MKL1888:Straßenbahn

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Straßenbahn“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 899902
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Straßenbahn. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 899–902. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Stra%C3%9Fenbahn (Version vom 27.06.2022)

[899] Straßenbahn.[WS 1] Unter dem Namen Stufenbahn ist ein höchst merkwürdiges Bahnsystem bekannt geworden, welches von Buch erfunden ist, und welchem die Idee zu Grunde liegt, daß eine leichtere und vollkommnere Bewältigung des Massenverkehrs in großen Städten weniger durch Anwendung neuer Kraftmittel und erhöhter Fahrgeschwindigkeit als durch Beseitigung der vielen mit der Benutzung der Eisenbahn verbundenen Aufenthalte zu erreichen sei. Der Erfinder will nämlich in einem je nach dem Umfang der Stadtteile größer oder kleiner zu wählenden, geschlossenen Ringe fortlaufende Wagenzüge oder in kurzen Zwischenräumen aufeinander folgende Einzelwagen verkehren lassen, welche durch Seilbetrieb unausgesetzt mit einer Geschwindigkeit von 4,5 m pro Sekunde befördert werden. Neben der eigentlichen Fahrbahn sind noch zwei andre Bahnen angeordnet, die, aus fortlaufend zusammenhängenden schmalen Plattformen bestehend, je ein endloses Band bilden und mit 3, bez. 1,5 m Geschwindigkeit auf besondern schmalspurigen Geleisen neben den Zügen sich fortbewegen. Es sind somit drei Geschwindigkeitsstufen von je 1,5 m Differenz gebildet, so daß es leicht möglich ist, von einer Bahn auf die andre überzusteigen, ohne daß das Anhalten erforderlich würde. Es soll also die Möglichkeit geschaffen werden, jederzeit und an jeder beliebigen Stelle in die Hauptbahn einsteigen und aus ihr aussteigen zu können, indem man zunächst von der festen Straße die erste mit 1,5 m Geschwindigkeit laufende Bahn betritt; von dieser aus gelangt man leicht auf die zweite und sodann in die Hauptbahn. In umgekehrter Reihenfolge erfolgt das Aussteigen. Um die Kreuzungen zu ersetzen, die bei Ringen nicht gut möglich sind, sollen die einzelnen Ringe des Bahnnetzes sich untereinander berühren und zwar derart, daß sie sich zu Gürteln zusammenschließen, die sich nach dem Mittelpunkt der Stadt zu verjüngen. Dadurch soll erreicht werden, daß man ohne zu große Umwege an jeden Punkt der Stadt in der Weise gelangen kann, daß man an den Berührpunkten der betreffenden Bahnringe von einem Ringe auf den andern umsteigt. Die Vorteile des neuen Systems, welches sich unter Umständen auch als Hochbahn oder unterirdische Bahn ausführen ließe, sieht der Erfinder vor allem in der Annehmlichkeit, daß man an jedem Punkte des Bahnnetzes, ohne warten oder eine Haltestelle aufsuchen zu müssen, einsteigen kann, ferner in der Möglichkeit, einen großen Verkehr ohne Gedränge und die damit verbundenen Unzuträglichkeiten zu vermitteln, sowie in der bedeutenden Fahrgeschwindigkeit. Die Wagen, welche am besten einseitig einzurichten sind, sollen sehr leicht sein, würden also auch nur einen leichten und billigen Oberbau erfordern. Bei den Betriebskosten fiele die Abnutzung der Wagen und der Kraftbedarf durch das Bremsen und Wiederingangsetzen fort, wäre folglich nur die Reibungsarbeit in Betracht zu ziehen.

[Schwerkraftbahnen.] In Amerika hat man neuerdings versucht, die Schwerkraft zum Betrieb von Straßenbahnen mit heranzuziehen. Von der Stadt Ontario in Kalifornien führt eine ca. 10 km lange Straßenbahnstrecke bergan. Bei der Auffahrt wird der Wagen von zwei starken Maultieren befördert, hinab läuft er von selbst unter der Einwirkung der Schwerkraft. Hierbei werden die Maultiere auf einem an den Wagen angehängten, auf Rädern ruhenden Gestell mit hinabtransportiert. Dieses Gestell wird beim Nichtgebrauch (bei der Auffahrt) zusammengeklappt unter dem Wagen untergebracht. Im Gebrauchsfall (beim Hinabfahren) wird es am Hinterperron des Wagens angebracht. Es ist sehr niedrig gehalten, so daß es von den Tieren anstandslos betreten wird. Zur besondern Sicherung gegen unvorhergesehene Vorkommnisse ist an dem Gestell dicht neben den Rädern eine besondere Bremsvorrichtung angebracht, die vom Kutscherstand aus gehandhabt wird. Durch diese Anordnung wird den Zugtieren die nötige Ruhepause nach der Anstrengung ohne Unterbrechung des Betriebes gewährt, so daß sie für die nächste Auffahrt sofort wieder eingespannt werden können. Der Betrieb soll daher mit wenig mehr als der Hälfte des sonst erforderlichen Zugmaterials und dem entsprechend mit bedeutend verringerten Kosten bewirkt werden können. Die Einrichtung soll sich gut bewährt haben. Ein andres System der Schwerkraftbahnen (Gravitysystem) rührt von Thompson in Philadelphia her und beruht auf demselben Prinzip wie die bekannten Rutschbahnen, derart, daß die bei der Abfahrt auf einer abfallenden Strecke im Wagen aufgespeicherte lebendige Kraft dazu benutzt wird, den Wagen auf eine sich anschließende ansteigende Strecke hinaufzubefördern. Die ganze Bahnstrecke ist nach Art der Hochbahnen auf einem Gerüst in angemessener Höhe über der Straße gelagert. Die Geleise verlaufen in auf- und absteigenden Kurven, wobei die Stationsgebäude zwischen den Geleisen und zwar stets in einer Einbuchtung der Bahn sich erheben. Treppen oder Aufzüge vermitteln den Verkehr zwischen den Straßen und den Stationen. Das Verhältnis der auf- und absteigenden Kurven ist derartig, daß immer auf eine kleinere Steigung eine kürzere abfallende Strecke und auf eine sich daran anschließende höhere Steigung eine längere abwärtsführende Strecke folgt. Von jeder Station läuft ein endloses Kabel, das durch eine feststehende Dampfmaschine in ununterbrochener Bewegung gehalten wird, in Schienenhöhe aus, um nach [900] einer bestimmten kurzen Entfernung über eine feste Rolle hinweg zu seiner Ausgangsstelle zurückzukehren. Dieses Kabel tritt in Thätigkeit, wenn die Schwungkraft des Wagens nicht mehr ausreicht, vor und hinter jeder Haltestelle. Der Wagen, welcher die längere geneigte Strecke hinab der Station zugefahren ist, setzt sich nämlich, ehe er den Gipfel der darauf folgenden Steigung erreicht, bez. wenn er den Vorrat von lebendiger Kraft verbraucht hat, mittels eines automatisch wirkenden Greifapparats mit dem endlosen Kabel in Verbindung, das ihn über die Erhöhung hinwegzieht. Bei der Station bringt dann ein Mechanismus durch Loslassen des Kabels und leichtes Bremsen den Zug zum Stehen, vor der Abfahrt aber wird infolge einer weitern selbstthätigen Vorrichtung das Kabel von neuem gefaßt und der Wagen auf der nächstfolgenden Strecke emporgezogen, um, oben angelangt und vom Seile abgelöst, hinabzurollen.

Entwickelung des Straßenbahnwesens.

Am 22. Juni 1890 waren 25 Jahre seit der Eröffnung der ersten S. in Deutschland (Berlin-Charlottenburger Pferdebahn) vergangen. In einem in der Polytechnischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag („Die ersten 25 Jahre der deutschen Straßenbahnbetriebe“, „Polytechnisches Zentralblatt“, 1890) beleuchtet Hilse die mit den Straßenbahnen in Deutschland bisher gemachten Erfahrungen in technischer und wirtschaftlicher Beziehung. Danach ist die Einführung der Straßenbahnen in Deutschland nicht deutschem Unternehmungsgeist zu danken, vielmehr war der Begründer der ersten deutschen S. ein dänischer Ingenieur Moller, dem es gelang, den Widerstand der Behörden, das Vorurteil der Bevölkerung und gewisse Feindseligkeiten derjenigen frühern Fahrbetriebe zu beseitigen, welche durch die Einführung der Pferdebahn ihre eigne Lebens- u. Bestandsfähigkeit gefährdet glaubten. Die Ausführung geschah, allerdings nach Kopenhagener Vorbild, durch deutsche Techniker, Kulin und Gebr. Büsing. Die Bahn fuhr vom Brandenburger Thore in Berlin nach Charlottenburg. Die ursprüngliche Genehmigung, die Linie durch die Straße Unter den Linden fortzusetzen, wurde auf Betreiben der Tagespresse, welche das Unternehmen als zu gefährlich hinstellte, wieder zurückgenommen, während es heutzutage von den Tagesblättern vielfach bedauert wird, daß die Straßenbahnen die Linden nicht einmal kreuzen dürfen.

Bezüglich des Schienenwegs der Straßenbahnen ging ursprünglich die Ansicht der Behörde dahin, möglichst nur eingeleisige Bahnen zuzulassen, weil sie den Straßenkörper dem übrigen Verkehr weniger entziehen sollten als die zweigeleisigen. Moller machte bereits darauf aufmerksam, daß diese Auffassung irrig sei, daß vielmehr ein eingeleisiger Betrieb wegen der Aufenthalte an den Weichen viel häufiger zu Verkehrsstörungen führen würde; doch ist die letztere Auffassung bei den Behörden erst in der Neuzeit durchgedrungen. Die behördlicherseits an die Straßenbreite gestellten Anforderungen sind beträchtlich herabgegangen (von ursprünglich 11,3 m für eingeleisige und 17,5 m für zweigeleisige Straßenbahnen auf 10, ja sogar bis 6,8 m für zweigeleisige Straßenbahnen).

Die Hochbauten der Straßenbahnen bestehen hauptsächlich in den Depots, d. h. in Gebäuden zur Unterkunft der Pferde, Wagen, bez. Lokomotiven. Hier hat sich das Bedürfnis herausgestellt, für möglichst viel Wagen und Pferde möglichst nahe den Hauptverkehrspunkten geeignete Unterkunft zu schaffen. In vielen Städten hat man die Pferdebahndepots mit Rücksicht auf billigern Grunderwerb sehr weit außerhalb des Weichbildes gelegt, jedoch dabei die Erfahrung gemacht, daß die rechtzeitige Versorgung der Innenstadtteile mit Wagen und Pferden auf Schwierigkeiten stößt. Deshalb sucht man jetzt, z. B. in Berlin, die Depotsanlagen ins Innere der Stadt hereinzuziehen. Weil jedoch da der Grund und Boden sehr teuer ist, so ist man zu der Einrichtung übergegangen, die Pferde in zwei Stockwerken unterzubringen, deren unteres ein halbes Kellergeschoß, und deren oberes gleichsam ein Hochparterre bildet, und welche durch abwärts, bez. aufwärts gehende Rampen zugänglich sind. Der Raum darüber wird zum Unterbringen von Futter benutzt. Auch die Unterbringung von Wagen in zwei Stockwerken findet sich vereinzelt, jedoch dürfte diese nur da zweckmäßig sein, wo man für Sommer und Winter verschiedene Wagen hat, von welchen jedesmal die der Jahreszeit entsprechenden jährlich nur einmal ins obere Stockwerk gehoben, bez. von ihm herabgelassen zu werden brauchen, während des Gebrauchs aber immer zu ebener Erde ein- und ausfahren. In neuester Zeit geht man in Berlin mit der Absicht um, die Wagen in den untern Räumen der Stallungen, im ersten und zweiten Stockwerk die Pferde, und im dritten und vierten die Futtervorräte unterzubringen. Wie gewaltig die Depotanlagen in großen Städten anwachsen müssen, ist z. B. daraus zu entnehmen, daß in den drei Berliner Pferdebahnbetrieben 1100 Wagen mit 5500 Pferden gebraucht werden.

Die ersten Wagen wurden nach amerikanischem Vorbild in Hamburg gebaut, schwere große Wagen mit Verdecksitzen und kleinen Fenstern. Viele Wagen wurden anfangs aus Amerika bezogen, während jetzt der Bedarf an Wagen fast ausschließlich in Deutschland selbst befriedigt wird und zwar hauptsächlich von den Firmen Herbrand u. Ko. in Ehrenfeld bei Köln, Wagenfabrik Ludwigshafen, Linkesche Fabrik in Breslau und in Görlitz. In dem Wagenpark der 73 deutschen Straßenbahnen sind mindestens 14–15 Mill. Mk. angelegt. Gegen Barzahlung pflegen Decksitzwagen 4850 Mk., Zweispänner ohne Deck 3850 Mk. und Einspänner 2900 Mk. zu kosten. Die Wahl der Pferde bei den heutigen deutschen Straßenbahnen hat darauf Rücksicht zu nehmen, ob Zweispännerwagen mit Decksitz oder ohne Decksitz oder Einspännerwagen gezogen werden sollen, außerdem auf die örtlichen Steigungsverhältnisse u. die gebräuchliche Fahrgeschwindigkeit. Beim Zweispännerbetrieb mit Decksitzwagen und beim Einspännerbetrieb sind schwere Pferde erforderlich, die aus Dänemark, Mecklenburg, Holstein sowie in geringer Zahl aus Frankreich bezogen werden. Ungarische und russische Pferde werden kaum noch verwendet. Für Zweispännerwagen ohne Decksitze eignen sich bei gewöhnlichen Terrainverhältnissen die ostpreußischen Pferde sehr gut. Im ersten Jahre des deutschen Straßenbahnbetriebes (1865/66) waren vorhanden 19 Wagen und 126 Pferde, befördert wurden 964,512 Personen gegen 246,048 Mk. Fahrgeld auf 67,930 Fahrten mit insgesamt 529,854 Wagenkilometern und auf einer 7800 m langen Schienenstrecke. Demgegenüber wurden im J. 1889 auf 69 von den 73 Straßenbahngesellschaften (vier haben keine Auskunft erteilt) 333,269,504 Fahrgäste befördert, die 40,220,359 Mk. Fahrgeld eingebracht haben, wozu 15,326,517 Fahrten mit 80,725,266 Wagenkilometern zurückgelegt werden mußten und 3962 Wagen mit 133,386 Plätzen, 14,493 Pferde sowie 161 Maschinen erforderlich waren. Die Gesamtlänge der deutschen Straßenbahnstrecken beträgt 1,349,092 m. Auf Berlin [901] allein entfallen hiervon 134,400,431 Fahrgäste mit 15,934,551 Mk. Fahrgeld auf 4,643,738 Fahrten zu 27,754,016 Wagenkilometern, zu welchen 1094 Wagen mit 5486 Pferden und 14 Lokomotiven erforderlich waren. Der Umstand, daß eine so gewaltige Menge das Bedürfnis empfunden hat, für die vorzunehmenden Ortsveränderungen sich der Straßenbahnen zu bedienen, und daß die Betriebsunternehmer ihre Leistungen bis zu dem angegebenen Umfang ausgedehnt haben, liefert nach Hilse den Beweis dafür, nicht allein, daß der Bedarf an Ortsveränderung ein gewaltiger ist, sondern auch, daß die vorher bekannten Verkehrsmittel (Droschken, Omnibus, Thorwagen) zu seiner Befriedigung nicht ausreichten. Jedoch sind nach der Eröffnung der Straßenbahnbetriebe mehrere Jahre erforderlich gewesen, bevor ihre Nützlichkeit und Wirksamkeit der Bevölkerung zur Erkenntnis kam. In Berlin hatte der Verkehr von 964,512 Personen im J. 1865 nur bis 1,370,860 Personen im J. 1870, also in 5 Jahren etwa nur um 42 Proz., zugenommen, in Hamburg von 1,887,445 im J. 1866 bis 2,231,819 im J. 1870, also in 4 Jahren nur 18 Proz., zugenommen, in Stuttgart dagegen von 1,655,298 (1868) bis auf 1,386,272 Personen (1870), also in 2 Jahren um 16 Proz., abgenommen. Erst von 1872 an begann eine lebhaftere Entwickelung des Straßenbahnwesens. In diesem Jahre erhielten Dresden, Frankfurt a. M., Hannover und Leipzig Pferdebahnen, auch wurde die große Berliner Pferdeeisenbahnaktiengesellschaft gegründet, aber erst im folgenden Jahre mit den Linien Rosenthaler Thor – Gesundbrunnen und Hallesches Thor – Potsdamer Thor eröffnet. Es folgten 1873 Danzig und Ütersen, 1875 Wiesbaden. Von 1876 bis 1889 sind jedes Jahr neue Orte mit Straßenbahnen versehen worden, zuletzt Riesa in Sachsen. Ferner waren 1890 in Ausführung begriffen Schleswig, Bonn, Trier, Thorn, Gotha. Überwiegend liegt am nämlichen Orte der Betrieb in Einer Hand.

Wo mehrere Gesellschaften zugelassen sind, ist jeder einzelnen ein bestimmtes Betriebsfeld überlassen. Nur ausnahmsweise findet auf Grund gegenseitigen Übereinkommens zwischen verschiedenen Betriebsunternehmern desselben Ortes ein Übergreifen des Betriebes eines Unternehmers auf eine Linie des andern statt, so verkehren z. B. Wagen der Großen Berliner Pferdeeisenbahngesellschaft auf dem Bahnnetz der Berliner und der Neuen Berliner Pferdebahn in gewissem Umfang und umgekehrt.

Eine eigentliche Konkurrenz mehrerer Unternehmer auf einer und derselben Linie zur Erzielung niedriger Fahrpreise ist nach Hilse deshalb entbehrlich, weil die Straßenbahnen der ortspolizeilichen Regelungsbefugnis unterliegen und ihre Fahrpreise keineswegs willkürlich, sondern nur unter Mitwirkung der Gemeindebehörde und der Ortspolizeibehörde bestimmen dürfen, so daß hierdurch schon das Fahrgeld in den den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Grenzen gehalten wird. Ob der Betrieb der Straßenbahnen auf Rechnung der Gemeinde für diese vorteilhafter ist als der meist übliche durch Privatunternehmer, ist fraglich, wenigstens haben unter andern die Gemeinden Rixdorf und Mariendorf bei Berlin schlechte Erfahrungen damit gemacht und ihre Betriebe mit erheblichem Verlust an die große Berliner Pferdeeisenbahn abgetreten. Von den 333,269,504 Personen, welche 1889 im deutschen Straßenbahnbetrieb befördert werden, entfallen 316,623,642 oder 95,02 Proz. auf Pferdebahnbetrieb und nur 16,645,862 oder 4,98 Proz. auf den mechanischen Betrieb. Unter den mechanischen Betrieben gibt es in Deutschland erst auf zwei Strecken (Offenbach-Sachsenhausen und bei Lichterfelde) elektrischen Betrieb, welcher 1889 den Verkehr von 1,109,902 Personen oder 0,33 Proz. vermittelte. Beide decken die Unkosten noch nicht. Somit sind die bisherigen wirtschaftlichen Ergebnisse der Elektrizität als Zugkraft noch ungünstige zu nennen. Auf der Strecke Charlottenburg-Westend der Berliner Pferdeeisenbahngesellschaft ist elektrischer Betrieb versucht, aber sogleich wieder aufgegeben worden.

Dampfbetrieb wird auf deutschen Straßenbahnen in zweifacher Form beobachtet, entweder als reiner Dampfbetrieb, so daß keine andre Betriebskraft daneben verwendet wird, oder als gemischter Betrieb, so daß neben Pferden Dampf in Verwendung kommt. Die Zahl der im Dampfbetrieb Beförderten betrug 1889 im ganzen 15,535,960 oder 4,65 Proz. der Gesamtziffer oder das 141fache der Fahrgastzahl des elektrischen Betriebes. Die hierbei benutzten Maschinen sind teils nach dem Kraußschen, teils nach dem Rowanschen System gebaut. Die Frage, ob der Übergang vom Pferdebahnbetrieb zum Dampf- oder elektrischen Betrieb sowohl zum wirtschaftlichen Nutzen des Unternehmers als zum besten der öffentlichen Ruhe und Sicherheit gereichen würde, wird von Hilse nach dem Stande der heutigen Erfahrungen verneint. Die heutigen Verteidiger des elektrischen Betriebes in Deutschland stützen sich auf die überraschend günstigen Ergebnisse, die angeblich in Amerika damit erzielt worden seien. Doch sind die Nachrichten aus Amerika allem Anschein nach stark übertrieben gewesen. Der Dampfbetrieb lohnt sich nur dort, wo eine wirkliche Massenbeförderung stattfinden kann, d. h. gleichzeitig mehrere Wagen von einer Maschine fortbewegt werden. Für den Verkehr im Innern von Städten hat sich herausgestellt, daß mit der Vermehrung des Betriebes, d. h. mit der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge der Wagen, die Personenzahl zunimmt, so daß es als ein Fehler anzusehen ist, wenn mit großen Wagen zu selten gefahren wird. Deshalb hat der Einspännerbetrieb im Vergleich zum Zweispännerbetrieb stärker zugenommen (in Deutschland laufen 542 Decksitzwagen, 2383 Zweispänner ohne Decksitze und 1037 Einspänner). Dies scheint darauf hinzudeuten, daß auf eine baldige Einführung der Dampfkraft für den innern Stadtverkehr nicht zu rechnen ist.

Die Frage, ob alle Straßenbahngesellschaften ertragreich sind, muß verneint werden. Eine ganze Reihe derselben leidet an chronischer Unterbilanz und Unvermögen einer Gewinnverteilung. Selbst bei denjenigen, welche Gewinnverteilung ermöglichen, ist keineswegs eine stetige Zunahme, nicht einmal ein unverändertes Gleichbleiben bemerkbar, vielmehr öfter ein Gewinnrückgang zu berichten. Nächst Berlin haben bisher die höchsten Erträgnisse die ältere Magdeburger S. mit 10 Proz., die zu Frankfurt a. M. mit 9–10 Proz., die Dresdener mit 63/4–7 Proz., die Leipziger mit 61/4 bis 7 Proz. ergeben. Die übrigen sind unter 6 Proz. geblieben, zum Teil sehr beträchtlich. Der Betrieb der Straßenbahnen ist also keineswegs unter allen Umständen ein lohnendes Unternehmen, er kann es nur werden unter sehr vorsorglichen und zielbewußten Betriebsleitern. Das schwierigste beim Straßenbahnbetrieb ist das Erforschen des Verkehrsbedürfnisses, das thunlichste Anpassen der Betriebseinrichtung an den Verkehrsbedarf. Die Erforschung ist jedoch für den Ortsverkehr viel schwieriger als für den großen Weltbetrieb. Wer eine Weltreise antritt, dem ist es gleichgültig, ob der Zug 10 oder 20 Minuten früher oder später abgeht. Hat er den abgehenden Zug verpaßt, [902] so wartet er auf den folgenden und geht so als Abnehmer der Beförderungsleistung nicht verloren. Anders im Straßenbahnbetrieb. Wer hier den Pferdebahnwagen hat vorüberfahren sehen, erwartet in vielen Fällen den folgenden nicht, sondern entschließt sich zum Gehen, wird also als Fahrgast und Einnahmequelle verloren.

Die Unfälle auf Straßenbahnen sind für Berlin von 1882 bis 1889, für Deutschland von 1882 bis 1888 ermittelt worden. In dieser Zeit sind in Deutschland 12,463 Unfälle eingetreten, von denen 12,227 auf den Pferdebetrieb u. 236 auf den mechanischen Betrieb entfallen. Im mechanischen Betrieb sind die Unfälle verhängnisvoller, indem von den 236 Fällen 41 zu tödlicher, 41 zu schwerer, 110 zu leichter Verletzung führten, während 44 ohne Verletzung verliefen. Im Pferdebahnbetrieb dagegen haben 272 Fälle tödlichen Ausgang genommen, 695 zu schwerer und 3257 zu leichter Verletzung geführt und 8003 keine Verletzung herbeigeführt. Von den 12,227 Unfällen im Pferdebahnbetrieb kommen allein 7467 auf das Absteigen, 1694 auf das Aufsteigen im Fahren, während 698 Fahrgäste während der Fahrt vom Wagen gefallen und 1558 Straßengänger auf das Geleise vor nahenden Wagen geraten sind. In 624 weitern Fällen gab das Anfahren andrer Fuhrwerke Ursache zum Unfall, während in dem Reste von 186 Fällen verschiedene Anlässe vorlagen. In den mechanischen Betrieben traten von den 236 Unfällen nur 59 beim Absteigen, 19 beim Aufsteigen, 18 beim Fallen vom Wagen, dagegen 89 durch Betreten der Geleise, 35 durch Einwirkung fremder Fahrzeuge und 16 auf verschiedene andre Weise ein. Im allgemeinen hat sich herausgestellt, daß die Straßengängerunfälle unverhältnismäßig schwerer als die Fahrgastunfälle zu verlaufen pflegen.

Die Preise der Straßenbahnen in deutschen Städten sind nach der „Straßenbahn“ folgende: Aachen hat einen Einheitstarif von 15 Pf., Bremen fährt 2 km für 10 und 20 Pf. (Sonntags 30 Pf.), Bremerhaven 4 km für 10 Pf., die Große Berliner Pferdebahn 2,5 km für 10 Pf., Breslau 2,8 km für 10 Pf., Danzig bis 3 km für 10 Pf., Düsseldorf 1,2 km für 10 Pf., Dresden bis 5,5 km für 15 Pf., Erfurt 5,1 km für 10 Pf., Frankfurt a. M. ca. 2 km für 10 Pf., Heidelberg 0,98 km für 10 Pf., Halle bis 3,085 km für 10 Pf., Hamburg 2,5 km für 10 Pf., Ingolstadt 1,4 km für 10 Pf., Kiel 2 km für 10 Pf., Köln 6 km für 15 Pf., Leipzig 2,015 km für 10 Pf., Lübeck 3,8 km für 10 Pf., Magdeburg („Trambahn“) 1,6 km für 10 Pf., Magdeburg („Straßenbahn“) 2,5 km für 10 Pf., Metz 3 km für 10 Pf., Mannheim 2,5 km für 10 Pf., München 2,8 km für 10 Pf., Nürnberg über 2 km für 10 Pf., Posen 1,75 km für 10 Pf., Stettin 2 km für 10 Pf., Stuttgart 2,3 km für 10 Pf., Straßburg i. E. 2,1 km für 10 Pf.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 894895
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[894] Straßenbahn. In Washington wird von der Judson Pneumatic Street Railway Co. eine S. gebaut, die mit einem neuen und ganz eigenartigen Treibmittel versehen werden soll. Gegen eine in einem Kanal in der Mitte der Fahrbahn angeordnete Trommel W (Fig. 1 u. 2) von 23 cm Durchmesser

Fig. 1. Fig. 3.
Fig. 2. Fig. 4.
Straßenbahnbetrieb mittels unterirdischer Trommeln.

werden Reibungsrollen R gepreßt, deren Achsen mit der Trommelachse einen beliebigen Winkel bilden. Sind diese Achsen zwangläufig parallel zur Trommel geführt, wie das bei Straßenbahnwagen durch Vermittelung der Wagenräder und der Schienen geschieht, so werden bei einer Drehung der Trommel W die Rollen R nicht nur gleichfalls in Drehung versetzt, sondern auch in der Richtung der Trommelachse verschoben, indem sie auf W Schraubenlinien beschreiben, deren Steigung von dem Winkel der Rollenachse zur Trommelachse abhängt. Die Verbindung der Rollenachse mit dem zu den Laufrädern der Wagen führenden Gestell kann so ausgeführt werden, daß R in einer durchbrochenen Scheibe S gelagert ist (Fig. 3 und 4), auf deren Rand sich das Wagengestell mit dem Ring T aufstützt. Durch Drehen der Scheiben S mittels einer unter den Wagen hinlaufenden Zugstange cd wird der Winkel der Rollenachse zur Trommelachse und damit die Fahrgeschwindigkeit geändert. Ist der Winkel = 0 oder = 90°, so ist die Geschwindigkeit 0; bei einem Winkel von über 90° bewegt sich der Wagen rückwärts. Für die praktische Ausführung sollen mit jeder Wagenachse zwei Paar sattelförmig auf der Trommel W aufsitzende Rollen angewendet werden. Der zum Anpressen der Rollen gegen die Trommel nötige Druck wird durch das Wagengewicht unter Vermittelung einer Spannfeder ausgeübt. Um diesen Druck dem jeweiligen Kraftbedarf anpassen zu können, ist die zu den Rollen führende Druckstange mit der Wagenachse durch ein Exzenter verbunden, welches von der Plattform des Wagens aus verstellt werden kann. Zum Antreiben der Trommel W sind unter dem Straßenpflaster kleine, liegende Preßluftmaschinen angebracht, denen die gepreßte Luft durch ein unter der Trommel gelagertes Rohr zugeführt wird. Die Trommel besteht aus Stücken von 6–7 m Länge; in den Kurven sind polygonartig gekuppelte kurze Stücke angeordnet. Um zu verhindern, daß die Rollen in die an den Lagerstellen erforderlichen Zwischenräume hineinfallen, sind an diesen Stellen bündig mit der Trommel Leitschienen angeordnet, die auch über Weichen und Kreuzungsstellen hinweghelfen. Auf Grund früherer Versuche hofft die Gesellschaft auf der im Bau befindlichen 2,1 km langen eingeleisigen Strecke bei 200 Wellenumdrehungen pro Minute und einem Winkel der Rollen von 60° eine Wagengeschwindigkeit von 10 km in der Stunde zu erzielen. Die Betriebskosten sollen unter Einrechnung der Verzinsung des Anlagekapitals 7 Pf. für ein Wagenkilometer betragen. – In Bern ist seit Oktober 1890 eine nach dem System Makarski ausgeführte, mit Preßluft betriebene S. von 3 km Länge im Betrieb. Zum Betrieb sind etwa 50 Pferdekräfte erforderlich, die von den städtischen Turbinen in Form von Preßluft geliefert werden. Jeder Wagen ist mit einem Preßluftmotor und einem Preßluftbehälter ausgestattet, der 2120 Lit. Luft faßt. Zur Ladung eines Wagens mit Preßluft bis zur Erreichung der vollen Spannung (30 Atmosphären) werden 10 Minuten gebraucht. Als Fahrgeschwindigkeit sind in der Stadt 12 km, außerhalb 50 km in der Stunde gestattet.

Am 1. Jan. 1890 betrug die Länge der Straßenbahnen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika 5073 km gegen 2721 km im J. 1881, also mit einem Zuwachs von 2352 km in 9 Jahren. Über 100 km hatten 1890 folgende Städte (die Kilometerzahl für 1881 ist in Klammern danebengestellt): Baltimore 171 (100), Birmingham 346 (–), Boston 168 (161), Brooklyn 103 (200), Chicago 298 (129), Cincinnati 116 (84), Denver 114 (13), Kansas City 137 (14), Los Angeles 132 (18), Louisville 132 (63), New Orleans 167 (138), New York 285 (211), Philadelphia 456 (401), Pittsburg-Alleghany 109 (63), Saint-Louis 192 (137), San Francisco 142 (92). Es wurden betrieben als Pferdebahnen 3785 km = 74,62 [895] Proz., mittels Elektrizität 419 km = 8,26 Proz., als Seilbahnen 412 km = 8,12 Proz., mittels Dampfkraft 457 km = 9 Proz. Hinsichtlich der elektrischen Bahnen ist es merkwürdig, daß die Großstädte mit Ausnahme von Boston dabei am wenigsten vertreten sind. Über 16 km elektrisch betriebener Bahnen hatten Boston mit 80 km, Cleveland mit 29 km, Detroit mit 20 km, Nashville mit 18 km, Omaha mit 38 km, Pittsburg-Alleghany mit 33 km, Saint-Joseph mit 27 km, Scranton mit 38 km. Es fehlen also hierunter Baltimore, Chicago, Milwaukee, New Orleans, New York, Philadelphia, San Francisco. Kabelbahnen hatten über 10 km: Cincinnati mit 20 km, Chicago mit 39 km, Denver mit 49 km, Kansas City mit 62 km, Los Angeles mit 24 km, Philadelphia mit 37 km, Pittsburg-Alleghany mit 21 km, Saint-Louis mit 33 km, Saint-Paul mit 16 km, San Francisco mit 76 km. Unter den Dampfstraßenbahnen befanden sich 99 km Hochbahnen, von denen 39 km auf Brooklyn, 8 auf Kansas City und 52 km auf New York kommen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. den Artikel Straßeneisenbahnen im Hauptteil (Band 15).