MKL1888:Wandermuschel

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wandermuschel“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 381
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Wandermuschel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 381. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wandermuschel (Version vom 15.09.2022)

[381] Wandermuschel (Dreissena polymorpha Pall.), Gattung aus der Familie der Miesmuscheln (Mytilidae), besitzt ein gleichschaliges, dreieckiges Gehäuse. Der Mantel ist bis auf drei enge Öffnungen völlig geschlossen. Sie ist im südlichen Rußland heimisch und sitzt klumpenweise an Steinen oder an Muscheln mittels des Byssus (s. d.) befestigt. Im ersten Viertel unsers Jahrhunderts gelangte sie auf den künstlichen und natürlichen Wasserwegen aus ihrer Heimat in etwas mehr als einem Jahrzehnt nach den Ostseeprovinzen und deren Haffen und von da bis zur Havel, wo sie sich seit 1825 massenhaft findet. Sie ist jetzt auch in die Spree, bis Magdeburg und Halle vorgedrungen, erschien 1826 an der Rheinmündung und findet sich jetzt bis Hüningen und Heidelberg. Von Holland aus gelangte sie auch bis Paris, und in neuester Zeit wanderte sie in das Gebiet der Loire ein. In den Londoner Docks sah man sie 1824, und jetzt bewohnt sie verschiedene Flüsse Englands und Schottlands. Alle diese Einwanderungen sind wahrscheinlich auf Verschleppungen durch Schiffe und Flöße zurückzuführen. Die W. findet sich aber auch in einigen Seen ohne schiffbare Verbindung mit Flüssen in Mecklenburg, Pommern und Albanien.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 972
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[972] Wandermuschel (Dreissena polymorpha Pall). Während bei den Muscheltieren im allgemeinen die Entwickelung durch frei schwärmende, mit einem als Schwimmorgan dienenden bewimperten Lappen (Segel, Velum) versehene Larven erfolgt, entwickeln sich die Jungen der Süßwassermuscheln innerhalb der Kiemen der Mutter so weit, daß sie beim Verlassen der letztern bereits die Gestalt der ausgebildeten Tiere haben oder sich doch auf so hoher Entwickelungsstufe befinden, daß sie mit den frei schwärmenden Larven von Seemuscheln nicht zu vergleichen sind. Es lag die Vermutung nahe, daß bei der W., welche vor verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem pontischen Gebiet in unsre Flußläufe und Seen vorgedrungen ist, der Verlauf der Entwickelung ein andrer sein werde als bei den übrigen Süßwassermuscheln, und dies hat Korschelt in der That feststellen können. Die W. besitzt als nahe Verwandte der Miesmuschel mehr den Charakter einer marinen Form. Wenn sie aber auch nach allgemeiner Annahme ursprünglich eine Seemuschel gewesen ist, so verträgt sie doch jetzt kein salzreiches Wasser mehr und lebt z. B. im Kaspischen Meer nur in der stark versüßten Mündung der Wolga und in der Ostsee innerhalb der Haffe. Bei Beobachtung der Entwickelung der W. zeigte sich nun, daß im Verlauf derselben eine frei schwärmende, mit Segel versehene Larve auftritt, welche mit den Larven mariner Muscheln vollkommen übereinstimmt. Damit ist zum erstenmal das Vorkommen solcher Larven im Süßwasser festgestellt worden, da auch unter den Ringelwürmern, wo diese Larvenform gleichfalls vorkommt, die im Süßwasser oder auf dem Lande lebenden Arten dieses Stadium nicht im frei schwimmenden Zustand, sondern innerhalb der Kokons und nur unvollständig durchlaufen. Die Larven der W. sind sehr klein und werden von manchen Infusorien an Größe übertroffen; sie machen den Eindruck eines Wimperinfusoriums oder eines Rädertierchens, wenn sich das Segel in stark rädernder Bewegung befindet. Sie schwärmen etwa 8 Tage an der Oberfläche des Wassers, wo sie sich von frei schwimmenden Algen zu ernähren scheinen, und steigen dann auf den Grund herab. Inzwischen hat sich der Fuß gebildet, dessen Entwickelung fortschreitet, während das Schwimmorgan zurückgebildet wird. Auch der Mantel entwickelt sich kräftiger, es werden die Kiemen angelegt, der Fuß erreicht eine beträchtliche Länge, und die Muschel kriecht mit seiner Hilfe lebhaft umher. Dann aber bleibt er im Wachstum zurück, während der Körper der Muschel an Umfang zunimmt; so erhält der Fuß endlich die stummelförmige Gestalt, die er am ausgebildeten Tiere besitzt. Schließlich setzt sich die Muschel fest. Die leichte Beweglichkeit der Wandermuschellarven hat jedenfalls zur raschen Verbreitung des Tieres wesentlich beigetragen. In der langen Periode des Schwärmens können die Larven durch die Strömung der Flüsse weit fortgetrieben werden. Das Vordringen der Muschel stromaufwärts ist durch das Festsetzen derselben an Schiffe oder durch den Transport mit Bauholz etc. bedingt.