MKL1888:Römisches Recht
[930] Römisches Recht. In dem ältesten römischen Recht ist das Privatrecht mit dem öffentlichen auf das engste verbunden und steht mit diesem unter religiöser Weihe; die Priester sind nach der Überlieferung zugleich Kenner und Bewahrer des Rechts und Richter in Privatrechtsstreitigkeiten, deren Verhandlung mit Beobachtung religiöser Vorschriften mannigfach zusammenhängt. Die Rechtsbildung erfolgte auf dem Weg der Gewohnheit. Die Leges regiae, welche noch die Zeitgenossen des Pomponius im 2. Jahrh. n. Chr. citierten, sind von den Priestern gesammelte gewohnheitsrechtliche und priesterliche Satzungen, die man auf die Könige zurückführte. Das erste umfassende Werk der Rechtsgesetzgebung waren die sogen. zwölf Tafeln, eine kurze, aber vollständige Zusammenstellung des ganzen geltenden Rechts, welche dazu mit Vollgewalt bekleidete Dezemvirn auf Andringen der Plebejer (451 v. Chr.) verabfaßten, um der Willkür und Rechtsunsicherheit ein Ende zu machen, die aus der Handhabung lediglich gewohnheitsrechtlicher Normen durch patrizische Konsuln und Priester notwendig sich ergeben hatten (s. Zwölf Tafeln). Im weitern Verlauf der zweiten Periode (bis zum Untergang der Republik) wurde das streng nationale, dem römischen Volk eigentümliche Recht (jus civile) teils durch Gesetze, teils durch Gewohnheitsrecht, welches die Juristen an die zwölf Tafeln durch ihre Interpretation derselben anzuknüpfen suchten, fortgebildet. Daneben eröffnet sich in den Edikten der Magistrate, besonders der Prätoren, eine neue Rechtsquelle (jus honorarium), durch welche das altherkömmliche starre Recht den Bedürfnissen der Zeit gemäß fortgebildet, aber auch neues Recht geschaffen wurde. Die Gesetzgebung ward teils vom ganzen Volk in den Centuriatkomitien, teils seit der Lex Hortensia (286 v. Chr., 468 d. St.) von der Plebs in den Tributkomitien geübt. Der Senat erlangte zwar gegen Ende dieser Periode eine der Gesetzgebung analoge Gewalt, wandte sie aber auf dem Gebiet des Privatrechts nur selten an. Die Fortbildung des Rechts durch Auslegung der Gesetze [931] und Fixierung des Gewohnheitsrechts fiel den Juristen zu. Ihre Thätigkeit war, obwohl gegen das Ende dieser Periode einige als Schriftsteller auftraten, nicht wissenschaftlicher, sondern rein praktischer Art. Sie bestand in schriftlicher Abfassung von Rechtsgeschäften, in der Belehrung der Parteien und in deren Unterstützung vor Gericht. Hauptsächlich aber wurde eine neuen Bedürfnissen entsprechende und doch stetige Fortbildung des Rechts durch die Edikte der Prätoren erzielt, welche, an sich nur auf das Amtsjahr des Prätors gültig, insoweit sich ihre Bestimmungen bewährt hatten, von dem Amtsnachfolger wiederholt wurden und so zuletzt eine ausgedehnte, in der Hauptsache unveränderliche Sammlung von Rechtssätzen bildeten. In den Edikten wurden im Gegensatz zu den nationalen (jus Quiritium) die allgemeinen Rechtsideen (naturalis ratio, jus gentium), welche der Ausbreitung des Verkehrs zwischen römischen Bürgern u. Nichtrömern ihre Entstehung verdankten, zur Anerkennung u. formellen Geltung gebracht.
In der dritten Periode, bis auf Konstantin d. Gr., bestehen anfangs die republikanischen Einrichtungen dem Scheine nach fort; daher werden noch Gesetze, Senatsschlüsse und Edikte des Prätors erlassen. Indessen wurde das Edikt unter Hadrian (132 n. Chr.) von dem Prätor Salvius Julianus neu redigiert und damit im wesentlichen abgeschlossen, und die jetzt zahlreichern und bedeutungsvollern Senatsschlüsse waren bald nur die Form, um den Willen des Alleinherrschers zur Geltung zu bringen. Daneben erlangten die Anordnungen des Princeps in ihren verschiedenen Formen (edicta, mandata, decreta, rescripta) Gesetzeskraft und wurden, nachdem auch die Form des Staats monarchisch geworden, die alleinige Quelle der Gesetzgebung. Die bedeutungsvollste Fortbildung erfuhr aber das Recht durch die Juristen. Weniger als heutzutage mit einem schwerfälligen gelehrten Apparat überladen, durch die Sitte, überall ihres Rats sich zu bedienen, in steter praktischer Thätigkeit erhalten und, da das Richteramt noch eine gemeine bürgerliche Pflicht, das Geschäft des eigentlichen Sachwalters aber den Anfängern überlassen war, von mechanischen Arbeiten frei, schufen die römischen Juristen eine Rechtswissenschaft, welche als mustergültig angesehen werden konnte und den eigentlichen Wert des römischen Rechts für die Geschichte begründet hat. Sie haben es gleichmäßig verstanden, die Rechtssätze sowohl bis in die letzten Konsequenzen streng durchzuführen und gleichsam mit ihren „Begriffen zu rechnen“, als auch die kleinsten thatsächlichen Umstände bei der Behandlung eines Rechtsfalles zu berücksichtigen, den Anforderungen des praktischen Lebens gerecht zu werden und ihren Gedanken den schärfsten und passendsten Ausdruck zu geben. Wesentlich verstärkt wurde der Einfluß der Juristen dadurch, daß die ausgezeichnetsten unter ihnen das Recht erhielten, ex auctoritate principis Rechtsgutachten (responsa) zu erteilen, welche, wenn sie übereinstimmten, von dem Richter befolgt werden mußten. Die Schriften der römischen Juristen waren sehr zahlreich und mannigfaltig; erhalten sind davon außer den Exzerpten, welche die Pandekten bilden, besonders die Institutionen des Gajus (s. d.) und Bruchstücke aus den Schriften Ulpians und Paulus’. Die namhaftesten Juristen waren, außer Labeo und Capito, den Stiftern der sogen. Schulen der Proculianer und Sabinianer, Sabinus, Julianus, Gajus, Ämilius Papinianus, Ulpianus, J. Paulus, Modestinus. Vgl. Huschke, Jurisprudentiae antejustinianae quae supersunt (5. Aufl., Leipz. 1886).
In der vierten Periode, bis zu Justinian (550 n. Chr.), ist das Übergewicht Roms und Italiens völlig verschwunden. Mit dem Untergang der römischen Volkstümlichkeit in dem weiten Weltreich erstarb auch die Wissenschaft des Rechts. Man beschränkte sich auf Kompilationen aus den Schriften der frühern Zeit, auf Auswendiglernen der Rechtsregeln in den Rechtsschulen und auf deren gedankenlose Anwendung in den Gerichten. Ohne jede Prüfung folgte man blindlings der Autorität der Juristen der vorigen Periode. Das sogen. Citiergesetz Kaiser Valentinians III. (426) erkennt geradezu den Grundsatz an, die juristischen Schriften wie Gesetze aufzufassen, und verweist den Richter bei abweichenden Ansichten an die Mehrheit der Stimmen. Das Volk ist von jeder Beteiligung an der Bildung des Rechts wie von dessen Anwendung ausgeschlossen. Letztere liegt allein in den Händen der kaiserlichen Beamten, und die kaiserlichen Konstitutionen bilden die einzige Rechtsquelle. Durch Justinian endlich ward das geltende Recht kodifiziert. Nachdem nach dem Vorausgang einiger Privatarbeiten schon Theodosius II. 438 eine offizielle Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen veranstaltet hatte (Codex Theodosianus), ließ Justinian 528–534 eine gleiche Sammlung der noch gültigen Konstitutionen (Codex), eine Zusammenstellung von Exzerpten aus den bedeutendsten juristischen Schriften (Digesta, Pandectae) sowie ein kurzes Lehrbuch des Rechts (Institutiones) nach dem Muster desjenigen des Gajus bearbeiten und versah das Ganze mit Gesetzeskraft, indem er zugleich alle in diese Arbeiten nicht aufgenommenen ältern Bestimmungen außer Kraft setzte. Diese drei Arbeiten bilden mit den spätern Gesetzen Justinians (Novellae) das „Corpus juris civilis“, in welcher Gestalt das römische Recht auf die Gegenwart gekommen ist. Das Gesetzeswerk Justinians umfaßt das ganze Rechtsgebiet, das Staats-, Kirchen-, Straf- und Prozeßrecht sowie das Privatrecht. Dasselbe ist jedoch weniger ein Gesetzbuch nach dem Begriff der Neuzeit als eine Sammlung von Materialien für ein solches oder für ein Lehrbuch des Rechts. Aber gerade in seiner eigentümlichen Zusammensetzung liegt sein großer Wert, indem es die rechtswissenschaftlichen Leistungen der römischen Juristen, man darf wohl annehmen, in ihrem bedeutungsvollsten Teil in sich aufgenommen und der Nachwelt erhalten hat und die geschichtliche Entwickelung des Rechts bei einem Volk zu verfolgen erlaubt, welches für dessen Ausbildung in hohem Maß befähigt war. Mit Justinians „Corpus juris“ ist das römische Recht als nationales Recht abgeschlossen; indes fand in Byzanz, abgesehen von einzelnen Konstitutionen späterer Kaiser, unter Basilius Macedo und dessen Sohn Leo VI. eine Umarbeitung dieses Rechtsbuches in griechischer Sprache statt, welche unter dem Namen Basiliken (Imperatoriae Constitutiones) erhalten ist.
In den germanischen Staaten, welche aus den Trümmern des weströmischen Reichs sich erhoben, blieb das römische Recht für die eingebornen Provinzialen fortwährend in Geltung. Wegen der Unmöglichkeit, dasselbe in seinem ganzen Umfang zu beherrschen, veranstalteten die germanischen Fürsten kurze Zusammenstellungen, in welchen einige Bruchstücke kaiserlicher Konstitutionen und juristischer Schriften erhalten sind. Zu diesen Zusammenstellungen gehören das „Edictum Theodorici“ für das ostgotische Reich (um 500), die „Lex Romana Visigothorum“ oder das „Breviarium Alaricianum“ (506) und die „Lex Romana Burgundionum“ (517–524). In Italien publizierte Justinian nach dem Sturz des ostgotischen [932] Reichs seine Gesetzsammlung außer den Novellen, und dieselbe kam dort, wie der sogen. „Brachylogus“ und einige andre Schriften aus dem 9., 10. und 11. Jahrh. zeigen, nie ganz in Vergessenheit. Vgl. Fitting, Juristische Schriften des frühern Mittelalters (Halle 1876). Gewissermaßen eine Neubelebung erfuhr aber das römische Recht, als dasselbe seit dem 12. Jahrh., nachdem man vollständige Handschriften des „Corpus juris“ wieder aufgefunden, auf der Rechtsschule zu Bologna von Irnerius und seinen Schülern, den sogen. Glossatoren, zum Gegenstand ihrer Vorlesungen gemacht wurde (s. Glosse). Vgl. Fitting, Die Anfänge der Rechtsschule zu Bologna (Berl. 1888). Die Glossatoren beschränkten sich zwar auf eine fortlaufende Erklärung (Glosse) des Textes des „Corpus juris“; allein ihre Thätigkeit ermöglichte es erst, über den ausgedehnten Stoff Übersicht und Herrschaft zu gewinnen, und ihre Erklärungen, welche Accursius in der sogen. „Glossa ordinaria“ zusammenstellte, sind noch jetzt von wissenschaftlichem und praktischem Wert.
Als das wissenschaftlich ausgebildete Recht eines hochgebildeten Volkes kam das römische Recht den Anforderungen entgegen, welche von der gestiegenen Kultur, dem entwickeltern Verkehr und von der neuerwachten wissenschaftlichen Regung an das Recht gestellt wurden, von den national-germanischen Rechten aber, unausgebildet wie sie waren, nicht befriedigt werden konnten. Aus allen gesitteten Ländern Europas strömten daher zahlreiche Schüler zu den berühmten italienischen Rechtslehrern und brachten die dort erlangte Rechtskenntnis zurück in ihre Heimat. Wie dem Mittelalter die Lehren des Aristoteles für untrüglich galten, und wie man die römische und griechische Kunst u. Litteratur als mustergültig, „klassisch“, ansah, so erschien das römische Recht als das schlechthin vernünftige Recht, als „geschriebene Vernunft“ (raison écrite) und erlangte deshalb wenn nicht gesetzliche Kraft, doch verbreitete Anwendung; dies wurde noch dadurch befördert, daß die Geistlichkeit überall nach römischem Recht lebte und dasselbe in ihren damals mit so ausgedehnter Zuständigkeit ausgestatteten Gerichten mit denjenigen Modifikationen zur Anwendung brachte, welche das kanonische Recht teils aus kirchlichen Rücksichten, teils um den Bedürfnissen der Zeit Rechnung zu tragen, vorgenommen hatte. An der Bearbeitung des römischen Rechts haben daher, außer England und Skandinavien, wo es am wenigsten Fuß faßte, alle europäischen Kulturvölker der Reihe nach einen hervorragenden Anteil genommen. Die Postglossatoren (Odofredus, Bartolus, gest. 1357, Baldus, gest. 1400, u. a.), welche in weitschweifigen Kommentaren die Scholastik auch in der Jurisprudenz zur Geltung brachten, durch Modernisierung aber und Einflechtung des neuen Gewohnheitsrechts die Anwendbarkeit des römischen Rechts beförderten, gehören meist noch Italien an. Die französische Schule, in welcher Cujacius als scharfsinniger Exeget, Donellus (gest. 1591) als Systematiker hervorragen, suchte, unterstützt von den fortgeschrittenen humanistischen Studien und durch neu aufgefundene Quellen des ältern römischen wie des byzantinischen Rechts, mit Glück das römische Recht frei von neuerer Zuthat zu erfassen, in seinen Geist einzudringen und es zu rekonstruieren. Der französischen Schule folgte, im ganzen die gleiche Bahn, jedoch mit geringerm Erfolg einschlagend und sich mehr ans einzelne haltend, im 17. und 18. Jahrh. die holländische Schule (Hugo Grotius, Schulting u. a.), welcher die gleichzeitigen Spanier (Perez, Suarez u. a.) sich anschlossen. In der zweiten Hälfte des 18. und im 19. Jahrh. bildet Deutschland den Mittelpunkt des Studiums des römischen Rechts. Hatte man im 17. Jahrh. sich bestrebt, das römische Recht den praktischen Bedürfnissen anzupassen, in welcher Richtung besonders Struve (gest. 1692), S. Stryk (gest. 1700), Schiller (gest. 1705) thätig waren, im Beginn des 18. Jahrh. aber auf Anregung des Thomasius eine strenge Scheidung der einzelnen juristischen Disziplinen eingeführt, so machte sich nunmehr wiederum das Streben geltend, das römische Recht selbst als solches, getrennt von dem deutschen, aus welchem man eine besondere Disziplin gebildet hatte, zu erforschen, zugleich aber es selbständiger zu erfassen und eine bessere Systematik anzustreben. Unter den zahlreichen Bearbeitern mögen hier nur Heineccius (gest. 1741), Hellfeld (gest. 1782), Hofacker (gest. 1793), Schömann (gest. 1814), Haubold (gest. 1824), Glück (gest. 1831), Hasse (gest. 1831), E. Spangenberg (gest. 1831), Göschen (gest. 1837), Mühlenbruch (gest. 1843), dann als Vertreter einer rationellern Richtung und als gefeierte Lehrer Thibaut (gest. 1840) und Heise (gest. 1851) genannt werden. Die Erforschung der Geschichte des Rechts und damit eine genauere Kenntnis des geltenden Rechts selbst ward von Hugo (gest. 1844), vor allen aber von Savigny (gest. 1861) angebahnt und gefördert, an welche Männer sich die sogen. historische Schule anschloß. Teils dieser angehörig, teils wieder mehr auf die systematische Behandlung und zum Teil auf eine kritische Behandlung des römischen Rechts gerichtet sind Puchta (gest. 1846), Löhr (gest. 1851), Arndts (gest. 1878), v. Bethmann-Hollweg (gest. 1877), Böcking (gest. 1870), Brinz (gest. 1887), Fein (gest. 1858), Francke (gest. 1873), Jhering, Keller (gest. 1860), Kierulff, v. Scheurl, Sintenis (gest. 1868), v. Vangerow (gest. 1870), Wächter (gest. 1880), Windscheid u. a.
In Deutschland hat das römische Recht nicht allein als Vernunftrecht, sondern auch als positives, unmittelbar anwendbares Recht Geltung erlangt. Die Rezeption des römischen Rechts in dieser Ausdehnung ward außer von den bereits hervorgehobenen allgemeinen Gründen begünstigt teils durch den Zustand des einheimischen Rechts, welches, unzureichend und bei den verschiedenen Stämmen, ja von Stadt zu Stadt verschieden, der Organe zu einer einheitlichen und den Bedürfnissen genügenden Fortbildung entbehrte, teils dadurch, daß die deutschen Kaiser als Nachfolger der römischen Cäsaren, die Gesetze der letztern mithin gewissermaßen als einheimische galten, und daß jene die Geltung des ihnen vielfach günstigen römischen Rechts zu befördern bemüht waren. Vgl. C. A. Schmidt, Die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (Rost. 1868); W. Modderman, De receptie van het romeinsche regt (Groning. 1874; deutsch von K. Schulz, Jena 1875). Während der „Sachsenspiegel“ (um 1230) vom Einfluß des römischen Rechts noch frei ist, zeigt der „Schwabenspiegel“ (um 1275) schon Spuren desselben und verrät die steigende Autorität der römischen „Meister“. Von nachhaltiger Wirkung war die „populäre“ Litteratur des römisch-kanonischen Rechts (vgl. darüber besonders die Monographie von Stintzing, Leipz. 1867). Im 15. Jahrh. wurde das römische Recht von den rechtsgelehrten Doktoren in den höhern Gerichten, in welchen sie Platz fanden, trotz des Widerstrebens der Schöffen zur Geltung gebracht. Schon im Reichsabschied von 1342 hatte Kaiser Ludwig der Bayer bestimmt, daß das kaiserliche Hofgericht „nach kunig und keisern, seiner vorfaren an [933] dem römischen riche, gesetzen und ire geschrieben Rechten“ richten sollte, und die Reichskammergerichtsordnung (1495) erkannte die Rezeption an, indem sie die Richter auf „des Reichs und gemeine Rechte“, jedoch auch auf Statuten und Gewohnheiten verwies. Aber erst im 16. und 17. Jahrh., als auch die Untergerichte überall mit Rechtsgelehrten besetzt waren, war die Rezeption vollendet. Vgl. A. Stölzel, Die Entwickelung des gelehrten Richtertums in deutschen Territorien (Stuttg. 1872, 2 Bde.).
Die Anwendung des römischen Rechts auf einheimische Rechtsverhältnisse, welche auf ganz andrer sittlicher Auffassung, auf andern Gewohnheiten und wirtschaftlichen Bedingungen beruhen, rief viele und oft nur zu begründete Klagen und teilweise heftigen und zähen Widerstand hervor. Es hat denn auch das römische Recht weder das einheimische deutsche ganz zu verdrängen, noch sich selbst von dem Einfluß des letztern frei zu erhalten vermocht. Einmal ist es nur insoweit rezipiert, als es in dem „Corpus juris civilis“ enthalten und soweit dieses von den Glossatoren glossiert ist. Sodann sind nicht anwendbar diejenigen Bestimmungen, welche sich auf das Staatsrecht oder auf solche Einrichtungen beziehen, die in Deutschland nicht vorhanden sind, oder welche dem hier geltenden öffentlichen Recht widerstreiten. Es ist daher das heutige römische Recht wesentlich von demjenigen unterschieden, welches unmittelbar in dem „Corpus juris“ enthalten ist, und man kann, genau genommen, nicht den Inhalt des letztern, sondern die in den gangbaren Lehrbüchern vorgetragenen, in den Gerichten anerkannten Lehren als das geltende römische Recht ansehen.
Seit der Mitte des 18. Jahrh. machte sich eine Gegenströmung gegen das römische Recht bemerkbar. Aus derselben sind das schon seit dem Regierungsantritt Friedrichs II. ins Auge gefaßte allgemeine preußische Landrecht von 1794, welches das römische Recht nur als Aushilfsrecht bestehen ließ, und das schon von Maria Theresia beabsichtigte österreichische Gesetzbuch von 1811 hervorgegangen. Infolge der französischen Revolution ward das römische Recht am linken Rheinufer und in Baden vom französischen Recht, resp. von einer Nachbildung desselben verdrängt. 1815 mahnte Thibaut eindringlich an eine allgemeine deutsche Gesetzgebung, und obwohl Savignys Ansicht, welcher der Gegenwart den Beruf dazu absprach, zunächst die Oberhand behielt, fuhr man doch fort, neue Strafgesetzbücher und neue Straf- und Zivilprozeßordnungen zu erlassen, welche das römische Recht wenigstens auf diesem Gebiet mehr und mehr verdrängten. 1863 trat in Sachsen ein neues bürgerliches Gesetzbuch in Kraft, welches das römische Privatrecht vollständig beseitigte. In umfassendster Weise ist endlich die Gesetzgebung des neuen Deutschen Reichs dem Streben nach nationaler Rechtseinheit und Loslösung vom römischen Recht gerecht geworden (s. Deutsches Recht). Mit dem Inkrafttreten des allgemeinen deutschen Zivilgesetzbuchs wird dem römischen Recht nur noch ein wissenschaftlicher Wert und eine Bedeutung als juristisches Bildungsmittel zuerkannt werden können. Vgl. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung (Leipz. 1852–65, 4 Abtlgn.; 4. Aufl. 1878–88); Puchta, Kursus der Institutionen (8. Aufl., das. 1875, 2 Bde.); Derselbe, Pandekten (12. Aufl., das. 1877); Savigny, System des heutigen römischen Rechts (Berl. 1840–49, 8 Bde.); Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des römischen Rechts (Leipz. 1888).