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MKL1888:Malaien

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Malaien“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 140141
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Malaien. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 140–141. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Malaien (Version vom 29.11.2023)

[140] Malaien (Oran Malaju, „herumschweifende Menschen“). Man unterscheidet eine malaiische Rasse oder einen malaiischen Stamm und das Volk der M. im besondern. Die malaiische Rasse, welche von neuern Ethnographen nach den Körpermerkmalen nur als Unterabteilung der Mongolen angesehen wird, umfaßt nicht nur die eigentlichen M. Sumatras und Malakkas sowie die Javaner, sondern auch die braunen Stämme mit schlichtem Haar, die unter dem Namen Polynesier über alle tropischen oder subtropischen Inseln der Südsee sich zerstreut haben. Auch die Hova auf Madagaskar gehören zur malaiischen Familie. Es hat sich dieser Menschenschlag von den Komoren bis zur Osterinsel, vom 61. bis 268. Längengrad, und zwischen Hawai und Neuseeland, also über 70 Breitengrade, ausgedehnt. Als Ausgangspunkt muß man den Südosten des südasiatischen Festlandes ansehen. Vom linguistischen und kulturhistorischen Standpunkt aus zerfällt die malaiische Rasse in zwei große Abteilungen: eine westliche, die M. im engern Sinn, und eine östliche, die Polynesier, zu denen Fr. Müller ethnologisch auch die Melanesier rechnet. Nach den Traditionen, welchen in ihrer Übereinstimmung historische Bedeutung beigemessen werden kann, stellt sich heraus, daß die M. sich zuerst über die Inseln des Indischen Archipels bis Buro verbreiteten und erst von da aus zur Samoa- und Tongagruppe in der Südsee vorrückten, um von diesem Zentrum aus die polynesischen Inseln zu bevölkern. Als Zeitpunkt der Trennung in westliche und östliche M. nimmt Fr. Müller das Jahr 1000 v. Chr. an. Was die Körpermerkmale der M. betrifft (vgl. Tafel „Asiatische Völker“), so gehören die asiatischen M. unter die kleinen Völker, während die polynesischen M. durch Körpergröße hervorragen. Namentlich die erstern haben viel mit den Mongolen gemein, wie das lange, straffe Haar, den spärlichen Bartwuchs, eine Trübung der Hautfarbe vom Weizen- und Ledergelb bis zum tiefen Braun, vorstehende Jochbogen und teilweise schiefe Augenstellung. Innerhalb der asiatischen M. sind wiederum zwei Grundtypen zu erkennen, ein eigentlicher malaiischer und ein battascher, letzterer größer, stärker, mit hellerer Hautfarbe und lichterm Haar und weniger hervortretenden Backenknochen. Die asiatischen M. sind mesokephal, die Polynesier brachykephal; bei beiden ist die Höhe des Schädels ebenso groß oder auch ein wenig größer als dessen Breite. Der Prognathismus bleibt in mäßigen Grenzen. Je näher die Sitze der M. dem asiatischen Festland liegen, desto häufiger wird die schiefe Stellung der Augen, wodurch sie körperlich den Bewohnern im O. der Alten Welt naherücken. Über die Sprachen der M. s. Malaiisch-polynesische Sprachen.

Die malaiische Völkerabteilung (mit Ausschluß der Polynesier) wird in folgende Unterabteilungen oder Stämme gesondert: 1) Die Tagalen oder Bisaya auf den Philippinen, zum Teil vermischt mit den schwarzen, bis auf geringe Reste von ihnen verdrängten Urbewohnern (sogen. Negrito). An sie sind, nach den Sprachmerkmalen, die Bewohner von Formosa und den Suluinseln anzuschließen. 2) Die eigentlichen M. auf Malakka und Sumatra. 3) Die Sundanesen im W. der Insel Java, ein Volk, welches als Mittelglied zwischen den M., Javanern und Batta gelten kann. 4) Die Javaner auf der Ostseite der Insel Java, das gebildetste Volk der malaiischen Rasse, dem sich die Balinesen und Maduresen anschließen. 5) Die Batta oder Battak im Innern von Sumatra mit den Bewohnern der Nias- und Batuinseln, denen die Hova auf Madagaskar, nach der Sprachverwandtschaft zu schließen, am nächsten stehen. 6) Die Dajak oder, wie sie sich selbst nennen, Olo-Ngadschu auf Borneo, zu denen die Ot-Danom im Innern und die Biadschu im S. von Borneo gehören. 7) Die Makassaren im SW. und die Buginesen auf der Südwest- und Südostspitze von Celebes. 8) Die als Alfuren bezeichneten Bewohner des Nordens von Celebes und der Molukken. Vgl. Tafel „Asiatische Völker“, Fig. 19–24.

Die eigentlichen M. haben ihren Hauptsitz auf der Halbinsel Malakka und in Sumatra (wo die Atschinesen und Lampong sich ihnen eng anschließen), von wo sie als Handelsvolk sich über den ganzen Archipel ausgebreitet und ihre wohlklingende Sprache dermaßen zur Geltung gebracht haben, daß diese von Ceylon bis Neuguinea als eine Art Lingua franca gilt. Der arabische Priester, der chinesische Glücksritter, der armenische Kaufmann, der europäische Schiffskapitän reden dort Malaiisch, das auch die Befehlssprache der Holländer bei allen Regimentern eingeborner Soldaten ist (s. Malaiische Sprache und Litteratur). Neben dieser Bedeutung, welche den M. durch ihre Sprache in der ostasiatischen Inselwelt zukommt, gewannen sie noch dadurch Bedeutung, daß ihre Priester die Verbreiter des im 13. Jahrh. von ihnen angenommenen Islam daselbst wurden. Indessen waren sie als handeltreibendes Volk duldsam gegen die Bekenner andrer Glaubenslehren und teilten den Fanatismus vieler ihrer Priester nicht; auch nehmen sie es mit den eignen religiösen Vorschriften nicht zu genau. In Bezug auf geistige Begabung und Rührigkeit übertrifft der eigentliche Malaie alle andern Stämme seiner Rasse; wir finden bei ihm vorzugsweise jene Eigenschaften, die mit einem kühnen, der sozialen Stellung sich bewußten Charakter verknüpft sind: eine ungemessene Leidenschaftlichkeit, von der das sogen. Amucklaufen (s. d.) zeugt, ein beinahe krankhaftes Ehrgefühl, eine bis zur Tollkühnheit gesteigerte Todesverachtung, dabei aber auch eine gewisse Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Als kühne, unternehmende Seefahrer und Kaufleute waren sie dem Ackerbau wenig zugeneigt, doch ist die Kultur des Reises bei ihnen eine uralte. Da die M. ihre Felder von Leibeignen bebauen lassen, so ist die Sklaverei bei ihnen eine sehr alte Institution. Lieferten siegreiche Kriege nicht genug Sklaven, so waren es die Ärmern unter ihnen und besonders die in Schulden Verfallenen, welche ihre Person dem Gläubiger als Sklaven verpfänden mußten. Die politische Staatseinrichtung der M. hat einen aristokratischen Charakter. An der Spitze des Staats steht der Monarch mit dem Titel Radscha, Maharadscha, Dschang di Pertuan. Ihm zur Seite stehen die Großen des Reichs, die Oran Kaja. Sie verwalten die einzelnen Provinzen als Vasallen des Monarchen, dem sie ihren Tribut zusenden. Der Thronfolger heißt Radscha Muda („junger Herrscher“). Unter den Oran Kaja wählt der Fürst die höchsten Beamten des Reichs, welche Mantri heißen. Am reinsten zeigte sich malaiisches Wesen in dem großen Reich Menangkabau auf der Hochebene Agam (Sumatra), welches 1680 zerfiel, als Sultan Alif ohne direkte Erben starb. Politische Herren der M. sind die Holländer geworden, welche den Fürsten die Unabhängigkeit nahmen, aber weder Religion [141] noch Gesetze und Gebräuche des Landes antasteten. Als Handwerker sind die M. ausgezeichnet; besonders berühmt sind die Produkte der Weberei und Färberei, die Lederfabrikation, Tischlerei und Drechslerei, die Waffenfabrikation und Goldarbeiterkunst. Mit der Gewinnung und Bearbeitung des Eisens sind die M. seit langem bekannt, scheinen auch selbständig auf die Bereitung des Stahls gekommen zu sein. Ihre Schiffe (Prauen, Prahus) besitzen alle Eigenschaften vortrefflicher Segler. Als Handwaffen gelten ihnen der Klewang, ein fast meterlanges Schwert, und der Kris (Dolch). Schleuder und Blasrohr mit kleinen vergifteten Pfeilen sind durch die Flinte verdrängt worden. Unter den Verteidigungsmitteln sind die im Gras verborgenen zugespitzten Pflöcke zu nennen. Daß die M. geringe Neigung zum Ackerbau zeigen, wurde schon erwähnt; dagegen liegt ihnen das Seeräuberhandwerk tief im Blut. Seit Jahrhunderten waren sie zur See der Schrecken aller Nationen, und ihre schnell segelnden Prauen, die mit langen Kanonen (Lilas) bewaffnet waren, durchsegelten in ganzen Flotten den ostasiatischen Archipel, bis die holländischen Kriegsfahrzeuge ihnen allmählich das Handwerk legten, ohne indessen verhindern zu können, daß auch noch jetzt sporadisch der Seeraub vorkommt. Einfach und zweckmäßig, dem Klima entsprechend, sind die Wohnungen der M. Steinerne Gebäude kennen sie nicht; sie errichten ihre Behausungen aus Holz oder Bambus auf Pfählen, decken sie mit Atap (dem Laub der Nipapalme) und schmücken sie mit Matten aus. Eine Treppe führt von außen zur Plattform des Hauses hinauf; die Feuerstelle liegt außerhalb desselben. Mehrere Häuser bilden ein Dorf, das mit einer Erdmauer oder Palissaden umgeben wird und in der Mitte einen freien gepflasterten Platz für die Volksversammlungen hat. Der Raum unter der Hütte dient als Stall für das Kleinvieh. Nach dem geltenden Gesetz erwirbt der Malaie seine Frau durch Kauf, wofür er unumschränkter Herr derselben wird, so daß er sie wieder verkaufen und nach seinem Tod vererben kann. Diese Art der Heirat heißt Tschutschur. Ist aber der Bewerber arm, und will er doch eine Frau besitzen, so heiratet er nach der Methode Ampel anak, d. h. er tritt als Sklave bei seinen Schwiegereltern ein und erhält dafür eine Frau. Die von den Holländern zu Recht belassenen Gesetze (adat) sind teils dem Koran entnommen, teils sind sie Überreste altmalaiischer und indischer Rechtsgebräuche. Diebstahl wird mit Geldbußen bestraft, auch die Todesstrafe kann durch Zahlung abgekauft werden. Im übrigen zeigen sich die M. als ein kriegerisches Volk, bei welchem selbst die Gesetzgebung den Gebrauch der Waffen und der Selbsthilfe begünstigt. Wer von jemand thätlich beleidigt wird, hat das Recht, mit seinem Gegner einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen; nach dem Adat gilt das Neffenerbrecht (Schwestersöhne erben statt der eignen Kinder). Zur Charakteristik der M. gehört noch die Erwähnung ihrer Spielwut. Außer dem Würfel- und Kartenspiel (mit chinesischen Karten) spielen sie gern Schach; alle kauen Betel. Malaiische Staaten von hervorragender Bedeutung existieren heute nicht mehr, sie befinden sich fast alle in größerer oder geringerer Abhängigkeit von den Engländern und Holländern. Noch unabhängig sind auf Sumatra Dehli und Siak, auf der Halbinsel Malakka Pahang, Dschohor und Negri Sembilan; unter britischem Protektorat stehen Perak, Salangor und Sunghei Udschong.