MKL1888:Malaiisch-polynesische Sprachen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Malaiisch-polynesische Sprachen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 142
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Malaiisch-polynesische Sprachen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 142. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Malaiisch-polynesische_Sprachen (Version vom 29.11.2023)

[142] Malaiisch-polynesische Sprachen. Sie bilden einen außerordentlich weitverzweigten Sprachstamm, der über die ganze Inselwelt des Stillen Ozeans verbreitet ist und von der Osterinsel im Stillen Ozean bis zur Insel Madagaskar in Ostafrika reicht. Er zerfällt nach Fr. Müller in die drei Gruppen der malaiischen, melanesischen und polynesischen Sprachen. Die malaiischen Sprachen (s. Malaien) herrschen auf der Halbinsel Malakka, auf Java, Borneo, Celebes, Sumatra, den Philippinen, Molukken, Marianen, Formosa und andern Inseln des Indischen Archipels und der Südsee sowie auf der Insel Madagaskar. An sie schließen sich im Osten die melanesischen Sprachen, die nach Fr. Müller von den Palauinseln (Westkarolinen) und dem Marshall-Archipel im Nordwesten bis zu den Neuen Hebriden und Viti (Fidschi) im Südosten reichen. Noch weiter östlich dehnen sich die polynesischen Sprachen in südnördlicher Richtung und zwar von Neuseeland bis nach Hawai aus. Ihre Verwandtschaftsverhältnisse veranschaulicht Whitmee, der beste lebende Kenner der polynesischen Sprachen, durch folgenden Stammbaum:

Grammatisch und nach ihrem Lautsystem betrachtet, bieten nach Fr. Müller die drei Gruppen dieses Sprachstammes das Bild einer aufsteigenden Entwickelung dar: die polynesischen „Partikelsprachen“ kennen die Laute g, d, b nicht, lassen alle Wörter auf einen Vokal ausgehen und drücken alle grammatischen Beziehungen nur durch lose angehängte Partikeln aus; die melanesischen Sprachen haben einschließlich einiger Doppelkonsonanten nur sechs oder sieben Konsonanten mehr, welche sie auch am Schluß der Wörter verwenden können, und besitzen angehängte Possessivpronomina; die malaiischen Sprachen haben einen reich entwickelten Konsonantismus und eine Menge Präfixe sowie einige Suffixe und Infixe zum Ausdruck grammatischer Beziehungen, obschon es ihnen, wie vielen niedriger organisierten Sprachen, an einem eigentlichen Verbalausdruck fehlt. Übrigens könnte man auch umgekehrt annehmen, daß die malaiischen Sprachen den ursprünglichen Typus darstellen, der in den laut- und formenärmern melanesischen und polynesischen Sprachen entartet wäre. Jedenfalls sind die Sprachen gerade wie der unverkennbar gemischte Rassentypus der Melanesier durch die Papua stark beeinflußt und alteriert worden. Einige der malaiischen Sprachen, namentlich das Malaiische im engern Sinn und das Javanische, haben einen starken Prozentsatz von Sanskritwörtern in sich aufgenommen. Ein paar dieser Wörter finden sich auch in der Sprache von Madagaskar und geben somit einen Anhalt für die Zeit der Verbreitung der Malaio-Polynesier nach Westen hin ab, da die Verpflanzung der indischen Kultur nach dem Indischen Archipel schwerlich früher gesetzt werden kann als in die ersten Jahrhunderte n. Chr. Alte Schriftsprachen, die entweder mit dem arabischen oder mit Ableitungen aus den alten indischen Alphabeten geschrieben werden, finden sich nur innerhalb der malaiischen Gruppe. Volksmärchen und Nationalgesänge der Polynesier sind neuerdings von Gill („Myths and songs from the Pacific“, mit Vorrede von Max Müller, Lond. 1876) gesammelt worden. Whitmee ist mit der Herausgabe eines vergleichenden Wörterbuchs der polynesischen Sprachen beschäftigt, auch besorgte er eine neue Ausgabe von Pratts „Samoan grammar“ (Lond. 1878). Vgl. W. v. Humboldt, Über die Kawisprache auf der Insel Java, Bd. 3 (Berl. 1838); v. d. Gabelentz, Die melanesischen Sprachen (in „Abhandlungen der Königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften“ 1860–73); Fr. Müller, Grundriß der Sprachwissenschaft, Bd. 2 (Wien 1879 ff.).