MKL1888:Schliemann

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Schliemann“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 532
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Schliemann. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 532. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Schliemann (Version vom 12.12.2023)

[532] Schliemann, Heinrich, Altertumsforscher, geb. 6. Jan. 1822 zu Neubuckow in Mecklenburg-Schwerin als der Sohn eines Predigers, erhielt seine erste Bildung in Neustrelitz, war fünf Jahre lang Kaufmannslehrling in Fürstenberg, ließ sich dann auf ein nach Venezuela bestimmtes Schiff anwerben, litt aber an der holländischen Insel Texel Schiffbruch und sah sich unter den größten Entbehrungen genötigt, in Amsterdam eine kleine Büreaustelle anzunehmen. Hier gelang es seinem Wissensdurst, sich nach und nach die Kenntnis der modernen europäischen Sprachen anzueignen; Anfang 1846 konnten ihn seine Prinzipale schon als Agenten nach Petersburg schicken, und hier gründete er das Jahr darauf ein Haus auf eigne Rechnung. Nachdem er trotz eines umfangreichen Geschäftsbetriebs seine Sprachenkunde erweitert und sich auch das Altgriechische angeeignet hatte, bereiste er den europäischen Kontinent, Syrien und Ägypten und kam 1859 zum erstenmal nach Griechenland. In den Besitz eines großen Vermögens gelangt, unternahm er 1864 eine Reise um die Welt und ließ sich 1866 in Paris nieder, wo er mit Begeisterung archäologischen Studien oblag. So ausgerüstet, führte er endlich seinen lange gehegten Lieblingsplan aus: er suchte zunächst den klassischen Boden des alten Ithaka auf und wandte sich dann nach der kleinasiatischen Küste, wo er in dem Hügel von Hissarlik die Stätte des alten Troja vermutete und im April 1870 auf eigne Kosten die ersten Nachgrabungen veranstaltete, die in den beiden folgenden Jahren in größerm Maßstab fortgesetzt und, mit Unterbrechungen, erst 1882 beendigt wurden. Die Ausbeute, die allerdings nur durch seine und seiner Gattin, einer gebornen Griechin, Ausdauer möglich wurde, war eine erstaunliche, obgleich die geschichtliche Bestimmung der gewonnenen Funde zunächst nicht möglich war und der Gedanke an das Homerische Troja bei nüchterner Beurteilung nicht Stich hielt. Vgl. L. v. Sybel, Über Schliemanns Troja (Marb. 1875); O. Keller, Die Entdeckung Ilions zu Hissarlik (Freiburg 1875); Frick, Zur trojanischen Frage (in Jahns „Jahrbüchern für Philologie“ 1876). Der Prozeß, den die türkische Regierung bei den griechischen Gerichten gegen S. wegen seiner Nachgrabungen anstrengte, wurde dadurch beendigt, daß S. eine Entschädigungssumme von 50,000 Frank zahlte, wogegen er als alleiniger Besitzer seiner Sammlungen anerkannt wurde, die er 1882 dem Deutschen Reich schenkte (im Museum für Völkerkunde zu Berlin). Noch großartiger gestaltete sich das Resultat der Ausgrabungen in Mykenä, der alten Stadt Agamemnons, die er 1876 begann, zunächst in der Akropolis daselbst beim berühmten Löwenthor und dem sogen. Schatzhaus des Atreus. S. entdeckte auf der Burg von Mykenä unter anderm (1877) in tiefen Schächten, welche zu einer Anzahl von Gräbern führten, eine Menge von kostbaren Schmuckgegenständen, Waffen und selbst noch Skelette; schon der materielle Wert der gefundenen Gegenstände (eine Masse derselben aus gediegenem Gold), welche sich jetzt im Polytechnikum zu Athen befinden, beläuft sich auf viele tausend Mark. In Ithaka nahm S. im Herbst 1878 seine frühern Nachforschungen wieder auf und entdeckte auf dem steilen Berg Aktos die Überreste einer uralten Stadt kyklopischer Bauart. Im Herbst 1881 und im Frühjahr 1882 grub S. das sogen. Schatzhaus des Minyas in Orchomenos aus, in den Jahren 1884 und 1885 deckte er die großartige Anlage des Palastes der Könige von Tiryns auf der Akropolis daselbst auf, und 1888 setzte er die Ausgrabungen in Mykenä fort. Im J. 1879 wurde S. von der Universität Rostock zum Ehrendoktor und 1881 von der Stadt Berlin zum Ehrenbürger ernannt. Er hat seinen ständigen Wohnsitz in Athen. Über die Ergebnisse seiner Forschungen berichtete er in folgenden Werken, die größtenteils auch in französischen und englischen Bearbeitung erschienen: „Ithaka, der Peloponnes und Troja“ (Leipz. 1869, mit Autobiographie); „Trojanische Altertümer“ (das 1874, mit Atlas); „Mykenä“ (mit Vorwort von Gladstone u. Atlas, das. 1877); „Ilios“ (das. 1881); „Orchomenos“ (das. 1881); „Reise in der Troas“ (das. 1881); „Troja“ (das. 1883); „Tiryns“ (das. 1886).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 728
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[728] Schliemann, Heinrich, Altertumsforscher. Eine übersichtliche Darstellung seiner Forschungen lieferte Schuchhardt in dem Werk „Schliemanns Ausgrabungen in Troja, Tiryns, Mykenä, Orchomenos, Ithaka“ (Leipz. 1889).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 829830
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[829] Schliemann, Heinrich, Altertumsforscher, starb 27. Dez. 1890 in Neapel. Nachdem S. 1888 und 1889 Versuche gemacht, in Alexandria (in Ägypten) und auf der Insel Kreta neue Ausgrabungen zu beginnen, ohne jedoch zu bemerkenswerten Ergebnissen zu gelangen, nahm er Ende 1889 seine Arbeiten in Troja-Hissarlyk wieder auf. Die Kritik, die von dem Hauptmann a. D. Bötticher in einer Reihe von Zeitungsaufsätzen und in der Schrift „La Troie de Schliemann une nécropole à incinération“ an den Ausgrabungen und den Veröffentlichungen ihrer Ergebnisse durch S. und seinen Mitarbeiter Dörpfeld geübt worden war, veranlaßte S., seinen Gegner, der in der von S. aufgedeckten Burg nicht eine menschliche Wohnstätte, sondern einen Platz zur Verbrennung und Beisetzung von Leichen erkennen will, zu einer Besichtigung der Ausgrabungen einzuladen, die vom 1.–6. Dez. 1889 stattfand. Obwohl Bötticher zugab, sich in wesentlichen Punkten geirrt zu haben, wozu er zum Teil durch irrige Angaben in den Veröffentlichungen Schliemanns verleitet worden war, vermochten sich die Gegner nicht zu einigen. Vgl. darüber: „Hissarlik-Ilion, Protokoll der Verhandlungen zwischen S. und Hauptmann Bötticher“ (Leipz. 1889), und Bötticher, Hissarlik, wie es ist (Berl. 1890). Nachdem S. die durch den Winter unterbrochenen Ausgrabungen 1. März 1890 wieder aufgenommen [830] hatte, lud er zu Ende März eine Reihe von deutschen und auswärtigen Altertumsforschern zu einer neuen Konferenz ein, zu der sich vier Deutsche und vier Ausländer einfanden. Sie erklärten nach Untersuchung der Ruinen, daß sie nirgends auf Leichenverbrennung deutende Anzeichen vorgefunden hätten, sondern daß die gefundenen Brandspuren von Feuersbrünsten herrührten. Der von S. vertretenen Ansicht, daß die Höhe von Hissarlyk unter anderm eine befestigte, durch Brand zerstörte Burg getragen habe, pflichtete auch Oberbaudirektor Durm aus Karlsruhe in der Schrift: „Zum Kampf um Troja“ (Berl. 1890) bei. Über die 1. Aug. 1890 abgeschlossenen letzten Ausgrabungen Schliemanns erschien nach seinem Tode: „Bericht über die Ausgrabungen in Troja im Jahre 1890“ (Leipz. 1891). Schliemanns Frau, welche auch die Herausgabe von Schliemanns Selbstbiographie übernommen hat, beabsichtigt, die Ausgrabungen auf Hissarlyk im Sinne ihres Mannes zum Abschluß zu bringen.