MKL1888:Pantheïsmus
[657] Pantheïsmus (griech., von pan, das All, und theos, Gott) heißt im weitern Sinn im Gegensatz zu der dualistischen (theologischen) Weltansicht, welche Gott und Weltall (Schöpfer und Schöpfung) als verschieden betrachtet, die monistische Weltansicht, welche beide als eins ansieht. Im engern Sinn wird nur derjenige Monismus als P. bezeichnet, welcher Gott mit dem All, dagegen als Kosmotheismus derjenige, welcher das All mit Gott identifiziert. Derselbe ist zwar dem Theismus, der einen vom Weltall unterschiedenen Gott, aber auch dem Atheismus (s. d.), der eine „Welt ohne Gott“, und dem Akosmismus, der einen „Gott ohne Welt“ lehrt, entgegengesetzt. Weder behauptet der P. (wie der Nihilismus), daß weder ein Gott noch eine Welt, noch (wie der Atheismus), daß nur die Welt, noch (wie der Akosmismus), daß nur Gott sei, sondern vielmehr (wie der Theismus), daß sowohl Gott als die Welt (nur nicht, wie diesem zufolge, als unter sich verschieden, sondern als ein und dasselbe) seien. Der gegen denselben von seiten der Theologie häufig gerichtete Vorwurf, daß er atheistisch sei, ist daher nur in dem Sinn gerechtfertigt, daß er in der That keinen von der Welt unterschiedenen, keineswegs aber in dem Sinn, daß er überhaupt keinen Gott anerkennt. Richtiger, als ihn der „Gottlosigkeit“, wäre es, ihn der „Gotttrunkenheit“ zu beschuldigen, weil er im All allenthalben nur Gott gewahrt. Vanini, als „Atheist“ zum Feuertod verurteilt, hob an der Thür seines Kerkers einen Strohhalm auf und rief laut, daß dieser allein hinreichen würde, ihn von der Existenz Gottes in der Natur zu überzeugen. Da der P. nur das All, welches als solches nur Eins ist, nicht aber Teile des Alls mit Gott identifiziert, so ist er nicht mit dem Polytheismus (der Vielgötterei), da er Gott in der Natur erblickt, nicht aber diese zum Gott erhebt, nicht mit dem Naturalismus (der Naturvergötterung), weil er zwar Gott im All, aber nicht dieses in Gott erkennt, auch nicht mit dem Panentheismus K. Chr. F. Krauses (s. d.) zu verwechseln. Ebensowenig aber fällt, obgleich das mit Gott identische Weltall nur Eins sein kann, der P. mit dem Monotheismus (der Lehre von Einem Gott) zusammen, welcher entweder eine Welt außer Gott setzt (wie der Deismus und jüdisch-christliche Theismus), also dualistisch ist, oder eine solche ausschließt, d. h. die Welt außer Gott in eine bloße Scheinwelt verwandelt (wie der Idealismus der indischen Philosophie und die orientalisch-christliche Mystik), also Akosmismus ist. In der Geschichte der Philosophie ist der P. im Altertum in der indischen Wedantaphilosophie, welche die Welt als Emanation aus Brahma, und bei den Griechen in der eleatischen Schule, welche durch Xenophanes (s. d.) das „Eine, welches Alles ist“ (hen to pan), als Gott bezeichnete, hierauf in der neuplatonischen Schule, welche die orientalische Emanationslehre mit der Platonischen Ideenlehre verschmolz, aufgetreten. Während des Mittelalters zeigte sich der P. im Morgenland bei den islamitischen Arabern und Persern als Mystik der Sufis sowie bei den jüdisch-christlichen Gnostikern, im Abendland bei Scotus Erigena, den ketzerischen Sekten des Amalrich von Bena und David von Dinant und in der mystischen Theosophie des Meisters Eckart. In der philosophischen Übergangsepoche findet der P. in Bruno und Vanini phantasievolle, in der italienischen und deutschen Naturphilosophie des Bernardinus Telesius und Theophrastus Paracelsus phantastische Repräsentanten. In der neuern Philosophie stellt die Ethik Spinozas dessen reinsten und konsequentesten Ausdruck dar, von welchem alle nachherigen Formen desselben in der Schule des nachkantischen Idealismus (der P. der Schellingschen Naturphilosophie; der P. der Hegelschen Linken: Strauß, Feuerbach etc.) abhängen. Vgl. Jäsche, Der P. nach seinen Hauptformen; seinem Ursprung und Fortgang etc. (Berl. 1826–32, 3 Bde.); Weißenborn, Vorlesungen über P. und Theismus (Marb. 1859).