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MKL1888:Mittelländisches Meer

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mittelländisches Meer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 691692
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Mittelländisches Meer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 691–692. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mittell%C3%A4ndisches_Meer (Version vom 12.09.2024)

[691] Mittelländisches Meer (Mittelmeer; hierzu die Karte „Länder des Mittelmeers“), bei den Alten Mare internum, bei den spätern Latinisten Mare mediterraneum, das größte Binnenmeer der Alten Welt, welches Europa von Afrika trennt und im O. Asien bespült, und dessen Gesamtfläche bei einer Längenausdehnung von 3860 km und einer mittlern Breite von 670 km (breiteste Stelle zwischen Triest und der Großen Syrte 1665 km) zu 2,608,599 qkm (47,377 QM.) berechnet wird; davon entfallen auf die Inseln 105,046 qkm (1908 QM.). Das Meer steht im W. durch die Straße von Gibraltar mit dem Atlantischen Ozean, im O. durch den Hellespont mit dem Marmarameer und den (künstlich hergestellten) Kanal von Suez mit dem Indischen Ozean in Verbindung und zerfällt in ein größeres Ost- und ein kleineres Westbecken, welche durch die noch unbenannte Meerenge zwischen Sizilien und Afrika verbunden sind. In der westlichen Hälfte unterscheidet man wieder fünf untergeordnete Doppelbecken: das Balearisch-Iberische, das Gallisch-Sardinische, das Ligurisch-Tyrrhenische, das Adriatisch-Ionische, das Sizilische und das Syrtenbecken; in der Osthälfte (bei den Griechen und Türken im allgemeinen Weißes Meer genannt): das Ägeische Meer (Archipel) und das Wasserbecken zwischen Kleinasien und Ägypten, das als Levantisches Meer bezeichnet wird. Viel charakteristischer ist indessen die Scheidung des Mittelmeers in seine Nord- und Südseite, die durch eine von der Südwestspitze Kleinasiens über Kreta und Malta bis zur Straße von Gibraltar gezogene (im allgemeinen den 36. Breitengrad einhaltende) Linie geschieden werden. Während die Küsten der Südseite fast ungegliedert und buchtenarm erscheinen und als einzige bedeutende Insel nur Cypern im äußersten Osten zu nennen ist, zeigt die Nordseite eine so großartige Küstenentwickelung, eine so reiche Fülle von tief einschneidenden Meerbusen und Buchten, vorspringenden Halbinseln, größern und kleinern Inseln, wie sie sich in so kurzer Entfernung kaum anderswo wiederfindet. An dieser Mannigfaltigkeit nimmt die Westküste von Kleinasien einen hervorragenden Anteil. Die drei größten, fast geschlossenen Meere dieser nördlichen Hälfte sind: das Ägeische, das Adriatische und das Tyrrhenische oder Toscanische Meer; zwischen denselben liegen die beiden großen Halbinseln: die Balkanhalbinsel (Griechenland) und die Apenninenhalbinsel; von Inseln erheben sich drei große bei Griechenland: Negroponte, Kreta, Korfu, und drei noch größere bei Italien: Sizilien, Sardinien und Corsica, sowie außerdem eine fast unzählige Menge kleinerer Inseln, die bald in Gruppen (Kykladen, Balearen, Pithyusen etc.), bald isoliert (Thaso, Malta, Elba etc.) auftreten und sichere Stützpunkte für Handel und Verkehr darbieten. Endlich ist noch der sechs großen Meerbusen: des Golfe du Lion, der Busen von Genua, Tarent, Venedig, Lepanto und Salonichi, zu gedenken.

Die Tiefe des Mittelländischen Meers ist sehr verschieden, am bedeutendsten zwischen Kreta u. Alexandria (bis 3345 m) und zwischen Kreta und Sizilien (bis 3970 m, tiefster Punkt unter 32°35′ nördl. Br. und 18°40′ östl. L. v. Gr.); das Adriatische Meer hat ca. 200 m Tiefe, doch zwei Senkungen (bei der Insel Lissa bis 311 m und bei Brindisi bis 1033 m), der westliche Teil bei Sardinien zwischen Frankreich und Afrika (im S. der Balearen) bis 2887 m Tiefe; an der tunesischen Küste beträgt dieselbe kaum 200 m, noch seichter ist das Meer vor dem Nildelta. Der Zufluß zum Mittelmeer aus den umliegenden Erdteilen ist im Verhältnis zu seiner Ausdehnung gering. Es münden in dasselbe aus Europa (außer allerdings sehr zahlreichen Küstenflüssen) nur drei größere Ströme: Ebro, Rhône und Po, dazu drei mittlere: Etsch, Tiber und Maritza, während auf der ganzen afrikanischen und asiatischem Seite der Nil der einzige Zufluß von Bedeutung ist. Bei der geringen Wassermasse, welche diese Flüsse dem Mittelmeer zuführen, würde dasselbe infolge der starken Verdunstung, welcher es nach seiner Lage zwischen

[Ξ]

LÄNDER DES MITTELMEERS
Maßstab 1 : 10,000,000.
[Nebenkarten:]
NIL-DELTA UND SUES-KANAL Maßstab = 1 : 3,000,000.
DIE DARDANELLEN STRASSE Maßstab = 1 : 750,000.
MEERENGE VON GIBRALTAR Maßstab = 1 : 1,000,000.
MALTA Maßstab = 1 : 1,000,000.
BOSPORUS 1 : 750,000.
[Datumsangabe:] V. 88.

[692] 31 und 45° nördl. Br. und bei den anhaltenden heißen Südwinden ausgesetzt ist, an Umfang sehr bald unverhältnismäßig abnehmen, wenn nicht in der Meerenge von Gibraltar eine Zuströmung aus dem Atlantischen Ozean stattfände. In genannter Meerenge gewahrt man nämlich an der Oberfläche eine starke Strömung aus dem Ozean ins Mittelländische Meer, welche kaum vorübergehend durch anhaltende Ostwinde unterbrochen wird; daneben ist neuerdings durch englische Expeditionen festgestellt worden, daß ein unterseeischer Strom aus dem Mittelländischen Meer in den Ozean zurückgeht und so fast alles Salz demselben wieder zurückgibt, doch fehlt bei der mäßigen Tiefe der Meerenge (311 m) in den tiefern Wasserschichten des Mittelländischen Meers jede Bewegung. Deshalb hat sich in einer Tiefe von 322 m der im Wasser enthaltene Sauerstoff für lebende Wesen nicht mehr ausreichend gezeigt. Auch die Temperatur erscheint in dieser Tiefe um 10° C. höher als in den gleichen Schichten des Atlantischen Ozeans. Dieselbe Doppelströmung findet zwischen dem Mittelländischen Meer und dem Schwarzen Meer statt; während aus letzterm minder salzhaltiges Wasser an der Oberfläche ausfließt, ist in der Tiefe ein Rückfluß von Salzwasser aus dem Mittelländischen Meer beobachtet worden. Auf der starken Verdunstung beruht auch der starke Salzgehalt des Mittelländischen Meers, der 3,8 Proz. bei einem spezifischen Gewicht von 1,029 beträgt (sonstiges Mittel 3,5 Proz.), und die an der Oberfläche um 12/3° C. höhere Temperatur als im Ozean. Das Mittelländische Meer hat nur eine schwache Ebbe und Flut. Im Meerbusen von Venedig steigt die Flut bei Neumond u. Vollmond fast 1 m, in der Kleinen Syrte 2,5 m, während sie an den meisten andern Orten 1/3 m kaum überschreitet. Es ist kaum einem Zweifel unterworfen, daß einerseits Europa und Afrika bei Gibraltar und Sizilien einst fest zusammenhingen, wie sich dies aus der geologischen Formation der Bergketten des Atlas und Spaniens und deren Parallelismus schließen läßt, während anderseits bei Konstantinopel Europa mit Asien verbunden und das Schwarze Meer ein Binnensee war, der erst später sich dort einen Ausweg öffnete. Bei der Bildung des Meers zu seiner jetzigen Gestalt mögen wohl auch Erdbeben und vulkanische Explosionen mitgewirkt haben, wie denn noch heute das Becken desselben von Feuer unterwühlt ist (man denke an den vulkanischen Ausbruch auf Santorin 1866–70) und auch die Küsten zum Teil heftigen vulkanischen Erschütterungen ausgesetzt sind. An einigen Orten haben sie sich in historischen Zeiten mehr als einmal gesenkt und sind wieder emporgestiegen, wie dies bei den Ruinen des Serapistempels bei Puzzuoli sowie an den dalmatischen, sizilischen und sardinischen Küsten nachgewiesen werden kann. Hier sind große, noch in historischer Zeit blühende Städte vom Meer verschlungen worden, während dort berühmte Hafenplätze meilenweit vom Meeresufer entfernte Landstädte geworden sind (s. Ravenna). Unter den Fischen, welche das Mittelmeer bevölkern, herrschen die Lippfische (Labroiden) vor; auch schmackhafte Schollen und Barsche, große Thunfische, Sardinen und Sardellen u. a. gehören der reichen Fischfauna desselben (die über 400 Arten umfaßt) an. Weitere Bewohner des Meers sind zahlreiche Kopffüßer (darunter das Papierboot), Schnecken, Muscheln, Polypen (darunter die Edelkoralle, die der Gegenstand einer ausgedehnten Fischerei ist) und Badeschwämme. Der Pottwal erscheint nur selten, häufiger sind Delphine und Robben.

Das Mittelländische Meer wurde schon im frühen Altertum in Bezug auf Kultur u. Verkehr zum vermittelnden Gliede der drei Weltteile, die es physisch auseinander hält. Um seine Gestade entwickelte sich zuerst ein allgemeiner Völkerverkehr, an seinen Ufern spielte die Weltgeschichte zu den Zeiten der Juden, Phöniker, Karthager, der Küstenvölker Kleinasiens, vor allen aber der Griechen und Römer, und diese Bedeutung behielt es auch im Mittelalter (wo Venedig und Genua die große Rolle auf dem Meer spielten), bis die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien und der Neuen Welt den Völkerverkehr in neue Bahnen lenkte. In jüngster Zeit, besonders seit Eröffnung des Suezkanals, hat sich der Verkehr auf dem Mittelländischen Meer wieder bedeutend gehoben. Gegenwärtig berühren das Mittelländische Meer folgende Dampferlinien: Southampton-Aden, Brindisi-Bombay u. Jokohama, Marseille-Jokohama, Amsterdam-Batavia, Rotterdam-Java, Triest-Ceylon und Kalkutta, Genua-Bombay und Singapur, Hamburg-Schanghai, von Bremerhaven über Antwerpen und Suez nach Ostasien und Australien, von Triest nach Konstantinopel, Smyrna, Alexandria, von Brindisi nach Korfu, dem Piräeus, Konstantinopel, von Genua nach Alexandria, von Marseille nach Konstantinopel, Smyrna und Alexandria. Mehrere unterseeische Telegraphenkabel verbinden Spanien, Frankreich, Sizilien mit Algerien und Alexandria, ferner Griechenland und Kreta mit Kleinasien und der Türkei. Man schätzt die Zahl der Segel- und Dampfschiffe, die auf dem Mittelländischen Meer verkehren, auf 36,000 mit einem Gehalt von 2,830,000 Ton. und den Wert des durch sie vermittelten Handels auf 91/3 Milliarden Mk. Vgl. W. H. Smyth, The Mediterranean (Lond. 1854); Böttger, Das Mittelmeer (Leipz. 1859); H. Lange, Land- und Seekarte des Mittelländischen Meers (Triest 1859, 9 Blatt); Petermann, Karte des Mittelländischen Meers (8 Blatt, Gotha 1880).