MKL1888:Sonnenfestfeuer

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Sonnenfestfeuer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 849850
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Sonnenfestfeuer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 849–850. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Sonnenfestfeuer (Version vom 02.04.2023)

[849] Sonnenfestfeuer. Die Frage nach dem Ursprunge der Festfeuer, die an bestimmten Tagen des Jahreslaufes in einem großen Teile des mittlern und nördlichen Europa, und namentlich dort, wo sich das Volksleben in größerer Ursprünglichkeit erhalten hat, wie z. B. in den Alpenländern, von den Bergspitzen leuchten, ist in den letzten Jahren lebhaft in wissenschaftlichen Kreisen, die sich mit Volksbrauch und -Sage beschäftigen, erläutert worden. Auf der vorigen Versammlung der deutschen Anthropologen in Münster (Herbst 1890) hatte Rackwitz eine Erhebung über die Grenzen der Oster- und Johannisfeuer angeregt, von denen er meinte, daß sie sich mit uralten Volksgrenzen decken möchten. Es ließe sich nämlich eine Linie durch Mitteldeutschland über Zerbst, Bernburg, Mansfeld, Sangerhausen, Kyffhäuser, Hainleite, Eichsfeld, Hülfensberg bei Eschwege und Meißner ziehen, welche die südliche Grenze der Osterfeuer bezeichnet; die Völker südlich von dieser Linie zündeten nur Johannisfeuer, die nördlich Wohnenden nur Osterfeuer an. Schon J. Grimm hatte in ähnlicher Weise die mit der altbekannten Grenze zwischen fränkischem und sächsischem Volke zusammenfallende Verteilung angedeutet: Osterfeuer kommen durch ganz Niedersachsen, Westfalen und Niederhessen, Geldern, Holland, Friesland, Jütland und Seeland vor, während Süddeutschland, mit Einschluß von Schlesien und Österreich, nur das Sonnenwend- oder Johannisfeuer kennt. Aber Grimm fügte bereits die Einschränkung hinzu, daß einige Gegenden, wie Dänemark und Kärnten, beiden huldigen, und die geographische oder nationale Eingrenzung wird noch zweifelhafter, wenn wir über Deutschland hinausgehen und erfahren, daß der an die angeblichen Osterfeuerländer grenzende germanische Norden (England, Dänemark und Skandinavien) zwar beide Arten von Festfeuern kennt, aber gleich den süddeutschen Ländern das Mittsommerfest bevorzugt. Die Erklärung dieser Verschiedenheit liegt wahrscheinlich darin, daß Oster- wie Johannisfeuer nur die Überreste einer größern Anzahl von Sonnenfestfeuern sind, mit denen man ehemals den Sonnenlauf an seinen vier bedeutsamsten Tagen (Winter- und Sommersonnenwende, Frühlings- und Herbstnachtgleiche) feierte. Denn offenbar gehört das Weihnachts- oder Julfeuer geradezu als das wichtigste in diesen Kreis, obwohl man es der Witterung wegen größtenteils nicht auf Bergen, sondern am häuslichen Herde entzündete, wo nun der Julblock durch den brennenden Christbaum in Deutschland ziemlich verdrängt worden ist. Schon der heil. Augustin spielt aber auf den Gegensatz an, welchen die Heiden in die beiden Sonnenwendfeste legten: an dem Tage, wo die Sonne abzunehmen beginne, sei Johannes der Täufer geboren, damit der Mensch erniedrigt werde, an jenem Tage aber, wo die Tageslänge wieder zunehme, sei Christus geboren, damit Gott erhöhet werde. Wir wissen auch aus zuverlässigen Überlieferungen, daß die heidnischen Iren das Jahr in vier Viertel (Rathas) teilten, deren jedes mit einem großen Freudenfeuer eröffnet wurde. Jeder Ire hatte an diesem Tage sein Feuer am eignen Herde zu löschen, um neues von den Priestern zu erlangen. Der Erz-Druide (Ard-Draoi) entzündete das Jahreszeitfeuer durch Holzquirlung auf dem Hügel Carn Usnäch in der Grafschaft Meath, dem „Lande der Mitte“, dort, wo die Gottheit dem Menschen das wohlthätige Element zuerst gespendet haben sollte, und dieses Opferfeuer blieb für Irland bis in späte Zeiten der geheiligte Mittelpunkt dieses Kultus. Von dort verbreitete man das heilige Feuer schnell von Berg zu Berg, und binnen kurzem war ganz Irland erleuchtet. Die Zeremonien waren ziemlich genau dieselben wie im gesamten nördlichen und mittlern Europa bis westlich nach Frankreich und östlich in die Slawenländer; man tanzte um das Feuer, trieb das Vieh hindurch, sprang über die erlöschende Glut, entzündete Fackeln daran, mit denen man durch Gärten und Felder lief, um sie fruchtbar zu machen; schließlich eignete sich jeder Hausvater einen Brand oder Kohlen an, um sie als heilbringende Reliquie im Hause bis zum nächsten Feste aufzuheben. Die Zurüstungen zu diesen Sonnenfestfeuern geschehen noch jetzt mit einer gewissen Feierlichkeit; im Gebirge liefert hier und da jeder männliche Bewohner ein Scheit Holz zum Haufen, nur der „Schalk“, d. h. ein Bursche, der ein Mädchen zu Falle gebracht hat, darf im selben Jahr nicht zum Oster- oder Johannisfeuer beisteuern; dann wird durch Quirlen Wildfeuer gemacht, und eine Jungfrau steckt den Haufen in Brand, der vorher mit bestimmten Blumen geschmückt wurde, die auch nachher ins Feuer geworfen wurden. Oft entzündete man das Festfeuer auf den Märkten der Städte, z. B. noch im 15.–17. Jahrh. in Paris, Metz, Marseille, in Frankfurt a. M.; die Magistrate und fürstlichen Personen nahmen an der Volksfeier teil, und es ist bekannt, daß Kaiser Maximilian mit seinem Sohne Philipp 1497 der Johannisfeier in Augsburg beiwohnte, wobei die schöne Susanna Neithard den Haufen in Brand steckte und dann an Philipps Hand den ersten Reigen um das Feuer tanzte. Alle diese Zeremonien bezeugen, daß ein religiöser Hintergrund vorhanden war, der damals nur noch in dem Glauben bestand, daß man durch diese Feuer Äcker und Gärten fruchtbar, Menschen und Vieh gesund und ebenfalls fruchtbar machen könne, weshalb auch in Zeiten der Viehseuchen außergewöhnliche Notfeuer (Bd. 12, S. 264) entzündet wurden. Aber ursprünglich handelte es sich, wie Mannhardt und Krause gezeigt haben, um einen Sonnenzauber, durch den man von der Sonne fruchtbares Saaten- und Erntewetter, Minderung allzu starker Glut im Sommer, rechtzeitige Befreiung der im Winter leidenden Sonne etc. zu erlangen hoffte. Darauf deuten namentlich auch die beim Frühlings- und Mittsommerfeuer als Sonnensymbole dienenden glühenden Scheiben und brennenden Räder, die man teils emporwarf, teils von den Bergen ins Flußthal laufen ließ, um ein gutes Weinjahr zu erzielen. Mit dem Erlöschen des Glaubens an die durch die S. auf die Sonne ausgeübte Macht erloschen diese selbst, indessen wurde fast überall eins derselben als Volksfest mit Feuerwerk in Gebrauch erhalten und es hängt von klimatischen Eigentümlichkeiten ab, welches von den vier Hauptfeuerfesten beibehalten wurde. In Alt-Rom war es das Palilienfest (21. April), am Geburtstage der Stadt Rom, durch dessen Feuer das Vieh vor dem Austreiben gesund gemacht wurde, in den Keltenländern das Bealtine- oder Pfulfest (2. Mai), in Süddeutschland das Johannisfest, und der Unterschied von Norddeutschland, wo das Osterfeuer entzündet wurde, erklärt sich sehr einfach dadurch, weil man in Süddeutschland schon am sogen. Funkensonntag, d. h. am ersten Fastensonntag, das Frühlingsfeuerfest begeht und doch Ostern nicht schon wieder ein neues Feuerfest feiern kann. Mit der Verschiedenheit der deutschen Stämme haben diese Verschiebungen nichts zu thun, so daß neuere Erhebungen kaum andre als statistische Aufschlüsse versprechen.

[850] Über die Herkunft dieser Feuerfeste ist viel geschrieben worden, und da man nun aus der Bibel und andern Schriften von einem assyrisch-phönikischen Baals- und Molochdienste wußte, bei dem einem metallenen, glühend gemachten Götzenbilde lebende Kinder und erwachsene Menschen in den Rachen geworfen wurden, so hat man den Gebrauch der arischen Völker, beim Frühlings- und Mittsommerfest durch das Feuer zu springen (z. B. auch am Feroniafeste am Sorakte bei Rom), in England, Skandinavien und Deutschland bis in die neuesten Zeiten für eine semitische Entlehnung gehalten, und namentlich der Name des Bealtine in den Keltenländern für das Frühlingsfest, sowie die Sitte, aus Geflecht hergestellte und mit Laub umhüllte Puppen darin zu verbrennen, als Überreste des Baals- und Molochdienstes in Europa ausgeben wollen. Liebrecht und Mannhardt haben in diesem Sinne auf die Strohpuppen oder aus Weidengeflecht gefertigten Laubriesen hingewiesen, die man noch heute in manchen Gegenden Österreichs und Süddeutschlands, namentlich aber in Frankreich und Belgien, unter den Namen „Lotter“, „Engelmann“, mannequin d’osier, im Frühlingsfeuer unter allgemeinem Freudengeschrei verbrennt, in ihnen Erinnerungen an alte Menschenopfer sehen wollen und dabei auf die Nachrichten Cäsars, Strabons und Diodors verwiesen, wonach die Gallier eine aus Holz und Laub geflochtene Riesenpuppe, in der sich lebende Menschen (Kriegsgefangene oder Verbrecher) befanden, bei diesem S. verbrannt hatten. Diese Nachrichten stammen größtenteils von Posidonius, und es wäre ja durchaus nicht unmöglich, daß die Phöniker, die in Gallien große Handelsstädte und Kolonien angelegt hatten, ihren Baalsdienst dahin verpflanzt hätten. Allein anderseits erinnern diese Puppen so lebhaft an die römischen Binsenmänner und die germanischen Strohpuppen, die man als Bilder des Winter- und Krankheitsdämons ins Frühlingsfeuer oder bei Dürre ins Wasser warf (auch lebende, in Laub eingehüllte „Regenmädchen“ oder Wasservögel wurden zu letzterm Zwecke verwendet), daß man wohl glauben kann, die alten Berichte über die Baalsopfer der Gallier beruhten auf bloßen Mißverständnissen oder Entstellungen. Krause hat überdem nachzuweisen versucht, daß diese Verbindung des Feuer- und Sonnenkultes eine spezifisch nordeuropäische und arische Sitte sei, die in warmen Ländern keinen Sinn hat, und in Indien, wo die Notfeuer gegen Viehsterben geradeso in Szene gesetzt wurden, wie noch vor kurzem in England, Sachsen oder Mecklenburg, von den einwandernden Ariern aus Norden mitgebracht wurde, und daß das religiöse Symbol des Svastika-Zeichens (Bd. 17, S. 783), welches sich im besondern auf diesen in den Jahreszeitenfeuern zum Ausdruck kommenden Ideenkreis bezieht, ein ausschließlich arisches, niemals in semitischen Ländern vorkommendes Symbol ist. Ferner ist anzuführen, daß der Grund, aus welchem der Semit seine Baalsopfer brachte, himmelweit verschieden ist von dem Grunde, aus welchem der Arier durchs Feuer sprang, oder sein Kind dreimal durch das Herdfeuer reichte. Wenn ersterer seine Erstgeburt dem Moloch opferte, oder sein Kind, wie die Bibel es ausdrückt, „durchs Feuer gehen ließ“, so geschah das aus niederm Egoismus, um sein Leben mit dem Leben des eignen Kindes zu bezahlen, sich selbst aber von Krankheit und Tod loszukaufen, während der Arier nur an die reinigende, gesund und fruchtbar machende Kraft der heiligen Flamme dachte. Aus dem Pönitenzial des Erzbischofs Theodor von Canterbury ersehen wir, daß die englischen Frauen noch im 7. Jahrh. ihre Kinder dreimal durchs Feuer zogen, um sie gesund zu machen, und das ist die noch aus spätern Zeiten bezeugte altarische Sitte, auf welcher die Sage von der Thetis beruht, die ihren eignen Sohn (Achill) ins Feuer hielt, um ihn unverwundbar zu machen, und die von der Demeter, die zu ähnlichem Zwecke den kleinen Sohn des Keleos ins Feuer hielt. So springt beim Bealtine- wie beim Johannisfest der junge Bursche mit der Auserwählten seines Herzens gemeinsam durchs Feuer, und die zusammen diesen Sprung gewagt hatten, hielten sich für feierlich verbunden. Ein größerer Gegensatz, als er zwischen dieser Auffassung und dem semitischen Baalsopfer besteht, ist daher überhaupt undenkbar. Vgl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte (Berl. 1875–77), und Krause, Tuiskoland (Glog. 1891), worin Mannhardts Ansichten über den semitischen Ursprung dieser Feuerfeste bekämpft werden.