MKL1888:Scherr

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Scherr“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 437438
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Scherr. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 437–438. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Scherr (Version vom 17.03.2024)

[437] Scherr, 1) Ignaz Thomas, schweizer. Schulmann, geb. 15. Dez. 1801 zu Hohenrechberg in Württemberg, wurde 1825 als Direktor der Blindenanstalt in Zürich berufen, die auf seine Anregung 1826 zu einer Blinden- und Taubstummenanstalt erweitert wurde. Als 1830 das Züricher Staatswesen eine liberale Verjüngung durchmachte, wurde S. in den kantonalen Erziehungsrat und 1832 zum Direktor des neugegründeten Schullehrerseminars in Küßnacht gewählt. In diesen Stellungen wirkte er unermüdlich für Verbesserung des Schulwesens und Hebung des Lehrerstandes. Durch den sogen. Septemberputsch (1839) verlor auch S. seine amtliche Stellung und zog sich nach Emmishofen bei Konstanz zurück. 1852–55 war er Präsident des Erziehungsrats im Thurgau. Inzwischen war 1846 in Zürich die freisinnige Partei wieder ans Ruder gekommen und führte Scherrs Pläne im Schulwesen durch, während dieser selbst, schwerhörig geworden, sich mehr und mehr auf die Schriftstellerei beschränkte. Er starb 10. März 1870. Seine Hauptwerke sind: „Handbuch der Pädagogik“ (Zürich 1839–46, 3 Bde.); „Der schweizerische Bildungsfreund“ (6. Aufl., das. 1877), ein vortreffliches Lesebuch, und „Meine Beobachtungen, Bestrebungen und Schicksale“ (St. Gallen 1840).

2) Johannes, Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 3. Okt. 1817 zu Hohenrechberg, besuchte das Gymnasium in Gmünd und die Universitäten zu Zürich und Tübingen, wirkte dann eine Zeitlang als Lehrer und ließ sich 1843 in Stuttgart nieder, wo er 1844 mit der großes Aufsehen erregenden Schrift „Württemberg im Jahr 1844“ den politischen Kampfplatz betrat, auf dem er sich in den nächsten Jahren als Vorkämpfer aller freiheitlichen Bestrebungen wacker hervorthat. 1848 wurde er in die württembergische Abgeordnetenkammer und in den Landesausschuß gewählt und stand während der Revolutionszeit an der Spitze der demokratischen Partei, weshalb er nach Auflösung der Kammer 1849 nach der Schweiz flüchtete. Er ließ sich zunächst in Winterthur nieder, wo er längere Zeit schriftstellerisch thätig lebte, bis er 1860 als Professor der Geschichte und Litteratur an das eidgenössische Polytechnikum in Zürich berufen wurde. Hier starb er 21. Nov. 1886. Außer einer Reihe von Romanen und Erzählungen (darunter: „Schiller“, Leipz. 1856; 2. Aufl. 1868, 4 Bde.; „Michel. Geschichte eines Deutschen unserer Zeit“, Prag 1858, 4 Bde.; 5. Aufl., Leipz. 1878; „Rosi Zurflüh“, Prag 1860; „Die Gekreuzigte“, St. Gallen 1860; 2. Aufl., Leipz. 1874) sowie einigen humoristischen Schriften veröffentlichte er: „Bildersaal der Weltlitteratur“ (Stuttg. 1848; 3. Aufl. 1884, 3 Bde.); „Deutsche Kultur- und Sittengeschichte“ (Leipz. 1852–53, 9. Aufl. 1887); „Allgemeine Geschichte der Litteratur“ (Stuttg. 1851; 7. Aufl. 1887, 2 Bde.); „Geschichte der deutschen Litteratur“ (2. Aufl., Leipz. 1854); „Geschichte der englischen Litteratur“ (das. 1854, 3. Aufl. 1883); „Geschichte der Religion“ (das. 1855–57, 2 Bde.; 2. Aufl. 1859); „Dichterkönige“ (das. 1855; 2. Aufl. 1861, 2 Bde.); „Geschichte der deutschen Frauenwelt“ (das. 1860; 4. Aufl. 1879, 2 Bde.); „Schiller und seine Zeit“ (illustrierte Quartausgabe, das. 1859, 2. Aufl. 1876; Volksausgabe, 4. Aufl. 1865); „Drei Hofgeschichten“ (das. 1861, 3. Aufl. 1875); „Farrago“ (das. 1870); „Dämonen“ (das. 1871, 2. Aufl. 1878); „Blücher, seine Zeit und sein Leben“ (das. 1862–63, 3 Bde.; 4. Aufl. 1887); „Studien“ (das. 1865–66, 3 Bde.); „Achtundvierzig bis Einundfünfzig“ (das. 1868 bis 1870, 2 Bde.; 2. Aufl. u. d. T.: „1848, ein weltgeschichtliches Drama“, das. 1875); „Aus der Sündflutzeit“ (das. 1867); „Das Trauerspiel in Mexiko“ (das. 1868); „Hammerschläge und Historien“ (Zürich 1872, 3. Aufl. 1878; neue Folge 1878); „Sommertagebuch des weiland Dr. gastros. Jeremia Saurampfer“ (das. 1873); „Goethes Jugend“ (Leipz. 1874); „Menschliche Tragikomödie“, gesammelte Studien und Bilder (Gesamtausg., 3. Aufl., das. 1884, 12 Bde.); „Blätter im Winde“ (das. 1875); „Größenwahn, vier Kapitel aus der Geschichte menschlicher Narrheit“ (das. 1876); das Prachtwerk „Germania. Zwei Jahrtausende deutschen Lebens kulturgeschichtlich geschildert“ (Stuttg. 1876 ff., 5. Aufl. 1882); [438] „1870–71. Vier Bücher deutscher Geschichte“ (Leipz. 1878, 2 Bde.; 2. Aufl. 1880); „Das rote Quartal“ (das. 1882); „Vom Zürichberg“, Skizzen (das. 1882); „Porkeles und Porkelessa“ (Stuttg. 1882, 3. Aufl. 1886); „Haidekraut“, neue Skizzen (Teschen 1883); „Neues Historienbuch“ (Leipz. 1884); „Gestalten und Geschichten“ (Stuttg. 1885); „Die Nihilisten“ (3. Aufl., Leipz. 1885); „Letzte Gänge“ (Stuttg. 1887). S. war ein vorzugsweise der eigentümlichen darstellenden und räsonierenden Weise Th. Carlyles nachgearteter Schriftsteller, von blitzender Lebendigkeit, begeistert oder maßlos in seinen Abneigungen, von schneidiger Schärfe und gelegentlich körnigster Grobheit, in seinen letztern Schriften jedoch allzusehr der Kopist seiner eignen Manier. Ein Teil seiner Erzählungen erschien gesammelt als „Novellenbuch“ (Leipz. 1873–77, 10 Bde.).