mehrere Male vier Tentakeln. Diese ist zwar schon lange ausgestorben, indessen machen auch die heutigen K. in ihrer Entwickelung ein Stadium mit nur vier Tentakeln durch und erinnern in dieser Weise an ihren Ursprung. Eine besonders merkwürdige Form ist die früher zu den Brachiopoden gerechnete, mit einem Deckel versehene Calceola sandalina (s. Tafel „Devonische Formation“). Vgl. Milne-Edwards und Haime, Recherches sur les polypiers (Par. 1848–52); Lacaze-Duthiers, Mémoire sur les Antipathaires (das. 1864–65); Kölliker, Die Pennatulide Umbella etc. (Frankf. 1872); Panceri, Gli organi luminosi e la luce delle Pennatule (Neapel 1871); Hollard, Monographie du genre Actinia (Par. 1851); Gosse, British Sea Anemones (Lond. 1860); Hertwig, Die Aktinien (Jena 1879); Andres, Le Attinie del golfo di Napoli (Leipz. 1884).
[502] Korallpolypen. Die Steinkorallen, deren Zahl durch die Challenger-Expedition sehr stark vermehrt worden ist, gehen teilweise in bedeutende Tiefen, bis zu 2900 Faden, und haben auch eine sehr ausgedehnte horizontale Verbreitung. Viele Tiefenkorallen zeichnen sich durch ungemeine Regelmäßigkeit des Skeletts aus; charakteristisch ist, daß bei Formen aus großer Tiefe die Konsistenz des Skeletts eine sehr geringe ist und dasselbe infolge der Kalkarmut des Wassers Lücken zeigt. In der überwiegendsten Mehrzahl sind alle Tiefseesteinkorallen Einzeltiere. Nur die zu den verzweigten Madreporen gehörige Lophohelia prolifera bildet in einer Tiefe von 300–600 Faden bei einer Temperatur von 0° zwischen Schottland und den Färöern meilenweit sich erstreckende dichte Bänke. Die übrigen riffbildenden Korallen sind Tiere des seichten Wassers; sie erreichen schon bei 20 Faden ihre untere Verbreitungsgrenze, und ein Tiefenvorkommen von 30 Faden, wie bei Orbicella cavernosa Erp., ist eine seltene Ausnahme. Der Bau der Riffe erfolgt bekanntlich nur in Meeren, deren mittlere Wintertemperatur nicht unter 20° sinkt, doch wurde die westindische Riffkoralle Manicina areolata auch am Kap gefunden. In der horizontalen Verbreitung der riffbauenden Korallen läßt sich ein indopazifisches und ein ostamerikanisches Gebiet unterscheiden, welche zwar beide eine Anzahl Gattungen, doch kaum irgend welche Arten gemeinsam haben. Im ostafrikanischen Gebiet zerfallen die Korallen wiederum in zwei Faunen: die westindische und brasilische. Die Verbindung der ostamerikanischen und indopazifischen Korallenfauna ist bald nach der Alttertiärzeit unterbrochen worden, so daß im ostamerikanischen Gebiet die späterhin im indopazifischen entstandenen Formen fehlen, z. B. die Funginen und zahlreiche Poritidengattungen. Die kleine Familie der schwarzen Korallen, Anthipathes, steigt gleich ihren Verwandten bis zu 2900 Faden hinab, und diese Tiefe ist auch die Maximaltiefe für die Gruppe der schönen Blumenkorallen oder Aktinien. Im allgemeinen zwar gehören die Aktinien der Küste zu, doch sind Tiefenformen nicht selten. Je größer die Tiefe, desto mehr unterscheidet sich die Fauna von der Küstenfauna, so daß die Aktinien von 500–2900 Faden ganz verschieden von den zwischen 10 und 500 Faden lebenden sind. Viele Tiefseeformen zeigen bemerkenswerterweise morphologische Eigentümlichkeiten, so z. B. Rückbildung der Tentakeln, wie sie bei Küstentieren nie beobachtet worden sind; es sind nämlich die Tentakeln in Tuben verwandelt, ja in einfache Öffnungen der Mundscheibe rückgebildet. Es mag dies mit der Nahrung zusammenhängen, welche bei den Tiefseeaktinien mehr aus halbweichen Sinkstoffen oder aus Schlamm besteht, für dessen Aufnahme die Tuben besonders geeignet sind, während die Aktinien der Küste sich Tiere zur Nahrung fangen. Wichtig ist auch die Auffindung einiger weniger Tiefseeaktinien, bei denen die Grundzahl für den Aufbau des Körpers und die Wiederholung der Organe nicht sechs, sondern wie bei vielen andern Hohltieren vier ist. Einen sehr bemerkenswerten Anteil an der Zusammensetzung der Tiefenfauna nehmen die Fiederkorallen oder Alcyonarien. Es findet sich eine der Edelkoralle nahe verwandte Form in der Tiefe, mehrere Gorgoniden, welche mit verästeltem Schaftende im Schlick sich festhalten, besonders aber sind unter den Seefedern charakteristische Tiefenbewohner. Die federförmigen Pennatuliden sind Bewohner des seichten Wassers, von den niedern Formen aber findet sich die überwiegende Mehrzahl unter 300 Faden und geht bis unter 2000 hinab. Am tiefsten geht die zugleich häufigste Gattung Umbellula. Die Tiefseealcyonarien finden sich öfters in solcher Anzahl, daß sie ganze Wälder bilden, besonders auch in den eisigen Nordmeeren. Sie besitzen alle die Fähigkeit zu leuchten, den einzelnen Arten oder Gattungen kommt ein verschiedenes Licht zu; zum Teil sind die Tiefseealcyonarien geradezu gigantische Formen, die dann der Fauna der betreffenden Lokalität ein charakteristisches Gepräge verleihen.