MKL1888:Wärmstuben

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wärmstuben“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 972973
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Wärmstuben. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 972–973. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:W%C3%A4rmstuben (Version vom 19.12.2022)

[972] Wärmstuben, Wohlthätigkeitsanstalten, welche armen Leuten während der kalten Jahreszeit einen geheizten Aufenthaltsraum, auch Nahrung unentgeltlich oder gegen geringe Entschädigung darbieten, bestehen in Wien, Leipzig und seit Dezember 1891 in Berlin. Der Wiener Wärmstuben- und Wohlthätigkeitsverein hat nach den Statuten den Zweck, „den Notstand verarmter Personen durch Errichtung von W. und Asylen, Unterstützung von Armen durch Beteilung mit Nahrungsmitteln, Holz, [973] Kohlen, Kleidung und Geld und durch unentgeltliche Arbeitsvermittelung, ohne Rücksicht auf Geschlecht, Stand, Konfession und Staatsbürgerschaft, nach Möglichkeit zu lindern“. Man verabreicht in den Wiener W. unentgeltlich Erbsensuppe und Brot an jeden, der sich meldet, und so oft am Tage, wie er kommt. Um 7 Uhr abends wird geschlossen, da die meisten der Kunden im Asyl übernachten und sich vor dieser Zeit im Nachtquartier einstellen müssen. An strengen Tagen speist eine Wärmstube bis zu 500 Freigäste. Der Verein verteilte im Winter 1886/87 an 246,008 Personen Suppe und Brot, 1887/88 an 311,299 und 1888/89 an 234,279 Personen. Im ersten Jahre waren drei, im zweiten vier, im dritten wieder nur drei W. in Betrieb, weil es an Mitteln fehlte. Die Polizei begünstigt das Institut in jeder Weise, und die Erfahrung hat in der That gelehrt, daß es die bessern Elemente an sich zieht, und daß es Tausende vor körperlichem und sittlichem Verderben bewahrt. Der Verein hat daher auch immer mehr Beifall gefunden und durch ein Geschenk von 100,000 Gulden eine feste materielle Grundlage erhalten. In Leipzig hat ein Verein zunächst vier versetzbare Holzbaracken in geschmackvollem Schweizerstil, in denen etwa 30 Personen stehend Platz finden, auf verkehrsreichen Plätzen der Stadt errichtet und die erste im Winter 1889 eröffnet. Die Baracken kosteten je etwa 5000 Mk. Man verabreicht in denselben 0,33 Lit. Kaffee oder Thee für 5 Pf., Milch für 8 Pf., Schokolade für 10 Pf., Warmbier für 10 Pf., Bouillon für 10 Pf. und Fleischklöße das Stück zu 6 Pf. Während des Sommers schenkt man kohlensaures Wasser und Limonade zu billigem Preise. Die Baracken sind geöffnet von morgens 6 bis abends 8 Uhr, die Getränke liefert täglich 5–6mal eine Zentralküche, und in den Baracken werden sie im Wasserbad auf einem Grudeofen heiß erhalten. Eine Frau leitet den Betrieb in jeder Baracke, der täglich wiederholt von einer andern Frau kontrolliert wird. Die Aufrechthaltung der Ordnung hat niemals Schwierigkeiten verursacht. Die Besucher der W. sind nicht verpflichtet, etwas zu genießen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse gestalten sich bei diesem Betrieb überaus günstig. Der Verein erzielte während des letzten Betriebsjahres fast 10 Proz. Gewinn und konnte nach Zahlung von 4 Proz. Dividende ca. 5 Proz. zu Abschreibungen verwenden. Auch diese Einrichtungen haben sich als sehr segensreich erwiesen, aber offenbar lassen sie eine Bevölkerungsschicht unberücksichtigt, für welche der Wiener Verein in erster Linie eintritt. In Berlin hat der „Zentralverein für Arbeitsnachweis“ versuchsweise eine erste Wärmhalle in zwei Stadtbahnbogen eröffnet. Dieselbe gewährt von morgens 8 bis abends 7 Uhr jedermann unentgeltlich Aufenthalt. Der Raum für Männer ist von jenem für Frauen und Kinder getrennt. Im ganzen finden 1000 Personen Platz. Betrunkene werden ebensowenig wie Karten- und Würfelspiel geduldet. Der Aufenthalt ist vorderhand unbeschränkt, doch behält man sich vor, bei großem Andrang eine Beschränkung der Aufenthaltsdauer eintreten zu lassen. In der Halle sind Bänke aufgestellt, auch ist eine Vorrichtung zum Waschen vorhanden, der Boden ist asphaltiert, der Ofen (Meidinger) steht in der Mitte der Halle, die Beleuchtung erfolgt durch elektrisches Bogenlicht. Den ganzen Tag über werden zwei verschiedene Suppen, der Napf nebst einem Stück Brot für 10 Pf., verabreicht, ebenso Kaffee mit Milch und Zucker für 5 Pf., zwei Schrippen für 5 Pf., eine Tasse Milch für 5 Pf. Auf der Kocheinrichtung können auf einmal 800 Lit. Suppe hergestellt werden. Für die Aufrechthaltung der Ordnung sorgt ein Aufseher. Die ganze Anlage nebst Unterhaltung für vier Wintermonate wird ca. 20,000 Mk. kosten. Die Stadt Berlin hat bis jetzt 3000 Mk. beigetragen, weitere 7000 Mk. stehen in Aussicht. Unmittelbar neben der Wärmhalle befindet sich der Zentralarbeitsnachweis. Zunächst handelt es sich um einen Versuch, bewährt sich die Einrichtung, so ist die Errichtung von weitern Hallen für den nächsten Winter in verschiedenen Stadtteilen in Aussicht genommen.