MKL1888:Lymphe

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Lymphe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 78
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Lymphe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 7–8. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Lymphe (Version vom 21.11.2023)

[7] Lymphe (griech.), fast wasserhelle oder nur schwach opalisierende Flüssigkeit von etwas salzigem Geschmack, [8] einem spezifischen Gewicht von 1,020–1,040 und alkalischer Reaktion, welche sich in den Lymphgefäßen von den verschiedensten Körperteilen und Körpergegenden her nach dem Herzen hin bewegt und sich mit dem Venenblut vermischt, kurz bevor dieses in das rechte Herz gelangt. Die L. entsteht durch Filtration aus dem Inhalt der Blutkapillaren und enthält alle Bestandteile des Blutplasmas. Dadurch, daß sie in einem außerordentlich weit verzweigten Gefäßsystem langsam den Körper durchströmt, liefert sie den Geweben diejenigen Substanzen, deren sie zu ihrer Ernährung bedürfen, und nimmt Zersetzungsprodukte aus den Geweben mit sich fort. Sie tritt alsdann wieder in die Blutbahn ein, wo ihre noch brauchbaren Bestandteile aufs neue verwertet werden, während die Zerfallsprodukte schnell zur Ausscheidung gelangen. Die L. ist diejenige Flüssigkeit, welche im Organismus am reichlichsten vertreten ist; ihre Menge beträgt nach Krause 1/3, nach andern mindestens 1/4 des Körpergewichts. Wie das Blut, ist auch die L. keine reine Lösung, sie enthält vielmehr auch Formbestandteile: Lymphkörperchen, rote Blutscheiben und Fetttröpfchen. Die Lymphkörperchen sind identisch mit den farblosen Blutkörperchen. Die roten Blutscheiben sind in der Regel nur in sehr spärlicher, zuweilen aber in solcher Anzahl vorhanden, daß sie der L. eine mehr oder weniger starke rötliche Färbung zu erteilen vermögen. Diese Gebilde stammen aus dem Blut; sie verlassen dasselbe auf die im Artikel „Blut“ beschriebene Weise. Fetttröpfchen sind weder konstante noch allen Lymphgefäßbezirken zukommende Formbestandteile. Man findet sie zur Zeit der Fettverdauung in der Darmlymphe oder dem Chylus, und sie werden von dort durch den Milchbrustgang dem Blut zugeführt. Nach reichlicher Fettfütterung finden sie sich in solcher Menge in den Chylusgefäßen, daß deren Inhalt weiß wie Milch erscheint. Die gelösten Bestandteile der L. stimmen mit denen des Blutplasmas überein, doch erscheinen sie in andern Mengenverhältnissen. Bei annähernd gleichem Gehalt an anorganischen und leicht löslichen organischen Bestandteilen enthält die L. durchschnittlich 2 Proz. weniger Eiweißstoffe als das Blutplasma. Da die Eiweißstoffe der L. sonst gleiche Natur mit denen des Bluts besitzen und diese Flüssigkeit außerdem auch die für die Gerinnung so bedeutungsvollen farblosen Blutkörperchen enthält, so gerinnt die L. kurze Zeit nach ihrer Entleerung. Sie enthält viel Kohlensäure, aber keinen oder nur sehr wenig Sauerstoff. Die Bewegung der L. durch die Gewebe und zum Blut hin geschieht nur unter einem unbedeutenden Druck und wird an vielen Stellen allein vom Blutdruck unterhalten. An andern Orten ist die Beziehung zwischen Blut- und Lymphgefäßsystem viel weniger innig, und die abgesonderte L. würde ruhig liegen bleiben, wären nicht für ihre Fortschaffung ganz besondere Mechanismen vorhanden. So stellt z. B. der sehnige Teil des Zwerchfells einen sehr kunstvollen Apparat für die Aufsaugung und Fortschaffung der L. aus der Bauchhöhle, eine Art Pumpwerk dar, dessen Triebkraft in den Bewegungen des Zwerchfells gesucht werden muß. Ganz ähnliche Vorrichtungen hat man auch in den die Muskeln einhüllenden sehnigen Häuten und im Brustfell angetroffen. Ein weiteres Moment für die Fortbewegung der L. wird durch die Aspiration des Thorax gegeben, denn der größte Teil des Milchbrustganges liegt innerhalb der Brusthöhle, und außerdem befindet sich in deren Nähe ein großes, ununterbrochen von den Eingeweiden der Bauch- und Beckenhöhle und von den Beinen aus gespeistes Reservoir, die Lymphzisterne. Endlich wird auch der Abfluß der L. dadurch erleichtert, daß die Lymphstämme bei der Kontraktion der Skelettmuskeln zusammengepreßt werden. Aus den Gliedmaßen kann die L. überhaupt nur dann regelmäßig fortgeschafft werden, wenn diese aktiv oder passiv bewegt werden. Bei einigen Tieren, besonders bei den Amphibien und einigen Vögeln (z. B. bei den Straußen), kommen bei der Bewegung der L. außerdem noch rhythmisch pulsierende Lymphherzen (vgl. Lymphgefäße) in Betracht.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 596597
korrigiert
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[596] Lymphe. Über die Bildung der L., d. h. jener für die Ernährung der Elementarteile des Organismus überaus wichtigen, dem Blutplasma ähnlichen Flüssigkeit, die sich in den Spalträumen aller Körpergewebe befindet und aus ihnen durch ein eignes Röhrensystem, die Lymphgefäße, abgeleitet und dem Blute zugeführt wird, herrschen noch sehr unklare Vorstellungen. Meistens wird angenommen, daß die L. durch Filtration durch die Wand der Blutkapillaren hindurch sich abscheidet und, in die Gewebsspalten gelangend, den Organelementen das für sie bestimmte Nährmaterial abgibt, um anderseits von ihnen andre Stoffe aufzunehmen und fortzuschaffen. Neuere Untersuchungen von Heidenhain dürften geeignet sein, diese Auffassungsweise wesentlich zu modifizieren. Wäre ein einfacher Filtrationsvorgang vorhanden, so müßte, damit die Gewebe ihren Bedarf an Nährmaterial aus der Zufuhr decken könnten, der Zufluß ein ungemein viel größerer sein, als er es wirklich ist. So werden in den Geweben eines Hundes von 10 kg Körpergewicht 274 g mit der Nahrung aufgenommenes Eiweiß in 24 Stunden zersetzt. Zur Überführung einer solchen Eiweißmenge aus dem Blute in die Gewebe wären bei dem geringen Prozentgehalte desselben an diesem Stoffe mindestens 6850 ccm L. erforderlich. Die gesamte, wirklich von einem Hunde gebildete Lymphmenge beträgt aber höchstens ein Zehntel dieses Wertes.

Die Filtrationshypothese ist demnach nicht zureichend; vielmehr deutet diese Überlegung ebenso wie eine Reihe von neuern experimentellen Erfahrungen darauf hin, daß die Kapillarwand eine Art [597] von sekretorischer Thätigkeit entfaltet, daß die L. aus dem Blut in ähnlicher Art abgesondert wird wie der Speichel in den Speicheldrüsen, die Galle in der Leber. Vor allem sprechen dafür die mit der Annahme einer Filtration schlechterdings nicht zu vereinbarenden Beobachtungen über den Einfluß des Blutdruckes auf die Lymphbildung. Filtrierte die L. aus den Kapillaren, so müßte die Filtratmenge um so größer sein, je höher der kapillare Blutdruck stiege. Das ist aber durchaus nicht der Fall; bei höherm Drucke kann die Lymphbildung eine geringere sein als bei niederm. Ja, es hat sich herausgestellt, daß der Blutdruck auf Null sinken kann, ohne daß die Lymphbildung aufhört. Eine Sekretion ist dagegen von der Höhe des Blutdruckes nicht abhängig. Es gibt ferner gewisse Stoffe, die, in das Blut eines Tieres eingespritzt, den Lymphstrom sehr beträchtlich steigern, ohne irgendwie die zirkulatorischen Bedingungen zu ändern. Heidenhain hat sie als Lymphagoga bezeichnet. Es gehören dahin sehr heterogene Substanzen: Pepton, Extrakt von Krebsmuskeln, von Blutegeln u. a. Sie spielen offenbar bei der Lymphabsonderung eine ähnliche Rolle, wie gewisse harntreibende Mittel bei der Sekretion des Harnes: sie wirken anregend auf die Thätigkeit der sekretorisch wirksamen zelligen Elemente, worunter hier die zarten, die Kapillarwand bildenden Zellen zu verstehen wären. Somit stellt sich heraus, daß auch der Lymphbildungsvorgang, gerade so wie dies in neuerer Zeit von der Harnbildung, von der Aufsaugung (Resorption) der Nahrungsstoffe im Darmkanal nachgewiesen worden ist, nicht auf einfache physikalische Prozesse zurückgeführt werden darf, sondern daß hier vitale Kräfte, spezifische Zellfunktionen wirksam sind.