MKL1888:Landwirtschaftskongreß
[571] Landwirtschaftskongreß. An dem vom 2.–6. Sept. 1890 abgehaltenen internationalen land- und forstwirtschaftlichen Kongreß in Wien nahmen 1066 Mitglieder teil. In den Eröffnungs- und Schlußsitzungen hielten Demontzey-Paris, Ebermayer-München, Judeich-Tharand und Marchet-Wien bemerkenswerte Vorträge. An Kongreßreferaten der sieben Sektionen erschienen 157 Hefte und ein Kongreß-Tageblatt. Mit Bezug auf die rein technischen landwirtschaftlichen Fragen wurden auszugsweise folgende bemerkenswertere Resolutionen gefaßt:
I. Sektion: Landwirtschaft. a) Untersektion: Pflanzenbau etc. Frage 1: Insolange die Wirkung des Superphosphatgipses für die Konservierung des Stallmistes nicht zweifellos durch scharf kontrollierte Versuche festgestellt ist, möge von seiner Anwendung im großen abgesehen werden. Dagegen ist dem Bau absolut dichter Düngerstätten und Jauchegruben sowie den Anlagen von Laufställen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Ebenso können die Verluste durch Festtreten und sorgfältiges, ununterbrochenes Feuchthalten sowie bei der Ausfuhr auf das Feld durch rascheste Unterbringung wesentlich eingeschränkt werden. Die Konservierung des Stallmistes mit rohen Kalisalzen (Kainit und Carnallit) verdient größere Beachtung. Frage 2: Die Torfstreugewinnung und Holzwolleverwendung zu Streuzwecken ist möglichst zu fördern, und ist die Verbilligung der Frachtsätze bei Versendung von Streusurrogaten anzustreben. Frage 4: Die Theorie wird sich mit den sogen. Korrelationserscheinungen mehr als bis jetzt zu beschäftigen haben, weil die Wichtigkeit des Studiums der Biologie der Kulturgewächse immer mehr erkannt wird, und weil die korrelative Variabilität geeignet ist, einen ganzen Komplex biologischer Erscheinungen verständlich zu machen. Für die Praxis ist die richtige züchterische Anwendung der Gesetze der Divergenz heterogener und der Häufung homogener Eigenschaften und Merkmale von größter Wichtigkeit vgl. Getreide, Bd. 18). Frage 5: Zur Kenntnis der Pflanzenlandrassen empfiehlt es sich, um eine vergleichende Rassenkunde der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen anzubahnen, daß durch örtlich verteilte, exakte Versuche der Gebrauchs- und Zuchtwert der Landrassen ermittelt werden sollte, und daß Versuchsstationen für die Züchtung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen geschaffen würden. Frage 6: Die Nährstoffverluste des bei richtig ausgeführter Süßpreßfutter-Erzeugung konservierten Grünfutters sind unwesentliche. Die Verluste an der Außenseite der Preßschober und Silos lassen sich bis auf etwa 5 Proz. herabdrücken. Die Verdaulichkeit und Gedeihlichkeit des Grünfutters wird durch die Ensilage befördert. Die Manipulation bei der Ensilage ist abhängig von der Beschaffenheit des Futters, besonders seinem Reifegrad, Wassergehalt sowie der Temperatur der Luft während der Arbeit. Frage 9: Der Frage der Grassamenzucht sollte von den Samenkontrollstationen eine größere Beachtung geschenkt und die Anlage von Grassamenschulen zur Gewinnung von Grassamen vorzugsweise durch die landwirtschaftlichen Vereine angeregt werden.
b) Untersektion: Betriebslehre. Frage 12: Bei rationellem landwirtschaftlichen Betrieb muß in der Taxation durchgehends eine Bewertung der Düngererzeugung und des Düngerverbrauchs stattfinden. Frage 14: Die Preisdepression der wichtigsten Erzeugnisse der Pflanzen- und Tierproduktion zwingt zur wohlfeilern Produktion bei Anstrebung möglichster, d. h. innerhalb der Rentabilitätsgrenze erzielbarer Mehrernten. Der Erzielung rentierender Mehrernten sind jedoch natürliche, durch lokale Verhältnisse bedingte Grenzen gezogen. Der Vorteil der Landwirte liegt somit keineswegs immer und überall in der durch erhöhten Aufwand erzielbaren Mehrproduktion, also in weiterer Intensitätssteigerung des Betriebes, sondern in manchen Lagen in der Festhaltung der erzielten Erfolge bei vermindertem Aufwand von Arbeit und Kapital. In jetziger Zeit ist der Übergang zur extensiven, also billigern, mit kleinerm Betriebsfonds arbeitenden Wirtschaft ernstlich und namentlich in jenen Gegenden in Betracht zu ziehen, wo der intensive Betrieb auf unsicherm Boden unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen stattfindet, die zu großen Ernteschwankungen Anlaß geben. Für solche Lagen ist die Arbeitsvergebung gegen Naturalanteil die wichtigste Maßregel, um die Chancen des Erfolges in ein feststehendes Verhältnis zum Produktionsaufwand zu stellen.
c) Untersektion: Viehzucht. Frage 15: Es ist erwünscht, auf den Rinderausstellungen die Prüfungen nach thatsächlichen Leistungen neben der Beurteilung der Körperform immer mehr auszubilden. Frage 16: Gelegentlich der Rinderausstellungen sollen folgende Messungen und Beobachtungen mit Bezug auf die Milchergiebigkeit dauernd angestellt werden, und zwar Messungen des Körpers in Bezug auf den Rumpf, den Brustkorb und Hinterteil und Beobachtungen über die Breite der Rippenzwischenräume; Beobachtungen über die Beschaffenheit des Euters, der Milchadern, der Haut, der Haare und des Hornes. Frage 20: Im Interesse des Lupinenbaues ist die Aufmerksamkeit auf ein neues, von Ritter v. Seeling-Saulenfels in Izdebnik (Galizien) erfundenes Entbitterungsverfahren (s. Lupinen) zu lenken. Frage 22: Der rationelle Ersatz der für Forst- und Obstkultur besonders schädlichen Ziegenhaltung durch energische Förderung der Zucht des fruchtbaren friesischen Milchschafes ist durch die Regierungen und die zur ständigen Pflege der Landeskultur berufenen Organe nach Möglichkeit anzustreben.
[572] II. Sektion: Landwirtschaftliche Spezialzweige. d) Untersektion: Fischzucht. Frage 51: Die Rakus-Weegersche Züchtungsmethode lebenden Naturfutters ist den Teichwirten zu weitern Versuchen in Verbindung mit dem Dubisch-Verfahren zu empfehlen. Frage 52: Folgende amerikanische Fischarten verdienen vorzugsweise die Beachtung europäischer Fischzüchter: Die Regenbogenforelle (Salmo irideus), der Bachsaibling (Salmo fontinalis), Forellenbarsch (Grystes salmoides), Schwarzbarsch (G. nigricans), Steinbarsch (Centrarchus Aeneas), Kalikobarsch (C. hexacanthus), Krappinbarsch (C. nitidus), Zwergwels (Amiurus nebulosus), dann der Binnenlachs (Salmo salar), Seeforelle (Salvelinus Namaycusch), amerikanische Maräne (Coregonus albus).
III. Sektion: Landwirtschaftliches Ingenieurwesen. b) Untersektion: Moorkultur. Frage 69: Die Moorkultur kann nur dort gedeihen, wo eine Moorkultur-Versuchsstation die Grundlagen der Bewirtschaftung nach den bestehenden Eigenarten der Moore schafft. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse Europas erheischen es, daß die künstlichen Düngemittel, besonders Kalisalze und Rohphosphate, den Landwirten zum Produktionspreise in jeder Quantität und in jener Form, welche für ihre Verwendung am zweckmäßigsten erscheint, zugänglich gemacht werden. Frage 75: Die Regierungen mögen durch Einführung der Torfstreu bei den Heeresverwaltungen die Torfproduktion unterstützen, ferner die Entwässerung der Gebirgsmoore verhindern, auf eine Frachtverbilligung aller Produkte der Torfindustrie hinwirken und die Kultur der Torfmoore durch Sträflinge vornehmen.
IV. Sektion: Landwirtschaftliche Industrie. e) Untersektion: Molkereiwesen. Frage 87: Die wissenschaftlichen Versuchs-, Untersuchungs- und Lehranstalten und die theoretisch-praktischen Molkereischulen bilden die wichtigsten Grundlagen zur Förderung des Molkereiwesens. Ihre nächsten Ziele sind Heranbildung von Lehrkräften für den wissenschaftlichen Unterricht höherer Lehranstalten und für die theoretisch-praktischen Molkereischulen, von Leitern von Fachkursen und von Ratgebern für die Praxis.
V. Sektion: Landwirtschaftliches Unterrichts- und Versuchswesen. a) Untersektion: Unterrichtswesen. Frage 89: Die Erteilung landwirtschaftlichen Wanderunterrichts ist ein wirksames Mittel zur Unterstützung der von den Regierungen und Vereinen auf Förderung der Landwirtschaft und ihrer Zweige gerichteten Bestrebungen. Frage 90: Die Verbindung einer landwirtschaftlichen Lehranstalt mit einer Wirtschaft ist wohl wünschenswert, notwendig aber nur da, wo es die lokalen Verhältnisse erfordern. Jeder landwirtschaftlichen Hochschule müssen Felder und Ställe, noch besser eine vollkommen eingerichtete Wirtschaft ausschließlich für Demonstrations- und Versuchszwecke zur Verfügung stehen.
b) Untersektion: Versuchswesen. Frage 94: Die Aufgabe, exakte agrikulturchemische Düngungsversuche auszuführen, fällt ausschließlich den hierzu berufenen wissenschaftlichen Instituten zu. Die Anstellung von Felddüngungsversuchen durch praktische Landwirte ist notwendig. Es ist wünschenswert, daß Felddüngungsversuche nach der Drechslerschen Methode angelegt werden, und daß die ältere Methode der Versuche nur zur Lösung von Rentabilitätsfragen benutzt werde. Frage 95: In anbetracht, daß die in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsamen Pflanzenkrankheiten oft ungemein große Verluste zufügen, und da die zur Verfügung stehenden Heil- und Vorbeugungsmittel nur in sehr beschränktem Maße wirksam sind, ist es wünschenswert, daß in den Kulturstaaten besondere phytopathologische Versuchsstationen eingerichtet werden. Die Aufgaben dieser Stationen wären, die verschiedenen Krankheiten von neuem gründlich zu erforschen und den lokalen Behörden sowie den Privaten mit Erklärungen und Ratschlägen unentgeltlich an die Hand zu gehen. Frage 98: Die Errichtung von wenigstens einer Versuchsstation für jedes größere landwirtschaftliche Gebiet erscheint im Interesse des landwirtschaftlichen Fortschrittes durchaus wünschenswert. Die Verbindung der Versuchsstationen mit größern landwirtschaftlichen Lehranstalten erscheint nützlich, insoweit dies ohne Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und vollen Verläßlichkeit der Stationen möglich ist.
VII. Sektion: Volkswirtschaft. Frage 109: Der Kongreß erklärt im Interesse der mitteleuropäischen Land- und Forstwirtschaft sowie der Industrien die Schaffung einer mitteleuropäischen Zollliga, innerhalb welcher eventuell mit Rücksicht auf die Interessen einzelner Produktionszweige sowie besonderer staatlicher Verbrauchsbesteuerungen Differentialzölle zulässig wären, für notwendig. Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, a) daß zwischen den dieser Zollliga angehörenden Staaten bezüglich ihrer Frachttarifpolitik solche bindende Abmachungen getroffen werden, welche eine wirtschaftliche Schädigung eines der Zollliga angehörenden Staates durch die Eisenbahn- oder Schiffahrtstarife eines andern Verbandsstaates unmöglich machen; b) daß die Valutaverhältnisse der Ligastaaten auf einheitlicher Basis geordnet werden. Es ist wünschenswert, daß zunächst möglichst bald im Wege von Handelsverträgen der Verkehr in land- und forstwirtschaftlichen Produkten zwischen den mittel- und westeuropäischen Staaten erleichtert werde. Frage 112: 1) Wenn auch die Güterbesitzer im eignen, wohlverstandenen Interesse bei Aufnahme von Wirtschaftsbeamten zumeist den Nachweis von Fachstudien verlangen, so ist diesfalls dennoch eine präzisere Verfügung äußerst wünschenswert und wäre zu diesem Zwecke eine fakultativ abzulegende Staatsprüfung für den Verwaltungsdienst und eine solche für das technische Hilfspersonal einzuführen. 2) Um die Güterbesitzenden vor ihr Eigentum benachteiligenden Dienstpflichtverletzungen, die Güterbeamten aber vor unverschuldeter Brotlosigkeit zu schützen, sind analog jenen Gesetzen, welche das Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer auf andern Gebieten regeln, gesetzliche Verfügungen nötig, welche eine Dienstespragmatik für große Besitze und Dienstverträge für kleinere Güter obligatorisch vorschreiben, während ein inartikuliertes Gesetz die allgemeinen Grundsätze solcher Dienstverhältnisse genau festzustellen hätte. 3) Der Kongreß spricht den Wunsch aus, es sei für die Güterbeamten und das Gutshilfspersonal die Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung gesetzlich einzuführen. Vgl. v. Proskowetz, Bericht über die Verhandlungen und Beschlüsse des internationalen land- und forstwirtschaftlichen Kongresses (Wien 1890), nebst 157 Heften Referate, darunter die Plenarversammlungsvorträge von Demontzey-Paris: „Über Wildbachverbauungen und Wiederbewaldungen“, Ebermayer-München: „Die hygienische Bedeutung des Waldes auf Grund exakter Untersuchungen und Beobachtungen“, Judeich-Tharant: „Aufgabe und Bedeutung der Forsteinrichtung für die gegenwärtige Forstwirtschaft“; [573] Marchet, Die europäische Landwirtschaft auf dem internationalen Kongreß in Wien (1890).