MKL1888:Strandpflanzen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Strandpflanzen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 370
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Strandpflanzen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 370. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Strandpflanzen (Version vom 28.06.2022)

[370] Strandpflanzen, die den Seeküsten eigentümlichen Gewächse, von denen manche auch im Binnenland an Salinen als sogen. Salzpflanzen vorkommen; von Kräutern zahlreiche Chenopodiaceen, unter denen besonders die Gattungen Salsola und Salicornia zu nennen sind, ferner: Glaux maritima, Plantago maritima, Triglochin maritimum, Aster Tripolium, Artemisia maritima, Statice Limonium, Eryngium maritimum, Juncus maritimus, Lepturus filiformis, Crambe maritima, Cochlearia officinalis, Ammophila arenaria; von Holzpflanzen: Hippophaë rhamnoïdes, in Südeuropa Pinus maritima und Pinus Pinea.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 893895
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[893] Strandpflanzen (Litoralformation), an Meeresufern verbreitete Gewächsgruppe, deren pflanzengeographischer Charakter von der Natur des sie beherbergenden Florengebiets abhängt. Die den Strand der Nord- und Ostsee umsäumende Flora besteht aus einer Mischung sehr ungleicher Bestandteile, indem sowohl Elemente der Heide-, Moor- und Wiesenformation als auch Sand-, Geröll-, Flußufer-, Salzboden- und Waldpflanzen sich an ihrer Zusammensetzung beteiligen (s. Pflanzengeographie, S. 705: „Vegetationsformationen“). An der Nord- und der Ostsee macht sich entsprechend der Verschiedenheit ihrer Küstenbildung, der klimatischen Verhältnisse und der geologischen Entwickelung ein deutlich ausgeprägter Gegensatz auch in der strandbewohnenden Pflanzenwelt geltend, indem dort der Unterschied zwischen der diluvialen Geest und der alluvialen Marsch, hier der zwischen Düne, Strandwiese und Küstenwald am meisten in die Augen fällt. Die Geest beherbergt vorzugsweise eine Heide- und Moorflora sowie mehr oder weniger versprengte Reste einer ursprünglich weitverbreiteten Waldzone, während der fruchtbare Schlick- und Schlammboden der meist künstlich eingedeichten Marschen vorwiegend eine Wiesen-, Ufer- und Wasserflora trägt. Aus der Flußuferformation entwickelt sich, wie es z. B. an der Wesermündung deutlich zu verfolgen ist, in allmählichem Übergang die Flora des eigentlichen Seestrandes, indem mehr und mehr Elemente der Halophytengruppe (d. h. salzliebender Pflanzen) auftreten und zuletzt fast allein die Vegetation bilden. Zu ihnen gesellen sich Bestände einer litoralen Sandflora, die besonders auf der vielfach durchbrochenen Dünenkette der nord- und ostfriesischen Inseln ihren Sitz hat. Letztere zeigen nach den eingehenden Beobachtungen von Focke und Buchenau eine eigenartige Mischung von nebeneinander wachsenden Arten, die auf dem Festland ganz getrennten Vegetationsgebieten angehören. Besonders merkwürdig sind die Überbleibsel einer ehemaligen Waldflora, d. h. Pflanzen, wie Pirola rotundifolia, Monotropa, Listera, Epipactis latifolia, welche sonst nur im Schutze von Wäldern gedeihen, hier aber denselben entbehren. In dem friesischen Torfmoor, z. B. auf Sylt, unter der Marsch bei Tondern und Husum u. a. finden sich nun zahlreiche Reste von Kiefern, Birken und Eichen; auch die Zusammensetzung des unterseeisch lagernden Torfes ist hier überall dieselbe wie auf dem Festland. Meyen und Knuth fanden in dem „Tuul“ der Insel Sylt Erlen- und Eichenzweige, Haselnüsse sowie Holzfragmente und Zapfen der Kiefer und Fichte. Hiernach haben ehemals die Wälder sowie die Geestflora überhaupt eine weitere Ausdehnung gehabt als gegenwärtig und überzogen die ganze einst unter sich und mit dem Festland zusammenhängende Reihe der friesischen Inseln, die jetzt nur noch in einzelnen Trümmern hervorragen. Focke nimmt an, daß nach der Abtrennung [894] Englands vom Festland die Wasser der Nordsee immer weiter nach Süden und Osten vorgedrungen sind; die Dünenkette wurde vom Meere durchbrochen und der waldtragende Geestboden zerschlagen. Auf den Durchbruch der ehemaligen Landbrücke zwischen England und dem Festland scheint nach Knuth der regelmäßige Eintritt einer höhern Flutwelle und ein Überwiegen westlicher und nordwestlicher Stürme gefolgt zu sein, so daß die Baumvegetation zuletzt teils den Winden, teils dem landeinwärts wandernden Dünensand erliegen mußte; nur einzelne Bestände der oben genannten waldbewohnenden Stauden blieben erhalten. Als Waldreste erscheinen in Schleswig-Holstein auch Gebüsche verkrüppelter Eichen, die sogen. Kratts.

Die am meisten auffallende Vegetationsform unter den eigentlichen S. der Nord- und Ostsee bilden die Salzpflanzen (Halophyten), die sich durch fleischige Blätter und Stengel auszeichnen und neben einer Reihe sand- oder geröllbewohnender Gewächse (vorzugsweise Sedum-Arten) als die Vertreter der Sukkulenten (s. d.) in unsrer einheimischen Flora gelten können. Jedoch bewohnt nur die Minderzahl der Halophyten ausschließlich die Meeresküste, die meisten von ihnen treten auch an Salzstellen des Binnenlandes auf (s. Salzpflanzen). Neben diese Gruppe der Strandsukkulenten treten Bestände von Dünengräsern, die ebenfalls eine durch gemeinsame biologische Merkmale und übereinstimmende Tracht hervorragende Gewächsform bilden. Sie stellen teils polsterförmig wachsende, teils mit ihren Wurzelstöcken weit kriechende Formen mit starren, sehr biegungsfest gebauten Halmen und zusammengerollten, oft an der Spitze stechenden Blättern von grau- oder meergrüner Farbe dar und zeigen Anklänge an den Habitus der Steppen- und Wüstengräser; einige Arten, wie der Strandhafer (Ammophila arenaria, desgleichen Elymus arenarius), werden wegen ihrer langen Ausläufer zur Befestigung des Dünensandes und auch an Sandstellen des Binnenlandes mit Vorteil benutzt. Die Gruppe besteht außerdem aus Arten von Juncus (J. maritimus, J. balticus), Glyceria (G. maritima), Triticum (T. junceum, T. pungens) u. a. Der enge biologische Zusammenhang dieser Pflanzengenossenschaft teils mit den Halophyten, teils mit den sandbewohnenden Gräsern des Binnenlandes zeigt sich darin, daß litorale Grasformen, wie Glyceria maritima, entstanden sind, deren nächstverwandte Art (G. distans) eine charakteristische, auch im Binnenland verbreitete Salzpflanze ist, desgleichen in dem Auftreten von Zwischenspezies (z. B. Ammophila baltica), die als Bastarde von litoralen (Ammophila arenaria) und binnenländischen (Calamagrostis epigeios) Arten aufgefaßt werden. Die Existenz derartiger besonderer Litoralformen von sonst weitverbreiteten, halophytischen oder sandbewohnenden Gräsern ist der beste Beweis dafür, daß diese bereits seit einer sehr langen Zeitepoche von ihrem gegenwärtigen Standort Besitz ergriffen haben müssen und hier die ihm entsprechenden Formen erzeugten. Der stärkere Wind an der Seeküste bedingt eine größere Festigkeit des Halmes als im Binnenland, und die fortwährende Überschüttung mit Dünensand läßt lange Wurzelstöcke als das beste Mittel erscheinen, sich seiner erstickenden Wirkung zu entziehen, aber gleichzeitig denselben behufs besserer Ausnutzung für die Ernährung durch zahlreiche Nebenwurzeln zu befestigen. Die biologische Verwandtschaft der Litoralgräser mit ihren binnenländischen Vertretern auf Ufersand und an Seen zeigt sich darin, daß auch bei letztern die oben angegebenen Merkmale der Dünengräser, jedoch nicht in gleich ausgeprägter Weise, vorkommen. Anderseits treten einige andre strandbewohnende Gräser ohne strenge Litoraltracht auf dem Küstensand auf. Eine dritte eigentümliche Vegetationsform des Meeresufers bilden die Stranddisteln, deren Typus Eryngium maritimum (eine an den Küsten des gesamten Europa mit Ausnahme seiner nördlichsten Teile wachsende Umbellifere) ist. Durch ihre meergrüne Farbe, die stark geäderten, lederigen, am Rande tief gezahnten und lang bedornten Blätter sowie die rundlichen, breit behüllten Blütenköpfe mit blauen Blumen fällt sie den Strandbesuchern besonders auf; ihre nächsten Verwandten sind teils Flußuferbewohner (Eryngium campestre), teils Alpenpflanzen (E. alpinum, E. amethystinum) und bekunden damit eine gleiche Vorliebe für Luftfeuchtigkeit wie die am Seestrand ansässige Art. Die amerikanischen Spezies der Gattung zeichnen sich durch parallelnervige schmale Blätter aus und gleichen bisweilen im Habitus Steppengräsern. Als ein südliches Gegenstück unsrer Stranddistel ist das im österreichischen Litorale, im Mittelmeergebiet und auch in England auftretende Crithmum maritimum zu nennen, das die gleiche meergrüne Farbe, stachelspitzige, fleischige, aber doppeltgefiederte Blätter mit schmalen Abschnitten und halbkugelige, behüllte Dolden mit gelblichen Blumen besitzt.

Schließlich nehmen auch einige Holzpflanzen, die Sandsträucher, an der Zusammensetzung der Küstenflora teil. Als ihr Vertreter kann der Sanddorn (Hippophaë rhamnoides) gelten, eine dornentragende Eläagnacee mit silbern-schelferigen Blättern und orangefarbenen Steinfrüchten. Dieser auch im Binnenland oft auf Sandstellen angepflanzte Strauch hat eine ziemlich weite Verbreitung bis nach Asien, kommt aber in Deutschland, seinem Luftfeuchtigkeitsbedürfnis entsprechend, nur an der Küste und in den Alpenländern vor, von denen er längs der Flüsse abwärts gewandert ist. Andre in der Nähe der Nordseeküste auftretende Gesträuche von Empetrum, Myrica Gale, Erica Tetralix, Genista anglica etc. gehören der Heideformation an, deren charakteristische Glieder ihr Hauptverbreitungsgebiet längs der Küsten des Atlantischen Ozeans gefunden haben, und denen sich eine Anzahl krautiger Pflanzen, wie Lathyrus maritimus, Convolvulus Soldanella (nur auf Borkum), Cochlearia danica u. a., anschließt.

Vom pflanzengeographischen Gesichtspunkt aus besteht demnach die Flora des Nordseestrandes aus einer Mischung atlantisch-westlicher, boreal-alpiner (wie Empetrum u. a.) und rein litoraler Elemente mit allgemein verbreiteten Pflanzen des europäischen Waldgebiets. Im ganzen gilt diese Mischung auch für das baltische Gebiet, nur verschwindet in östlicher Richtung die Pflanzengenossenschaft des Atlantischen Ozeans mehr und mehr, während eine Zahl östlicher Arten hinzutritt. Sehr verschieden verhalten sich die baltischen Küstenwälder, die bisweilen in geschlossenem Zustand dicht an die Steilufer (so z. B. der Buchenwald auf den Kreideklippen Stubbenkammers oder am Heiligen Damm in Mecklenburg) herantreten; an letzterer Stelle brechen die Wellen von Zeit zu Zeit Teile des Landes mit einzelnen Bäumen ab. In den meisten Fällen sind dagegen die seewärts stehenden Bäume des Küstenwaldes verkrüppelt und niedrig; nach dem Lande zu folgen dann immer höhere Stämme, bis [895] die Höhe des Hochwaldes erreicht ist; auch siedeln sich die Waldbäume gern hinter Wacholdergesträuch an. An den am meisten der vorherrschenden Windrichtung ausgesetzten Küstenstrichen hört die Waldvegetation völlig auf; auch werden an zahlreichen Orten vorhandene Bäume durch landeinwärts wandernde Dünen nach langem Kampfe mit denselben begraben. Die Pflanzenwelt des baltischen Strandes besteht wie an der Nordsee vorwiegend aus Halophyten; auf den Dünen herrschen die hohen Litoralgräser vor, während auf den Strandwiesen die Salzpflanzen mit Gewächsen der mitteleuropäischen Wiesen- und Triftformation sich mischen und zahlreiche Strandvarietäten letzterer (z. B. Euphrasia maritima, Anthyllis maritima, Trifolium maritimum, Lotus microphyllus, Erythraea litoralis u. a.) auftreten. Die Vegetation an der Ostküste Schleswig-Holsteins zeigt schon baltischen Charakter, ebenso Mecklenburg und Rügen, dessen Buchenwälder an seltenen Orchideen reich sind. Für die Gestade Pommerns und Preußens ist entsprechend der veränderten Küstengestaltung das allmähliche Überwiegen der Dünenflora sowie der Wasservegetation in Strandseen und Haffs charakteristisch. Im ostbaltischen Gebiet herrscht ein auffallender Mangel an Strandwiesen, die sich hier nur an den vor Südwest- und Westwinden geschützten Buchten entwickeln; auch die Insel Ösel, die außerdem durch das Vorkommen einer Reihe isolierter, südöstlicher Pflanzenarten berühmt ist, besitzt bei Jamma eine echte Strandwiese.

Die Blütenbestäubungsverhältnisse der S. sind bisher noch nicht hinreichend untersucht; doch liegen Angaben darüber vor, nach denen auf den Inseln der Nordsee, welche den Winden stark exponiert sind, die Zahl der windblütigen oder auf Selbstbestäubung angewiesenen Pflanzenarten eine verhältnismäßig hohe ist; jedoch hängt das Zahlenverhältnis der insektenblütigen Spezies zu den windblütigen und den autogamen Arten auch von zahlreichen andern Faktoren und nicht bloß von der Armut an Blumenbestäubern auf jenen Inseln ab. Anderseits wurde z. B. von Krause am Strande Mecklenburgs bei einer ganzen Reihe von Insektenblumen, wie Jasione montana, Chrysanthemum inodorum, Galium verum u. a., von Knuth bei Viola tricolor und canina auf Sylt eine auffallende Vergrößerung der Blumenkrone beobachtet, welche vielleicht mit der verstärkten Notwendigkeit von Insektenanlockung, ähnlich wie bei den alpinen oder hochnordischen Blumen, zusammenhängt. Ganz abweichende Verhältnisse bietet die tropische Strandvegetation dar, deren Küstenwaldungen vorwiegend der durch eigentümliche Aussäungseinrichtungen merkwürdigen Mangroveformation (s. Lebendiggebärende Pflanzen) angehören. Über die S. der Nord- und Ostsee vgl. Focke, Untersuchungen über die Vegetation des nordwestdeutschen Tieflandes (Bremen 1871); Buchenau, Flora der ostfriesischen Inseln (Norden 1881); Knuth, Flora der Provinz Schleswig-Holstein (Leipz. 1887); Derselbe, Gab es früher Wälder auf Sylt? (in „Humboldt“, 1889); Prahl, Kritische Flora der Provinz Schleswig-Holstein (Kiel 1888–90, 2 Teile); Nöldecke, Flora des Fürstentums Lüneburg, des Herzogtums Lauenburg und der Freien Stadt Hamburg (Celle 1889); Krause, Pflanzengeographische Übersicht der Flora von Mecklenburg (Güstrow 1884); Marsson, Flora von Neu-Vorpommern und Rügen (Leipz. 1869); v. Klinggraeff, Versuch einer topographischen Flora der Provinz Westpreußen (Marienwerder 1880); Klinge, Die vegetativen und topographischen Verhältnisse der Nordküste der Kurischen Nehrung (in den „Sitzungsberichten der Dorpater naturforschenden Gesellschaft“, 1884).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 894
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[894] Strandpflanzen, s. Anpassung.