MKL1888:Tierplagen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tierplagen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 914915
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Tierplagen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 914–915. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Tierplagen (Version vom 02.04.2024)

[914] Tierplagen. Zur Bekämpfung der ehemals als göttliche Strafgerichte betrachteten T., welche Felder und Wälder heimsuchen, ist man von den bloßen Verteidigungs- und Sammelmethoden, wie sie in Gestalt von Leimringen gegen die Forstschädlinge, von Fallen und Fanggruben gegen Heuschrecken (vgl. Bd. 18, S. 412), ja sogar von Magnesiumfackeln und elektrischen Lampen in Verbindung mit Exhaustoren gegen die Nonne (s. d., Bd. 18, S. 647) angewandt wurden, in der Neuzeit zu einem mehr den Gang der Natur nachahmenden Verfahren übergegangen, indem man den Kampf ums Dasein, soweit er sich im besondern gegen die Schädlinge richtet, zu verschärfen sucht. Die künstlichen Verteidigungsmittel können immer nur auf die Abhaltung der T. von bestimmten Feldern und Wäldern ausgehen, der Naturkampf dagegen will die Erfahrung ausnutzen, daß eine im Übermaß auftretende Tierart auch die Ausbreitung ihrer Feinde durch reichlichere Ernährung derselben begünstigt, wodurch sich das Gleichgewicht bald wiederherstellt. So vermehren sich nach Raupenplagen gewisse Schlupfwespen, Harlekinspinnen, Raubkäfer verschiedener Arten, die von denselben leben, und ebenso gewisse Schmarotzerpilze, welche die Raupen töten, und auf die letztern, welche leicht künstlich zu züchten sind, hat man seit einigen Jahren im besondern seine Hoffnung gesetzt. Die Methode wurde, soviel bekannt, zuerst von Hallier vorgeschlagen, dann namentlich von Pasteur, aber mit geringem Erfolg beispielsweise gegen die Kaninchenplage Neuhollands angewendet. In neuerer Zeit ist sie aber in verschiedenen Fällen mit besserm Erfolg verwendet worden. So ist es Krassilstschik gelungen, einen für die Kultur der Runkelrübe äußerst verderblichen Rüsselkäfer (Cleonus punctiventris) durch die Infektion seiner Larven mit den Sporen eines Pilzes (Isaria destructor) völlig zu vertilgen, indem von den gezüchteten Sporen ungefähr 8 kg, mit Sand vermischt, mit einem Kostenaufwand von 10 Fr. auf den Hektar ausgestreut wurden. Le Moult, der Vorsitzende eines Vereins zur Vertilgung der Maikäferlarven zu Gorron (Departement Mayenne), die daselbst in einer für Feld- und Wiesenwachs bedrohlichen Weise auftraten, versuchte dasselbe Mittel anfangs ohne Erfolg, bis er auf einer von den Engerlingen stark heimgesuchten Wiese mit einem Schimmelpilz besetzte Larven entdeckte, der sich so verbreitete, daß sich die Zahl der befallenen Larven vom Juni bis September von 10 auf 70 Proz. vermehrte und die Grasnarbe sich infolgedessen bald erholte. Giard in Paris bestimmte den Pilz als Isaria farinosa oder I. crassa, überzeugte sich von seiner Wirksamkeit als Töter der Maikäferlarven und fand eine Methode, auch diesen Pilz auf künstlichem Nährboden zu züchten, um reichliche Sporenmengen zu gewinnen, mit denen man dann wirksam vorzugehen hofft. Giard führt diese Versuche fort, um die Kultur womöglich in Flüssigkeiten zu erreichen, die dann zur Bewässerung des von Engerlingen besetzten Erdreiches benutzt werden soll. Er hofft auch einen Pilz zu finden, der in gleicher Weise der Reblaus den Garaus machen soll, und es hat sich die Untersuchung bei dieser Methode immer zunächst auf die Entdeckung einer spezifischen Pilzform zu richten, welche dem betreffenden Schädling gefährlich wird.

In Algerien, woselbst man sowohl mit Wanderheuschrecken als mit seßhaften Verwandten (s. Bd. 18, S. 412) zu kämpfen hat, führt man schon seit Jahren einen wissenschaftlichen Krieg gegen dieselben, aber bisher nur mit ungenügendem Erfolg. Eine Anzahl französischer Entomologen, wie Kunckel, d’Herculais, Langlois, Trabut, Brongniart u. a., sind dort teilweise schon seit Jahren thätig, und man hatte zu Imelia ein besonderes Laboratorium eingerichtet und nacheinander die von Osborn (1883) empfohlene Entomophtora Calopteni, die von Metschnikow (1884) empfohlenen Isaria destructor und I. ophioglossoides versucht, man hat in jüngster Zeit (1891) mit einem von Trabut entdeckten, auf kranken Heuschrecken Auswüchse und Effloreszenzen erzeugenden Pilz (Botrytis acridiorum) Versuche angestellt, aber die Überzeugung der betreffenden Forscher neigt gegenwärtig dahin, daß mit Pilzkrankheiten gegen die Heuschrecken wenig auszurichten sein wird. Dieselben befallen in der Regel nur die altersschwachen und siechen Heuschrecken und erst, wenn sie für [915] die Fortpflanzung gesorgt und reichliche Brut hinterlassen haben. Größere Hoffnungen würden hier auf parasitische Insekten zu setzen sein, namentlich auf solche, die bei der Brut schmarotzen, wenn Aussicht vorhanden wäre, dieselben künstlich zu züchten. So hatte Kunckel d’Herculais schon 1888 in den Eierklumpen des wegen seiner Zerstörungen in Algerien besonders gefürchteten Stauronotus maroccanus schmarotzende Larven bemerkt, die sich (1890) als Käferlarven, Verwandte der spanischen Fliege, entpuppten, einer Mylabris-Art, von der man früher geglaubt hatte, sie sei ein Bienenschmarotzer. Die jungen Tiere nähren sich vielmehr von den Eiern der Heuschrecken und sind mithin als sehr nützlich zu betrachten. Außerdem fand derselbe Entomologe eine schmarotzende Fliege (Sarcophaga clathrata), welche die Wanderheuschrecke heimsucht, aber es wird nicht leicht möglich sein, diese beiden Vernichter der Heuschrecken künstlich zu züchten.

Bessere Gewähr für die Infektionsmethode mit Pilzen bieten offenbar Insekten mit vollkommener Verwandlung, die nicht während ihrer ganzen Entwickelung (wie die Heuschrecken) fressend umherlaufen, sondern sich einspinnen und verpuppen, und schon während ihrer Raupen- und Puppenzeit, lange bevor sie geschlechtsreif werden, einer Pilzinvasion zugänglich sind. Wir wissen, daß dies in hohem Grade bei den Raupen der Seidenspinner der Fall ist, und deshalb knüpft man in Bayern Hoffnungen an eine Pilzkrankheit, welche Hofmann in Regensburg an teils lebenden, teils toten Raupen der Nonne in den Revieren Ebersberg, Münchsmünster, Anzing und Buchau entdeckt hat. Es scheint, daß es sich dabei teilweise um Botrytis bassiana, den Pilz, welcher die Muskardinekrankheit der Seidenraupen veranlaßt, handelt. Aber mehr noch als dieser Schmarotzer scheinen Bakterien thätig gewesen zu sein, welche bei einer großen Anzahl von Raupen die als Schlaffsucht (Flacherie) bekannte Krankheit (vgl. Bd. 14, S. 828) hervorgerufen hatten. Da nun zu hoffen ist, daß die in den zahlreichen Raupenleichen massenhaft aufgespeicherten Pilzsporen und Spaltpilze in der nächsten Saison von großem Vorteil bei der Vernichtung der Raupen sein werden, so empfiehlt Hofmann, die eingesammelten Raupen nicht (wie vielfach üblich) zu verbrennen oder aus dem Walde zu entfernen, um nicht der Ausbreitung dieses nützlichen Bundesgenossen entgegenzuwirken. Im Gegenteil empfiehlt er beim Abholzen von Waldflächen, welche von irgend einer schädlichen Raupe ganz kahl gefressen sind, die Gipfel der gefällten Stämme, welche mit dichten Krusten zusammengeklebter Raupen überzogen sind, in andre noch nicht oder erst wenig vom Raupenfraß beschädigte Reviere zu übertragen, um die so nützlichen Pilze weiter zu verbreiten. Einen bemerkenswerten Erfolg hat unlängst Löffler (Greifswald) in der Bekämpfung der Mäuseplage nach der verbesserten Pasteurschen Methode in Griechenland erzielt. Die Feldmäuse hatten in bedrohlicher Weise in Thessalien überhand genommen, und das Verfahren wurde unter eigner Aufsicht von Löffler in der Weise angewandt, daß mit der Spaltpilz-Kultur getränkte Brotkrume auf die Felder gelegt wurde. Die davon fressenden Mäuse erkranken und sterben. Das tödliche Übel verbreitet sich schnell, weil die Körper der Getöteten von den andern Mäusen angefressen werden. Der Erfolg dieser Anfang Mai 1892 zur Ausführung gebrachten Versuche soll ein vollständiger gewesen sein und der deutsche Professor von den Bauern als ein Heiliger verehrt werden.

Auch in Australien hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben, mit Hilfe der Bakterien der Kaninchenplage Herr zu werden, und nach dem Fehlschlagen der Pasteurschen Versuche den Rat von Koch dieserhalb in Anspruch genommen. Anderson-Stuart von der Universität Sidney kam eigens deshalb nach Berlin und hat, da Kochs Gutachten dem Plane nicht ungünstig ausfiel, die Errichtung einer bakteriologischen Anstalt daselbst vorgeschlagen, die vorzugsweise diesem Zwecke gewidmet sein soll. Vgl. Hofmann, Insektentötende Pilze (Frankf. a. M. 1891).