MKL1888:Peloponnēsischer Krieg

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Peloponnēsischer Krieg“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 12 (1888), Seite 817818
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Peloponnēsischer Krieg. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 817–818. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Peloponn%C4%93sischer_Krieg (Version vom 25.04.2023)

[817] Peloponnēsischer Krieg, der Entscheidungskampf zwischen Athen und Sparta über die Hegemonie (Herrschaft) in Griechenland 431–404 v. Chr. Lange hinausgeschoben durch die Mäßigung beider Teile, kam er endlich zum Ausbruch durch Korinth, das auf Athens Seemacht eifersüchtig und durch die Unterstützung seiner Kolonie Kerkyra, mit der es wegen Epidamnos in Streit geraten, in der Schlacht bei Sybota 432 sowie durch den gewaltsamen Angriff der Athener auf die korinthische Kolonie Potidäa gereizt war, und durch Megara, welches sich über Beschränkungen seines Handels durch Athen beschwerte; beide rissen die Spartaner und übrigen Peloponnesier 432 auf der Bundesversammlung in Sparta zu dem Beschluß fort, von Athen nicht bloß die Freigebung von Ägina und Potidäa, sondern auch die Wiederherstellung der Freiheit und Unabhängigkeit aller griechischen Staaten, d. h. die Auflösung des Seebundes, zu fordern und, als dies die Athener auf den Rat des Perikles ablehnten, den Krieg zu erklären. Sparta kämpfte dem Scheine nach für die Befreiung Griechenlands von der Herrschaft der Athener und fand daher auch außerhalb des Peloponnes an Megaris, Lokris, Böotien und Phokis Bundesgenossen; mit diesen konnte es eine Landmacht von 60,000 Hopliten aufstellen, war aber an Flotte und Geldmitteln schwach, und überdies wurde seine natürliche Unbeholfenheit und Langsamkeit noch durch die Bundesverfassung gesteigert. Athen gebot über die gesamten Streitmittel der zahlreichen Staaten seines Seebundes, konnte eine Flotte von 300 Schiffen und ein Heer von 30,000 Hopliten aufbringen, hatte 6000 Talente im Schatz und 2000 Talente jährliche Einkünfte, stand unter der weisen und thatkräftigen Leitung eines Perikles und konnte daher wohl auf Sieg rechnen, der die Einigung Griechenlands unter seiner Hegemonie bedeutet hätte. Der Krieg begann mit dem verunglückten nächtlichen Angriff der Thebaner auf Platää, worauf das peloponnesische Heer unter König Archidamos in Attika einfiel. Diese Einfälle wurden 430, 428, 427 und 425 wiederholt, aber ohne wesentlichen Erfolg, da die Athener auf Rat des Perikles das flache Land räumten, sich hinter ihre langen Mauern zurückzogen und sich durch Verwüstung von Megaris und der Küsten des Peloponnes sowie durch Vertreibung der Ägineten rächten. Aber 430 brach in dem übervölkerten Athen die Pest aus, welche auch 429 fortdauerte, 5000 Hopliten, dann auch Perikles selbst wegraffte und die Bande der Sitte und Ordnung im Volk löste. Zwar wurde Potidäa 429 erobert, und Phormion kämpfte glücklich in den westlichen Meeren; aber schon war der Staatsschatz der Athener erschöpft, und sie sahen sich genötigt, sich selbst mit einer Vermögenssteuer zu belasten und die Bundesgenossen härter zu bedrücken, um die neuen Rüstungen zu bestreiten. Die entschiedene Überlegenheit des von keinem hervorragenden Staatsmann, sondern von ehrgeizigen, selbstsüchtigen oder leichtsinnigen Parteiführern geleiteten athenischen Staats war verloren, und der Krieg nahm bereits den unentschiedenen, wechselvollen Charakter an, infolge dessen beide Teile ihre Kräfte aufrieben, Haß und Erbitterung zu furchtbaren Blutthaten gesteigert wurden und die Parteileidenschaften Nationalgefühl und Vaterlandsliebe erstickten. 428 fiel der erste der athenischen Bundesgenossen, Lesbos, ab und ward erst 427 von Paches wieder unterworfen und grausam gezüchtigt, indem 1000 vornehme Mytilenäer hingerichtet wurden, während die Peloponnesier 427 Platää eroberten und völlig verwüsteten. 425 gelang dem Athener Demosthenes die Besetzung von Pylos in Messenien, das er gegen die peloponnesische Flotte siegreich behauptete; die Erschließung von 420 Spartanern auf der Insel Sphakteria bewog Sparta zu Friedensanträgen, welche aber von Athen auf den Rat des Demagogen Kleon abgewiesen wurden. Zwar eroberte Kleon Sphakteria und nahm 120 Spartiaten gefangen, die als Geiseln festgehalten wurden, um neue Einfälle in Attika zu verhindern, und Nikias besetzte 424 Kythera und Thyrea; aber sein Angriff auf Megara ward durch Brasidas vereitelt, und der Versuch der Athener, die Hegemonie über Böotien zu gewinnen, endete mit ihrer Niederlage bei Delion. Brasidas zog hierauf mit einem spartanischen Heer nach Makedonien und brachte hier zahlreiche mit Athen verbündete Städte zum Abfall. Als er indes zugleich mit Kleon 422 bei Amphipolis fiel, kam auf Betreiben der gemäßigten Männer in beiden Staaten 421 ein 50jähriger Friede (Friede des Nikias) sowie ein Bündnis zwischen Athen und Sparta zu stande, wodurch die Herstellung des Status quo ante bellum festgesetzt und der sogen. Archidamische Krieg (431–421) beendigt wurde. Athen behielt also seine Seeherrschaft, Sparta die Führung zu Lande.

Sparta verfeindete sich jedoch durch diesen Frieden mit seinen bisherigen Bundesgenossen, namentlich Korinth, welche den Krieg unternommen hatten, um Athen zu vernichten, und es bildete sich zwischen Korinth, Argos, Elis und Mantineia ein Peloponnesischer Bund, den Alkibiades, der inzwischen in Athen den meisten Einfluß gewonnen, sofort zur Vernichtung der spartanischen Macht im Peloponnes benutzen wollte. Dieser Versuch scheiterte an der Niederlage der Verbündeten bei Mantineia 418. Von unruhigem Ehrgeiz getrieben, betrieb Alkibiades die Ausbreitung der athenischen Seeherrschaft. 416 ward das dorische Melos, weil es seine Neutralität aufzugeben sich weigerte, grausam vernichtet und 415 beschlossen, den Egestäern in Sizilien gegen die korinthische Pflanzstadt Syrakus zu Hilfe zu kommen. Von dieser sizilischen Expedition (415–413) versprach sich die durch die Demagogen erhitzte Phantasie der Athener die großartigsten Erfolge, und mit ungeheuern Kosten wurde ein auserlesenes Hoplitenheer und eine vortreffliche Flotte ausgerüstet und unter dem Oberbefehl des Nikias, Lamachos und Alkibiades nach Sizilien geschickt. Die Abberufung des letztern, [818] welcher durch die Ränke seiner Gegner in den Hermokopidenprozeß verwickelt und auf Leben und Tod angeklagt wurde, lähmte den Unternehmungsgeist des athenischen Heers, welches überdies in Italien und Sizilien wenig Beistand fand. Nach glücklichen Anfängen stockte die Belagerung von Syrakus; die Verteidiger sammelten ihre Kräfte, stellten sich den Athenern auch zur See entgegen und errangen 413 über die athenische Flotte, obwohl sie durch 70 Schiffe unter Demosthenes verstärkt worden war, entscheidende Siege, welche die Athener zum Rückzug zu Lande zwangen, auf dem ihr Heer 413 am Assinaros gänzlich zu Grunde ging.

Hiermit war Athens Kraft gebrochen, seine Hilfsquellen fast erschöpft und seine Autorität über den Seebund erschüttert. Und nun veranlaßte Alkibiades, der schon durch die von ihm angeratene Unterstützung von Syrakus durch die Spartaner den Athenern großen Schaden zugefügt hatte, Sparta auch zum Wiederbeginn des offenen Kriegs durch die plötzliche Besetzung von Dekeleia in Attika und zur Errichtung einer Seemacht mit persischer Hilfe (Dekeleischer Krieg 413–404). Die Athener nahmen zwar den Kampf mannhaft auf, wurden aber durch die Verwüstung Attikas, den Abfall Euböas und vieler asiatischer Bundesgenossen daran gehindert, ihre Kräfte wieder zu sammeln, und rieben sich überdies durch innern Zwiespalt auf, der, ebenfalls von Alkibiades genährt, um seine Zurückberufung zu erlangen, 411 sogar zum Umsturz der Solonischen Verfassung und zur Einsetzung einer Oligarchie des Rats der Vierhundert, die aber nur drei Monate bestand, führte. Eine günstige Wendung für Athen schien einzutreten, als Alkibiades, von der Flotte bei Samos zurückgerufen, die Perser von kräftiger Unterstützung der spartanischen Flotte abhielt, diese bei Abydos und bei Kyzikos 410 besiegte, die Städte an der Propontis wiedereroberte und 408 in Athen selbst zum Oberfeldherrn mit unbeschränkter Vollmacht ernannt wurde. Jedoch der jüngere Kyros, welcher inzwischen die Statthalterschaft von Kleinasien übernommen, leistete jetzt den Peloponnesiern wirksame Hilfe; sie verstärkten ihre Flotte in Ionien und stellten sie unter die Oberleitung des Lysandros, welcher den Seekrieg mit überlegenem Geschick führte und durch rücksichtslose Unterstützung der oligarchischen Parteien in allen Städten der spartanischen Politik dauernden Halt verlieh. In Athen aber verhinderten die gewissenlosen Parteiführer, namentlich die Oligarchen, den Abschluß eines günstigen Friedens, benutzten 407 das Mißgeschick des Unterfeldherrn des Alkibiades bei Notion, um diesen selbst zu stürzen, und bewirkten 406 die Verurteilung der Feldherren, welche bei den Arginusen gesiegt hatten, und von denen sechs hingerichtet wurden, weil sie des Sturms wegen die Leichen nicht gesammelt hatten. Lysandros vernichtete darauf die letzte athenische Flotte 405 bei Ägospotamoi und erzwang, unterstützt von den verräterischen Oligarchen, im Frühjahr 404 die bedingungslose Übergabe der Stadt Athen, welche dem von Korinth und Theben geforderten völligen Untergang entging, aber sich den von den Spartanern diktierten Friedensbedingungen, Niederreißung der langen Mauern, Auslieferung der Flotte, Verzicht auf jede Herrschaft außerhalb Attikas und Unterordnung unter den Peloponnesischen Bund, unterwerfen mußte. Das Ergebnis des 27jährigen Kriegs war also der Sturz der athenischen Macht, aber ohne daß das siegreiche Sparta den Zweck des Kriegs, die Unabhängigkeit der griechischen Staaten, ehrlich und entschieden ins Werk gesetzt hätte oder im stande gewesen wäre, seinerseits Griechenland unter seiner Herrschaft zu einigen. Durch die Vernichtung des geistigen Mittelpunkts des griechischen Volkes, Athens, als politischer Macht, durch die Steigerung des Hasses und der Eifersucht zwischen den Staaten von Hellas war eine politische Einheit desselben unmöglich gemacht und damit sowie durch die Schwächung der Kraft des Volkes und durch die Bündnisse mit fremden Mächten auch seine Freiheit aufs höchste gefährdet worden. Die ausgezeichnete Geschichte des Kriegs von dem Zeitgenossen Thukydides (s. d.) aus Athen reicht bloß bis 411; der Rest ist in Xenophons „Hellenika“ beschrieben. Vgl. Gilbert, Beiträge zur innern Geschichte Athens im Zeitalter des Peloponnesischen Kriegs (Leipz. 1877).