MKL1888:Pythagŏras

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Pythagŏras“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 488489
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Pythagŏras. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 488–489. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Pythag%C5%8Fras (Version vom 20.12.2022)

[488] Pythagŏras, 1) griech. Philosoph, angeblich der Urheber der Gewohnheit, den Namen eines Weisen (Sophos) mit dem eines Freundes der Weisheit (Philosophos) zu vertauschen, soll der Sohn des Mnesarchos gewesen und etwa um 582 v. Chr. geboren sein. Der Geburtsort ist nicht mehr sicher zu ermitteln. Seit 529 war der Schauplatz seiner Thätigkeit Kroton in Unteritalien, wo er eine religiös-politische Gesellschaft stiftete. Einige nennen ihn einen Schüler des Pherekydes und des Anaximander. Bedeutenden Anteil an seinen Ideen und Bestrebungen scheint eine Reise nach Ägypten und der Verkehr mit den dortigen Priestern gehabt zu haben. Durch politische Verfolgungen von seiten der demokratischen Partei genötigt, soll er Kroton nach 20jähriger Wirksamkeit verlassen, mit Metapont vertauscht und dort noch ein sehr hohes Alter erreicht haben. Da er selbst nichts geschrieben hat, so sind wir auf die zweifelhaften Fragmente seines bedeutendsten Schülers, des Philolaos, eines Zeitgenossen des Sokrates, und auf die gelegentlichen Erwähnungen seiner Lehre bei Platon und Aristoteles sowie einigen der nächsten Schriftsteller angewiesen. Die spätere Zeit und besonders der Neuplatonismus und Neupythagoreismus haben die Persönlichkeit des P. sowie seinen Bund mit einem Sagenkreis umgeben, in welchem sich die abenteuerlichsten Erdichtungen und Märchen vorfinden. Auf diese Weise ist P. zu einer mythischen Figur geworden, und die wirklich historischen Zeugnisse aus der ältern Zeit geben äußerst spärliche und sehr variierende Auskunft. Auf P. selbst wird die Lehre von der Seelenwanderung, die mathematische Zahlenphilosophie und die asketische Haltung der Moral des fast klösterlich zu nennenden Zusammenlebens von Mitgliedern des von ihm gestifteten (Pythagoreischen) Bundes sowie die Entdeckung des folgenreichen Lehrsatzes über die Gleichheit der Summe der Kathetenquadrate und des Hypotenusenquadrats zurückgeführt. Ebenso gehören das Monochord und die Bestimmung der einfachen Zahlenverhältnisse, welche rücksichtlich der Länge der Saiten für die Entstehung der Harmonie maßgebend sind, dem ältesten Pythagoreismus an. Die astronomischen Ideen der Pythagoreer waren ursprünglich sehr unvollkommen, aber doch allem Zeitgenössischen weit voraus, obgleich die [489] von ihnen gelehrte Bewegung der Erde um das Zentralfeuer nicht mit der Bewegung um die Sonne zu verwechseln ist. Eine eigentümliche Erdichtung war die Gegenerde (Antichthon), durch welche die Zahl der Weltkörper auf die für heilig gehaltene Zehnzahl gebracht werden sollte. Die Annahme einer Sphärenharmonie wurde auf die Abstände der Himmelskörper gegründet und später phantastisch ausgeschmückt. P. allein sollte diese Harmonie haben wahrnehmen können. Überhaupt wurde die Persönlichkeit des P. schon bei seinen Lebzeiten ein Gegenstand außerordentlicher Verehrung. Der Umstand, daß „er selbst etwas gesagt“ (autos epha), diente als Beweismittel. Als Kern der theoretischen Lehre des P. gilt der Satz, daß „das Wesen der Dinge Zahlen seien“. Derselbe rührt vielleicht daher, daß das Wesen der harmonischen Tonintervalle, deren Entdecker P. sein soll, wirklich in Zahlenverhältnissen (der ersten ganzen Zahlen der Zahlenreihen) besteht und dieselben Verhältnisse sich zwischen den Abständen der Weltkörper untereinander und vom Zentralfeuer als dem Mittelpunkt des Weltalls der Behauptung der Pythagoreer nach wiederfinden sollten, daher sie die Welt eine „Harmonie der Sphären“ nannten. Machten aber einmal Zahlen das Wesen der Dinge aus, so lag es nahe, die Eigenschaften der erstern auch auf diese zu übertragen und z. B. darin, daß jede beliebige Zahl, mit Ausnahme der Eins (Monas), die selbst ungerade, und der Zwei (Dyas), die selbst gerade ist, aus einer ungeraden und einer geraden bestehend vorgestellt werden kann, eine Veranlassung zu finden, auch jedes beliebige Ding als bestehend aus zwei Elementen zu denken, deren eins (das Begrenzende, Form) dem Ungeraden, das andre (das Begrenzte, Stoff) dem Geraden (in der Zahl) entsprechen sollte. Wirklich genossen gewisse Zahlen: die Eins (Monas), die Zwei (Dyas), die Drei (Trias) als Summen der Monas und Dyas, die Vier als verdoppelte Dyas, vor allen aber die Zehnzahl (Tetraktys) als Summe der vier ersten Zahlen, welche zugleich die Anzahl der Weltkörper war, bei der Schule des P. besondere Verehrung, welche im Verlauf zu willkürlicher Spielerei und mystischer Symbolik ausartete. Die Ethik der Pythagoreer war Asketik und hatte durch die Übung des Schweigens, welches den Novizen des Bundes zur Pflicht gemacht wurde, sowie die Vorschriften über die Enthaltung von gewissen Speisen etwas Mönchisches. Von dem Verhältnis, welches zwischen Seele und Leib stattfinden soll, hegten die Pythagoreer eine pessimistische und an uralte Religionsideen erinnernde Vorstellung. Sie nahmen an, daß die Seele durch den Leib beschränkt und gefesselt werde. Hiermit hängt ihre Lehre von der Metempsychose (Seelenwanderung) zusammen, die sie jedoch nicht erfunden, sondern aus dem Orient überkommen zu haben scheinen. Politisch vertrat P. die Aristokratie, und die Pythagoreer sollen etwa ein Jahrhundert nach dem ersten Auftreten des P. in Kroton einer demokratischen Verfolgung in großer Anzahl zum Opfer gefallen sein. Es wird erzählt, daß eine zahlreiche Versammlung derselben in dem früher dem Athleten Milon zugehörigen Haus durch die Umzingelung und Anzündung des letztern vernichtet worden sei. Doch findet man auch noch später in andern Städten Spuren einer Herrschaft der Pythagoreischen Partei. P. selbst ist mindestens in demselben Maß ein politisch-religiöser Sektenstifter wie ein Forscher und Philosoph gewesen. Über die Art seines Endes fehlen sichere Nachrichten; jedoch ist die Ansicht, daß auch er in der erwähnten Verfolgung umgekommen sei, unhistorisch. Vgl. Böckh, Philolaos’ des Pythagoreers Lehren nebst den Bruchstücken seines Werkes (Berl. 1819); Ritter, Geschichte der Pythagoreischen Philosophie (Hamb. 1826); Gladisch, Die alten Schinesen und die Pythagoreer (Posen. 1841); Röth, Geschichte der abendländischen Philosophie, Bd. 2 (2. Aufl., Heidelb. 1862); Schaarschmidt, Die angebliche Schriftstellerei des Philolaos (Bonn 1864); Rothenbücher, Das System der Pythagoreer (Berl. 1867); Chaignet, Pythagore et la philosophie pythagorienne (Par. 1873).

2) Griech. Erzgießer, aus Rhegion auf Samos gebürtig, lebte um 470 v. Chr. und war ausgezeichnet durch die rhythmische Gliederung seiner zum Teil in schwierigsten Stellungen aufgefaßten Statuen. Er bildete auch zuerst das feinere Detail des Körpers, wie Haare, Adern und Sehnen, sorgfältiger durch. Von ihm wird besonders ein Bronzebild[WS 1] des hinkenden Philoktet hochgepriesen, ferner ein Apoll im Drachenkampf, eine Gruppe der miteinander kämpfenden Brüder Eteokles und Polyneikes, ein Perseus die Medusa tötend. Die meisten seiner Werke sind jedoch Statuen von Siegern in den Wettspielen zu Delphi und Olympia gewesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eine Bronzebild